PRAXISTIPP

Beim Versuch, einen betrieblichen Konflikt durch ein Mediationsverfahren zu lösen, ist sehr viel Fingerspitzengefühl nötig. Solange nicht zweifelsfrei entschieden ist, dass das Freiwilligkeitsprinzip nur für das eigentliche Verfahren, nicht aber für Vorbereitungsmaßnahmen gilt, sollte keinesfalls Druck auf Mitarbeiter ausgeübt werden, sich auf das eigentliche Mediationsverfahren einzulassen.

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Foto von John Schnobrich

ENTSCHEIDUNG

Das BAG hob den zweitinstanzlichen Beschluss auf und gab dem Arbeitgeber auf, es zu unterlassen, gegenüber Orchestermusikern anzuordnen, an einem Gespräch von mindestens drei Orchestermusikern außerhalb der im Dienstplan festgelegten Zeiten über die Sitzordnung im Orchester teilzunehmen, ohne dass der Betriebsrat seine Zustimmung erteilt hat oder die Zustimmung durch die Einigungsstelle ersetzt wurde.

Der 1. Senat stellte zunächst fest, dass der Arbeitgeber mit der schriftlichen Weisung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt hat. Die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung beschränkt sich nicht auf die Mitwirkung der Musiker bei Aufführungen und Proben. So gehen beide Beteiligte davon aus, dass von der Arbeitsverpflichtung zumindest auch das Üben und die Instrumentenpflege umfasst sind. Arbeitszeit i. S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen hat. Das umfasst jegliche Tätigkeiten, die einem fremden Bedürfnis dienen und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis des Beschäftigten erfüllen. Das angeordnete Gespräch hatte eine fremdnützige Tätigkeit zum Gegenstand.

Sodann geht das BAG davon aus, dass die Anordnung, zu dem Abschlussgespräch zu erscheinen, wegen Verstoßes gegen das Freiwilligkeitsgebot im MediationsG individualrechtlich unzulässig und damit unwirksam ist. Andernfalls wäre Folgendes nicht verständlich: Für das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten ist die individualrechtliehe Zulässigkeit der beabsichtigten Maßnahme ohne Bedeutung. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist bereits erfüllt, wenn der Arbeitgeber tatsächliche Maßnahmen in Bezug auf die Festlegung der Arbeitszeit trifft und ein kollektiver Tatbestand besteht. Nur bei diesem Verständnis wird dem Schutzzweck der Mitbestimmung – die einseitige Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers durch die Mitwirkung des Betriebsrats zu begrenzen – ausreichend Rechnung getragen. Weitere Ausführungen hierzu enthält der Beschluss nicht.

PROBLEMPUNKT

Der Arbeitgeber ist der Trägerverein eines Sinfonieorchesters. Er wendet einen Haustarifvertrag 
an, der auf den Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweils gültigen Fassung verweist. § 12 Abs. 1 TVK lautet: „Arbeitszeit. Dienstliche Inanspruchnahme. Dienst ist die Mitwirkung des Musikers bei Aufführungen und Proben.“

Bei den Symphonikern ist die Gruppe der ersten Violinen mit zwölf Musikern besetzt. Unter diesen kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Zur Streitbeilegung wurde ein Mediationsverfahren durchgeführt, an dem sich jedoch nicht alle Betroffenen beteiligten. Die Arbeitnehmer baten die Intendanz, für das vorgesehene Abschlussgespräch eine Teilnahmeverpflichtung auszusprechen. Der Arbeitgeber kam dem nach und lud alle Musiker der ersten Violinen schriftlich zum Abschlussgespräch ein. Das Schreiben endete mit dem Hinweis, die Musiker seien verpflichtet, im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Regelungen an dem Termin teilzunehmen. Der Betriebsrat meinte, dass sich bei Orchestermusikern die Arbeitszeit auf die im Dienstplan vorgesehenen Dienste beschränke und verlangte Unterlassung. Ordne der Arbeitgeber darüber hinaus die verpflichtende Teilnahme an einem Gruppengespräch an, so sei der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG betroffen.

Das ArbG Nürnberg entschied antragsgemäß. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Arbeitgebers gab das LAG Nürnberg (Beschl. v. 27.8.2013 – 5 TaBV 22/12, AuA 12/14, S. 732) statt und wies den Antrag des Betriebsrats im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Teilnahme an einem Mediationsverfahren unterliege nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1, 2 GewO.

KONSEQUENZEN

Der Verfasser hatte sich kürzlich an anderer Stelle (AuA 4/15, S. 216 ff.) bereits mit individualrechtliehen Aspekten des Mediationsverfahrens – vor allem auch mit dem Freiwilligkeitsgebot – befasst. Danach sind die stets notwendige Vorbereitungs- und die ggf. erforderliche Nachbereitungsphase vom eigentlichen Mediationsverfahren zu unterscheiden. Die betroffenen Mitarbeiter müssen wissen, was auf sie zukommt und dann (!) entscheiden, ob sie an der Mediation teilnehmen wollen oder nicht. In diesem Rahmen sind Unternehmen berechtigt, die vom Konflikt betroffenen Arbeitnehmer zur Teilnahme zu verpflichten; sie ist insoweit nicht freiwillig. Entsprechendes gilt für der Nachbereitung dienende Gespräche jedenfalls dann, wenn sie in Abwesenheit des Moderators stattfinden.

Mit all dem hat sich der 1. Senat im vorliegenden Beschluss nicht befasst, sondern ohne eigene Begründung die Ansicht der Vorinstanz (die ihre Auffassung auch nicht näher begründet hat) im Ergebnis übernommen. Das ist zu bedauern, denn die Klärung dieser Fragen wäre im Interesse eines allgemeinen Erfolgs des Mediationsverfahrens sehr wünschenswert.

Folgt man der oben skizzierten Linie des BAG zur betriebsverfassungsrechtlichen Seite des Falls, so müsste sich der Arbeitgeber entweder nur mit dem Betriebsrat über den Zeitpunkt des Abschlussgesprächs einigen oder einen entsprechenden Einigungsstellenspruch bewirken und schon wäre sein Verstoß gegen das MediationsG geheilt und er könnte die betroffenen Beschäftigten zur Teilnahme am Abschlussgespräch verpflichten. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob eindeutige gesetzliche Regelungen des Individualarbeitsrechts, die dem Schutz des Arbeitnehmers dienen, auf betriebsverfassungsrechtlichem Wege ausgehebelt werden können.

Der 1. Senat hat vor etlichen Jahren entschieden, dass dann, wenn eine vom Unternehmen getroffene Regelung ein Gesetz verletzt, der Verstoß auch nicht dadurch geheilt werden kann, dass der Betriebsrat zustimmt. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung wäre nichtig (BAG, Beschl. v. 8.6.1999 – 1 ABR 67/98, NZA 1999, S. 1288).

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht | Ausgabe 12/2015 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de
Foto: Sabine Schmidt | pixelio.de