§§ 138, 242 BGB; § 23 Abs. 1 KSchG
Außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG wird das Recht zur Kündigung durch die §§ 138, 242 BGB begrenzt. Die Wirksamkeit einer Kündigung beurteilt sich allein nach dem Zeitpunkt ihres Zugangs.
(Leitsätze des Bearbeiters)
BAG, Urteil vom 5.12.2019 – 2 AZR 107/19

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Problempunkt

Der Entscheidung liegt die Klage einer Arbeitnehmerin zugrunde, wonach ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin aufgelöst worden ist. Die Arbeitnehmerin war bei der Arbeitgeberin als Kinderfrau beschäftigt. Sie arbeitete zuletzt eine weitere Kinderfrau ein. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin. Diese klagte gegen die Kündigung. Denn zu der Kündigung sei es nur gekommen, weil die weitere Kinderfrau der Arbeitgeberin wahrheitswidrig mitgeteilt habe, dass die Arbeitnehmerin sich ihr gegenüber kritisch über deren Mutterrolle geäußert habe. Nach Ausspruch der Kündigung habe die Arbeitgeberin auch weitere Kündigungsgründe erfunden. Sie habe wahrheitswidrige Äußerungen der Arbeitnehmerin gegenüber der weiteren Kinderfrau ersonnen und zum Beweis dieser frei erfundenen Kündigungsgründe im Prozess die Kinderfrau als Zeugin benannt.

Entscheidung

Das BAG hielt die Kündigung für wirksam. Maßstab für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung waren allein die zivilrechtlichen Generalklauseln nach §§ 138, 242 BGB. Denn das KSchG fand schon wegen der Arbeitnehmerzahl von i. d. R. zehn und weniger Arbeitnehmern keine Anwendung. Überdies bildet auch der dem Privatleben der Haushaltsmitglieder vorbehaltene Privathaushalt keinen Betrieb (§ 23 Abs. 1 KSchG). Bei den Generalklauseln nach §§ 138, 242 BGB ist der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigten. Danach ist der Arbeitnehmer, ungeachtet der Anwendbarkeit des KSchG, jedenfalls vor Kündigungen zu schützen, die auf willkürlichen oder sachfremden Motiven beruhen (BVerfG, Beschl. v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87).

Das BAG hielt die Kündigung weder für sittenwidrig noch für treuwidrig. Ein einleuchtender Grund für die Kündigung seitens der Arbeitgeberin lag in dem verlorengegangenen Vertrauen in die Arbeitnehmerin. Zunächst betrafen die behaupteten Äußerungen das elterliche Erziehungsrecht der Arbeitgeberin. Es besteht auch keine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, etwa ob die Arbeitnehmerin die Äußerungen tatsächlich getätigt hat oder nicht. Überdies wurde das Arbeitsverhältnis in einem räumlich besonders geschützten privaten Bereich durchgeführt. Es ist verständlich, dass die Arbeitgeberin einer sie in ihrer Mutterrolle (vermeintlich) kritisierenden Beschäftigten in ihrem eigenen Haushalt nicht weiter ausgesetzt sein will. Für die Arbeitgeberin stritten in diesem Fall daher nicht nur die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG, sondern auch aus Art. 6 und 13 GG.

Das BAG hielt die Kündigung auch nicht deswegen für sittenwidrig, sollte die Arbeitgeberin nach Ausspruch der Kündigung weitere Kündigungsgründe erfunden haben. Denn die Wirksamkeit einer Kündigung beurteilt sich allein nach dem Zeitpunkt ihres Zugangs.

Konsequenzen

Die Entscheidung des BAG überrascht weder unter materiell- noch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten. Bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG hat der Arbeitgeber allein die Generalklauseln nach §§ 138, 242 BGB zu beachten. Diese sollen bloß ein „ethisches Minimum“ sicherstellen und gerade keine soziale Rechtfertigung gewährleisten.

Die Entscheidung erinnert ferner an die Pflicht der Parteien im Prozess, Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und wahrheitsgetreu abzugeben (§ 138 Abs. 1 ZPO). Zwar beeinflusst ein nach Ausspruch der Kündigung gefasster Vorsatz, die Wirksamkeit der Kündigung unter Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht zu verteidigen, nicht mehr die Wirksamkeit der Kündigung. Deren Wirksamkeit als Gestaltungsrecht bestimmt sich allein nach dem Zeitpunkt ihres Zugangs. Eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht kann allerdings eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen und die geschädigte Partei zum Schadensersatz berechtigen (§ 826 BGB). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass im Verstoß gegen die Wahrheitspflicht auch die Begehung eines Prozessbetrugs liegen kann (§ 263 StGB).

Praxistipp

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG hat bewusst lediglich einem Mindeststandard zu genügen. Die vorliegende Entscheidung darf gleichwohl nicht den Blick dafür verstellen, dass über die Generalklauseln nach §§ 138, 242 BGB hinaus auch andere besondere Kündigungsbeschränkungen im Einzelfall zu berücksichtigen sein können. Erinnert sei an das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot mit behördlichem Zulassungsvorbehalt (§ 17 MuSchG) oder das Zustimmungserfordernis im Falle der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen (§ 168 SGB IX). Gleiches gilt für eine Kündigung, die den Arbeitnehmer aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert. Findet das KSchG keine Anwendung, ist die Kündigung gem. § 134 BGB i. V. m. § 7 Abs. 1, 2 Abs. 4 AGG unwirksam, ungeachtet, ob es sich um eine Kündigung während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG oder um einen Kleinbetrieb nach § 23 Abs. 1 KSchG handelt (BAG, Urt. v. 23.7.2015 – 6 AZR 457/14, AuA 3/16, S. 184).

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 5/20, S. 310.