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Mit der Entscheidung des EuGH vom 18.7.2013 – C-426/11 (Mark Alemo-Herron u.a. / Parkwood Leisure Ltd.) hat Luxemburg wieder einmal für einen, in seinen Auswirkungen für das deutsche Recht aktuell noch gar nicht vollständig absehbaren Paukenschlag gesorgt. In absehbarer Zeit wird das BAG hierauf reagieren müssen. Hierzu gibt es fünf denkbare Möglichkeiten.

 

1. Ausgangslage

Es geht nachfolgend um den häufig anzutreffenden Fall von Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag, die dynamisch auf Tarifverträge verweisen und diese für anwendbar erklären. Der Arbeitgeber im Fall Alemo-Herron war, sofern man nach dem englischen Recht so sagen übertragen kann, tarifgebunden. Ist der Arbeitgeber tarifgebunden (nach unserem deutschen Verständnis) und schreibt in die Arbeitsverträge Bezugnahmen auf Tarifverträge hinein, so will er damit eine Gleichstellung aller Arbeitnehmer (Gewerkschaftsmitglied oder nicht) erreichen. Man spricht dann von einer Gleichstellungsabrede. Die Entscheidung kann aber auch für Arbeitgeber eine Rolle spielen, die nicht tarifgebunden sind und dennoch solche Klauseln vereinbart haben. Im konkreten Fall fand ein Betriebsübergang statt. Der brachte den Fall erst ins Rollen.

 

2. Fragestellung

Wann endet die Dynamik, wenn – hier im Fall eines Betriebsübergangs – der neue Arbeitgeber (Erwerber) nicht tarifgebunden ist? Muss dieser dauerhaft (dynamisch) Tariflohnerhöhungen bezahlen oder endet das mit dem Betriebsübergang?

 

3. Sachverhalt der Entscheidung Alemo-Herron

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen durch den englischen Supreme Court befasste sich der EuGH mit der Auslegung von Art. 3 der Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. 3. 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen). Diese ist im deutschen Recht in § 613a BGB umgesetzt.

Im vorliegenden Fall ging es um eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag von Herrn Alemo-Herron. Dieser war bis 2002 im öffentlichen Dienst bei “Lewisham” beschäftigt. In 2002 fand ein Betriebsübergang auf ein privates Unternehmen statt. Im Mai 2004 übertrug dieses private Unternehmen den Geschäftsbereich auf Parkwood, ein anderes Privatunternehmen.

Solange der Betrieb beim ursprünglichen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes war, galten für die Verträge mit den Arbeitnehmern dieser Abteilung die Arbeitsbedingungen, die im Rahmen eines Tarifverhandlungsorgans auf der lokalen öffentlichen Ebene (NJC), ausgehandelt wurden (eine Art Arbeitgeberverband). Die Anwendbarkeit der im Rahmen des NJC ausgehandelten Vereinbarungen beruhte auf einer im Arbeitsvertrag enthaltenen Vertragsklausel, die Folgendes vorsah:

 „Während der Dauer Ihres Arbeitsverhältnisses mit [Lewisham] richten
sich die Arbeitsbedingungen nach den vom [NJC] periodisch
ausgehandelten Tarifverträgen …, die durch von den
Verhandlungsausschüssen von [Lewisham] auf lokaler Ebene
geschlossene Vereinbarungen ergänzt werden“.

Zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf den ersten privaten Arbeitgeber galt der im Rahmen des NJC für die Zeit vom 1. 4. 2002 bis zum 31. 3. 2004 geschlossene Kollektivvertrag. Im Mai 2004 ging das diesen Geschäftsbereich betreibende Unternehmen auf Parkwood über. Parkwood beteiligt sich nicht am NJC und könnte dies auch gar nicht, da sie ein privates Unternehmen ist und nicht zur öffentlichen Verwaltung gehört.

Im Rahmen des NJC wurde im Juni 2004 eine neue Vereinbarung geschlossen, die rückwirkend zum 1. 4. 2004 in Kraft trat und bis zum 31. 3. 2007 galt. Diese Vereinbarung wurde mithin nach dem Übergang des betreffenden Unternehmens auf Parkwood geschlossen.

Auf Grund dessen war Parkwood der Auffassung, dass die neue Vereinbarung für sie nicht bindend sei, und teilte dies den Arbeitnehmern mit, denen sie die im Rahmen des NJC für die Zeit von April 2004 bis März 2007 vereinbarte Lohnerhöhung verweigerte.

Da sich Parkwood weigerte, die im Rahmen des NJC vereinbarten Bedingungen zu akzeptieren, erhoben die Arbeitnehmer eine Klage. In der vierten Instanz war schließlich der Supreme Court of the United Kingdom eingelegt, der beschloss, dem EuGH  bestimmte Fragen zur Auslegung und Wirkung der Richtlinie 2001/23/EG vorzulegen.

Der Kern der Entscheidung ist die Frage, ob diese Richtlinie es untersagt, dass dynamische Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang weiterhin dynamisch bleiben – das heißt z.B. Tariflohnerhöhungen weiterzugeben sind – oder ob Europarecht es nicht gebietet, dass nach dem Betriebsübergang kein neuen Tarifverträge mehr Anwendung finden. Dann würde eine Statik eintreten.

 

4. Die Entscheidung

Der EuGH entschied, dass – übertragen auf deutsches Recht – § 613a BGB nicht so ausgestaltet werden darf, dass bei einem Betriebsübergang Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge mit einer Dynamik, die beim Verkäufer so gegolten haben, beim Erwerber weiter mit Dynamik gelten, wenn der Erwerber nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese Tarifverträge nach dem Übergang geschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen.
Mit anderen Worten: Ist der neue Arbeitgeber, der Betriebserwerber, selbst nicht tarifgebunden, dann muss die Dynamik einer Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang nach § 613a BGB enden. Das bedeutet insbesondere: Tariflohnerhöhungen müssen dann nicht an die Arbeitnehmer weitergegeben werden.

 

5. Einordnung in das deutsche Recht
a. Die “alte” Gleichstellungsabrede

Bis zum Dezember 2005 waren arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die von einem tarifgebundenen Arbeitgeber vorformuliert waren, regelmäßig als Gleichstellungsabrede auszulegen, wenn es keine innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Anhaltspunkte gibt, eine solche Annahme auszuschließen. Die Verweisungen ersetzten insoweit lediglich die fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers. Es reichte der einfache Verweis auf den Tarifvertrag des Arbeitgebers aus.

Das hieß: Endet die Tarifbindung des Arbeitgebers (z.B. durch einen Betriebsübergang), dann endet auch die Dynamik automatisch. D.h. insbesondere keine weiteren Tariflohnerhöhungen in der Zukunft.

 

b. Änderung der Rechtsprechung des BAG seit 2005:

Seit Mitte Dezember 2005 muss differenziert werden:

aa. Altvertragsklauseln

Für Klauseln, die vor dem 31.12.2001 formuliert wurden, gilt das vorstehend Geschriebene weiter (Vertrauensschutz).

bb. Neuvertragsklauseln

Für Klauseln, die nach dem 31.12.2001 formuliert wurden, gilt:

(1) Ergibt sich aus dem Wortlaut der Klauseln nicht eindeutig der Gleichstellungsgedanke und damit ein automatisches gewolltes Ende der Dynamik, wenn die Tarifbindung des Arbeitgebers endet, wirkt die Klausel auf Ewigkeit dynamisch. Die bisherigen Klauselformulierungen – so wie z.B. oben dargestellt bei Alemo Herron im Sachverhalt – waren nicht mehr gültig. Die “alte” Gleichstellungsabrede rechtlich “tot”.

(2) Nur wenn die Klausel hinreichend klar und deutlich formuliert ist, kann sie als Gleichstellungsabrede gelten. Dann gilt das unter 5. a. Dargestellte weiter. Das Ende der Dynamik muss also im Wortlaut der Klausel enthalten sein.

 

6. Die Folgen und möglichen Veränderungen durch Alemo Herron

Spannend ist, ob das so weitergelten kann, oder ob das BAG gezwungen sein könnte, wieder zur “alten” Gleichstellungsabrede vor Dezember 2005 zurückzukehren.

Ebenso klärungsbedürftig ist, ob die Alemo Herron-Rechtsprechung sich über die Gleichstellungsabrede auch auf Bezugnahmeklauseln von Arbeitgebern übertragen lässt, die – anders als bei Alemo Herron – schon vor dem Betriebsübergang nicht tarifgebunden waren. Wenn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber eine Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag vereinbart, dann gilt dieser immer dynamisch und endet – nach bisherigem Verständnis – ohne Vertragsänderung oder Änderungskündigung nie. Das war bislang unstreitig so. Auch im Fall eines Betriebsübergangs. Die Frage ist jetzt aber, ob sich das anhand der Alemo Herron-Entscheidung ändern muss. Das wird ggf. das BAG und/oder erneut der EuGH zu entscheiden haben.

Es lässt sich aktuell noch nicht sagen, wie das BAG überhaupt in Zukunft zur Gleichstellungsabrede entscheiden wird. Fünf Lösungsvarianten sind hierfür aktuell denkbar.

Variante 1: Große Lösung

Die vollständige Rückkehr des BAG zur “alten” Gleichstellungsabrede wie oben beschrieben für alle Fälle eines Endes der Tarifbindung unter Aufgabe seiner Rechtsprechung seit 2005.

Variante 2: Mittlere Lösung

Rückkehr des BAG zur “alten” Gleichstellungsabrede wie oben beschrieben, aber nur im Fall des Betriebsübergangs nach § 613a BGB. Nicht aber in anderen Fällen des Endes einer Tarifbindung (z.B. OT-Mitgliedschaft, Austritt aus dem Arbeitgeberverband).

Variante 3: Kleine Lösung

Das BAG reduziert – im Fall eines Betriebsübergangs – den Sachverhalt darauf, dass der Erwerber unter keinen Umständen dem Arbeitgeberverband beitreten kann. So war es im Fall Alemo-Herron. Der Erwerber war – selbst wenn er wollte – gar nicht berechtigt, dem Arbeitgeberverband beizutreten. In diesem Fall könnte das BAG auch die Besonderheiten eines Betriebsübergangs vom öffentlichen Recht zum Privatrecht hervorheben. Dann wäre ggf. eine Übertragung auf Betriebsübergänge nur unter Privaten nicht vorgesehen.

Variante 4: Erneute Vorlage zum EuGH

Das BAG legt einen deutschen Ausgangsfall dem EuGH vor. Da das englische Recht im Tarifrecht Besonderheiten vorsieht, die das deutsche Recht so nicht hat, könnte das BAG fragen, ob Alemo Herron auch für unsere Rechtsordnung so direkt anzuwenden ist unter Berücksichtigung der deutschen Besonderheiten.

Variante 5: Keine Änderung in der BAG-Rechtsprechung

Das BAG könnte die Alemo Herron-Entscheidung aufgrund der englischen Tarifbesonderheiten so verstehen, dass gar nicht der Fall einer Gleichstellungsabrede gemäß unserem Verständnis vom EuGH gemeint war. Es könnte sagen, dass nach unserem Verständnis eine “normativ” geltende Tarifklausel gemeint war. Dann würde § 613 Abs. 1 Satz 2 BGB unproblematisch Anwendung finden. Das Problem wäre so für das BAG ggf. elegant gelöst.

Welche davon das BAG, wenn ihm ein entsprechender Fall vorgelegt wird, wählen wird, ist Spekulation. Alles ist denkbar, wenngleich wohl eher damit zu rechnen ist, dass das BAG, wenn es seine Rechtsprechung ändern muss, eher kleinere als größere Veränderung vornehmen wird. Die hier vorgestellte Variante 1 (Große Lösung) wäre die für die Praxis am Einfachsten handhabbare Lösung, die alle Fälle der Gleichstellungsabrede einheitlich erfasst. Sie wäre daher für die Praxis, insbesondere für die Arbeitgeber, zu begrüßen. Es würde dann gelten: Die “alte” Gleichstellungsabrede ist tot – es lebe die “alte” Gleichstellungsabrede!

Fotocredit: Lichtkunst 73 / www.pixelio.de