Junge Frauen haben in Deutschland nach wie vor größere Schwierigkeiten als Männer, ein „Normalarbeitsverhältnis“ zu finden und Karriere zu machen. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit sowie mit befristeten Arbeitsverträgen, haben öfter längere Erwerbsunterbrechungen und erreichen nicht die obersten Führungsebenen in Betrieben.

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Foto von bruce mars

Ausführlich diskutierte Gründe hierfür sind die unterschiedliche Berufs- und Karriereorientierung von Frauen und Männern sowie Probleme, familiäre Pflichten und ein karriereorientiertes Berufsleben in Deutschland unter einen Hut zu bringen. Ein bisher wenig beachteter weiterer Grund für geringere Chancen von jungen Frauen, in attraktive Beschäftigungen zu kommen, ist die von vielen Unternehmen in Deutschland angebotene sogenannte Senioritätsentlohnung bzw. eine „gedrehte“ Entlohnungsstruktur.

Was heißt Senioritätsentlohnung in diesem Kontext?

Betriebe mit Senioritätsentlohnung orientieren sich bei ihren Lohnprofilen stärker an der Betriebszugehörigkeit als ihre Konkurrenten. Sie zahlen also ihren Beschäftigten eine relativ hohe Prämie für den Verbleib in der Firma. Um überproportional steigende Löhne in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit anbieten zu können, zahlen diese Unternehmen allerdings signifikant niedrigere Einstiegslöhne.

Dies bedeutet, dass die Beschäftigten in Betrieben mit Senioritätsentlohnung zwar insgesamt über die gesamte Beschäftigungsdauer betrachtet eine durchschnittliche Lohnsumme erhalten, jedoch in den ersten Jahren der Betriebszugehörigkeit unterhalb ihrer Produktivität und in den letzten Jahren der Karriere oberhalb ihrer Produktivität entlohnt werden.

Der Grund eine solche Art der Senioritätsentlohnung einzuführen liegt auf der Hand: Viele Unternehmen sind darauf angewiesen, dass ihnen erfahrene Mitarbeiter lange die Treue halten. Deshalb zahlen sie Berufseinsteigern signifikant niedrigere Einstiegslöhne, die dann mit wachsender Betriebszugehörigkeit überproportional stark steigen. Der Verbleib im Unternehmen wird somit über die Jahre mit einer hohen Prämie belohnt. Mit dieser „gedrehten“ Entlohnungsstruktur gelingt es den Betrieben, ihre Beschäftigten signifikant länger als ihre Konkurrenten, die nicht auf das Senioritätsprinzip setzen, an sich zu binden und sie zu motivieren. Die Beschäftigten haben schließlich ein großes Interesse daran, in die Beschäftigungsphase zu kommen, in der ihre Löhne weiter steigen, auch wenn ihre Produktivität nicht im gleichen Umfang zunimmt.

Senioritätsentlohnung benachteiligt Frauen

Allerdings wirft diese Form der langfristigen Mitarbeiterbindung Probleme auf, wenn es um die Einstellung junger Frauen geht. So können die Betriebe (bisher) davon ausgehen, dass junge Frauen aus familiären Gründen oftmals Auszeiten nehmen oder nach der Familienphase nicht mehr in den gleichen Betrieb zurückkehren. Den Lohnabschlag in den ersten Beschäftigungsjahren in Betrieben mit gedrehter Lohnstruktur empfinden sie deshalb als unattraktiv, denn sie wissen nicht, ob sie davon später profitieren werden. Die Unternehmen mit Senioritätsentlohnung wiederum schrecken vor der schlecht kalkulierbaren und der zu erwartenden geringeren betrieblichen Verbleibdauer junger Frauen zurück.

Für junge Frauen ist dies problematisch, da sich für sie dadurch die Anzahl der Arbeitsmöglichkeiten und somit ihre Auswahloptionen im Vergleich zu ihren männlichen Mitbewerbern verringert. Betriebe mit Senioritätsentlohnung lassen sich im Vergleich zu Betrieben mit geringeren Bleibeprämien wie folgt charakterisieren: Sie sind deutlich größer, haben einen höheren Anteil gut qualifizierter Mitarbeiter, sind exportorientierter, haben häufiger einen Branchentarifvertrag sowie einen Betriebsrat und eine bessere Gewinnsituation. Zudem können nur Betriebe gedrehte Lohnstrukturen anbieten, die auch glaubhaft machen können, dass sie die in den ersten Jahren einbehaltenen Löhne auch weit in der Zukunft zurückzahlen können und wollen.

Dies bedeutet, dass diese Betriebe insbesondere für karriereorientierte und an langfristigen Beschäftigungsverhältnissen interessierte junge Frauen attraktive Stellenangebote hätten, die ihnen aber aufgrund der gedrehten Entlohnungsstruktur mit einer höheren Wahrscheinlichkeit versagt bleiben. Bei älteren Bewerbern nach der Familienphase differenzieren die Betriebe zwar nicht mehr zwischen den Geschlechtern – hier haben Männer und Frauen ab 50 Jahren die gleichen Chancen auf einen Einstieg. Allerdings tendieren in diesen Betrieben vor allem die Beschäftigten mit langer Betriebszugehörigkeit Karriere zu machen, da ihre Erfahrung besonders wertvoll ist. Dies bedeutet, dass ein späterer Einstieg die Karriereoptionen stark verringert.

Wie Unternehmen die Problematik lösen können

Natürlich ist es insbesondere angesichts des Fachkräftemangels auch für Unternehmen mit gedrehter Entlohungsstruktur nicht ideal, wenn sie relevante, attraktive Beschäftigtengruppen ausschließen oder abschrecken. Um die Eintrittshemmnisse für junge Frauen abzubauen, können diese Unternehmen entweder die „Bleibeprämien“ senken und die Einkommen junger neu eingestellter Mitarbeiter für alle Beschäftigten erhöhen oder gezielt für die bisher bei Einstellungen benachteiligten Beschäftigtengruppen höhere Löhne und Gehälter vorsehen.

Dies heißt aber, dass an die Stelle von Lohnprofilen, die sich an der Betriebszugehörigkeit orientieren, neue und möglicherweise teurere Instrumente der Mitarbeiterbindung und Motivation wie individuelle Leistungslöhne und Beförderungswettbewerbe treten müssen. Bisher hat sich dies offensichtlich nicht gerechnet, denn die oben genannten Instrumente setzen die Unternehmen noch selten als Alternativen ein. Das kann sich aber rasch ändern, wenn der Mangel bei Fachkräftenachwuchs zunimmt.

Forschung zum Thema

Die diesem Text zugrundeliegenden Studien basieren auf repräsentativen Daten für die gesamte deutsche Privatwirtschaft. Es wurden hierfür die Lohnprofile von mehr als fünf Millionen Beschäftigten in knapp 6.000 Unternehmen über maximal sieben Jahre (1997-2003) analysiert. Die Studien sind vom Autor kostenlos erhältlich.