ENTSCHEIDUNG

Das BAG folgte dem Kläger, obwohl die Erfurter Richter ihm nicht nur drei, sondern sechs Urlaubstage hätten gewähren können, wenn er diese beantragt hätte. Dem Urteil des BAG gingen zwei richtungsweisende Entscheidungen des EuGH voraus. Zunächst hatte das Luxemburger Gericht in der „Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols“-Entscheidung (Urt. v. 22.4.2010 – C 486/08, AuA 3/11, S. 178) darauf hingewiesen, dass Ansprüche auf Urlaubstage, die während einer Vollzeittätigkeit entstanden sind und vor dem Wechsel in die Teilzeittätigkeit nicht gewährt werden konnten, auch dann jeweils als Vollzeitarbeitstag vergütet werden müssen, wenn der Urlaub während der Teilzeit genommen und hier – aufgrund eines geringeren täglichen Arbeitsvolumens – ein geringeres tägliches Arbeitsentgelt erdient wird. Diese Argumentation wandte der EuGH sodann in der „Brandes“-Entscheidung (Beschl. v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, S. 775) auf die Frage, wie sich ein Wechsel von Vollzeit in Teilzeit auf die Anzahl der Urlaubstage auswirkt, entsprechend an. Die Luxemburger Richter führten hier aus, dass dem einschlägigen Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG und § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, nationale Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegenstehen, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Urlaubs, die vollbeschäftigte Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnten, wegen des Wechsels in eine Teilzeitbeschäftigung anteilig im Verhältnis der Zahl der Arbeitstage vor und nach der Reduzierung des Arbeitsvolumens gekürzt werden.

Offen war, wie das BAG diese klaren Vorgaben vor dem Hintergrund umsetzt, dass es selbst in ständiger Rechtsprechung die anteilige Kürzung der Urlaubsansprüche und des Urlaubsentgelts ohne Ausnahme vertreten hatte. Das Gericht hat nunmehr ausgeführt, dass es vor dem Hintergrund dieser Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festhält. Indem die Erfurter Richter auf eine denkbare Fallgruppe hinweisen, in der unmittelbar nach einer Elternzeit von einer Fünf- in eine Zwei-Tage-Woche gewechselt wird und noch 30 Tage Resturlaub bestehen, machen sie ihre Skepsis gegenüber den Vorgaben deutlich. Dieser Arbeitnehmer fehlt – so die Wortwahl des 9. Senats – dem Betrieb wegen Resturlaubs 15 Wochen. Er führt

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hierzu aus: „Ob dies notwendig ist, um dem Erholungsgedanken des Urlaubs Rechnung zu tragen, wird zu Recht bezweifelt.“ Letztlich ist das BAG den Vorgaben des EuGH gefolgt und hat die Regelung im § 26 Abs. 1 TVöD 2010 im konkreten Fall für unwirksam erklärt. Das BAG verweist darauf, dass die europäische Rechtsprechung sich bisher nur auf Fallgruppen bezieht, in denen der Mitarbeiter tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, seinen Urlaub während der Vollzeitbeschäftigung zu nehmen, führt aber dann aus, dass es auf die Frage des Verschuldens eines Diskriminierten – hier des in Teilzeit wechselnden Beschäftigten – nicht ankommen kann. Zwar waren die Erfurter Richter nicht bereit, hierzu generelle Ausführungen zu machen, führten jedoch aus, dass unter Geltung des § 26 TVöD 2010 keine Pflicht oder Obliegenheit des Arbeitnehmers bestand, seinen Urlaub – zumindest teilweise – noch während der Vollzeitbeschäftigung zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist danach zu berücksichtigen, dass der volle Urlaubsanspruch mit dem 1.1.2010 entstanden war und ein Kürzungstatbestand nicht vorlag, da dies den Eintritt/Austritt aus dem Arbeitsverhältnis voraussetzt, was bei einem Wechsel von Vollzeit in Teilzeit nicht der Fall ist. Das BAG hätte dem Kläger daher eigentlich sechs weitere Urlaubstage zusprechen müssen. Dies ist nur deshalb nicht erfolgt, weil der Kläger nur drei weitere Urlaubstage geltend gemacht hatte.

KONSEQUENZEN

Wichtig ist, dass die o.g. Entscheidungen des EuGH die Deutung zuließen, nur der gesetzliche Mindesturlaub dürfe nicht mehr gekürzt werden. Die Entscheidung des BAG geht aber weiter, da sie die Unwirksamkeit aus einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ableitet, und lässt auch keine vertraglichen Vereinbarungen zum übergesetzlichen Urlaub mehr zu, die eine Kürzung vorsehen.

PROBLEMPUNKT

Der Kläger war seit 2004 bei der Beklagten in Vollzeit angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der TVöD Anwendung. Bis zum 15.07.2010 war er in Vollzeit an fünf Tagen pro Woche tätig. Anschließend war er aufgrund eines Änderungsvertrags in Teilzeit an vier Tagen pro Woche beschäftigt.

Nach § 26 Abs. 1 TVöD 2010 beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit erhöht oder vermindert sich der Anspruch entsprechend. Gem. § 26 Abs. 2 b TVöD 2010 wird für jeden vollen Monat 1/12 des Urlaubsanspruchs gewährt, sofern das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres beginnt oder endet. 

Bis zum Wechsel in Teilzeit hatte der Kläger keinen Urlaub genommen. Nach dem Wechsel gewährte ihm die Beklagte auf seinen Antrag 24 Tage Urlaub. Der Kläger war der Auffassung, dass ihm drei weitere Urlaubstage zustünden. Er machte geltend, dass er bis zum 15.7.2010 – also für den Zeitraum der Vollzeitbeschäftigung – einen Anspruch auf 15 Urlaubstage habe. Für den Zeitraum der Teilzeitbeschäftigung begehrte der Kläger 12 Urlaubstage, mithin insgesamt 27 Urlaubstage.

Fotos: Rainer Sturm | www.pixelio.de
 

Quelle: Arbeit & Arbeitsrecht | 
Ausgabe 10 – 2015 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de