In der aktuellen Debatte um die Rückkehr ins Büro stehen viele Unternehmen vor der Herausforderung, die richtige Balance zwischen Präsenzpflicht und Homeoffice-Optionen zu finden. Dr. Annina Hering, Ökonomin und Arbeitsmarktexpertin bei Indeed, spricht im Interview über die Risiken einer Präsenzpflicht, die ungebrochene Nachfrage nach mobilen Arbeitsmodellen und die Bedeutung von Flexibilität im Wettbewerb um Fachkräfte. Sie erklärt, warum Unternehmen, die weiterhin auf Homeoffice setzen, klare Vorteile bei der Mitarbeitergewinnung haben, und gibt Empfehlungen für eine zukunftsorientierte Arbeitsgestaltung.
Wie bewerten Sie den aktuellen Trend, dass große Unternehmen wie Amazon ihre Mitarbeitenden wieder ins Büro zurückholen?
Ich beobachte solche Entscheidungen eher kritisch und halte sie unter Umständen für riskant. Sie stehen im Gegensatz zur steigenden Nachfrage nach mobilen Arbeitsmodellen. Einerseits leiden die Mitarbeitenden darunter, die von der Flexibilität des Homeoffice profitieren und zu Hause oftmals sogar produktiver sind. Andererseits tun sich die Unternehmen damit selbst keinen Gefallen, da sie ihren Kreis an potenziellen Arbeitskräften dadurch enorm verkleinern. Momentan sind solche Aktionen mit Blick auf den gesamten Arbeitsmarkt jedoch eher die Ausnahme. Von einem Trend würde ich daher noch nicht sprechen.
Gibt es auch unter Arbeitnehmenden den Wunsch, vermehrt ins Büro zurückzukehren oder bleibt die Nachfrage nach Jobs mit Homeoffice-Option hoch?
Unsere Arbeitsmarktdaten zeigen eindeutig, dass die Nachfrage nach Jobs mit Homeoffice-Option im Vergleich zu vor der Corona-Pandemie in Deutschland ungebrochen hoch ist. Tatsächlich hat sie erst kürzlich, im Juli dieses Jahres, einen neuen Höchststand erreicht. Es gibt also keinen erkennbaren Trend unter Arbeitnehmenden, vermehrt ins Büro zurückzukehren zu wollen. Im Gegenteil, die Flexibilität des Homeoffice bleibt für viele ein wichtiger Faktor bei der Jobsuche.
Inwieweit spielt die Flexibilität bei der Arbeitsplatzwahl, insbesondere Homeoffice, heute eine Rolle im Wettbewerb um Fachkräfte?
Wer Talente sucht, ist schlecht beraten mit einer Präsenzpflicht im Büro. Die Flexibilität bei der Arbeitsplatzwahl spielt eine entscheidende Rolle im Wettbewerb um Fachkräfte. Unternehmen, die keine Homeoffice-Optionen anbieten, verkleinern ihren Kreis an potenziellen Arbeitskräften enorm. Aktuell beinhalten fast 15 Prozent der auf Indeed verfügbaren Stellen die Option, komplett remote oder hybrid zu arbeiten. Besonders in den Bereichen Marketing, HR und Softwareentwicklung ist die Option gesetzt. Das Homeoffice-Angebot in Deutschland ist damit knapp dreimal höher als vor dem Beginn der Corona-Pandemie. Unternehmen, die flexible Arbeitsmodelle anbieten, verschaffen sich also einen klaren Wettbewerbsvorteil bei der Rekrutierung von Fachkräften.
Was empfehlen Sie Unternehmen bei der Ausgestaltung ihrer Homeoffice-Regelung?
Ich empfehle Unternehmen, die Bedürfnisse und Präferenzen ihrer Mitarbeitenden ernst zu nehmen und flexible Arbeitsmodelle anzubieten. Eine ausgewogene Mischung aus Präsenz- und Heimarbeit kann sowohl die Produktivität als auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigern. Wichtig ist, dass die Regelungen klar kommuniziert werden und fair für alle Beteiligten sind.
Werden Remote-Work und Homeoffice-Optionen in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen oder wird das Arbeiten im Büro wieder der Standard sein?
Ich gehe davon aus, dass Remote Work und Homeoffice-Optionen in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen werden. Der demografische Wandel spielt dabei eine entscheidende Rolle in dieser Entwicklung, da er den Fachkräftemangel enorm verschärft. Arbeitgeber werden daher ihren Pool an potenziellen Arbeitskräften so gut es geht erweitern müssen. Homeoffice ist dafür eine hervorragende Lösung, die zudem die steigende Nachfrage nach mehr Flexibilität seitens der Belegschaften deckt. Dass das Arbeiten im Büro wieder zum alleinigen Standard wird, kann ich mir nicht vorstellen. Dafür bietet Homeoffice für alle Beteiligten zu eindeutige Vorteile.