Fragt man die Hersteller von Personalsoftware nach innovativen Ideen im Bereich der Lohn- und Gehaltsabrechnung, so antworten sie verhalten. Einstimmig bestätigen dann alle, dass der Gesetzgeber schon dafür sorge, dass sie ihre Visionen zurückstellen. Denn zunächst gelte es, die Gesetzesänderungen in ihre Software zu integrieren, damit bei ihren Kunden nicht das Chaos ausbricht. Das aber droht derzeit. Mit Initiativen wie beispielsweise Bund Online 2005 oder dem Bündnis für Arbeit will die Bundesregierung die Kommunikation von Unternehmen und Bürgern mit staatlichen Stellen und den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung vereinfachen und entbürokratisieren. In besonderem Umfang betreffen diese Maßnahmen die gesetzlichen Bestimmungen und Abläufe im gesamten betrieblichen Melde- und Bescheinigungswesen.

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Foto von Benjamin Child

Die Betroffenen lehnen die Zielrichtung der staatlich verordneten Digitalisierung nicht ab. „Von allen Seiten werden die Initiativen, die den Umgang mit Papier aller Art deutlich verringern, einhellig begrüßt“, meint beispielsweise Matthias Schneider, Geschäftsführer des HR-Softwareanbieters s+p. Er verdeutlicht das an einem Rechenbeispiel. „Das manuelle Erstellen einer Bescheinigung nach § 312 SGB III für das Arbeitsamt kostet ein Unternehmen circa 50 Euro, aber aus moderner Software heraus gedruckt nur noch 20. Künftig wird das bei Mail-ähnlichen Verfahren bei etwa ein bis zwei Euro Verfahrenskosten liegen!“

Nach Angaben von Wirtschaftsverbänden ist das Sparpotenzial erheblich. Nach ihren Schätzungen sollen die Maßnahmen zum Bürokratieabbau die Personalverwaltungskosten jährlich um circa 500 Millionen Euro reduzieren. Außerdem sollen künftig schätzungsweise 100.000 Arbeitstage pro Jahr in den Personalabteilungen wegfallen. Schließlich will der Gesetzgeber, dass die rund 2,8 Millionen deutschen Arbeitgeber künftig darauf verzichten können, ihren Arbeitnehmern, Sozialversicherungsträgern oder Behörden jährlich etwa 60 Millionen Bescheinigungen, 120 Millionen Beitragsnachweise auf 36 Millionen Lohnsteuerkarten und fast 20 Millionen Lohnsteueranmeldungen in Papierform auszustellen und auszuhändigen.

Im Steueränderungsgesetz 2003 hat das Parlament mit Elster-Lohn erste konkrete Entbürokratisierungsbemühungen umgesetzt. So sollen spätestens ab 2006 alle Unternehmen elektronische Lohnsteuerbescheinigungen ausstellen. Bis dahin sind von dieser bereits geltenden Gesetzesvorschrift nur jene Betriebe ausgenommen, die derzeit noch manuell abrechnen (siehe Beitrag „Langsames Sterben der Lohnsteuerkarte“ ab Seite 36). An der Software scheitert das Vorhaben nicht. Die großen HR-Softwarehersteller SAP, Peoplesoft, P&I, s+p und DATEV haben trotz extrem knapper Zeitvorgaben ihre Programme dafür gerüstet und sie ihren Kunden rechtzeitig zur Verfügung gestellt.

In der Praxis bedeutet Elster-Lohn für die Unternehmen, dass beispielsweise das teure Aufkleben der Lohnsteuerbescheinigungen auf jede Lohnsteuerkarte künftig entfällt, da die Daten digital über eine Clearingstelle an das Finanzamt weitergeleitet werden. Dies würde nach Angaben von Elster-Lohn-Projektleiter Roland Burau vom Rechenzentrum der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen etwa 1,50 Euro pro Karte einsparen. In einem weiteren Schritt ist beabsichtigt, durch Elster-Lohn II die Abschaffung beziehungsweise Digitalisierung der gesamten Lohnsteuerkarte voranzutreiben. Dann sollen alle Daten in einem Clearingcenter, dem Entgelt- Datencenter (BEDZ), bereitgestellt werden. Auf dessen Datenbestände sollen die jeweils berechtigten Verfahrensteilnehmer, also Arbeits- und Finanzämter und andere Behörden, mittels hochsicherem Authentifizierungsverfahren zugreifen können. So die Pläne.

Doch in Sachen Digitalisierung will auch ein weiteres Ministerium nicht abseits stehen. Im vergangenen Jahr hat das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS) seine gesetzlichen Vorgaben für das Beitrags- und Meldewesen überarbeitet. Zwar überweisen etwa zwei Drittel der Arbeitgeber ihre Beitragsnachweise und Sozialversicherungsmeldungen schon heute – meist über das Programm Dakota.ag – an die Krankenkassen. Doch bis 2006 sollen alle Unternehmen über ein Clearingcenter, das alle Daten verwaltet, ihre Meldungen elektronisch versenden. Seit 2001 läuft ein Pilotprojekt, an dem SAP, Lufthansa, die Informationstechnische Servicestelle der Gesetzlichen Krankenversicherung (ITSG) und die Applied Security GmbH, die die Lösung zur Verschlüsselung der Daten bereitstellt, teilnehmen. Hier wird die elektronische Erstellung und der Versand von Entgeltbescheinigungen zur Berechnung von Krankengeld, Kinderkrankengeld und Mutterschaftsgeld erprobt. Der erhoffte Vorteil: Die Papierbelege entfallen, die Daten sind aktueller, der Arbeitsaufwand ist geringer und die Portokosten werden erheblich reduziert.

Zwar wären die Softwarehersteller bereits heute in der Lage, das neue Datenübertragungsverfahren für die Krankenkassen in ihre Software zu integrieren, doch nach Angaben aus Fachkreisen wartet man lieber auf die Jobcard. Die Jobcard soll allerdings nach Angaben von Volker Will, dem Referenten des zuständigen Fachausschusses bei der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung (AWV), künftig eher als „Jobcard-Verfahren“ bezeichnet werden. Den Plänen zufolge handelt es sich bei der Jobcard nämlich lediglich um eine Signaturkarte, auf der die persönlichen Daten des Arbeitnehmers sowie ein eindeutiger Erkennungsschlüssel gespeichert sind. Seit Herbst des Jahres 2003 läuft ein Modellversuch. Die Arbeitsagenturen setzen anhand der vom Arbeitgeber elektronisch ausgestellten Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III, die in einem Trust Center verwahrt werden, beispielsweise Höhe und Dauer des Arbeitslosengeldes fest. Bei diesem Verfahren muss sich der Angestellte der Arbeitsverwaltung ebenso wie der Antragsteller mittels einer Signaturkarte für die Berechtigung zum Abruf der personenbezogenen Daten authentifizieren.

Verläuft das Modellprojekt erfolgreich, will man bis 2006, womöglich erst ab 2007, mit dem Roll-out der Karten beginnen. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) muss zuvor allerdings noch eine Vielzahl rechtlicher, sicherheits- und verfahrenstechnischer Fragen mit allen Beteiligten geklärt werden. Zu diesem Kreis zählen auch die Industriekonsortien, die die technische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Im Rahmen der Erweiterung des Jobcard-Verfahrens (Jobcard Stufe 2) sollen, so die Empfehlungen des AWV, weitere Bescheinigungen hinzukommen: zum Beispiel Verdienstbescheinigungen für die Rentenversicherungsträger.

Mittlerweile denkt man im BMWA sogar daran, die Signaturkarte zusätzlich für private Zwecke, beispielsweise Einkäufe im Internet, im Supermarkt oder für Bankgeschäfte freizugeben. Werden dann womöglich die Einkaufsabrechnungen gleich auf dem Gehaltsnachweis ausgewiesen werden?

Gekrönt würde die Digitalisierungswelle dann, wenn die Unternehmen auch die Daten für die amtliche Statistik digitalisiert übertragen. Zunächst wollte man dies im Rahmen des vom Statistischen Bundesamt favorisierten Ziels „Fit 2005“ ab Januar 2006 über einen Internetfragebogen umsetzen. Mittlerweile denkt man über den Datentransfer im XML-Format nach.

Doch so gut und einleuchtend das klingt: Bis zur endgültigen Umsetzung müssen noch etliche Hürden genommen und Bedenken ausgeräumt werden. Noch nicht ganz geklärt ist beispielsweise die Frage der Datensicherheit und die Akzeptanz dieser Verfahren bei den Beteiligten. Außerdem nutzen die einzelnen Ministerien, wie das Nebeneinander der Initiativen des Wirtschaftsministeriums und des Gesundheitsministeriums zeigen, teilweise unterschiedliche technische Ansätze zur Realisierung des Bürokratieabbaus. Konflikte scheinen unausweichlich, wenn man beispielsweise an die Kosten für unterschiedliche Systeme denkt.

Ebenso stellt sich sowohl für die Unternehmen als auch für die Softwarehersteller die Frage nach den Kosten: Wer zahlt die Anschaffung von entsprechenden technischen Vorrichtungen wie Lesegeräten, mit welchem Aufwand ist die Programmierung und die Implementierung der Updates verbunden? „Mit den gesetzlichen Vorgaben hat der Staat viel Verantwortung auf die Hersteller und Firmen übertragen“, meint Frank- Uwe Jooss, Vertriebsleiter Personalwirtschaftssysteme bei SAP, stellvertretend für viele HR-Hersteller. Außerdem bedeuteten all diese Maßnahmen zunächst, dass die Bürokratie nicht abgebaut, sondern bis zur endgültigen Praxisanwendung eher verschärft werde.

Der Anbieter P&I rechnet vor, dass ihn die vorgezogene Steuerreform 2004 immerhin 120.000 Euro kostet. Hinzu kommen jährlich etwa 700.000 Euro für die Einarbeitung der gesetzlichen Änderungen in die Software. Die Änderungen durch die Tarifpartner seien da noch gar nicht eingerechnet. Matthias Schneider von s+p bestätigt: „Bei kompletten Systemänderungen, beispielsweise bei Hartz IV oder dem Flexigesetz, gehen die Kosten in die Mannjahre in der Entwicklung und der anschließenden Qualitätssicherung.”

Und was kostet das die Unternehmen? Nichts, sofern ihre Wartungsverträge die Aktualisierung abdecken. Das ist zumindest bei allen großen Anbietern der Fall. Lediglich ein geringer Zeitaufwand entsteht den Firmen, da die Zugänge zu den Servern und Firewalls geschaffen und das Einspielen der Software auf die Termine der Personalabrechnung abgestimmt werden müssen.

Obwohl die Softwarehäuser genug damit beschäftigt sind, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen, nehmen sich deren Entwickler Zeit, um über die Zukunft von Lohn- und Gehaltslösungen nachzudenken. Georg Ulherr, Payroll-Spezialist bei Peoplesoft, ist der Ansicht, dass Leistungssteigerungen im Rahmen der Lohn- und Gehaltsabrechnung künftig über neue Reporting- und Analysewerkzeuge realisiert würden.

Aufgrund der Globalisierung und der damit einhergehenden Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland vermuten die Verantwortlichen bei P&I, dass die internationale Lohn- und Gehaltsabrechnung künftig länderübergreifend konzipiert sein müsse und dass die Zeit für Insellösungen vorbei sei. Frank-Uwe Jooss von SAP glaubt, dass für die Unternehmen vor allem die Frage der Total Cost of Ownership (TCO) der Systeme immer wichtiger werde. Weil Funktionen und Aufgaben aller Bereiche im Unternehmen immer näher zusammenrückten, könnten bestehende Medienbrüche beseitigt und Kosten über die gesamte Lebensdauer des Systems hinweg eingespart werden.

Möglicherweise wird sich die gesamte HR-Landschaft in einigen Jahren grundlegend verändern. Die Bezahlung der Anwesenheit am Arbeitsplatz könnte dann der Vergangenheit angehören. Modelle der Vergütung, wie sie bei Freiberuflern üblich sind, könnten sich durchsetzen. Das würde die Softwarehersteller vor neue Aufgaben stellen – und ihnen Abwechslung zur Umsetzung der Initiativen des Gesetzgebers bieten. Autor: Ulrich Pesch ist freier Journalist in Heimstetten bei München.

Quelle: personal-expo