Der Einsatz von Zeitarbeitskräften bringt für Entleihunternehmen nicht nur Flexibilität, sondern auch erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken mit sich. Besonders die subsidiäre Haftung für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer birgt bilanzielle Sprengkraft. Der Beitrag erläutert, wann und wie Rückstellungen zu bilden sind, welche gesetzlichen Grundlagen greifen – und wie Unternehmen das Haftungsrisiko durch klare Prozesse und abgestimmte Verantwortlichkeiten beherrschen können.
Ausgangslage – Haftungsrisiken bei der Nutzung von Zeitarbeit
Unternehmen, die auf Zeitarbeitskräfte zurückgreifen, treten als Entleiher im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) auf. Neben der gewünschten Flexibilität in der Personalplanung bringt dies jedoch spezifische rechtliche und finanzielle Risiken mit sich.
Ein zentrales Risiko betrifft die subsidiäre Haftung für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern, sofern der Verleiher seinen gesetzlichen Pflichten nicht nachkommt oder keine gültige Überlassungserlaubnis besitzt.
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen dieser Haftung finden sich insbesondere in:
- § 28e Abs. 2 SGB IV – Subsidiäre Haftung des Entleihers für Sozialversicherungsbeiträge,
- § 42d Abs. 6 EStG – Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer,
- § 10 Abs. 3 AÜG – Gleichstellung von Leiharbeitnehmern bei fehlender Erlaubnis.
Diese Normen verdeutlichen, dass Entleihunternehmen auch bei eigener ordnungsgemäßer Pflichterfüllung finanziell in Anspruch genommen werden können. Die daraus resultierende sekundäre Haftung stellt ein erhebliches Bilanz- und Bewertungsrisiko dar und muss entsprechend ordnungsgemäß bilanziell berücksichtigt werden.
Rückstellungen – handels- und steuerrechtlicher Rahmen
Nach handelsrechtlichen Grundsätzen (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) ist eine Rückstellung zu bilden, wenn
- eine rechtliche Verpflichtung gegenüber einem Dritten besteht,
- mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist und
- die Verpflichtung dem Grunde oder der Höhe nach noch ungewiss bleibt.
Genau diese Voraussetzungen können bei der Subsidiärhaftung erfüllt sein, da es sich um eine gesetzlich begründete Außenverpflichtung handelt.
Die Bewertung richtet sich nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB – maßgeblich ist die Höhe, die „nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig“ ist.
Auch steuerlich ist die Rückstellungsbildung erforderlich. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG sind alle wirtschaftlich verursachten Verpflichtungen des abgelaufenen Geschäftsjahres abzubilden. Für die Bewertung verweist § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG darauf, Erfahrungswerte aus der Vergangenheit sowie die Wahrscheinlichkeit einer (Teil-)Inanspruchnahme angemessen zu berücksichtigen.
Entscheidend ist der Bilanzstichtag; wertaufhellende Erkenntnisse bis zur Aufstellung der Bilanz müssen einbezogen werden.
Eine präzise Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen ist – wie stets im Steuerrecht – dringend anzuraten.
Eintrittswahrscheinlichkeit und Ermessensspielraum
Die Frage, ob und in welchem Umfang eine Rückstellung zu bilden ist, hängt wesentlich von der Eintrittswahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ab. Bereits bei einer überwiegenden oder auch nur beachtlichen Wahrscheinlichkeit kann eine Rückstellung erforderlich sein – insbesondere dann, wenn ein vorsichtiger Kaufmann das Risiko berücksichtigen würde.
Selbst bei Wahrscheinlichkeiten unter 50 % kann eine Rückstellung geboten sein, etwa wenn das Risiko nach Art und Höhe der möglichen Inanspruchnahme erheblich ist oder bei einer Unternehmensbewertung den Kaufpreis beeinflussen würde.
Bilanzielle Bedeutung und Folgen fehlerhafter Behandlung
Ein unterlassener oder fehlerhafter Rückstellungsansatz kann die Aussagekraft des Jahresabschlusses erheblich beeinträchtigen.
Nach § 264 Abs. 2 HGB muss der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln.
Fehlt eine gebotene Rückstellung, wird dieses „true and fair view“ verletzt – mit möglichen Konsequenzen für Prüfungen, Finanzierungsgespräche und steuerliche Außenprüfungen.
Interne Verantwortlichkeiten im Unternehmen
Die sachgerechte Handhabung der Subsidiärhaftung betrifft mehrere Unternehmensbereiche und darf nicht allein als Aufgabe des Rechnungswesens verstanden werden.
Ein abgestimmtes Vorgehen über verschiedene Funktionen hinweg ist erforderlich:
Einkauf
- Mindestens monatliche Überprüfung der eingesetzten Zeitarbeitsfirmen auf gültige Überlassungserlaubnis und tatsächliche Zahlungen geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge
- Vereinbarung geeigneter Haftungsfreistellungsklauseln in Verträgen
Personalabteilung (HR)
- Dokumentation der Leiharbeitnehmer und deren Einsatzzeiten
- Kontrolle von Equal-Pay-Regelungen und Einhaltung der AÜG-Vorgaben
- Zusammenarbeit mit Einkauf und Compliance bei der Auswahl von Dienstleistern
Compliance
- Überwachung gesetzlicher Vorgaben
- Aufbau interner Kontrollsysteme zur Früherkennung von Haftungsrisiken
- Integration in das unternehmensweite Risikomanagement
Rechtsabteilung
- Prüfung der Vertragsklauseln
- rechtliche Beratung bei Haftungsstreitigkeiten
- Einschätzung potenzieller Prozessrisiken
Geschäftsführung / CFO
- Gesamtverantwortung für Risikomanagement und Bilanzierung
- Entscheidung über Höhe und Ausweis der Rückstellung
- Kommunikation gegenüber Aufsichtsorganen, Gesellschaftern und Investoren
Rechnungswesen / Controlling
- Bewertung und Dokumentation der Rückstellungen
- Nachvollziehbare Herleitung für Abschlussprüfer und Finanzverwaltung
- Nutzung von Erfahrungswerten aus Vorjahren und externen Prüfungen
Praktische Umsetzungsschritte
Für die betriebliche Praxis empfiehlt sich ein mehrstufiges Vorgehen:
- Überprüfung der Verleiher – regelmäßige Kontrolle der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis und Nachweise zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen; dieser Bereich kann bei fehlenden internen Kapazitäten auch ausgelagert werden an spezialisierte Managed Compliance Service Provider wie z.B. das IZS Institut für Zahlungssicherheit
- Vertragliche Absicherung – Vereinbarung von Haftungsfreistellungsklauseln, auch wenn diese nicht in jedem Fall eine gesetzliche Haftung ausschließen.
- Risikobewertung – gemeinsame Einschätzung durch Einkauf, HR, Legal und Finance.
- Rückstellungsbildung – Erfassung in Handels- und Steuerbilanz nach den Vorgaben des HGB und EStG.
- Dokumentation – nachvollziehbare Begründung der Rückstellungsansätze zur Vermeidung von Diskussionen mit Prüfern.
- Laufende Aktualisierung – Berücksichtigung neuer Erkenntnisse, etwa Insolvenzen von Verleihern oder Prüfberichte der Sozialversicherungsträger.
Fazit
Die subsidiäre Haftung des Entleihers für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer stellt ein wesentliches wirtschaftliches Risiko dar, das über juristische Fragen hinaus auch bilanzielle Auswirkungen hat.
Rückstellungen sind sowohl handels- als auch steuerrechtlich erforderlich, sobald ein vernünftiger Kaufmann eine Inanspruchnahme als hinreichend wahrscheinlich einschätzt.Unterbleibt die Bildung solcher Rückstellungen, kann dies zu fehlerhaften Jahresabschlüssen und entsprechenden rechtlichen sowie wirtschaftlichen Folgen führen. Nur durch ein abgestimmtes Zusammenwirken von Einkauf, HR, Compliance, Rechtsabteilung, Rechnungswesen und Geschäftsführung lässt sich das Haftungsrisiko sachgerecht bewerten und abbilden.
So wird die wirtschaftliche Lage des Unternehmens realitätsgetreu dargestellt – und böse Überraschungen im Haftungsfall bleiben aus.
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Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Phillip Campbell
Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner bei CdC Capital GmbH Steuerberatungsgesellschaft in München

















