Allgemeines

Gemäss Art. 324a Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für eine be-schränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, wenn letzterer ohne sein Verschulden aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie insbesondere Krankheit, Unfall etc. an der Arbeitsleistung verhindert wird. Diese eher rudimentäre Regelung des Obligationenrechts (OR) bedarf der Erläuterung. 

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Foto von Sarah Shaffer


Lohnfortzahlungspflicht: oft erst drei Monate nach Arbeitsbeginn

Die Lohnfortzahlungspflicht besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes nur, sofern das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen worden ist. Somit beginnt die Lohnfortzahlungspflicht am ersten Tag des vierten Monats, es sei denn, das Arbeitsverhältnis kann von Anfang an erst auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der ersten drei Monate beendet werden. Im auf weniger als drei Monate befristeten Arbeitsverhältnis besteht keine Lohnfortzahlungspflicht.


Dauer der Lohnfortzahlungspflicht

Die Dauer der Lohnfortzahlungspflicht ist im Gesetz nur für das erste Dienstjahr klar geregelt (3 Wochen, Art. 324a Abs. 2 OR). Danach beschränkt sich das Gesetz darauf, die Lohnfortzahlung für eine „angemessene“ längere Zeit vorzuschreiben. Die Praxis hat hier so genannte „Skalen“ (Berner, Basler und Zürcher Skala) ausgearbeitet, welche die Dauer der Lohnfortzahlung im Verhältnis zur Dauer des Arbeitsverhältnisses staffeln. Je nach Kanton wird von den Gerichten eine der drei Skalen angewendet.

Berner-, Basler- und Zürcher Skala: Lohnfortzahlung bei Krankheit

Berner Skala
Im 1. Dienstjahr 3 Wochen Lohnfortzahlung
2. Jahr 1 Monat
3. und 4. Jahr 2 Monate
5. bis 9. Jahr 3 Monate
10. bis 14. Jahr 4 Monate
15. bis 19. Jahr 5 Monate
20. bis 25. Jahr 6 Monate



Basler Skala
Im 1. Dienstjahr 3 Wochen Lohnfortzahlung
2. & 3. Jahr 2 Monate
4. und 10. Jahr 3 Monate
11. bis 15. Jahr 4 Monate
16. bis 20. Jahr 5 Monate
ab 21. Jahr 6 Monate



Zürcher Skala
Im 1. Dienstjahr 3 Wochen Lohnfortzahlung
2. Jahr 8 Wochen
3. Jahr 9 Wochen
4. Jahr 10 Wochen
pro weiteres Jahr je eine zusätzliche weitere Woche

Die Berner, Basler und Zürcher Skala staffelt die Dauer der Lohnfortzahlung.

(Quelle: KMU-Portal des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO)

Das Gesetz stellt bei der Berechnung der Dauer der Lohnfortzahlungspflicht auf das Dienstjahr (und damit ausdrücklich nicht auf das Kalenderjahr) ab. Erkrankt der Mitarbeiter im selben Dienstjahr mehrmals, werden für die Berechnung der Lohnfortzahlungspflicht alle Abwesenheiten zusammengezählt und zwar auch dann, wenn die Absenzen verschiedene Ursachen haben. Bei Ausbruch einer Krankheit einfach 12 Monate zurück die Ausfalltage des Mitarbeiters zusammen zu zählen und von seinem Gesamtanspruch in Abzug zu bringen, ist somit nicht erlaubt. Übersteigt die im Dienstjahr verbuchte Anzahl Absenzen den für dieses Dienstjahr zur Verfügung stehenden Anspruch, fällt die Lohnzahlung weg, auch wenn die Krankheit noch andauert. Überdauert eine Krankheit den Übergang in ein neues Dienstjahr, entsteht für das neue Dienstjahr ein neuer Anspruch, dessen Höchstdauer unter Berücksichtigung des neuen Dienstjahrs entsprechend zu berechnen ist. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn im Vorjahr die Lohnzahlungen eingestellt wurden, weil der Anspruch auf Lohnfortzahlung ausgeschöpft war.


Rechtslage bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit

Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit gehen die mittlerweile herrschende Lehre und die Mehrheit der Gerichte davon aus, dass es sich beim Lohnfortzahlungsanspruch um ein Lohn- und nicht um ein Zeitminimum handelt. Dies bedeutet, dass bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit nicht einfach der dem Teilzeitpensum entsprechende Lohn für die gemäss anwendbarer Skala vorgeschriebene Zeit zu entrichten ist, bis der Lohnfortzahlungspanspruch ausgeschöpft ist. Vielmehr wird der volle Lohn als Massstab verwendet und mit der Lohnfortzahlungsdauer gemäss Skala multipliziert, um den Höchstanspruch zu eruieren. Somit ist der Anspruch auf Lohnfortzahlung erst ausgeschöpft, wenn der erhaltene Lohn einem vollen Salär für die gesamte Dauer gemäss Skala entspricht. Bei 50%iger Arbeitsunfähigkeit ist demgemäss im ersten Dienstjahr der Lohn für insgesamt 6 Wochen geschuldet (drei Wochen bei Vollzeitpensum).


Abweichende Regelung per Vertrag

Sofern sie für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig ist, kann durch schriftliche Vereinbarung, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag eine vom Gesetz abweichende Regelung getroffen werden (Art. 324a Abs. 4 OR). In der Praxis haben sich Lösungen in Zusammenarbeit mit Krankentaggeldversicherungen etabliert. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit gilt hier in der Regel eine Lösung mit Taggeldzahlungen von 80 Prozent des Lohnes während maximal 720 Tagen innnert 900 Tagen bei hälftiger Prämientragung als problemlos, wobei mittlerweile als gesichert gelten kann, dass sogar 2-3 Karenztage zulässig sind. Oftmals leistet die Taggeldversicherung erst nach einer Karenzdauer von 30, 60 oder gar 90 Tagen, was die Prämien stark reduziert. Diesfalls hat der Arbeitgeber allerdings den Lohn bis zum Ablauf der Karenzfrist selbst zu entrichten (je nach Vereinbarung zu 80 oder 100 Prozent).


Keine Fortzahlung bei „objektiven“ Gründen

Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht nur bei einer Verhinderung, deren Gründe in der Person des Arbeitnehmers liegen und somit subjektiver Natur sind. Die im Gesetz enthaltene Aufzählung solcher Gründe (Krankheit, Unfall, Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht, Ausübung eines öffentlichen Amtes) ist allerdings nicht abschliessend, weshalb weitere Gründe (wie zum Beispiel die Hochzeit des Arbeitnehmers oder der Tod eines nahen Angehörigen) denkbar sind. Bei einer Verhinderung aus objektiven Gründen besteht die Lohnfortzahlungspflicht indes nicht: Absenzen als Folge von Verkehrszusammenbrüchen, Sperrungen von Strassen durch Lawinenniedergänge, politischen Unruhen, Streichungen von Flügen wegen eines Vulkanausbruchs etc. sind somit durch die Arbeitnehmer zu tragen.


Und bei Pflege und Unterstützung von Angehörigen?

Doch wie sieht es aus, wenn nicht der Arbeitnehmer selbst erkrankt oder verunfallt, sondern der Arbeit fernbleiben muss, weil er einer familiären Pflicht nachzukommen hat? Wer trägt den Lohnausfall, wenn der Mitarbeiter ein krankes Kind oder einen sonstigen nahen Angehörigen zu pflegen hat und deshalb nicht zur Arbeit erscheinen kann? Kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlungspflicht verweigern, weil der Grund für die Absenz des Arbeitnehmers nicht in seiner Person liegt?

Das Arbeitsgericht Zürich hat in einem Entscheid aus dem Jahre 1982 den Unter-schied zwischen „in der Person liegenden Gründen“ und objektiver Verhinderung herausgearbeitet. Gemäss Sachverhalt reiste ein in der Schweiz arbeitender Italiener in seinen Heimatort, nachdem dort ein Erdbeben für starke Verwüstungen gesorgt hatte. Er sorgte sich um seine Eltern und vier seiner Geschwister, von welchen er tagelang nichts gehört hatte, weil die Telefonverbindung unterbrochen war. Nachdem der Arbeitnehmer alle Familienmitglieder unversehrt antraf, reiste er nach einem Tag Aufenthalt zurück in die Schweiz, wobei er aufgrund starker Schneefälle einen Tag länger dafür brauchte als üblich. Gemäss Arbeitsgericht war die Unwissenheit über das Befinden der Angehörigen ein Grund, der sich in der Person des Arbeitnehmers verwirklichte. Entsprechend wurde die Lohnfortzahlungspflicht für die Zeit bejaht, die seine Visite benötigte. Den einen Tag, welcher der Rückweg zufolge Schneefall länger dauerte, musste der Arbeitnehmer allerdings selbst tragen, weil hier ein objektiver Verhinderungsgrund vorlag.

Auch wo die Pflege naher Angehöriger zur Verhinderung des Arbeitnehmers führt, besteht heute gemäss einhelliger Meinung die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Dies ist zu bejahen, nachdem zwar die Krankheit des Angehörigen sich nicht in der Person des Arbeitnehmenden verwirklicht, sehr wohl aber die daraus resultierende familiäre Unterstützungspflicht. Allerdings sind in solchen Fällen stets die konkreten Umstände zu beachten. Eine Lohnfortzahlung wird von den Gerichten gemeinhin nur zugestanden, sofern und solange sich der Arbeitnehmer nicht anderweitig organisieren kann. So schützte das Arbeitsgericht Zürich die Lohnfortzahlung nur für drei Tage, weil die Arbeitnehmerin die weiteren Absenzen bei geeigneter Organisation hätte abwenden können. Anderseits wurde in einem andern Entscheid einem Vater der Lohn auch für die (regelmässigen) Absenzen zugesprochen, während welcher er seinen schwer erkrankten Sohn im Spital besuchte. Im konkreten Fall ist somit abzuklären, ob dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar ist, die Betreuung des Angehörigen in andere Hände zu geben. Immerhin ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die Absenz möglichst kurz zu halten und sämtliche anderweitigen Möglichkeiten auszuschöpfen. Versäumt er dies, fällt die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers dahin, sobald eine anderweitige Organisation möglich gewesen wäre.