„Ich schalte Sie jetzt auf Lautsprecher, Herr Kovac, bitte erzählen Sie noch einmal genau, was passiert ist.“ Der Krisenstab hat sich zusammengefunden und versucht, ein Bild der Lage zu bekommen. Herr Kovac erklärt aufgeregt. „Ich bin heute wie immer als Erster in die Werkstatt gekommen. Und wie ich die Halle aufsperre, ist mir schon dieser Gestank aufgefallen. Ich bin rein und es hat sofort angefangen in den Augen zu brennen. Ich habe dann gleich die Feuerwehr angerufen und die sind am Weg hierher. Ich glaube, einer der Tanks ist ausgelaufen. Mir ist jetzt ganz schlecht.“ Der Krisenstabsleiter übernimmt das Gespräch und instruiert Herrn Kovac, vor Ort zu bleiben und auf den Krankenwagen zu warten. Er legt auf und beginnt die Aufgaben zu verteilen. Werkstattpläne werden geprüft – um welche Flüssigkeit handelt es sich in den Tanks? Was passiert, wenn diese ins Erdreich versickert? Besteht Gefahr für Mensch und Umwelt? Ein Handy läutet. Die Pressesprecherin hebt ab und telefoniert halblaut und freundlich. „Das war jemand vom ORF Niederösterreich. Die wollen wissen, ob die Feuerwehr zu unserem Gelände unterwegs ist. Bitte woher wissen die das jetzt schon? Ich hab sie erst einmal abgewimmelt.“ Ihr Telefon läutet wieder, sie hebt nicht mehr ab. Nach einer halben Stunde und vielen Telefonaten steht fest: Es handelt sich bei der Flüssigkeit um eine hochgiftige Lauge. Diese war irrtümlich in einen falschen Tank gefüllt worden und hat den Behälter beschädigt. Glück im Unglück – der Tank wurde nachts leck, als die Werkhalle leer stand. Tagsüber wären mindestens sechzig Arbeiter mit den giftigen Dämpfen in Kontakt gekommen.

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Foto von Nastuh Abootalebi

„Meine Damen und Herren, bitte kommen Sie jetzt zum Ende. In fünf Minuten wird der ORF vor der Tür stehen. Eine Journalistin hat bereits mit ein paar Arbeitern gesprochen und gibt Ihnen die Möglichkeit zu einer offiziellen Stellungnahme zum Giftgasskandal, wie sie es nennt. Sie geben dann bitte ihr Statement ab und dann treffen wir uns in einer halben Stunde im Plenum. Dort analysieren wir Ihre Arbeit in Ruhe.“ Der Übungsleiter ist zum Krisenstab getreten und mahnt zur Eile. Auch wenn es sich in diesem Fall nur um eine Krisensimulation handelt – die Hektik im Krisenstab ist echt!

Krisen gezielt vorbeugen

Wie aber macht es ein Unternehmen richtig? Die professionelle Krisenbewältigung beginnt, bevor eine Krise eingetreten ist. In einem strukturierten Prozess eruieren Arbeitgeber dann individuelle Krisen- und Bedrohungsszenarien und halten diese in einem Krisenhandbuch fest. Darin findet sich alles, was es im Notfall braucht, um schnell reagieren zu können – angefangen von Evakuierungsplänen und Telefonlisten bis hin zu Notfallstatements, die sich schnell adaptieren lassen, wenn die Presse an die Tür klopft. Wesentlich für die professionelle Krisenbewältigung ist es auch, regelmäßige Schulungen für den Krisenstab anzubieten. So können Unternehmen herausfinden, ob die Abläufe auch in der Praxis funktionieren. Gegebenenfalls passen sie das Krisenhandbuch an. 

Kommt es nun zu einer krisenhaften Entwicklung, können geschulte Personen die Situation schneller erkennen und damit rascher handeln. Ein gutes Beispiel, wie eine mögliche Krise frühzeitig erkannt und daher entschärft wurde, liefert ein Unternehmen, das im außerschulischen Bildungsbereich tätig ist und auch Lerncamps für Jugendliche anbietet. Das Unternehmen hatte in der Krisenvorbereitung mögliche Übergriffe von Lehrenden als Krisenpotenzial von höchster Priorität identifiziert. In den internen Guidelines und Schulungen wurden alle Mitarbeiter darauf sensibilisiert, derartige Vorwürfe oder Hinweise ernst zu nehmen und die Informationen an die Vorgesetzten weiterzuleiten. Bei einem Feriencamp kam einer Betreuerin beim Mittagessen zu Ohren, dass ein Lehrer den weiblichen Jugendlichen in seiner Lerngruppe „nachsteige“. Sie informierte die Lehrgangsleiterin und diese reagierte sofort. Sie wartete nicht ab, ob sich die Vorwürfe erhärten würden, sondern stellte noch für den gleichen Tag einen Ersatz für den betreffenden Lehrer. Dieser gab im Gespräch mit der Leiterin auch sofort zu, dass er wohl ab und zu mit den Mädchen seiner Klasse „geflirtet“ habe. Es war ihm nicht bewusst, dass sein Verhalten ein Übergriff sein könne. Nun wäre es an dieser Stelle leicht gewesen, eine „Schwamm drüber“-Taktik zu wählen, um den Vorfall zu vertuschen. Auch wenn die Schülerinnen sich eventuell subjektiv belästigt fühlten, so war es strafrechtlich ja zu keinen Übergriffen gekommen.

Personal wird häufig vergessen

Die Praxis zeigt: In der Krisenkommunikation haben Unternehmen häufig einen „blinden Fleck“, was die Einbeziehung der Mitarbeiter anbelangt. Als Krisen im Personalbereich betrachten sie häufig nur diejenigen Fälle, in denen Mitarbeiter Auslöser der Krise waren. Ist das nicht der Fall, wird HR im Krisenmanagement häufig vergessen. Auch in der oben geschilderten Krisenübung dachten die Teilnehmer nicht daran, die Belegschaft rechtzeitig zu informieren. Daher eskalierte die Situation dann auch. Während der Übung wurde ein fiktiver ORF-Beitrag gedreht. Dieser spielte mit Bildern von verunsicherten Fabrikarbeitern, die vor verschlossenen Werkhallen bereitwillig Interviews gaben und ihren Arbeitgeber öffentlich anklagten. Bei der Analyse der Krisenübung war die Betroffenheit im Krisenstab groß. Niemand hatte daran gedacht, einen Ansprechpartner für die Mitarbeiter vor Ort zu schicken. Die Belegschaft wurde vor verschlossenen Toren alleingelassen. Ein gefundenes Fressen für kritische Medienvertreter!

Auch im Ernstfall denken Arbeitgeber zuerst an Kunden und Medienvertreter, im besten Fall auch an die Anrainer und Angehörigen. Mitarbeiter kommen oft an zweiter Stelle. Ihnen wird zugemutet, zu warten und vom Informationsfluss abgeschnitten zu sein. Dieser Sichtweise liegt oft die irrige Meinung zugrunde, dass Mitarbeiter für ihre Tätigkeit bezahlt werden und daher zu Loyalität und Diskretion verpflichtet sind. De facto verschärfen Unternehmen Krisen aber gerade durch diese Haltung. Gerade in Krisenzeiten ist der Informationsbedarf der Mitarbeiter besonders groß. Ein Portier, der aus der Zeitung erfährt, dass der Buchhalter seit Jahren mit Geldern des Unternehmens spekuliert, wird einem interessierten Journalisten sicher gerne darüber Auskunft geben, dass besagter Mitarbeiter schon seit Jahren durch seinen luxuriösen Lebensstil aufgefallen ist. „Mit Rolex und Jaguar zum Betriebsausflug. Und die Geschäftsleitung will nichts gewusst haben!“ Schlagzeilen wie diese wären zu verhindern. Denn die Mitarbeiter haben gerade in Krisenzeiten ein berechtigtes Interesse daran, als Erste zu erfahren, was passiert ist und wie es weitergeht. Sie erleben es als großen Mangel an Wertschätzung, wenn sie von firmeninternen Schwierigkeiten über die Medien erfahren müssen.

Egal, in welchem Bereich die Krise in einem Unternehmen beheimatet ist, das Personal ist immer unter den Dialoggruppen mit höchster Priorität. Echte Krisen gefährden den Bestand des Unternehmens. Daher sind die Mitarbeiter direkt davon betroffen und haben ein Recht auf Information. Krisen verursachen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Das müssen Arbeitgeber frühzeitig und professionell auffangen. Zudem sind die Mitarbeiter eine potenzielle Informationsquelle für Medienvertreter. Je weniger sie wissen, desto größer ist die Gefahr, dass Spekulationen und Halbwahrheiten nach außen dringen. Und gerade in Krisenzeiten wenden sich Medien nur selten an die Pressesprecher, sondern versuchen gerade denjenigen Mitarbeitern interne Informationen zu entlocken, die am wenigsten im Umgang mit Medien geschult sind. Da helfen auch „Maulkorberlässe“ nichts – im Gegenteil. Diese werden von den Medien eher kritisch kommentiert.

Umgang mit Medien

Wieso aber sollten Unternehmen im Krisenfall versuchen, die Medien fernzuhalten? Das hat mit dem Rollenverständnis der Medien sowie mit redaktionellen Vorgaben zu tun. Medienvertreter sehen sich selbst oft als Aufdecker, deren Aufgabe es ist, die Allgemeinheit über Ungerechtigkeiten und Verbrechen zu informieren. Zudem gilt auch heute noch: „Only bad news are good news!“ Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser als gute. Aufgrund des beschränkten Platzes in den Medien, werden Geschichten teilweise stark vereinfacht – ein Schwarz-Weiß-Denken stellt sich ein. Hinzu kommt, dass viele Redaktionen in den vergangenen Jahren finanzielle und personelle Einschränkungen hinnehmen mussten. Es fehlt die Zeit für ausführliche Recherchen. Es macht also Sinn, wenn Unternehmen versuchen, im ersten Schritt die Medien aus Unternehmenskrisen herauszu- halten, denn sie sind schneller in der Rolle des Schuldigen, als sie glauben.

Und selbst wenn sich Verdachtsmomente später als falsch herausstellen, sind Image und Reputation nicht so schnell zu reparieren, wie sie geschädigt werden. Durch eine gute Kommunikation mit Mitarbeitern und Geschädigten können Unternehmen meist sicherstellen, dass niemand an die Medien geht. Das machen Betroffene nämlich vornehmlich dann, wenn sie das Gefühl haben, anders nicht gehört zu werden.

Was ist aber zu tun, wenn die Medien bereits von einer Krise erfahren haben und nachfragen? Auch hier ist die Kommunikation mit den Mitarbeitern der erste und wichtigste Schritt. Arbeitgeber müssen deutlich machen, dass die Kommunikation mit den Medien nur durch ausgewählte Unternehmensvertreter erfolgen darf. Diese Vorgabe darf allerdings nicht durch unkommentierte, schriftliche Verbote erfolgen. Vielmehr soll der direkte Vorgesetzte möglichst persönlich und mündlich erklären, was passiert ist und wie das Unternehmen Informationen an die Medien gibt. Offene Kommunikation ist dabei nicht gleichbedeutend mit „alles kommunizieren“. Vielmehr sollen die Mitarbeiter jene Informationen erhalten, die für sie derzeit wichtig sind. Daraufhin folgt die Erklärung, dass es jetzt besonders darauf ankommt, dass Medienkontakte professionell betreut werden, um weiteren Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Die Mitarbeiter werden darüber informiert, wer mit den Medien spricht und erhalten die Kontaktdaten dieser Person, um Medienanfragen umgehend weiterleiten zu können. Diese Strategie hat sich in der Praxis vielfach bewährt.

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 2 März / April 2013

Proaktiv kommunizieren

Stattdessen wählte die Lehrgangsleiterin den Weg der offensiven Kommunikation. Denn der Vorfall war geeignet, das Vertrauen in den Veranstalter zu erschüttern, falls Gerüchte in Umlauf kämen. Zudem fühlte sich die Leiterin für das Wohlergehen der Jugendlichen verantwortlich. Sie wollte ein Zeichen setzen, dass die jungen Menschen in ihrem Camp gut aufgehoben und vor Übergriffen geschützt waren. Sie berief eine Versammlung aller Lehrkräfte ein und erklärte, was vorgefallen war und warum der entsprechende Lehrer ab sofort nicht mehr beim Lerncamp tätig sei. Sie suchte auch das Gespräch mit den betroffenen Mädchen, entschuldigte sich und stellte klar, dass das Verhalten des Lehrers nicht in Ordnung war. Entgegen der Einschätzung des Lehrers waren die Flirtversuche bei den Mädchen keineswegs gut angekommen. Ihnen war das peinlich und lästig gewesen, sie hatten sich aber nicht getraut, sich zu wehren. Gemeinsam mit den Mädchen wurde vereinbart, dass auch die Eltern informiert wurden. Die Leiterin rief noch am selben Tag die Erziehungsberechtigten persönlich an, erklärte, was passiert war, und entschuldigte sich. Das Feedback auf ihre Kommunikationsoffensive war durch die Bank positiv. Die betroffenen Mädchen fühlten sich ernst genommen und wurden in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Die Eltern waren erleichtert, dass der Fall rechtzeitig aufgegriffen wurde, bevor es zu schlimmeren Übergriffen kommen konnte. Sie werteten das Verhalten der Leiterin als professionell und beruhigend. Kein Kind wurde aus dem Camp genommen und ein Großteil der Jugendlichen nahm auch im nächsten Jahr wieder am Lerncamp teil.

Oftmals erscheint es Unternehmen gewagt, bei selbst verschuldeten Krisen in die Kommunikationsoffensive zu gehen. Wie der oben geschilderte Fall zeigt, ist es aber oft die beste Strategie, um den krisenhaften Verlauf zu stoppen, bevor er unkontrolliert eskaliert. Eine Studie zu ärztlichen Kunstfehlern in den USA zeigt, dass ein Großteil der Fälle ohne Schadenersatzklage abgehandelt werden kann, wenn die Ärzte ihre Fehler zugeben und das direkte Gespräch mit den Geschädigten suchen. Oft verzichten die Betroffenen dann sogar auf eine außergerichtliche Entschädigung. Es ist jedoch wichtig, die Dialoggruppen genau auszuwählen und den Krisenfall auch nicht über Gebühr aufzubauschen. Unser Ziel ist es immer, mit allen wichtigen Gruppen zu kommunizieren, gleichzeitig aber eine breite Öffentlichkeit zu vermeiden.