Von der allgemeinen Personalnachfrage bis zur KI: Ökonomin Lisa Feist über die Herausforderungen und Chancen des Arbeitsmarkts 2025

In einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheiten und gesellschaftlicher Umbrüche steht der deutsche Arbeitsmarkt vor großen Herausforderungen. Die Konjunktur schwächelt, der Fachkräftemangel bleibt in einigen Branchen drängend und neue Technologien wie KI könnten entweder als Chance oder als ungenutztes Potenzial enden. Lisa Feist, Ökonomin und Arbeitsmarktexperten im Indeed Hiring Lab, analysiert im Interview die aktuellen Entwicklungen und gibt einen Ausblick, wie Unternehmen auf die strukturellen Veränderungen reagieren können.

Frau Feist, wie bewerten Sie die derzeitige Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der schwächelnden Konjunktur?

Die derzeitige Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt spiegelt die Auswirkungen einer schwachen Konjunktur wider, die sich zunehmend auch auf die Beschäftigungslage auswirkt. Besonders betroffen sind Spitzenjobs mit hohen Gehältern, deren Nachfrage erheblich gesunken ist. Gleichzeitig bleibt der Fachkräftemangel in systemrelevanten Bereichen wie Pflege, Transportwesen und Einzelhandel eine zentrale Herausforderung. Die Arbeitswelt zeigt sich zunehmend gespalten: Während einige Sektoren von einer Abkühlung betroffen sind, bleibt die Nachfrage in essenziellen Bereichen stabil oder wächst sogar leicht. Insgesamt dominieren Unsicherheiten, sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Natur, die Aussichten für 2025.

Welche besonderen Herausforderungen und Chancen sehen Sie für Angestellte im HR-Bereich im Jahr 2025?

Im HR-Bereich selbst sehen die Jobperspektiven aktuell eher düster aus. Im Jahr 2024 sind die Stellenanzeigen im Personalwesen um etwa 30 Prozent zurückgegangen – deutlich stärker als der allgemeine Rückgang des deutschen Stellenmarktes von etwas mehr als 15 Prozent.

Bei ihrer täglichen Arbeit müssen sich HR-Abteilungen 2025 zudem mit einem komplexen Spannungsfeld auseinandersetzen. Die Abkühlung des Arbeitsmarktes führt zu einem Rückgang des Wettbewerbs um Talente, was die Machtverhältnisse zugunsten der Arbeitgeber verschiebt. Dennoch bleibt die Gewinnung und Bindung von Fachkräften in stark nachgefragten Berufsfeldern eine Herausforderung. Chancen ergeben sich durch die verstärkte Einbindung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die berufliche Mobilität fördern und die Arbeitskräftebasis erweitern können. Unternehmen sollten zudem auf Gehaltstransparenz, flexible Arbeitsmodelle und Weiterbildungsprogramme setzen, um attraktiv zu bleiben und langfristig wettbewerbsfähig zu sein.

Welche Trends und Entwicklungen werden Ihrer Meinung nach den Arbeitsmarkt im Jahr 2025 am stärksten prägen?

Wie bereits beschrieben, durchlaufen wir aktuell eine „White Collar Recession“ am deutschen Arbeitsmarkt. Insbesondere gut ausgebildete Büromitarbeitende sind überdurchschnittlich stark von Entlassungen, Unsicherheiten oder stagnierenden Karriereaussichten betroffen. Dies führt in einigen Berufskategorien dazu, dass die Arbeitgeber wieder am längeren Hebel sitzen und die Konditionen wieder stärker zu ihren Gunsten beeinflussen können.

Gleichzeitig beobachten wir aktuell eine Stagnation der aus dem Ausland kommenden Suchanfragen. Wenn das internationale Interesse an deutschen Jobs aber stagniert, könnte das die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland erschweren und sich langfristig negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auswirken. Schließlich sind wir insbesondere mit Blick auf den Renteneintritt der Babyboomer-Generation auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.

Ein weiteres Thema, das den Arbeitsmarkt 2025 maßgeblich prägen wird, ist die Integration von künstlicher Intelligenz. Trotz der globalen Relevanz bleibt KI in vielen deutschen Unternehmen bislang ein Nischenthema, was die Innovationskraft hemmt und Wachstumspotenziale ungenutzt lässt. Daher muss unbedingt ein Umdenken in diesem Bereich stattfinden.

Trotz dieser multiplen Herausforderungen ist der Jobmarkt in Deutschland nach wie vor noch relativ stabil und befindet sich aktuell etwa 30 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau. Damit der Stellenmarkt bis 2025 wieder wachsen kann, ist jedoch eine wirtschaftliche Belebung notwendig. Ob dies gelingt, bleibt angesichts der politischen Unsicherheiten fraglich.

Sie sprechen von einer „White Collar Recession“. Welche langfristigen Auswirkungen könnte der Rückgang gut bezahlter Jobs auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands haben?

Der Rückgang gut bezahlter Jobs, vornehmlich in der Wissensökonomie, bedroht die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erheblich. Fachkräfte aus innovationsstarken Branchen spielen eine Schlüsselrolle bei der Transformation und Modernisierung der Wirtschaft. Fehlen diese, könnten Investitionen in Technologien und zukunftsweisende Projekte ausbleiben, was Deutschland im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten lässt.

Inwiefern könnten Fachkräfte aus weniger gefragten Branchen den Fachkräftemangel in systemrelevanten Bereichen wie Pflege und Transport lindern? Welche Hürden bestehen hierbei?

Fachkräfte aus weniger gefragten Branchen könnten dazu beitragen, den Fachkräftemangel in systemrelevanten Bereichen wie Pflege und Transport abzumildern, jedoch nur begrenzt. Ein zentraler Grund ist der häufige Mismatch zwischen den spezifischen Anforderungen in diesen Berufen und dem Qualifikationsprofil potenzieller Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Insbesondere, wenn die bisherigen Tätigkeiten ein höheres Ausbildungsniveau oder andere Spezialisierungen erfordern, kann dies zu Frustration oder mangelnder Motivation führen. Dennoch bieten gezielte Umschulungs- und Qualifizierungsprogramme eine vielversprechende Möglichkeit, diesen Übergang zu erleichtern.

Sie prognostizieren eine Verschiebung hin zu einem Arbeitgebermarkt. In welchen Berufsfeldern wird sich diese Entwicklung besonders deutlich zeigen, und welche Konsequenzen hat das für Arbeitnehmer und Unternehmen?

Die Verschiebung hin zu einem Arbeitgebermarkt wird besonders in gut bezahlten Bürojobs, etwa in der IT, Softwareentwicklung und dem Projektmanagement, spürbar. In diesen Bereichen ist die Nachfrage nach Fachkräften stark zurückgegangen. Für Arbeitnehmende bedeutet das, sich auf schwierigere Vertragsverhandlungen und potenziell geringere Gehaltssprünge einzustellen. Gleichzeitig könnten auch einige Benefits, die zuvor als selbstverständlich galten, wegfallen – etwa die seit der Pandemie als gesetzt geglaubte Homeoffice-Option.

Der Rückgang an Homeoffice-Optionen wird von Ihnen thematisiert. Halten Sie dies für eine vorübergehende Entwicklung oder für eine dauerhafte Neuausrichtung der Arbeitswelt?

Der Rückgang von Homeoffice-Optionen spiegelt meiner Meinung nach nur eine vorübergehende Anpassung an die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit wider. Langfristig wird Flexibilität jedoch weiterhin ein entscheidender Faktor für die Attraktivität von Arbeitgebern bleiben. Unternehmen, die räumliche Flexibilität bieten, sichern sich einen Vorteil im Wettbewerb um Talente.

Sie kritisieren, dass deutsche Unternehmen das Potenzial der KI nicht ausreichend ausschöpfen. Welche strukturellen oder kulturellen Hindernisse behindern die stärkere Integration von KI in Unternehmen?

Es handelt sich gerade bei generativer KI um eine relativ junge Technologie, die KI-Verordnung der EU ist erst wenige Monate alt, sodass man hier fast noch von Kinderschuhen sprechen kann. Mögliche Anwendungsgebiete sind vielfältig und somit stehen Unternehmen mitunter vor komplexen Entscheidungen, was die Einführung kostspieliger KI-Systeme betrifft. Große technologische Erneuerungen brauchen meist ihre Zeit, um in der Breite angewendet zu werden. Abgesehen davon findet KI-gestützte Arbeitserleichterung im Alltag in vielen Bereichen bereits statt, ohne dass dies in Stellenanzeigen erwähnt wird. Dennoch können sich Unternehmen, die jetzt gezielt in die richtige Expertise investieren, sicherlich Wettbewerbsvorteile sichern und ihre Produktivität steigern – gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel.

Welche konkreten Maßnahmen sollten Unternehmen ergreifen, um KI-Kompetenzen in ihren Belegschaften zu fördern und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben?

Unternehmen müssen KI nicht vorsichtig beäugen, sondern mutig anpacken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der erste Schritt könnte darin bestehen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unkomplizierten Zugang zu relevanten KI-Tools und -Plattformen zu ermöglichen, um durch Learning by Doing echte Kompetenzen aufzubauen. Zudem kann es hilfreich sein, kleine, agile Pilotprojekte zu starten, die konkrete Herausforderungen mit KI lösen und dabei wertvolle Erkenntnisse liefern – auch aus weniger erfolgreichen Ansätzen.

Noch wichtiger ist jedoch, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die Experimentieren belohnt, Wissen teilt und Fehler als Lernchancen begreift. So wird die Belegschaft zur treibenden Kraft in der KI-Transformation und das Unternehmen bleibt langfristig innovativ und erfolgreich.

Wenn Sie in fünf Jahren auf die von Ihnen identifizierten Trends zurückblicken, welche positiven Entwicklungen würden Sie sich am deutschen Arbeitsmarkt am meisten wünschen?

Ich wünsche mir, dass wir den Spagat zwischen den multiplen anstehenden Herausforderungen hinbekommen haben und der Arbeitsmarkt fit für die Zukunft ist. Ein solcher Arbeitsmarkt ist transparent, fair und flexibel. Produktive Arbeitsverhältnisse, die an fehlenden Remote-Optionen oder mangelnder Kinderbetreuung scheitern, gehören der Vergangenheit an. KI wird mit vernünftiger regulatorischer Begleitung zur Steigerung der Produktivität eingesetzt, sodass die Menschen mehr Zeit für die Aufgaben haben, die maschinell nicht geleistet werden können – beispielsweise im medizinischen Bereich oder an Schulen. Deutschland hat ein enormes Potenzial an Fachwissen, technischer Expertise und Kreativität, das dafür eingesetzt werden kann, in puncto Innovation und Wachstum wieder mehr Zugkraft zu entwickeln. Damit dies gelingt, sollten wir alles dafür tun, dass die Menschen in die Beschäftigung finden, für die sie die besten Voraussetzungen mitbringen, und Barrieren abbauen, die sie genau davon abhalten.

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