Dr. Daniel Stoller-Schai

Heute dreht sich in unserem HRM-Podcast alles um das Thema „Lernen unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz“. Unser Gesprächsgast ist Dr. Daniel Stoller-Schai, Gründer der Firma Collaboration Design, das nachhaltige und kollaborative Lernlösungen für Unternehmen entwickelt. Zudem ist der Schweizer seit 2009 Head Advisory Board der Learning Innovation Conference. Daniel Stoller-Schai erläutert im Gespräch mit Alexander Petsch, dem Gründer des HRM Instituts, wie und in welchen Bereichen künstliche Intelligenz bereits heute zum Einsatz kommt und wie sie das Berufsverständnis von Learning Professionals neu definiert.

00:01:11

Alexander Petsch: Ich freue mich, dass Du heute bei uns bist, Daniel!

00:01:14


Daniel Stoller-Schai: Vielen Dank, Alexander. Ich freue mich auch auf das Gespräch mit Dir.

00:01:18


Alexander Petsch: Learning und KI – macht KI und Lernen überhaupt Sinn? Oder wie passt das zusammen?

00:01:26


Daniel Stoller-Schai: Ja, ich würde sagen, es macht auf jeden Fall Sinn. Und ich erzähle Dir eine Geschichte dazu. Und zwar habe ich 2008 bei der UBS als Education Designer begonnen. Damals wurde gerade das erste Kompetenz-Management-System beerdigt. Und zwar wurde es beerdigt, weil es nicht funktioniert hat und weil es viel zu kompliziert und ressourcenfressend war. Und warum war das der Fall? Da wurde mit sehr viel Manpower, sehr viel Zeit, sehr viel Geld, ein sehr komplexes Ressourcenmanagement-System aufgebaut. Es wurden hunderte, wenn nicht gar tausende Kompetenzen definiert. Es wurde definiert, wie man die misst. Dann wurde definiert, was für Lernempfehlungen ausgesprochen werden, wenn ich ein gewisses Testresultat erreiche. Es wurden dann Lernmaßnahmen daraufgemappt und auch Erwartungen verbunden im Sinne von, wenn du diese Kurse und diese Ausbildung gemacht hast, dann hast du quasi die Punkte für ein neues Profil erreicht, und damit vielleicht auch für eine neue Karriere und Salärstufe. Das Ganze hat nicht funktioniert, weil alles manuell eingegeben und natürlich nicht wirklich minutiös gepflegt wurde. Das heißt, es gab sehr schnell Konsistenzlücken und es war in dem Sinne nicht mehr machbar. Das ist der Link zu KI. Heute wäre es möglich und heute ist es möglich, dass ich solche Tests automatisiert durchführen kann. Dass ich einen Mitarbeiter hier auf eine adaptive Lernreise schicke, dass ich darauf basierend automatisiert Lernempfehlungen aussprechen kann. Dass ich darauf auch entsprechende Lernmaßnahmen automatisiert mappen kann und so ein System aufbaue, das viel weniger mit manuellem Aufwand verbunden ist und sehr viel smarter und intelligenter mir die Lernempfehlungen und die Lernmaßnahmen bereitstellt, die für mein Profil jetzt entsprechend passen würden. Das wäre früher nicht möglich gewesen. Wir bewegen uns mit dem Thema KI und Lernen in diese Richtung.

00:04:00


Alexander Petsch: Ich habe schon so oft gelesen, wo KI draufsteht, ist nicht unbedingt KI drin. Und wenn ich das jetzt so höre, denke ich, dass der Initialaufwand wahrscheinlich gar nicht so viel kleiner ist, weil ich die ganzen Zusammenhänge erst mal einfüttern muss.

00:04:20


Daniel Stoller-Schai: Das kommt darauf an. Es gibt natürlich Systeme, die quasi dieses Einlesen und Kategorisieren weitgehend selbstständig übernehmen. Ich nenne Dir ein Beispiel. Das Beispiel stammt aus dem EdTech Collider. Das ist ein Start-up-Incubator für EdTech-Firmen. Das sind in der Schweiz zirka 80 Firmen, die sich im Bereich Educational Technology in diesem EdTech Collider zusammengefunden haben. Und da gibt es eben auch sehr viele Firmen, die auf das Thema KI und Lernen setzen. Und eine Firma, Magma Learning, hat sich darauf spezialisiert, ganze Wissensquellen automatisiert zu analysieren und sie in Lernfahrten zu aggregieren. Da muss ich als Einzelperson gar nicht mehr so viel machen, sehr vieles wird da automatisch gemacht. Ich muss noch eine gewisse Qualitätskontrolle machen oder vielleicht gewisse Dinge nachpflegen. Aber vieles von dem, das ich früher manuell hätte machen müssen, wird mir unterdessen von entsprechenden Lernalgorithmen abgenommen.

00:05:33


Alexander Petsch: Wie gehe ich da ran? Das Thema des Podcasts ist ja Hacks, Tipps und Tricks.

00:05:39


Daniel Stoller-Schai: Du hast es vorher schon angesprochen. Du hast gesagt, ich höre immer wieder von KI und bin mir manchmal nicht so sicher, ob da jetzt wirklich KI drinsteckt, auch wenn KI draufsteht. Mein erster Lern-Hack für Learning Professionals wäre: Ihr seid ja alle unterwegs mit entsprechenden Lernsystemen in euren Unternehmen. Schaut einmal und setzt euch damit auseinander, wo wirklich KI-Logik und KI-Algorithmen in euren bestehenden Lernsystemen drinstecken. Und wenn ihr mit Learning-Experience-Plattformen arbeitet, sei es von Degreed, Edcast oder anderen, dann sind die bereits vollgestopft mit KI-Technologien und KI-Algorithmen. Also, Schritt eins würde ich sagen, setzt euch einmal damit auseinander, was bereits an KI-Features und Funktionen in den Systemen drinsteckt, die ihr tagtäglich anwendet. Und das gilt nicht nur für Lernsysteme, das gilt auch für HR-Systeme, zum Beispiel Workday ist ein Vorreiter in diesem Bereich, da wir sehr viel auf KI basiert, ganze Recruitingprozesse, das Analysieren von Lebensläufen und anderen Dingen. Das basiert auf KI-Algorithmen. Das wäre der erste Schritt, sich damit zu befassen. Vielleicht ein zweiter Schritt. Ich weiß nicht, wie verbreitet die Meetup-Szene in Deutschland ist…

00:07:13


Alexander Petsch: … erzähl mal. Ich kenne es ein bisschen, aber witzigerweise eher aus der Schweiz.

00:07:19


Daniel Stoller-Schai: Genau. Auf meetup.com finden sich zahlreiche Gruppen, die sich mit allem möglichen Themen befassen, unter anderem auch mit dem Thema KI. Das muss nicht unbedingt mit KI und Lernen zusammenhängen, weil es zuerst einmal darum geht, ein Grundverständnis für KI aufzubauen. Und anstatt dass man sich da lange einliest, in Büchern, oder in Youtube-Filmen und Konferenzen lernt, ist es eine Möglichkeit, einer solchen Meetup-Gruppe beizutreten und sich hier schlauzumachen, was im Bereich KI läuft. Man lernt ganz nebenbei auch die entsprechenden Personen kennen. Das ist auch ein sehr schönes Networking in diesem Bereich. Das wäre so der zweite Tipp, teilnehmen in Meetup-Gruppen und hier eintauchen in das Thema KI. Wie gesagt, nicht unbedingt nur KI und Lernen. Es ist auch spannend, einmal über den Tellerrand hinauszuschauen und zu sehen, wie wird KI in anderen Branchen und in anderen Abteilungen eingesetzt. Und vielleicht Tipp Nummer drei. Es gibt auch sehr viele Konferenzen, an denen man regelmäßig teilnehmen kann. Und zwar gibt es konkret die Swiss Cognitive Initiative. Ich nenne die deshalb, weil die sich The Global AI Hub nennt. Und das ist eine unglaublich spannende Ressource, um sich regelmäßig mit einer handverlesenen internationalen Gruppe von Personen zusammenzutun, an virtuellen Konferenzen teilzunehmen und so in allen möglichen Facetten in das Themas KI hineinzuschauen. Also, das fände ich auch sehr spannend, und ich denke, wir als Learning Professionals müssen uns da auch weiterbilden. Und ich glaube, es reicht nicht aus, wenn wir uns nur mit dem Thema KI und Lernen beschäftigen. Ich glaube, es ist auch ganz wichtig, dass wir da etwas über den Tellerrand hinausschauen. Andere Branchen, andere Abteilungen sind in diesem Bereich schon wesentlich weiter als wir.

00:09:41


Alexander Petsch: Lass uns noch mal zu dem Thema KI und Lernen zurückkommen. Was gibt es da noch für Anwendungsfelder für KI? Du hast ja eines bereits genannt, Kompetenzentwicklung und entsprechende Lernangebote, wobei KI komplexe Systeme automatisiert.

00:09:59


Daniel Stoller-Schai: Ich habe mal versucht, in einem Artikel ein ideales KI-basiertes Lernsystem zu zeichnen, zu entwickeln. Ich kann Dir mal sagen, was da für Komponenten drin sind oder drin sein könnten. Und das ist nicht die Zukunft, das ist die Gegenwart. Und wie es William Gibson einmal so schön gesagt hat, „The future is already here, it’s just not evenly distributed“. Also, all das, was ich Dir da erzähle, ist eigentlich schon da. Es ist vielleicht nicht in einem System vereint, aber die Technologien sind bereits da. Das sind zum Beispiel so Dinge wie das automatische Kuratieren von Lernmodulen, Lerneinheiten. Ich schicke quasi einen entsprechenden Algorithmus mit einem Suchauftrag los, und der kuratiert mir die entsprechenden Lerninhalte, die ich dann benötige oder die ich verwenden kann, um hier ganze Lernpfade zusammenzubauen. Es gibt die Möglichkeit, dass ich aus bestehenden Texten automatisiert Aufgaben generiere, also automatisierte Aufgabengeneratoren, die mir Testaufgaben entwickeln und bauen. Natürlich macht es Sinn, dass ich da noch mal draufschaue, da noch einmal ein gewisses Quality Testing mache. Aber ganz viel von der klassischen Arbeit wird mir hier abgenommen. Ganz spannend, wenn auch nicht unbedingt neu, ist das automatisierte Auswerten von Tests. Das ist ja im Bereich Multiple Choice und Single Choice kein Problem. Sehr simpel. Aber neuerdings gibt es auch die Möglichkeit, dass ich auch Freitextaufgaben automatisiert auswerten und ein entsprechendes Feedback dazu geben kann. Auch da gibt es ein spannendes Start-up in der Schweiz. Das nennt sich Taskbase. Die haben sich darauf spezialisiert, solche automatisierten Feedbacks zu generieren. Und wenn man die liest, bin ich immer wieder erstaunt über die Qualität und die Tiefe der Feedbacks, die da generiert werden. Dann das ganze Thema Nudging oder Activity Manager, das heißt, das Anstupsen, das Unterstützen eines Lernprozesses. Das sind Algorithmen, die quasi deinen Lernprozess beobachten und sehen, wo hast du Taucher, wo driftest du weg? Und die versuchen, dich mit kleinen Anstupsern an deine Lernaufgabe, deine Lernziele zu erinnern und dich über Activity-Maßnahmen quasi bei der Stange zu halten. Oder das Thema Lernreflexionen, also Algorithmen, die dich dabei unterstützen, deinen eigenen Lernprozess zu reflektieren, indem sie zum Beispiel deine Testergebnisse, deine Lernzeiten, vielleicht auch deine Lernorte sichtbar machen und dir quasi über Dashboard, über visuelle Informationen einen Einblick geben in deine eigenen Lernprozesse. Vielleicht so, wie du sie selbst noch nie gesehen hast. Vielleicht noch ein Punkt, Alexander. Ein ganz anderer wichtiger Punkt sind Lernempfehlungen. Ich bin irgendwo unterwegs auf meiner Lernreise, und über automatisierte Lernempfehlungen bekomme ich Hinweise darauf, was ich als Nächstes machen könnte oder was meine Peers schon gemacht haben beziehungsweise woran sie gerade arbeiten. Und da kommt natürlich auch die Rolle des Learning Professionals wieder ins Spiel. Das heißt, dass ich hier als Learning Professional eine Kollaboration mit diesen intelligenten Empfehlungs-Engines eingehen muss. Ich muss verstehen, wie solche Engines funktionieren. Und ergänze sie dann mit den Lernempfehlungen oder der Lernunterstützung, die zum Beispiel ein Lernbot noch nicht geben kann. Also eine Art Partnerschaft zwischen Learning Professionals und Lernbot zur Unterstützung der Lernenden.

00:14:24


Alexander Petsch: Spannend, da tun sich viele neue Möglichkeiten auf.

00:14:29


Daniel Stoller-Schai: Das führt natürlich auch ein bisschen dazu, dass sich viele Learning Professionals fragen, was ist denn jetzt noch meine Aufgabe? Wenn man sich als Learning Professionals eher auf Administrationsaufgaben fokussiert hat, nämlich das Verwalten von Lerninhalten und Lernenden, dann ist die schlechte Nachricht: das wird wegfallen. Das heißt, ich muss mich als Learning Professional auf die Dinge fokussieren können, die wirklich lernförderlich sind, die auch lernunterstützend sind. Und ich muss lernen, welche Möglichkeiten KI-basierte Lehrsysteme haben und wo meine Rolle in diesem System ist. Also diese Partnerschaft mit dem Lernsystem, mit diesen intelligenten Algorithmen, ist ein wichtiges Momentum, eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.

00:15:24


Alexander Petsch: Da bin ich voll bei Dir. Ich glaube, dass alles, was aufgrund einer Automatisierung abgeschafft werden kann, abgeschafft wird.

00:15:40


Daniel Stoller-Schai: Eigentlich ist das eine gute Nachricht. Wenn ich als Learning Professional tatsächlich am Thema Lernen interessiert bin, kann ich mich wieder mehr auf Themen wie Pädagogik, Didaktik, Methodik, Gestaltung von Lernprozessen, Unterstützung von Lernprozessen fokussieren. Und bin befreit von den eher langweiligen Administrationsaufgaben der Vergangenheit.

00:16:06


Alexander Petsch: Das ist auch ein schönes Schlusswort. Lieber Daniel, herzlichen Dank für Deine Insights! Wer die heutige Episode noch mal zusammengefasst hören oder lesen möchte, einfach auf hrm.de Daniel Stoller-Schai eingeben oder den Titel der heutigen Podcast-Episode. Dazu gibt es eine Checkliste mit den wichtigsten Punkten.

00:16:32


Daniel Stoller-Schai: Dann würde ich hier anbieten, dass ich eine kleine Ressourcen-Liste an mein Profil auf hrm.de anhänge.

00:16:42


Alexander Petsch: Sehr gerne. Herzlichen Dank, Daniel. Glückauf, bleibt gesund und denkt daran, der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Euer Unternehmen.