Ausgangslage

Als Ed Michael, der damalige Direktor der Unternehmensberatung McKinsey, im Jahr 1998 den „War for Talent“ ausrief, riet er Unternehmen, neue Wege zu gehen, um hoch qualifizierte Talente oder High Potentials für sich zu gewinnen. Bei den Top-Kandidaten griffen tradierte Mechanismen der Arbeitnehmergewinnung nicht mehr – und daran hat sich bis heute wenig geändert. Die besten Studierenden der gefragten Fachrichtungen haben meist schon während ihres Studiums eine Jobzusage in der Tasche. Dabei bevorzugen sie Großkonzerne, die vermeintlich bessere Karrierechancen und schnellere Gehaltssteigerungen versprechen. Absolventenbefragungen zeigen, dass KMU im Wettbewerb um die besten Köpfe das Nachsehen haben – eine Tendenz, die der demografische Wandel weiter verstärken könnte.

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Foto von Dose Media

Dabei ist die volkswirtschaftliche Bedeutung des Mittelstands nicht zu vernachlässigen: In Österreich beschäftigt er laut KMU Forschung Austria rund zwei Drittel der Arbeitnehmer aus dem privatwirtschaftlichen Sektor. Diesem Motor der Wirtschaft droht der „Treibstoff“ auszugehen, wenn er nicht genügend gut ausgebildete Talente für das mittlere und obere Management bekommt.

Tradierte Erkenntnisse und Forschungsbedarf

Doch wie und womit können Mittelständler Top-Absolventen anziehen? Das Deloitte Mittelstandsinstitut an der Universität Bamberg hat von 2007 bis 2009 jeweils zwischen 100 und 300 Absolventen auf der akademika in Nürnberg zu ihren Arbeitgeberpräferenzen befragt. Die Teilnehmer sollten angeben, wie wichtig ihnen 30 verschiedene Eigenschaften bei einem potenziellen Arbeitgeber sind – und zwar auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „1 = sehr unwichtig“ bis „5 = sehr wichtig“. Diese 30 Items verdichteten die Studienverantwortlichen zu fünf übergreifenden Merkmalskategorien (Abbildung 1).

Abbildung 1: Ergebnisse der Gesamtkategorien im Jahresvergleich

Die Ergebnisse zeigen, dass die Art des Unternehmens (kapitalmarktorientiertes Unternehmen, mittelständisches Unternehmen/ KMU, Familienunternehmen) für Talente eine nachrangige Rolle spielt (Abbildung 2). Entscheidend sind vielmehr „weiche Faktoren“ – allen voran kulturell-führungsbezogene Aspekte, gefolgt von den Karrieremöglichkeiten. Monetäre Faktoren nennen die Absolventen an dritter Stelle, weniger wichtig sind betriebswirtschaftlich-methodische Gesichtspunkte wie zum Beispiel der Einsatz von Planungs- und Steuerungssystemen wie der Balanced Scorecard. Ob ein Unternehmen Mittelständler oder Großkonzern ist, spielt ebenso wie der Standort für die Befragten nur eine untergeordnete Rolle, allerdings möchten viele zumindest in der Nähe eines Ballungsgebietes arbeiten.

Im Bereich der kulturell-führungsbezogenen Aspekte legen die Studienteilnehmer vor allem Wert auf eine abwechslungsreiche Teamarbeit, den Ruf des Unternehmens, internationale Einsatzmöglichkeiten und eine ausgeglichene Work-Life-Balance (Wolfgang Becker, Stefan Fischer und Patrick Ulrich 2008).

Inwieweit KMU diesen Ansprüchen gerecht werden können, untersuchte das Deloitte Mittelstandsinstitut in weiteren Forschungsarbeiten, darunter Absolventenbefragungen, Experimente mit Studierenden und persönliche Interviews mit Unternehmern. Die Ergebnisse lassen sich in fünf Thesen zusammenfassen.

Abbildung 2: Ergebnisse zur Kategorie „Art und Standort des Unternehmens”

Fünf Thesen zum Employer-Branding von KMU

These 1: KMU werden von potenziellen Führungskräften nicht als interessante Arbeitgeber wahrgenommen

Im Mittelstand finden sich viele „Hidden Champions“, die Weltmarktführer in ihrem Bereich, aber dennoch weitgehend unbekannt sind. Top-Kräfte nehmen diese kleinen und mittelständischen Unternehmen häufig nicht wahr. In ihrer Außendarstellung versuchen KMU außerdem zu häufig, die Stellenanzeigen und Kommunikationsstrategien von Großunternehmen zu kopieren. Stattdessen wären sie besser beraten, sich auf ihre eigenen Tugenden wie Flexibilität, Familienfreundlichkeit sowie flache Hierarchien zu besinnen. Auch KMU können vielfach mit Internationalität, Dynamik und Innovationskraft punkten – und müssen sich in dieser Hinsicht nicht hinter Großkonzernen verstecken. Sie sollten diese jedoch nicht nachahmen.

These 2: KMU bieten unerwartet attraktive Arbeitsinhalte

Entgegen den Erwartungen vieler Absolventen bieten KMU häufig interessante Karrieremöglichkeiten und Aufgabenfelder. Während mittelständische Familienbetriebe die Frage der Unternehmensnachfolge beispielsweise früher meist intern lösten, greifen sie heute häufig auf externe Kräfte zurück, um die Geschäftsführung neu zu besetzen. Der Professionalisierungsdruck in immer komplexeren Märkten und der Druck, die eigenen Dienstleistungen und Produkte laufend zu optimieren, trägt zusätzlich dazu bei, dass klein- und mittelständische Betriebe motivierten Nachwuchskräften interessante Tätigkeitsfelder bieten können. Dennoch schaffen es Mittelständler häufig nicht, sich als attraktive Arbeitgeber für Führungskräfte zu positionieren. Abhilfe schaffen können Unternehmen, indem sie ihr Arbeitgeberprofil schärfen und sich besser vernetzen, zum Beispiel Forschungskooperationen mit Hochschulen eingehen oder Praktika und Werksstudententätigkeiten anbieten.

These 3: KMU bieten Führungskräften eine konkurrenzfähige Entlohnung

Auch wenn die persönlichen Befragungen potenzieller Führungsnachwuchskräfte ergeben, dass monetäre Aspekte bei der Arbeitgeberwahl nicht an erster Stelle stehen, ergibt sich in den durchgeführten Experimenten doch ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Höhe des Einstiegsgehalts und der Anzahl von Bewerbungen bei KMU. Dieser vermeintliche Widerspruch kann mehrere Ursachen haben. Zunächst wäre denkbar, dass in einer konkreten Bewerbungssituation (Experiment) das Gehalt doch wichtiger ist als in einer indirekten, abstrakten Situation (Befragung zu Präferenzen). Des Weiteren könnte es in den persönlichen Gesprächen einen positiven Interviewereffekt im Sinne sozialer Erwünschtheit geben. Da hohe Gehaltsforderungen von Jungakademikern gesellschaftlich unerwünscht sind, bewerten diese die Bedeutung des Einstiegsgehalts entsprechend zurückhaltend. Die Gespräche mit Unternehmern und Geschäftsführern haben gezeigt, dass der Mittelstand dem Führungskräftenachwuchs durchaus konkurrenzfähige Gehälter zahlt. Arbeitgeber sollten dies verstärkt kommunizieren, um ihre Attraktivität zu erhöhen.

These 4: KMU an abgelegenen Orten haben den gleichen Standortnachteil wie Großunternehmen

Für Absolventen ist die Nähe zu einem Ballungsgebiet ein Kriterium, das sie bei der Wahl eines Arbeitgebers berücksichtigen. Wichtiger sind ihnen jedoch die Arbeitsbedingungen und die Attraktivität der Aufgaben. Großunternehmen gelingt es oft besser, Absolventen trotz etwaiger Vorbehalte gegenüber abgelegenen Standorten mit entsprechenden Anreizen zu gewinnen. Dies können monetäre Aspekte (höheres Gehalt als Kompensation), aber auch eine attraktivere Außendarstellung der Aufgabeninhalte und damit die Bildung eines positiven Arbeitgeberimages sein. Für KMU an abgelegenen Standorten gilt es ebenfalls, Anreize zu schaffen und in der Kommunikation mit den Bewerbern zu betonen.

These 5: KMU haben häufig Probleme mit der kulturellen Integration von High Potentials

Wenn Hochschulabsolventen in hierarchisch gegliederten Großunternehmen mit einem hohen Akademikeranteil sozialisiert wurden, fällt ihre Integration in KMU zuweilen schwer. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich Unternehmen durch flache Hierarchien und einen niedrigeren Akademikeranteil auszeichnen. Außerdem erwarten Entscheidungsträger und Mitarbeiter in klein- und mittelständischen Betrieben von High Potentials oft zu viel. Da die finanziellen Ressourcen begrenzt sind, werden die Anforderungen an die mit einem vergleichsweise hohen Gehalt eingestellten Akademiker zu hoch gesteckt. Dies führt schnell zu Unzufriedenheit im Unternehmen, die sich auch gegenüber den jungen Akademikern äußert und nicht selten zu einer zeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses führt.

Handlungsempfehlungen

Aus Theorie und Empirie hat das Deloitte Mittelstandsinstitut an der Universität Bamberg ein Modell für das Bewerberverhalten von High Potentials abgeleitet, das Abbildung 3 darstellt. Die Grafik zeigt, dass individuelle Bewerberpräferenzen (Bewerbersphäre) sowie Einflussfaktoren (Unternehmenssphäre) auf das „Talent“ einwirken, das durch den blau umrandeten weißen Kasten schematisch dargestellt ist.

Die Reaktion auf ein Unternehmen oder Jobangebot bewegt sich in den drei Dimensionen „wahrgenommenes Prestige“, „wahrgenommene Attraktivität“ und „konkrete Absichten“. Wie der Bewerber das Unternehmen wahrnimmt, hängt stark von seinen individuellen Präferenzen ab. Entscheidend sind aber auch jene Einflussfaktoren, die das Unternehmen selbst gestalten kann, zum Beispiel Gehalt oder Familienfreundlichkeit. KMU können die Wahrnehmung als „Employer of Choice“ somit beeinflussen und damit ihre Chancen auf dem Bewerbermarkt erhöhen.

Abbildung 3: Allgemeines Modell zum Bewerberverhalten

Quelle: Wolfgang Becker 2008

Fazit

Vor diesem Hintergrund lassen sich einige Handlungsempfehlungen für klein- und mittelständische Unternehmen formulieren: KMU sind gut beraten, ihre Stärken als Arbeitgeber zu identifizieren, zu leben und gezielt zu kommunizieren. Sehr häufig fehlt es an dieser einheitlichen Kommunikation einer klar definierten Arbeitgebermarke. Die Selbstdarstellung sollte nicht nur authentisch sein, sondern auch auf die Zielgruppe abgestimmt. Angehende Führungskräfte lassen sich beispielsweise vor allem durch ein international ausgerichtetes Arbeitsumfeld, abwechslungsreiche Teamarbeit, Work-Life- Balance und ein faires sowie gerechtes Vergütungsmodell locken. Diese Aspekte gilt es daher, herauszustreichen.

Für die Kommunikation der Employer-Brand eignen sich unterschiedliche Instrumente. Unternehmen können beispielsweise ihre Medienarbeit verstärken, an Recruitingveranstaltungen teilnehmen, Personalmarketing an Hochschulen betreiben oder im Web 2.0 Kontakte zu potenziellen Kandidaten knüpfen. Kooperationen können dazu beitragen, das Employer-Branding zu optimieren und die Kosten des Personalmarketings zu senken. Hier ist an Kooperationen mit anderen Unternehmen, besonders aber mit Hochschulen oder sogar einzelnen Instituten zu denken. Welche Instrumente des Arbeitgebermarketings passen und greifen, muss jedes Unternehmen für sich selbst herausfinden. Wichtig ist, dass KMU ihre Vorzüge authentisch und zielgruppengerecht bewerben. Denn sie bieten das, was sich viele Nachwuchskräfte wünschen. Doch Letztere wissen das oft nicht.

Literatur

Rekrutierung von Führungskräftenachwuchs für den Mittelstand.

Von Wolfgang Becker, Stefan Fischer und Patrick Ulrich,

in: Bamberger Betriebswirtschaftliche Beiträge, Nr. 152,

Universität Bamberg 2008.

Bamberger Absolventenbarometer 2009.

Von Wolfgang Becker, Johannes Krämer, Michaela Staffel und Patrick Ulrich,

in: Bamberger Betriebswirtschaftliche Beiträge, Nr. 170,

Universität Bamberg 2010.

Talente für den Mittelstand.

Aus der Studienreihe „Erfolgsfaktoren für den Mittelstand“,

Deloitte 2008.

Quelle: personal manager 3/2010