Hintergrund

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Foto von Parker Byrd

Nach einer langwierigen politischen Diskussion unter Einbindung der Sozialpartner in den Mitgliedstaaten ist die in die Jahre gekommene RL überarbeitet worden und es konnte im Frühjahr eine abschließende Verständigung über deren Inhalte erzielt werden. Die revidierte Arbeitnehmerentsende-RL („Richtlinie [EU] 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“) ist am 28.6.2018 mit einer Umsetzungsfrist bis zum 30.7.2020 verabschiedet worden. Durch die Neuregelung – so lautet es in Art. 1 unter der Überschrift „Gegenstand und Anwendungsbereich“ – soll „der Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit sichergestellt werden, indem zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer festgelegt werden, die eingehalten werden müssen“.

Wie ist der Stand der Umsetzung und was bedeutet dies konkret für die letztlich betroffenen Unternehmen?

Die revidierte Arbeitnehmerentsende-RL befasst sich im Wesentlichen mit folgenden Regelungsbereichen:

• Entlohnung entsandter Arbeitnehmer,

• Ausweitung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen für entsandte Arbeitnehmer,

• Regelungen bei Untervergabeketten,

• Vorschriften für Leiharbeitsunternehmen,

• langfristige Entsendung.

Entlohnung entsandter Arbeitnehmer

Für entsandte Mitarbeiter gelten künftig grundsätzlich die gleichen Vergütungsgrundsätze wie für lokale Beschäftigte unter Einbeziehung nicht nur der Grundvergütung, sondern auch weiterer Lohnbestandteile. Neben dem Mindest- und Grundlohn sollen zukünftig auch weitere Lohnbestandteile einzubeziehen sein, die in Rechtsvorschriften oder allgemeinverbindlichen Tarifverträgen (§ 5 TVG) festgelegt sind. Dies bedeutet, dass in Zukunft neben der Grundvergütung auch Prämien oder Zulagen (bspw. Weihnachtsgeld, Schlechtwettergeld, Mehrarbeitsvergütung oder Zulagen für besondere Arbeiten) berücksichtigt werden müssen. Nicht zu berücksichtigen sind hingegen vom Arbeitgeber aufgewandte Kosten für den Umzug, die Unterbringung oder die Verpflegung. Die Mitgliedstaaten sind nach der RL gehalten, auf transparente Weise die verschiedenen Vergütungsbestandteile anzugeben, aus denen sich die Vergütung in ihrem Hoheitsgebiet zusammensetzt.

Ungeachtet dieses Grundsatzes der Lohngleichbehandlung verbleibt es dabei, dass die Sozialversicherungspflicht sich nach den hierfür einschlägigen Regelungen richtet, wonach diese im Regelfall im Heimatland entsandter Arbeitnehmer anfällt.

Ausweitung der Allgemeinverbindlicherklärung

Des Weiteren sollen die durch allgemeinverbindliche Tarifverträge festgelegten Vorschriften für entsandte Mitarbeiter aller Wirtschaftszweige verbindlich werden, während die Arbeitnehmerentsende-RL bislang nur für bestimmte Branchen gilt. Die bislang den Mitgliedstaaten eingeräumte Entscheidungsfreiheit, allgemeinverbindliche Tarifverträge auf entsandte Beschäftigte nur in bestimmten Branchen zur Anwendung gelangen zu lassen, wird zukünftig entfallen.

Deutschland hatte von dieser Erstreckungsmöglichkeit bislang nur für ausgewählte Sektoren Gebrauch gemacht (Bau, Bergbau, Abfallwirtschaft, Briefdienstleistungen, Sicherheitsdienstleistungen, Gebäudereiniger, Schlachthöfe). Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs wird künftig nicht mehr möglich sein.

Aber keine Regel ohne Ausnahme: Das Speditionswesen ist vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausdrücklich ausgenommen und soll einer eigenständigen Regelung zugeführt werden.

Untervergabeketten, Leiharbeit und langfristige Entsendung

Ferner soll auch bei sog. Untervergabeketten gewährleistet werden, dass Unterauftragnehmer ihren Mitarbeitern das gleiche Entgelt zahlen wie der Hauptauftragnehmer. Hierzu wird für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorgesehen, für entsandte Arbeitnehmer die Geltung der Vergütungsvorschriften zu vereinbaren, die auch für den Hauptauftragnehmer gelten, und zwar auch dann, wenn sich diese Vorschriften aus Tarifverträgen ergeben, die nicht allgemeinverbindlich sind.

Die Mitgliedstaaten sind ferner verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Haftung bei Unteraufträgen sicherzustellen, Missbräuche im Falle der Unterauftragsvergabe zu bekämpfen und die Rechte entsandter Beschäftigter zu schützen.

Der Grundsatz der Gleichbehandlung mit lokalen Mitarbeitern wird auch in Bezug auf Leiharbeitnehmer gewährleistet werden; für sie sollen die gleichen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gelten wie für die lokalen Beschäftigten. Insoweit besteht in Deutschland kein Umsetzungsbedarf, da diese Option der Richtlinie bereits in nationales Recht umgesetzt wurde (§ 8 Abs. 3 AEntG).

Zukünftig sollen Entsendungen im Regelfall nicht länger als zwölf Monate – ausnahmsweise bis zu 18 Monate – andauern. Danach gelten für die entsandten Arbeitnehmer unabhängig von dem auf das Arbeitsverhältnis jeweils anwendbaren Recht sämtliche Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind.

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“

Die revidierte Arbeitnehmerentsende-RL ist bis zum 30.7.2020 umzusetzen. Im Mai 2019 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auch erste Eckpunkte benannt, wie das AEntG in Deutschland konkret überarbeitet werden soll bzw. könnte (www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2019/eckpunkte-entsendegesetz-erschienen.html).

Der Grundsatz der Lohngleichheit soll weitestgehend umgesetzt werden. Der Lohn für die nach Deutschland entsandten soll soweit wie möglich an den für inländische Mitarbeiter vorgeschriebenen Lohn angeglichen werden. Während bislang in Deutschland für Beschäftigte ausländischer Unternehmen nur die Mindestlohnsätze gelten, sollen die Mitgliedstaaten ihre Entlohnungsvorschriften auch jenseits reiner Mindestlohnsätze auf Entsandte anwenden. Hierdurch wolle man Verwerfungen in Branchen, in denen Löhne oberhalb des Mindestlohnniveaus gezahlt werden, entgegenwirken. Um dies umzusetzen, werde man „folgende Punkte unter Beachtung der Tarifautonomie“ umsetzen:

• Sicherstellen der Anwendung aller gesetzlichen Entlohnungsvorschriften auch auf entsandte Arbeitnehmer,

• Gewährleisten des notwendigen gesetzlichen Rahmens, damit die Tarifvertragsparteien entsandte Arbeitnehmer in relevanten Bereichen durch mit zwingender Wirkung erstreckte Entlohnungsvorschriften schützen können.

Unter der Unterüberschrift „Bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen“ wird zudem angekündigt, dass EUArbeitgeber, die in Deutschland wirtschaftlich aktiv sind, die Kosten für Unterkunft, Reisekosten oder Verpflegung nicht ihren Arbeitskräften auflasten können sollen. Entsendebedingte Kosten sollen nach der Entsende-RL grundsätzlich vom entsendenden Unternehmen getragen werden. Für berufsbedingte Reisen entsandter Mitarbeiter innerhalb des Staates, in den sie entsandt worden sind, sollen dieselben Regelungen gelten wie für inländische Beschäftigte. Zudem werde man dafür Sorge tragen, dass entsandte Arbeitnehmer während der Entsendung nicht unter unwürdigen Bedingungen untergebracht werden.

„Besonderer Schutz langzeitentsandter Arbeitnehmer“

Des Weiteren werden besondere Regelungen für Langzeitensandte geschaffen, um den insoweit nach einer Entsendung von 12 bzw. 18 Monaten greifenden Grundsatz der vollständigen Gleichstellung mit inländischen Mitarbeitern in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen umzusetzen.

Langzeitentsandte Beschäftigte seien besonders zu schützen, da die Dauer des Arbeitseinsatzes von EUArbeitskräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Lohn- und Wettbewerbskonkurrenz gegenüber Inländern einen Unterschied mache. Unter Beachtung der Richtlinienvorgaben werde man daher Folgendes umsetzen:

• Gewährleisten der umfassenden Anwendung deutscher Arbeitsgesetze auf langzeitentsandte Arbeitnehmer,

• Erweitern der Mechanismen, um die in Deutschland geltenden allgemeinverbindlichen tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen auf langzeitentsandte Arbeitnehmer anzuwenden,

• transparente, praxistaugliche und unbürokratische Ausgestaltung des Verfahrens für die Verlängerung der Frist für die Langzeitentsendung von 12 auf 18 Monate,

• Vermeiden der Umgehung sozialer und rechtlicher Vorschriften über die Langzeitentsendung durch Aneinanderreihungen mehrerer Entsendungen („Kettenentsendungen“).

„Klarere Regeln für Leiharbeitnehmer“

Des Weiteren sollen von ihrem Entleiher im Ausland zur Arbeit nach Deutschland entsandte Leiharbeitnehmer geschützt werden. Die revidierte Entsende-RL stellt insoweit klar, dass auch Kettenentsendungen von Leiharbeitnehmern erfasst sind und den Regeln des deutschen Arbeitsrechts unterliegen.

Zur Umsetzung ist Folgendes vorgesehen:

• Sicherstellen, dass Leiharbeitnehmer, die in Deutschland eingesetzt werden, vom deutschen Arbeitsrecht erfasst werden,

• Schaffen von Informationspflichten für Entleiher, um sicherzustellen, dass Verleiher mit Sitz im Ausland entsprechend informiert sind, wenn ihre Arbeitnehmer in Deutschland eingesetzt werden.

„Mehr Transparenz auf dem europäischen Arbeitsmarkt“

Ferner will man mehr Transparenz auf dem europäischen Arbeitsmarkt durch bessere Bedingungen für Unternehmen und Beschäftigte schaffen. Mit der revidierten Entsende-RL werden die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, mehr Informationen über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei Entsendungen bereitzustellen. Dies soll durch folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

• Stärken der One-Stop-Plattform für EU-Arbeitgeber und Arbeitskräfte unter Fortentwicklung der bestehenden zentralen deutschen Internetseite (www.zoll.de), um Arbeitgebern mit Sitz im Ausland und ihren hierhin entsandten Arbeitnehmern weiterhin einen leichten und vollständigen Überblick über die in Deutschland zu beachtenden Arbeitsbedingungen zu gewähren,

• Zugänglichmachen aller Tarifverträge, die für entsandte Arbeitnehmer gelten,

• Bündelung bei der neu geschaffenen Europäischen Arbeitsbehörde als zentrale Informationsstelle für die Informationsangebote der Mitgliedstaaten, damit Unternehmen und ihre entsandten Mitarbeiter eine Übersicht über die in den Mitgliedstaaten geltenden Entsenderegeln erhalten.

„Schutz vor Ausbeutung durch faire Mobilität“

Schließlich will man durch besondere Verfahrensregelungen entsandte Beschäftigte besser schützen.

Das soll durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

• Stärkung des Klagerechts entsandter Arbeitnehmer in Bezug auf die erweiterten Rechte, die ihnen aufgrund der revidierten Entsende-RL künftig in Deutschland zustehen, im Inland,

• Schaffen einer Unterstützungsmöglichkeit durch Gewerkschaften bei der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche auch für gewerkschaftslose entsandte Mitarbeiter,

• Flankieren durch Auf- und Ausbau von staatlich unabhängigen, auf die speziellen Bedürfnisse entsandter Beschäftigter aus EU-Mitgliedstaaten zugeschnittenen Beratungsangeboten, insbesondere Verstetigung des vom BMAS geförderten Projekts „Faire Mobilität“ (www.faire-mobilitaet.de/faelle) mit seinen mehrsprachig ausgerichteten Beratungsstellen in Deutschland.

Fazit und Ausblick

In der Pressemitteilung zum Eckpunktepapier kündigte das BMAS an, „im Sommer soll[e] sodann auf Basis dieser Eckpunkte ein Gesetzentwurf vorgelegt werden“. Dieser steht bislang indes aus. Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Sachstand sowie zu 16 konkreten Fragen vom 23.9.2019 (BT-Drs. 13448) hat die Bundesregierung unlängst am 9.10.2019 geantwortet (BT-Drs. 19/13842) und lapidar mitgeteilt, man finalisiere derzeit den Entwurf eines Umsetzungsgesetzes. Ferner lautet es in der Antwort im Wortlaut wie folgt: „Zu den Fragen, wie einzelne in der Richtlinie verwendete Rechtsbegriffe zu interpretieren sind, welche Konsequenzen dies für den unionsrechtlichen Handlungsbedarf auslöst und von welchen den Mitgliedstaaten in der Richtlinie eingeräumten Gestaltungsoptionen bei der Umsetzung in welcher Form Gebrauch gemacht werden soll, besteht im gegenwärtigen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens noch keine abgestimmte Auffassung der Bundesregierung. Diese wird im Rahmen der Ressortabstimmung zu dem vom BMAS vorzulegenden Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der revidierten Entsenderichtlinie hergestellt werden.“

Insoweit bleiben die Ankündigungen nebulös und die Vorlage des Gesetzgebungsentwurfs sowie der Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens abzuwarten. Dies ist angesichts des doch erheblichen Gestaltungsspielraums des nationalen Gesetzgebers misslich, da immer noch nicht absehbar ist, welche Regelungen konkret zur Umsetzung geplant sind. Nach der Diktion des Eckpunktepapiers steht zu befürchten, dass die konkreten Regelungsvorschläge für Arbeitgeber nicht unbedingt leicht handhabbar sein werden. Dies gilt insbesondere für solche, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, ihr Personal auch in andere Mitgliedstaaten entsenden und die revidierte Arbeitnehmerentsende-RL in bis zu 27 verschiedenen Ländern zu beachten haben werden. Ob all dies dem grenzüberschreitenden Personaleinsatz dienlich ist, darf bezweifelt werden.

Im Übrigen ist der Ausgang zweier von Polen und Ungarn gegen die Kommission eingeleiteter Klagen wegen Verstoßes der Richtline gegen die Dienstleistungsfreiheit ihrer Unternehmen (Rechtssachen C-620/18 und C-626/18) abzuwarten. Die weitere Entwicklung in den nächsten Monaten bleibt daher in jeder Hinsicht spannend.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 12/19, S. 704ff.