Nach Auffassung der Finanzverwaltung müssen Sie den geldwerten Vorteil nach der Formel „Listenpreis x 0,03% x Anzahl der Entfernungskilometer“ erfassen. Die Finanzverwaltung geht hierbei von der typisierenden Annahme aus, dass der Arbeitnehmer seine regelmäßige Arbeitsstätte im Betrieb an 15 Tagen im Monat aufsucht. Die tatsächliche Anzahl der Fahrten spielt nach Auffassung der Finanzverwaltung dabei keine Rolle.

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Foto von Beatriz Pérez Moya

Umstrittene Rechtsauffassung

Diese Rechtsauffassung ist in der Lohnund Gehaltsabrechnung seit vielen Jahren heftig umstritten und regelmäßig Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung im Rahmen von Lohnsteueraußenprüfungen. Der pauschale Ansatz der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen Verwerfungen, insbesondere bei Arbeitnehmern, die nicht regelmäßig im Betrieb, sondern im Home- Office arbeiten. Das gleiche gilt für Arbeitnehmer, die als Außendienstmitarbeiter tätig sind und den Betrieb nicht an jedem Arbeitstag, sondern nur in unregelmäßigen Abständen aufsuchen.

Hier entstehen insbesondere bei großen Distanzen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geldwerte Vorteile in utopischen Dimensionen. Auch andere Finanzgerichte kamen inzwischen zu dem Ergebnis, dass der geldwerte Vorteil aus der Nutzung eines dienstlichen Pkw für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht – so wie die Finanzverwaltung es sieht – pauschal mit 0,03% des Listenpreises pro Entfernungskilometer, sondern einzelfallbezogen mit 0,002% des Listenpreises pro Entfernungskilometer zu bemessen ist, soweit im Einzelfall eine erhebliche Abweichung von der pauschalen Zuschlagsregelung gemäß § 8 Absatz 2 Satz 3 EStG besteht und der Dienstwagen monatlich tatsächlich an weniger als 15 Tagen monatlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt wird.

Regelmäßige Arbeitsstätte

Laut Definition der regelmäßigen Arbeitsstätte in den Lohnsteuerrichtlinien (vgl. R 9.4 Absatz 3 Satz 2 LStR) liegt diese immer dann vor, wenn es sich um eine dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt, der dem Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er mit einer gewissen Nachhaltigkeit immer wieder aufsucht. Heftig umstritten ist, wie der Begriff der gewissen Nachhaltigkeit auszulegen ist. Diese ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung immer dann gegeben, wenn Ihr Arbeitnehmer den Betriebssitz einmal wöchentlich aufsucht. Keine gewisse Nachhaltigkeit liegt dagegen vor, wenn Ihr Arbeitnehmer den Betriebssitz nur gelegentlich, z. B. einmal monatlich, aufsucht. Unklar dagegen ist, ob eine gewisse Nachhaltigkeit vorliegt, wenn Ihr Arbeitnehmer den Betriebssitz zwei- bis dreimal monatlich aufsucht. Die so genannte 46- Tage-Regelung (vgl. R 9.4 Absatz 3 Satz 4 LStR) ist nach Auffassung des Autors nur ein Indiz, keineswegs hingegen das ausschlaggebende Entscheidungskriterium für das Vorhandensein einer regelmäßigen Arbeitsstätte.

BFH-Urteil vom 4.4.2008

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich bereits im Jahr 2008 dieser umstrittenen Thematik angenommen und die Finanzverwaltung in ihre Schranken verwiesen. Mit Urteil vom 4.4.2008 (Az.: VI R 85/04) hat der BFH klargestellt, dass der geldwerte Vorteil nicht pauschal im Rahmen der 0,03%-Regelung, sondern einzelfallbezogen nach der Formel „Listenpreis x 0,002% x Entfernungskilometer“ multipliziert mit der Anzahl der tatsächlichen Fahrten anzusetzen ist, wenn der Arbeitnehmer den Betriebssitz seines Arbeitgebers nicht regelmäßig jeden Tag, sondern nur einmal wöchentlich aufsucht.

Nichtanwendungserlass

Weil die Finanzverwaltung dieses Urteil nicht anerkennt, hat das Bundesfinanzministerium die Finanzverwaltung im Rahmen eines Nichtanwendungserlasses (vgl. BMF-Schreiben vom 23.10.2008, IV C 5 – S 2334/08/10010) angewiesen, dieses BFH-Urteil über den Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Daher musste in allen ähnlich gelagerten Fällen, in denen der geldwerte Vorteil pauschal nach der 1%-Regelung ermittelt wird, auch der Anteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte trotz entgegenstehender Rechtsprechung stets pauschal nach Maßgabe der 0,03%-Regelung angesetzt werden.

Konsequenzen für die Praxis

Weil trotz der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage weder der Gesetzgeber noch die Finanzverwaltung reagiert haben und Sie sich als Arbeitgeber in der Praxis nicht auf das BFH-Urteil vom 4.4.2008 berufen durften, bestand in der Vergangenheit erhebliche Rechtsunsicherheit. Aus Sicht der Praktiker war jedoch klar, dass der Bundesfinanzhof in vergleichbaren Fällen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in gleichgelagerten Fällen entsprechend entscheiden würde.

BFH-Urteil vom 22.9.2010

Mit dem jüngst veröffentlichten Urteil vom 22.9.2010 (Az.: VI R 57/09) weist der BFH die Finanzverwaltung erneut in die Schranken und stellt klar, dass die Zuschlagsregelung nach § 8 Absatz 2 Satz 3 EStG, also die so genannte 0,03%-Regelung, lediglich einen Korrekturposten für abziehbare, aber nicht entstandene Erwerbsaufwendungen darstellt und daher nur insoweit zur Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt hat. Das bedeutet, dass der geldwerte Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht pauschal, sondern einzelfallbezogen anzusetzen ist. Der BFH führt weiterhin aus, dass die Zuschlagsregelung nicht die Funktion hätte, eine irgendwie geartete zusätzliche private Nutzung des Dienstwagens zu bewerten. Sie bezwecke lediglich einen Ausgleich für abziehbare, tatsächlich aber nicht entstandene Erwerbsaufwendungen.

Dieses Urteil ist wie folgt zu verstehen: Im Rahmen der Lohn- und Gehaltsabrechnung müssen Sie den geldwerten Vorteil nach derzeitiger Rechtslage bei Anwendung der pauschalen 1%-Regelung ebenfalls pauschal nach Maßgabe der 0,03%-Formel ansetzen. Wenn Ihr Arbeitnehmer seine Einkommensteuererklärung macht, ist der Werbungskostenansatz für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur in Höhe der tatsächlich durchgeführten Fahrten zulässig.

Der Versteuerung des geldwerten Vorteils für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach Verwaltungsmeinung mit pauschal 15 Fahrten pro Monat (= 180 Fahrten pro Jahr) steht nach derzeitiger Rechtslage ein zulässiger Werbungskostenansatz für tatsächlich durchgeführte Fahrten in Höhe von lediglich vier Fahrten pro Monat = 48 Fahrten pro Jahr gegenüber.

Bitte beachten Sie darüber hinaus auch die ähnlich lautenden BFH-Urteile vom 22.9.2010 (Az.: VI R 54/09 und VI R 55/09). Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf diese neue BFH-Rechtsprechung reagieren wird. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.

Quelle: LohnPraxis – Nr. 3 – März 2011