In der aktuellen Folge der HRM Hacks spricht Alexander R. Petsch, Gründer des HRM Instituts, mit Dr. Hubert Vogt, Compensation-Experte und Gründer der Dr. Vogt Consulting, über ein Thema, das für HR-Verantwortliche, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer jetzt höchste Relevanz hat: die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie.
Was zunächst wie ein bürokratisches Thema klingt, ist in Wahrheit ein strategischer Gamechanger für die Unternehmenskultur, das Employer Branding – und nicht zuletzt die Rechtssicherheit. Wer sich jetzt vorbereitet, gewinnt nicht nur rechtliche Klarheit, sondern auch Vertrauen und Attraktivität als Arbeitgeber.
Was ist das Ziel der EU-Entgelttransparenzrichtlinie?
Im Kern verfolgt die EU mit der Richtlinie ein klares Ziel: Gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit – unabhängig vom Geschlecht.
Dabei geht es nicht nur um Fairness im Idealfall, sondern um gesetzlich verankerte Anforderungen, die Unternehmen zur Transparenz, Analyse und Nachweisbarkeit verpflichten.
Die Richtlinie verlangt von Arbeitgebern:
- geschlechtsneutrale Entgeltstrukturen,
- die Offenlegung von Kriterien zur Entgeltfindung,
- sowie regelmäßige Berichte zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle (Gender Pay Gap).
Besonders brisant: Erstmals sind konkrete Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen – darunter Schadensersatzansprüche durch Mitarbeitende, Bußgelder und sogar der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen.
Welche Unternehmen sind betroffen – und wann wird es ernst?
Nicht nur Konzerne, sondern bereits mittelständische Betriebe müssen sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Die Anforderungen sind abhängig von der Unternehmensgröße:
- Ab 50 Mitarbeitenden: Ab Mitte 2026 gelten Informationspflichten zu Entgeltkriterien und das Recht auf individuelle Auskunft über vergleichbare Gehälter.
- Ab 150 Mitarbeitenden: Ab Juni 2027 werden detaillierte Entgeltberichte alle drei Jahre Pflicht.
- Ab 250 Mitarbeitenden: Unternehmen müssen ab Juni 2027 jährlich berichten – und zwar über die Gehaltsdaten des Vorjahres (also ab Juni 2026).
Das bedeutet konkret: Die relevanten Gehaltsdaten müssen spätestens ab Mitte 2026 vollständig transparent, geschlechtsneutral und belegbar sein. Unternehmen haben damit ab heute (März 2025) nur noch etwa 15 Monate Zeit, um strukturelle Gehaltsungleichheiten zu beseitigen.
Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit – was heißt das konkret?
Eine der größten Herausforderungen in der praktischen Umsetzung ist die Definition von gleichwertiger Arbeit. Laut Richtlinie muss diese auf Basis folgender Kriterien erfolgen:
- Kompetenzen
- Verantwortung
- körperliche und psychische Belastung
- Arbeitsbedingungen
Diese Faktoren müssen geschlechtsneutral und objektiv bewertet werden. Das verlangt von Unternehmen den Einsatz analytischer Stellenbewertungsverfahren, die jede Tätigkeit nach klaren Kriterien und Punktesystemen einstufen – weg vom oft subjektiven oder summarischen Ansatz.
Beispiel:
Ein summarisches Verfahren würde aus dem Bauch heraus bewerten: „Diese Position ist ähnlich anspruchsvoll wie eine andere, daher gleiche Eingruppierung.“
Ein analytisches Verfahren hingegen untersucht jede Stelle systematisch nach Dimensionen wie Entscheidungskomplexität, Führungsverantwortung oder Qualifikation und ermittelt auf dieser Basis eine Gesamtbewertung in Punkten – transparent, wiederholbar und prüfbar.
Die Risiken: Regress, Kontrolle – und doppelter Anpassungsdruck
Laut Dr. Vogt ist die Kernherausforderung der Richtlinie, dass geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede von mehr als 5 % innerhalb einzelner Arbeitnehmergruppen nicht mehr erlaubt sind – und diese Gruppen basieren auf gleichwertiger Tätigkeit.
Entscheidend dabei:
- Das gilt nicht nur auf Unternehmensebene, sondern für jede einzelne Funktionsgruppe.
- Wird ein Gender Pay Gap festgestellt, hat das Unternehmen sechs Monate Zeit, diesen auszugleichen.
- Gelingt das nicht, wird eine behördliche Meldung und Überwachungspflicht ausgelöst – inklusive Fortschrittsberichten und detaillierter Maßnahmenpläne.
Zusätzlich können Mitarbeitende:
- eine Auskunft über Vergleichsgehälter einfordern,
- bei Verdacht auf Benachteiligung Schadensersatzansprüche geltend machen,
- und das Unternehmen ggf. gerichtlich belangen.
Ein bemerkenswerter Punkt: Selbst wenn sich im Verfahren keine Benachteiligung bestätigt, muss der Arbeitgeber die Kosten des Verfahrens tragen, sofern der Verdacht objektiv nachvollziehbar war.
So schaffen Unternehmen rechtzeitig Compliance – 5 konkrete Schritte
Dr. Vogt empfiehlt einen klar strukturierten Fahrplan:
1. Grundlagen schaffen
- Ist eine analytische Stellenarchitektur vorhanden?
- Gibt es Gehaltsbänder, Jobfamilien und klare Karrieremodelle?
- Sind alle Kriterien zur Entgeltfindung dokumentiert und geschlechtsneutral?
2. Stellenbewertung modernisieren
- Einführung oder Anpassung einer analytischen Funktionsbewertung
- Schulung der HR-Teams, transparente Kommunikation mit Führungskräften
3. Gehaltsdaten analysieren
- Statistische Verfahren wie Regressionsanalysen nutzen
- Unterschied zwischen erklärbaren und diskriminierenden Gehaltsunterschieden ermitteln
4. Gehälter gezielt anpassen
- Nur die tatsächlich diskriminierenden Lücken ausgleichen
- Vorsicht vor Schnellschüssen – sonst droht ein doppelter Anpassungsbedarf
5. Berichtswesen etablieren
- Frühzeitig ein internes Reporting aufbauen
- Zuständigkeiten klären und Datenschnittstellen definieren
- Automatisierung prüfen (z. B. über HR-Analytics-Tools)
Transparenz im Recruiting – eine neue Herausforderung
Die Richtlinie gilt nicht erst ab dem ersten Arbeitstag. Auch im Bewerbungsprozess müssen Unternehmen künftig die Gehaltsspanne der ausgeschriebenen Stelle offenlegen. Möglich ist das:
- direkt in der Stellenanzeige,
- bei der Einladung zum Gespräch,
- oder spätestens im Bewerbungsgespräch.
Dafür benötigen Unternehmen strukturierte Gehaltsbänder pro Position, um einerseits die Transparenzpflicht zu erfüllen – und andererseits im Wettbewerb um Talente wettbewerbsfähig zu bleiben.
Sichtbare Fairness: Die „Fair Compensation“-Zertifizierung als strategischer Vorteil
Dr. Vogt macht deutlich: Unternehmen, die proaktiv handeln, können aus der Pflicht eine Kür machen. Mit dem Fair Compensation Siegel – z. B. in Kooperation mit Great Place to Work – dokumentieren Arbeitgeber nicht nur die Einhaltung der Richtlinie, sondern signalisieren nach außen:
„Bei uns ist faire, geschlechtsneutrale Vergütung nicht nur ein Ziel – sondern gelebter Standard.“
Dieses Siegel stärkt:
- die Arbeitgebermarke,
- das Vertrauen der Mitarbeitenden,
- und dient als Beleg gegenüber Behörden bei möglichen Prüfungen.
Tools & Hacks: Was hilft bei der Umsetzung?
🔧 KI-gestützter Assistent zur Entgelttransparenzrichtlinie
→ Entwickelt von Dr. Vogt Consulting – beantwortet Fragen rund um Anforderungen, Umsetzung und Best Practices.
🧠 Quickcheck mit 20 Leitfragen
→ 15 Minuten zur ersten Standortbestimmung: Wo steht Ihr Unternehmen?
🧾 Standardisiertes Berichtstemplate & Dokumentationshilfe
→ Für interne Audits und offizielle Berichte nach EU-Vorgabe.
Fazit: Jetzt handeln, statt später reagieren
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie bringt Bewegung in das Thema Vergütungsgerechtigkeit – und das ist gut so. Unternehmen haben jetzt die Chance, strukturelle Fairness aktiv zu gestalten, statt später mit Klagen, Nachbesserungspflichten und Reputationsrisiken konfrontiert zu werden.
Wer zwei Gehaltsrunden im Voraus denkt, startet heute.
Mit analytischer Vorbereitung, transparenter Kommunikation und den richtigen Tools kann aus einer gesetzlichen Pflicht ein echter Wettbewerbsvorteil werden – für bessere Teams, mehr Vertrauen und eine zukunftssichere Unternehmenskultur.