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KONSEQUENZEN

Die Entscheidung des BAG hat große praktische Bedeutung angesichts der demografischen Entwicklung: Beschäftigte, die ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit grundsätzlich erbringen können und lediglich hinsichtlich des Zeitfensters eingeschränkt sind, sind grundsätzlich arbeitsfähig. Der Arbeitgeber hat sein Recht, die Arbeitsleistung nach Inhalt, Ort und Zeit zu bestimmen, so auszuüben, dass auch nachtschichtuntaugliche Arbeitnehmer weiter tätig sein können. Er übt sein Weisungsrecht nur dann nach billigem Ermessen aus, wenn er diesen einen möglichen, zumutbaren und leidensgerechten Arbeitsplatz zuweist (§ 106 Satz 3 GewO). Zwei Gründe des Einzelfalls waren jedoch entscheidend: Das Nachtschichtkontingent war nur geringfügig (5 % Arbeitszeit) und betraf ein größeres Krankenhaus mit vielen Krankenpflegekräften im Schichtdienst, wobei Nachtschichten schwächer besetzt sind. Ob das BAG auch bei 33 % Nachtschichtanteil oder einem kleinen Betrieb bzw. einer kleinen Fachkräftegruppe (z. B. Werkfeuerwehr, -instandhaltung) so entschieden hätte, wird sich zeigen.

Die Betreiberin des Krankenhauses hatte nicht dargelegt und bewiesen, dass ein Einsatz ohne Nachtschicht tatsächlich (bspw. findet sich niemand, der die Nachtschicht tauschen kann) oder rechtlich (z. B. verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zu einer Versetzung in Dauernachtschicht) nicht möglich oder unzumutbar wäre und deshalb im Rahmen der Interessenabwägung bei § 106 GewO „den Kürzeren gezogen“. Einen organisatorischen Mehraufwand bei der Neugestaltung des Schichtplans wird sie hinnehmen müssen.

PRAXISTIPP

Arbeitgeber sollten im Arbeitsvertrag eine Verpflichtung zu Schichtdiensten (Früh-, Spät-, Nachschicht) ausdrücklich regeln. Nach dem BAG begründet dies ein Recht auf entsprechende Beschäftigung, aber keine Pflicht zum Nachtschichteinsatz. Wenn dann ein Beschäftigter Schichtuntauglichkeit geltend macht, ist zu prüfen, ob man ihn entsprechend leidensgerecht durch Ausübung des Direktionsrechts einsetzen kann. Hierzu bietet sich z. B. ein innerbetrieblicher Aushang an, mit dem Mitarbeiter zum vorübergehenden oder dauerhaften Schichttausch gesucht werden. Parallel könnte der Arbeitgeber bei der Arbeitsagentur für das freie Arbeitszeitkontingent nach einem qualifizierten Teilzeitersatz suchen. Diese Bemühungen und das Ergebnis muss er dokumentieren und in einem Prozess unter Beweisantritt konkret vortragen.

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Foto: birgitta hohenester | www.pixelio.de
Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht | 4 – 2015 | arbeit-und-arbeitsrecht.de

PROBLEMPUNKT

Die Arbeitgeberin betreibt ein Krankenhaus der Vollversorgung mit ca. 1.000 Betten und etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist dort seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Nach dem Haustarifvertrag ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung u. a. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal des Unternehmens arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21:15 Uhr bis 6:15 Uhr. Die Krankenschwester ist aus gesundheitlichen Gründen seit 2011 nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie Medikamente einnimmt, die sie schläfrig machen. Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte sie der Pflegedirektor nachhause mit der Begründung, sie sei wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig. Der Arzt bescheinigte der Klägerin jedoch keine Arbeitsunfähigkeit.

Die Krankenschwester bot ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme der Nachtdienste – ausdrücklich an und wies darauf hin, dass Nachtdienste bisher nicht mehr als 5 % der Gesamtarbeitszeit betragen hätten. Ca. sechs Wochen später bezog sie Arbeitslosengeld. Mit ihrer Klage begehrte sie Beschäftigung ohne die Einteilung zu Nachtschichten sowie die Zahlung der Vergütung für die Zeit der Nichtbeschäftigung. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.

ENTSCHEIDUNG

Das BAG stellte fest, dass die Krankenschwester weder arbeitsunfähig krank noch dass ihr die Arbeitsleistung voll oder auch nur teilweise unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB) ist. Sie ist nicht deshalb krankheitsbedingt arbeitsunfähig, weil sie gesundheitlich bedingt Medikamente einnehmen muss und aus diesem Grunde Nachtdienste nicht mehr leisten kann. Für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist vielmehr eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung des Gesundheitszustands maßgebend.

Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung der Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde (BAG, Urt. v. 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, AuA 10/08, S. 630). Die Klägerin kann ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit als Krankenschwester jedoch ausüben. Die eingeschränkte Verwendbarkeit hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit steht dem nicht entgegen und betrifft nur eine untergeordnete Modalität ihrer Arbeitsleistung insgesamt. Nachtarbeit ist zwar grundsätzlich von der Arbeitspflicht umfasst, jedoch gibt es keine vertragliche Festlegung der Arbeit auf diese. Es ist vielmehr der Beklagten nach § 106 GewO überlassen, die Arbeitszeit im Rahmen eines Schichtmodells festzulegen. Daher ist Arbeitsunfähigkeit nicht gegeben, wenn der Mitarbeiter die volle Arbeitsleistung erbringen kann, aber lediglich gehindert ist, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglichen Möglichkeiten gerecht zu werden. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber im Rahmen seines Ermessens nach Möglichkeiten suchen, den Beschäftigten mit seiner Einschränkung einzusetzen.

Die Besonderheiten des Schichtdienstes stellen kein unüberwindbares Hindernis dar, die Klägerin von den Nachtschichten zu befreien. Ihre Herausnahme ist erforderlich, zumutbar und angemessen, weil sie sonst (gar) nicht mehr als Krankenschwester arbeiten könnte. Besondere Interessen anderer Arbeitnehmer sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Beklagte hatte nicht dargelegt, dass es konkrete Beschwerden gegeben habe oder dass es aus bestimmten Gründen schwer sei, frei werdende Nachtdienste gleichmäßig zu verteilen oder andere Mitarbeiter hierfür zu gewinnen.