BAG vom 18.3.2009 – 10 AZR 281/08

two people shaking hands
Foto von Cytonn Photography

Der Arbeitnehmer des vorliegenden Falles ist seit 1971 als Spezialbaufacharbeiter bei dem beklagten Unternehmen beschäftigt. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag gibt es nicht. Der Arbeitgeber zahlte seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses bis zum Jahr 2005 Weihnachtsgeld, das der Arbeitnehmer und die übrige Belegschaft zunächst am Jahresende erhielten. Für die Jahre 2002 bis 2005 schüttete das Unternehmen das Weihnachtsgeld jeweils in drei Raten aus. Die erste Rate zahlte es im November, die zweite im Dezember und die dritte im Januar des Folgejahres. Mit Ausnahme der Lohnabrechnungen für November 2002 und 2003 enthielten die Lohnabrechnungen für die Monate, in denen die Arbeitnehmer für die Jahre 2002 bis 2005 Weihnachtsgeldraten bekamen, jeweils den handschriftlichen Vermerk: „Die Zahlung des Weihnachtsgeldes ist eine freiwillige Leistung und begründet keinen Rechtsanspruch!“. Im Jahre 2006 zahlte der Arbeitgeber kein Weihnachtsgeld. Der Mitarbeiter war jedoch der Ansicht, er habe nach den vielen Jahren der vorbehaltlosen Zahlung einen Anspruch darauf und klagte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab ihm letztinstanzlich Recht.

Es billigte ihm einen Anspruch aus “betrieblicher Übung” zu, der nicht – auch nicht durch eine “gegenläufige betriebliche Übung” – beseitigt worden sei. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht nach der ständigen BAG-Rechtsprechung, wenn der Arbeitgeber der gesamten Belegschaft in drei aufeinander folgenden Jahren beispielsweise eine Gratifikation zahlt, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Zahlung um eine freiwillige Leistung handelt, auf die auch bei mehrfacher Zahlung kein Rechtsanspruch besteht. Aufgrund der langjährigen vorbehaltlosen Zahlung des Weihnachtsgeldes hatte der Arbeitnehmer im vorliegenden Fall einen Anspruch hierauf aus betrieblicher Übung erworben.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG konnten Unternehmen eine solche betriebliche Übung durch eine gegenläufige betriebliche Übung beenden und einen entstandenen Anspruch beseitigen. Die Voraussetzungen hierfür waren zum einen, dass der Arbeitgeber deutlich machte, dass er das Weihnachtsgeld künftig nur unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung zahlen wollte, zum zweiten, dass er darüber hinaus unmissverständlich erklärte, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Zahlung beendet wird und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht, und schließlich, dass die Mitarbeiter der neuen Handhabung über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widersprechen.

Diese Rechtsprechung hat das BAG nun aufgegeben. Grund hierfür ist das seit dem 1. Januar 2002 auch auf Arbeitsverträge anwendbare AGB-Recht. Betroffen sind in jedem Fall solche Vereinbarungen, die nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurden. Die Frage, was hingegen für “Altarbeitsverträge” gelten soll, konnte das BAG letztlich offen lassen, da es im von ihm entschiedenen Fall bereits an den Voraussetzungen für die Einführung der gegenläufigen betrieblichen Übung fehlte. Der Arbeitgeber hatte sich nämlich darauf beschränkt, die Weihnachtsgratifikation in der Gehaltsabrechnung als freiwillige Leistung zu bezeichnen. Um eine gegenläufige betriebliche Übung nach Maßgabe der bisherigen Rechtsprechung zu schaffen, hätte er jedoch unmissverständlich auf die bisherige betriebliche Übung hinweisen und erklären müssen, dass diese beendet und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht.

Konsequenzen für die Praxis:

 

Hat ein Unternehmen durch die mehrjährige vorbehaltslose Zahlung einer Gratifikation – gewollt oder versehentlich – Rechtsansprüche der Belegschaft geschaffen, war es schon bislang kaum möglich, hiervon im Nachhinein wieder loszukommen. Mit seiner Entscheidung zur AGB-Widrigkeit der gegenläufigen betrieblichen Übung hat das BAG nun eine der letzten verbliebenen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers vernichtet. Betroffenen Unternehmen, die Gratifikationsansprüche aus betrieblicher Übung beseitigen wollen, bleibt als rechtssichere Möglichkeit nur der Abschluss einer ausdrücklichen Änderungsvereinbarung. Die Mitarbeiter werden einer solchen Vereinbarung in der Praxis jedoch sicher nur selten zustimmen – jedenfalls nicht ohne weitere Anreize, wie etwa Kompensationsmaßnahmen.

In Anbetracht des Urteils ist es wichtiger denn je, bereits die Entstehung solcher Ansprüche zu verhindern. Gratifikationszahlungen, auf die nicht schon ein vertraglicher Anspruch besteht, sollten Unternehmen daher in jedem Fall ausschließlich unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung zahlen. Sofern ein Betriebsrat besteht, ist an den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu denken. Denn Betriebsvereinbarungen unterliegen keiner AGB-Kontrolle. Darüber hinaus bestimmt allein der Arbeitgeber bei freiwilligen Leistungen das finanzielle Volumen. Er kann derartige Betriebsvereinbarungen auch ohne Nachwirkung kündigen, wenn er die freiwillige Leistung vollständig und ersatzlos einstellt. Stellt der Arbeitgeber die freiwillige Leistung jedoch nur teilweise ein und ändert den Verteilungsplan, ist hingegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten.

Weitere Informationen: www.bblaw.com