1 Rechtliche Rahmenbedingungen nach § 41 Satz 3 Sgb Vi

Die Arbeitswelt wird sich mit der Frage beschäftigen müssen, wie die arbeitsrechtliche Ausgestaltung von Arbeitsverträgen über die Regelaltersgrenze hinaus erfolgen kann. Denn heutzutage sind die meisten Verträge auf die Regelaltersgrenze befristet.

Das Flexirentengesetz selbst bietet keine (neue) recht­liche Grundlage zur flexiblen Ausgestaltung von Arbeits­ verhältnissen über die Regelaltersgrenze hinaus. Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass bereits hin­ reichende Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Naheliegend erscheint ein Rückgriff auf eine erst 2014 geschaffene Regelung:

Vorschrift – § 41 Satz 3 Sgb Vi

Altersrente  und Kündigungsschutz
Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben

Voraussetzung ist demnach, dass

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Foto von Marvin Meyer
  1. der Arbeitsvertrag eine Beendigung des Arbeits­ verhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht und
  2. die Parteien noch während des Arbeitsverhältnisses – also spätestens am letzten Tag – eine Vereinbarung über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus treffen.


Diese Flexibilisierung erscheint angesichts des Wortlauts einfach und unkompliziert. Allerdings bestehen gegen die Wirksamkeit des § 41 Satz 3 SGB VI durchgreifende, auf europarechtlichen Vorgaben beruhende Bedenken. Folge einer Europarechtswidrigkeit wäre die Unwirksamkeit der darauf aufbauenden Befristungen. Dieses Schicksal war bereits Befristungen beschieden, die auf der Grundlage des früheren § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG getroffen wurden (vgl. nur EuGH, Urt. v. 22.11.2005 – C­144/04, Mangold, AuA 2/06, S. 115).

2 Unvereinbarkeit mit EU-Recht?

Der Gesetzgeber setzt sich in der amtlichen Gesetzes­ begründung zu § 41 Satz 3 SGB VI zwar mit der Recht­ sprechung des EuGH zur Zulässigkeit von Befristungen auf die Regelaltersgrenze auseinander (vgl. BT­Drs. 18/1489, S. 25). Etwas überraschend lässt er aber die Vorgaben der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG vollkom­ men unerwähnt. Dabei dürften gerade diese erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit von § 41 Satz 3 SGB VI mit dem Unionsrecht wecken. Die Befristungsrichtlinie 1999/70/EG sieht nämlich in § 5 der anliegenden Rah­menvereinbarung verschiedene Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu ergreifen haben.

In diesem Zusammenhang müssen die Mitgliedstaaten alternativ oder kumulativ festlegen:

  • sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen,
  • die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinander folgender Arbeitsverträge oder ­verhältnisse,
  • die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.

Legt man diese Vorgaben bei der Beurteilung von § 41 Satz 3 SGB VI zu Grunde, ergibt sich eine ernüchternde Erkenntnis: Die Vorschrift sieht weder einen sachlichen Grund noch eine maximal zulässige Dauer aufeinander folgender Arbeitsverträge noch eine maximal zulässige Anzahl an Verlängerungen vor. Die bestehende Rege­lung würde es vielmehr nach ihrem Wortlaut ermögli­chen, das Arbeitsverhältnis in unbegrenzter Zahl von einen Tag auf den nächsten zu befristen.

3 „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“

Hat man das Arbeitsverhältnis auf der Grundlage des europarechtswidrigen § 41 Satz 3 SGB VI über die Regel­altersgrenze hinaus befristet, wird es für den Arbeitgeber äußerst schwierig, den nun unbefristet bestehenden Ver­trag einseitig wieder zu beenden.

Eine arbeitgeberseitige Kündigung wegen der Möglichkeit des Bezugs von Altersrente verbietet sich in Anbe­tracht der Regelung des § 41 Satz 1 SGB VI. Ungeachtet anderer Beendigungstatbestände müsste das Unterneh­ men darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis irgendwann von sich aus kündigt.
Im Hinblick auf das fortschreitende Alter des Beschäftigten und die üblicherweise altersbedingt häufiger auf­tretenden Krankheiten wäre für den Arbeitgeber dann letztlich nur eine krankheitsbedingte Kündigung oder eine Kündigung wegen Low Performance das letzte Mittel. Anders ließe sich das unbefristete Arbeitsverhältnis nicht mehr einseitig beenden.

4 Befristung nur in Ausnahmefällen möglich

Der Gesetzgeber ist nun dringend in der Pflicht, die erforderlichen, arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Arbeitsvertragsparteien die – rechts­sichere – Befristung über die Regelaltersgrenze hinaus zu ermöglichen. Andernfalls werden die sozialversiche­ rungsrechtlichen Vorteile der Flexi­Rente ins Leere laufen. Denn weder das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters noch die Möglichkeit, Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu beanspruchen, stellt nach aktu­ eller Rechtsprechung für sich genommen einen sachlichen Grund zur Befristung dar. Nur wenn die befristete Fort­setzung des Arbeitsverhältnisses einer ganz konkreten, zum Zeitpunkt der Befristungsabrede bestehenden Per­ sonalplanung des Arbeitgebers dient, kann laut BAG nach Erreichen der Regelaltersgrenze die Befristung auf­ grund überwiegender Belange des Arbeitgebers  gerechtfertigt sein (vgl. Urt. v. 11.2.2015 – 7 AZR 17/13, AuA 10/15, S. 612).

Angesichts dieser unsicheren Rechtslage müssten Unternehmen und Arbeitnehmer daher bis auf Weiteres auf die Sachgründe des § 14 TzBfG zurückgreifen. Diese Gründe dürften aber lediglich in Ausnahmefällen einschlägig sein. Sie sind keineswegs geeignet, Arbeitsverhältnisse in aller Regel über die Regelaltersgrenze hinaus zu befristen.

Es kämen allenfalls die Sachgründe des vorübergehen­ den Mehrbedarfs (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG) sowie der Vertretung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG) ernsthaft in Betracht. Allerdings erscheint es weder angemessen noch zufriedenstellend, einen jahrelangen Mitarbeiter, der nun nach Erreichen der Regelaltersgrenze in zeitlich begrenztem Umfang weiterarbeiten möchte, plötzlich auf der ungewissen Grundlage von Projektarbeit oder anderweitigen Krankheitsfällen zu beschäftigen.

Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der ver­ meintlich einfache Weg, das Arbeitsverhältnis gem. § 41 Satz 3 SGB VI über die Regelaltersgrenze hinaus zu befris­ ten, für Unternehmen mit der ungeahnten Gefahr des Zustandekommens eines unbefristeten Arbeits­verhältnisses verbunden ist. Von diesem kann man sich dann nur noch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes wieder einseitig lösen.

5 Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber künftig die arbeitsrechtlichen – und unionskonformen – Rahmen­bedingungen schafft, um Arbeitsverhältnisse über die Regelaltersgrenze hinaus rechtssicher zu befristen. Bis dahin dürfte den Arbeitsvertragsparteien anzuraten sein, von einer Befristung auf der Grundlage von § 41 Satz 3 SGB VI sicherheitshalber Abstand zu nehmen. Stattdessen ist stets sehr genau zu prüfen, ob – zumindest vorübergehend – einer der Sachgründe des § 14 Abs. 1 TzBfG einschlägig ist.

Dr. Oliver Vollstädt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, Kliemt & Vollstädt Fachanwälte für Arbeitsrecht, Büro Düsseldorf

Mit freundlicher Genehmigung von Volker Hassel RA für AuA 2/17, Seiten 84-85