WAS WIR NICHT HINBEKOMMEN, ÜBERNIMMT JETZT DIE KI

Viele Daten, lange Analyse-Prozesse, Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen – künstliche Intelligenz kann den Menschen unterstützen und entlasten, wenn es komplex wird. Dabei ist sich der Roundtable der Core-Anbieter von HR Tech einig: Entscheidungen kann die KI nicht fällen. Zumal es einige Fallstricke gibt.

BEI HR TECH IST GERADE VIEL IN BEWEGUNG: WOHIN ENTWICKELT SICH DER MARKT IN DEN KOMMENDEN JAHREN, WIE STELLT IHR EUCH ALS CORE-ANBIETER AUF?

Thomas Zimmermann, Country General Manager für Deutschland, ADP

Thomas Zimmermann: Wir müssen uns weiterentwickeln, vor allem mit Blick auf Digitalisierung, Automatisierung und natürlich künstliche Intelligenz. Neben den technologischen Fragen gibt es aber noch andere Aspekte, mit denen Unternehmen sich befassen sollten. Wir haben Fachkräftemangel: Lohnt es sich also, Lösungen wie die Gehaltsabrechnung inhouse aufzubauen, oder ist Outsourcing die bessere Wahl? Und wenn ich eine Lösung installiere – wie führe ich sie im Unternehmen ein?

Dirk Flaskamp: Da kann ich mich anschließen. Für uns als Anbieter einer globalen HR-Suite-Lösung ist es zudem wichtig, wie wir Daten verfügbar machen. Da müssen wir pragmatisch vorgehen. HR-Core ist das Fundament, die Basis für viele verschiedene Anwendungen. Die Daten dafür liegen allerdings in verschiedenen Daten-Silos – und die spannende Frage ist, wie man diese Silos mit der Lösung verbindet, um Daten verfügbar zu machen.

Mischa Wittek, Geschäftsführer, GFOS

Mischa Wittek: Ich sehe eine weitere spannende Frage: 1991 lag die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche bei 37,7 Stunden über alle Beschäftigten hinweg, heute sind es 32 Stunden. Wir haben also nicht nur perspektivisch immer weniger arbeitende Menschen – und einen Fachkräftemangel. Sondern diese Menschen arbeiten im Schnitt weniger. Jetzt kann man sagen, dass Effizienzgewinne diese fünf Stunden kompensieren. Und das ist der Punkt: Digitalisierung ist praktisch alternativlos, zumindest in Deutschland und in Europa. Auch im HR-Bereich. Für uns heißt das: Wie können wir Assistenzsysteme bereitstellen, wie können wir Lösungen anbieten, die möglichst viele Tätigkeiten automatisieren?

Zimmermann: Und für Unternehmen – Anwender – stellt sich damit die Frage: Werden die Mitarbeitenden für höherwertige Aufgaben eingesetzt, oder müssen sie repetitive Aufgaben abarbeiten. Da kann zum Beispiel Künstliche Intelligenz – KI – helfen.

Uta Ernst-Diarra: Darüber reden wir schon seit vielen Jahren. Aber für Unternehmen im Mittelstand ist das noch kein Thema, weil sie zum Teil E-Mail-Lösungen am Start haben und noch keine datengetriebene, automatisierte Technologie nutzen. Deren Personalabteilungen stehen aber vor genau denselben Herausforderungen wie die der großen Unternehmen, bei denen das Thema Digitalisierung aber schon deutlich weiter ist. Hinzu kommt die Frage, wie Mitarbeitende die Jobs der Zukunft machen können. Unternehmen müssen Mitarbeitende befähigen und weiterentwickeln – das ist ohne passende Technologie gar nicht möglich.

ICH MÖCHTE GERNE DAS THEMA KI VERTIEFEN. WAS FÜR LÖSUNGEN HABT IHR DA IN DER PIPELINE. WAS KÖNNEN DIE ANWENDER IM HR-BEREICH IN DEN KOMMENDEN VIER ODER FÜNF JAHREN VON EUCH ALS HR-TECH-CORE-ANBIETER ERWARTEN?

Dirk Flaskamp, Senior Specialist Executive HCM, Oracle

Flaskamp: Beim Thema Technologie und Lösungen kommen zwei Dinge zusammen. Die Nachfrage nach Selfservice bei einer immer komplexeren IT. Wir haben heute schon eine ziemlich verteilte Landschaft mit immer mehr Datenquellen, die alle zusammengebracht werden müssen. Hier kommt KI ins Spiel, weil sie die Anwender:innen – ob es Manager oder Mitarbeitende sind – entlasten kann. KI macht es möglich, viele verschiedene Lösungen in einer Benutzeroberfläche zusammenzuführen und Nutzer:innen einfach hindurchzuführen. Oft ist die Anwendung nämlich noch ein ziemlich komplizierter Prozess.

Wittek: Wir sind hier noch in einer frühen Phase. Unsere erste Aufgabe ist es häufig, missionarisch tätig zu werden und Verständnis für das Thema zu wecken. Manche sagen: Super, wenn ich mir KI-Lösungen kaufe, habe ich kein Skill-Problem mehr, weil die KI alles löst. Das funktioniert im wirklichen Leben nicht. Wer KI einsetzen will, meint in der Regel den Einsatz von Assistenz-Lösungen zur Automatisierung oder vereinfachten Handhabung von Geschäftsprozessen. Am Ende geht es nie um die Lösung an sich, sondern um den möglichen Effizienzgewinn durch den Einsatz der Lösung.

Zimmermann: Ja genau: Beim Thema KI müssen wir uns alle die Frage stellen, welche Hoffnungen und Erwartungen wir damit verknüpfen. Was ist realistisch, was ist falsch? Was ich heute schon sehe: KI kann uns in Prozessen unterstützen. Sie übernimmt Aufgaben bei der Anbindung eines Systems oder bei der Bedienung und Eingabe von Daten, die man sonst händisch machen müsste. KI hilft in diesem Sinne zum Beispiel bei der Entscheidungsfindung. Aber was sie nicht bringen kann, ist die Entscheidung selber. Dafür werden wir immer noch Menschen brauchen.

HAST DU DAFÜR EIN BEISPIEL?

Zimmermann: Aus unserem Bereich? Gerne. Ein neuer Mitarbeiter – Peter – fängt an und muss im Payroll-System angelegt werden. Das geht mit einer App, die zum Beispiel genau erkennt welche Infos vorliegen und diese sortiert, im Handumdrehen. Wenn ich aber die App frage, ob ich Peter eine Gehaltserhöhung geben soll, kommt folgende Antwort: „Ich bin eine künstliche Intelligenz, ich kann diese Entscheidung nicht für dich treffen. Aber Peter ist so und so lange im Unternehmen, im Marktvergleich würde er soundso viel verdienen – wenn Du ihm eine Gehaltserhöhung geben möchtest, sollte die in dieser Bandbreite liegen.“ Die Entscheidung trifft der Mensch – aber die Vorbereitung der Daten und Informationen durch die KI ist natürlich ein riesiger Fortschritt.

Wittek: Das ist total spannend. Die Frage ist, was als nächstes kommt? Ich gehe davon aus, dass zeitnah mindestens die konkrete Empfehlung folgen wird. Um im Beispiel zu bleiben: Peter sollte eine Gehaltserhöhung bekommen aus den und den Gründen, Peter sollte keine bekommen – bis hin zu: Ich habe für Peter eine Gehaltserhöhung veranlasst – aber du kannst noch widersprechen.

BISLANG HÖRT SICH DAS AN WIE EINE VERBESSERUNG IM SYSTEM. ABER SEHT IHR VIELLEICHT AUCH DISRUPTIONEN, ALSO KRASSE VERÄNDERUNGEN DER TECHNOLOGIEN UND LÖSUNGEN, DIE WIR BISLANG NOCH NICHT KENNEN?

Uta Ernst-Diarra, Managing Director Germany, Workday

Ernst-Diarra: Ich sehe das bei der Frage, wer Zugang zu den Daten hat. Wenn ich heute einen Kredit für eine Immobilie ablösen möchte und zu einer anderen Bank gehe, fordert die von mir viele Daten ein. Ein riesiger Aufwand – da bleibe ich doch lieber bei meiner Hausbank. Was es aber in einigen Ländern schon gibt: Alle Daten zu einer Person, von den medizinischen Daten bis zur Kontonummer und der Steuererklärung sind zentral abrufbar, und der oder die Betroffene haben sie selber in der Hand und können entscheiden, mit wem und wo sie sie teilen möchte. Als Patient, als Mitarbeitender, als Kreditnehmer und so weiter. Das ist eine spannende Reise und dafür benötigen wir die passenden technischen Lösungen – und vor allem: die Demokratisierung der Daten. Dabei ist der Datenschutz von entscheidender Bedeutung.

Flaskamp: Wir sind doch mittendrin in der Disruption. Ich meine: Vor 15 Jahren hatten viele noch ein klassisches Handy am Ohr und nicht ein Smartphone. Jetzt reden wir über das Thema Künstliche Intelligenz. Die bietet mir heute schon die Möglichkeit, Entscheidungen besser vorzubereiten. Natürlich muss man aufpassen, dass kein Bias in die Entscheidung einfließt, also ein durch falsche Methoden verzerrtes Ergebnis. Aber im Prinzip ist das ein großer Sprung. Und das sehe ich auch im Bereich Kreation. Ich will etwas schreiben? Kein Problem, die KI hilft mir dabei: Drei Stichworte und die Anweisung, einen schönen Text zu erstellen – ich bekomme ein Ergebnis. Und am Ende ist es meine Entscheidung, ob und wie ich diesen Text jetzt nutze. Ganz wichtiger Punkt: Die Entscheidung bleibt immer beim User. Das hat bei uns großes Gewicht für die Steuerung von KI.

Wittek: Ein konkretes Beispiel aus unserer Arbeit, gewissermaßen ein Prototyp, bzw. ein Forschungsprojekt. Ein Vorhersage-Modell dafür, wie lange es dauert, eine Störung im System zu beheben. Das lassen wir von Menschen abschätzen und matchen deren Angaben mit der Berechnung einer KI. So bekommen wir Hinweise auf die entscheidenden Parameter. In dem Prozess lernen die Menschen, Probleme besser einzuschätzen, und gleichzeitig wird die KI trainiert.

WO STEHT IHR DA?

Wittek: Das ist noch in der Entstehungsphase. Ein anderes Beispiel: Wir machen für den Handel Prognosen, wann welches Kundenaufkommen im Store zu erwarten ist. Das geschieht seit ewigen Zeiten mithilfe mathematischer Modelle – und es ist ziemlich komplex. Man kann die Daten nehmen und eine KI damit füttern, um zu sehen, ob die schneller zu besseren Prognosen kommt . Dabei sind beide Aspekte – schneller und besser – interessant. Wenn ich zu gleich guten Ergebnissen in kürzerer Zeit komme, ergeben sich ebenfalls Effizienzen.

Zimmermann: Seit Jahren reden wir über Network Thinking, Design Thinking und Datenverknüpfung. Das macht jetzt eine künstliche Intelligenz für uns. Das ist eine Form von Disruption: Was wir bisher nicht hinbekommen haben, übernimmt die künstliche Intelligenz.

Wittek: Und es ist eine Super-Sache. Denn da gibt es keine persönlichen Befindlichkeiten, keine persönlichen Interessen. Das ist ein absolut neutrales mathematische Verfahren. Das kommt vielleicht zu Ergebnissen, die der Mensch alleine gar nicht erreichen kann.

WENN ICH EUCH RICHTIG VERSTEHE, KOMMT IN EUREN LÖSUNGEN HEUTE SCHON AN VERSCHIEDENEN STELLEN KI ZUM EINSATZ, RICHTIG?

Ernst-Diarra: KI und ML sind das Herzstück der Technologieplattform von Workday. Der Anwender realisiert das nicht mehr richtig. Aber man muss bei aller Euphorie sehr darauf achten, dass der Mensch nicht aus dem Blick gerät. Ein Beispiel von uns selber: Auf eine Stellenausschreibung des Vertriebs hat sich ein Kandidat beworben, der bisher nicht im IT-Bereich gearbeitet hat. Normalerweise wäre er im KI-basierten Auswahlverfahren womöglich aussortiert, weil er nicht den passenden Werdegang, die richtigen Abschlüsse etc. mitbringt. Die Recruiterin hat sich den Kandidaten genauer angesehen und war vor allem von seinen Skills überzeugt. Der Mitarbeiter ist heute einer unsere besten Vertriebler. Man sieht daran: Die „Maschine“ muss richtig programmiert und „gefüttert“ werden. Wir müssen dabei lernen, zukünftig mehr auf menschliche Fähigkeiten zu achten, als auf klassische Zeugnisse. Bei den Mitarbeitenden, die wir einstellen – und innerhalb der Organisation.

EINE FRAGE ZUM SCHLUSS: WO SEHT IHR ECHTE FALLSTRICKE MIT BLICK AUF KI UND ANWENDUNGEN?

Flaskamp: Anwendungen wie ChatGPT greifen sehr breit – und du weißt am Ende nicht, welche Quellen und Daten da tatsächlich zum Einsatz kommen. Zweiter Punkt: Unternehmen haben eine unterschiedliche Kultur. Dafür muss man eine KI erst einmal trainieren. Und das Dritte: Das Risiko, dass ein Bias in eine Analyse einfließt. Wir kennen die Geschichten, dass Leute nicht eingestellt wurden, weil ein KI-basiertes Analysetool in die falsche Richtung gearbeitet hat. Also: Die letzte Entscheidung muss immer der Mensch fällen – und eine KI braucht eine lange Trainingsphase, bis sie im Sinne des Anwenders funktioniert.

ABER WIE GROSS SIND DIESE GEFAHREN TATSÄCHLICH, DASS FÄLLE JUSTIZIABEL WERDEN? WIE SICHERT IHR EUCH DAGEGEN HABT?

Zimmermann: Wir greifen nur auf unsere eigene Datenbasis zurück, die wir in 70 Jahren aufgebaut haben. Wir füttern die KI also nicht mit irgendwelchen Daten vom Markt. Zudem haben wir intern ein Ethik-Board eingerichtet, das sich ausschließlich um den Einsatz von KI kümmert. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ADP sich auch hier an einem höheren Standard messen lassen kann, als es eine mögliche Regulierung fordern wird, genauso wie in der Vergangenheit für die Themen Security und Data Privacy. Natürlich kann man ChatGPT privat ausprobieren, aber nicht im Unternehmenskontext mit Kundendaten. Da müssen die Verantwortlichen aufpassen, dass sie sich nicht angreifbar machen und plötzlich Post vom Anwalt bekommen.

I n t e r v i e w : R a o u l F i s c h e r / A l e x a n d e r P e t s c h

Newsletter abonnieren!

Bleiben Sie informiert und nicht überfordert, abonnieren Sie jetzt!