Neutrale Stellenausschreibungen

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Gem. § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden. Geschieht dies dennoch, kann eine bspw. nicht geschlechtsneutral verfasste Stellenausschreibung Indiz für eine Benachteiligung sein (ArbG Lübeck, Urt. v. 13.3.2008 – 2 Ca 2863/07).

1. Praxistipp

Wird ein Fehler bei der Stellenausschreibung behauptet, sollte immer geprüft werden, ob man es mit einem sog. AGG-Hopper zu tun hat. Denn ausnahmsweise „schadet“ dem Arbeitgeber ein Verstoß nicht, wenn der Bewerber objektiv für die ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht kommt und sich subjektiv nicht ernsthaft beworben hat. Dient eine Bewerbung ausschließlich dazu, einerseits eine Geldquelle zu erschließen und andererseits das System des staatlichen Rechtsschutzes ad absurdum zu führen, scheitert ein Entschädigungsanspruch des erfolglosen Stellenbewerbers (LAG Hamburg, Urt. v. 19.11.2008 – 3 Ta 136/08; LAG Hamm, Urt. v. 26.6.2008 – 15 Sa 63/08; LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.8.2007 – 3 Ta 119/07, vgl. AuA 10/07, S. 624).

Die Pflicht zur neutralen Stellenausschreibung gilt nicht, wenn ein bestimmtes Merkmal – z. B. das Geschlecht – eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt (§ 8 Abs. 1 AGG). Das BAG hat dies bspw. für die auch Nachtdienste umfassende Tätigkeit in einem Mädcheninternat bestätigt (Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 536/08). Schwieriger zu beurteilen sind Altersbeschränkungen in Stellenanzeigen. Das LAG Hamm (Urt. v. 7.8.2008 – 11 Sa 284/08) sah es als unverhältnismäßig und Altersdiskriminierend an, einen 28-jährigen Bewerber von jeglicher Tätigkeit im Vollzugsdienst auszuschließen. Der Bewerberkreis war auf 20 bis 27-Jährige beschränkt, da sich für den Vorbereitungsdienst Wartezeiten bis zu zwei Jahren ergeben und eine Übernahme in das Beamtenverhältnis nach landesrechtlichen Vorschriften nur bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres zulässig ist.

Das BAG (Urt. v. 18.8.2009 – 1 ABR 47/08) hat die Altersbeschränkung auf das erste Berufsjahr in internen Stellenausschreibungen einer Drogeriekette als (mittelbar) altersdiskriminierend angesehen. Nach Ansicht der Erfurter Richter ist diese schon nicht geeignet, die von der Arbeitgeberin verfolgten Ziele, wie die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur und die Begrenzung der Personalkosten, zu erreichen, da eine interne Versetzung darauf keine Auswirkungen hat.

2. Auskunftsanspruch des abgelehnten Bewerbers

Für die Praxis große Auswirkungen könnte die Entscheidung des EuGH auf die Vorlage des BAG (Beschl. v. 20.5.2010 – 8 AZR 287/08 [A]) haben, ob ein abgelehnter Bewerber einen Anspruch auf Auskunft über die Person und die Qualifikation des eingestellten Mitarbeiters hat, wenn auch er die Voraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle erfüllt. Die Klägerin (laut Vorinstanz eine „AGG-Hopperin“) hat keine Indizien darlegen können, welche auf die von ihr – faktisch „ins Blaue“ hinein – behauptete Benachteiligung wegen des Alters, des Geschlechts und der ethnischen Herkunft schließen lässt. Die Arbeitgeberin hat eine Auskunft über den eingestellten Bewerber abgelehnt. Wie die Vorinstanzen verneint das BAG zu Recht einen solchen Auskunftsanspruch. Es sieht sich jedoch daran gehindert, selbst zu entscheiden, ob dieses Ergebnis mit den einschlägigen EU-Vorgaben vereinbar ist. Diese sind allerdings in vollem Umfang in den Beweiserleichterungen in § 22 AGG verankert. Daher kann

der EuGH einen solchen Anspruch eigentlich nur verneinen. Zudem fehlt es bereits an der Kausalität der durch die Auskunft erreichbaren Tatsachen für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch.

Beispiel

Die Information, dass ein eingestellter Bewerber 28 Jahre und der abgelehnte 40 Jahre alt ist, „nützt“ Letzterem für seine Klage erst dann, wenn weitere Indizien vorliegen, bspw. die Aussage des Arbeitgebers, dass er nur Beschäftigte unter 30 Jahren einstellt. Allein die Tatsache des unterschiedlichen Alters lässt nicht auf das Vorliegen einer Diskriminierung schließen. Dies trifft auch auf die Qualifikation der eingestellten Person zu. Der private Arbeitgeber ist in der Auswahl der Mitarbeiter frei (LAG Nürnberg, Urt. v. 19.2.2008 – 6 Sa 675/07, AuA 3/10, S. 186).

3. Besondere Pflichten bei schwerbehinderten Bewerbern

Bewirbt sich ein Schwerbehinderter, muss das Unternehmen zahlreiche Formerfordernisse aus § 81 SGB IX (im öffentlichen Dienst zusätzlich aus § 82 SGB IX) berücksichtigen. Deren Nichteinhaltung kann zu Entschädigungsansprüchen nach dem AGG führen. Öffentliche Arbeitgeber müssen schwerbehinderte Bewerber grds. zu einem Vorstellungsgespräch einladen, es sei denn, ihnen fehlt die fachliche Eignung offensichtlich (BAG, Urt. v. 21.7.2009 – 9 AZR 431/08). Anderenfalls liegt ein Indiz für eine Benachteiligung vor. Dieses kann man nur entkräften, indem man darlegt und beweist, dass ausschließlich andere Gründe als die Schwerbehinderung maß-

geblich waren (VGH Mannheim, Urt. v. 4.8.2009 – 9 S 3330/08).

Zudem trifft öffentliche wie private Arbeitgeber die Pflicht, die Schwerbehindertenvertretung über entsprechende Bewerbungen zu informieren. Die aus einer Verletzung dieser Pflichten folgende Vermutung für eine Benachteiligung wegen der Behinderung wurde aber vor dem LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 2.6.2009 – 3 Sa 499/09) erfolgreich durch das Vorbringen widerlegt, dass die Klägerin nicht über die in der Stellenausschreibung geforderte fachspezifische Qualifikation verfügt.

Wichtig

Leicht zu übersehen ist die sich aus § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ergebende Pflicht, die Ablehnung eines schwerbehinderten Bewerbers zu begründen. Das LAG Hessen (Urt. v. 28.8.2009 – 3 Sa 2136/08) hat dazu die ständige Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 635/03) aus Zeiten vor Inkrafttreten des AGG bestätigt. Danach bezieht sich die Begründungspflicht nur auf die Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflichtquote von 5 % nicht erfüllt und die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist.

4. Fragerechte im Bewerbungsgespräch

Ein Fragerecht des Unternehmens im Bewerbungsgespräch ist – auch nach Inkrafttreten des AGG – so weit anerkannt, wie es ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse daran im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat. Die Frage nach der Schwangerschaft gehört nach wie vor nicht dazu, auch wenn die vereinbarte Tätigkeit wegen eines mut- terschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots zunächst nicht aufgenommen werden kann (BAG, Urt. v. 6.2.2003 – 2 AZR 621/01, AuA 12/03, S. 48) oder die Bewerberin befristet eingestellt werden soll (EuGH, Urt. v. 4.10.2001 – C-109/00).

Nach einer Behinderung darf man fragen, wenn diese erfahrungsgemäß die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigt (BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 8 AZR 670/08). Dementsprechend hat das BAG einen Rechtsstreit über die Frage zurückverwiesen, ob die vom Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch gestellten Fragen zum Gesundheitszustand (der „steife Gang“ lasse auf „Morbus Bechterev“ schließen) nach § 8 AGG aufgrund der Anforderungen der Stelle gerechtfertigt sind.

Die Frage nach einer Schwerbehinderung sieht die bisher seit Inkraft- treten des AGG vorliegende Instanzrechtsprechung (LAG Hamm, Urt. v. 19.10.2006 – 15 Sa 740/06; ArbG Berlin, Urt. v. 7.10.2008 – 8 Ca 12611/08) ebenfalls nur dann als zulässig an, wenn sie wegen wesentli- cher und entscheidender beruflicher Anforderungen gerechtfertigt ist. In Betracht kommt ein Fragerecht außerdem, wenn Ziel der Frage bspw. die Steigerung der Beschäftigungsquote Behinderter ist (§ 5 AGG).

5. Alter als Differenzierungskriterium beim Entgelt

Die meisten Probleme bereitet das Verbot der Altersdiskriminierung. Das liegt zum einen daran, dass viele Gesetze und Tarifverträge an das Alter anknüpfen. Zum anderen sind in vielen Fällen Regelungen – bspw. Vergünstigungen für ältere Mitarbeiter – gewünscht. § 10 AGG enthält deshalb einen umfangreichen Katalog an Rechtfertigungsgründen. Dass dieser nicht immer einfach verständlich ist, zeigen zahlreiche Entscheidungen: á Beim Arbeitsentgelt ist inzwischen geklärt, dass eine Staffelung, die allein nach dem Lebensalter erfolgt, unzulässig ist (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.9.2008 – 20 Sa 2244/07, dazu Vorlagebeschluss des BAG zum EuGH v. 20.5.2010 – 6 AZR 148/09 [A]; LAG Hessen, Urt. v. 22.4.2009 – 2 Sa 1689/08, Revision beim BAG anhängig).

  • Im Gegensatz dazu kann jedoch nach dem Dienstalter – also der Dauer der Betriebszugehörigkeit – differenziert werden (EuGH, Urt. v. 3.10.2006 – C-17/05, Cadman).
  • Eine dritte Fallgestaltung hat das BAG (Beschl. v. 20.5.2010 – 6 AZR 319/09 [A]) dem EuGH vorgelegt, nämlich zur Frage, ob sich die Altersdiskriminierung durch Vergütung nach Lebensaltersstufen im früheren BAT im TVöD fortsetzt. Dieser sieht zwar eine Vergütung nach Tätigkeit, Berufserfahrung und Leistung vor. Bei der Überleitung wurden die erreichten Lebensaltersstufen jedoch voll berücksichtigt. Ausgehend von diesem Entgelt wurden die Arbeitnehmer endgültig der nächsthöheren Stufe der neuen Entgelttabelle zugeordnet.

6. Alter und Kündigung/Versetzung

Die bei der Altersdifferenzierung im Zusammenhang mit Kündigungen er- reichte Rechtssicherheit versuchen Untergerichte durch Vorlagen an den EuGH zu erschüttern:

  • Altersgruppenbildung

Im Rahmen eines gem. § 1 Abs. 5 KSchG vereinbarten Interessenaus- gleichs kann man festlegen, dass die Sozialauswahl nach Altersgruppen – hier in „Zehnerschritten“ – durchgeführt wird (BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07). Dabei findet die Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu Kündigenden. Das BAG hat den dahinter ste- henden Zweck – die Sicherung der ausgewogenen Personalstruktur – als legitimes Ziel anerkannt. Gleichwohl hat das ArbG Siegburg (Beschl. v. 27.1.2010 – 2 Ca 2144/09) diese Frage dem EuGH vorgelegt.

  • Punkteschema

Neben der Altersgruppenbildung ist die Sozialauswahl auch dann AGG- konform, wenn sie nach einem Punkteschema erfolgt, das auch das Lebensalter „linear“ (ein Punkt pro Lebensjahr) berücksichtigt (BAG, Urt. v. 5.11.2009 – 2 AZR 676/08). Diese Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer ist aufgrund der typischerweise schlechteren Chancen älterer Arbeit- nehmer auf dem Arbeitsmarkt gerechtfertigt.

Das BAG „kauft“ jedoch nicht jeden vermeintlichen Erfahrungssatz. So bemängelte es zur Auswahl eines umzusetzenden Sozialarbeiters an eine andere Schule (Urt. v. 13.10.2009 – 9 AZR 722/08), dass das LAG nicht geklärt hatte, ob es einen Erfahrungssatz gibt, nach dem Beschäftigte mit zunehmendem Lebensalter durch die aufgrund der Umsetzung eintreten- den typischen Belastungen, wie Einbindung in ein anderes Kollegium und Einarbeitung in ein neues pädagogisches Konzept, stärker belastet sind als Jüngere. Zur Auswahl des umzusetzenden Mitarbeiters hatte der Arbeitgeber ebenfalls ein Punkteschema verwendet.

  • Sozialplanabfindungen

Vom BAG entschieden ist auch, dass „rentennahe“ Mitarbeiter von Abfindungszahlungen ausgeschlossen werden können, da diese nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes entschädigen, sondern auch künftige wirtschaftliche Nachteile infolge des Arbeitsplatzverlustes ausgleichen sollen.

(BAG, Urt. v. 19.11.2009 – 6 AZR 561/08). Ebenso kann die Abfindungshöhe mit zunehmender Betriebszugehörigkeit steigen (BAG, Urt. v. 26.5.2009 – 1 AZR 198/08).

Kündigungsfristen

Eine in verfassungsrechtlicher Hinsicht bedenkliche, für die Arbeitsrechtspraxis aber bedeutsame Entscheidung hat der EuGH zur Berechnung von Kündigungsfristen getroffen (Urt. v. 19.1.2010 – C-555/07, Kücükdeveci, AuA 5/10, S. 309). Danach ist die Regelung in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, nach der Beschäftigungszeiten vor Beendigung des 25. Lebensjahres nicht berücksichtigt werden, altersdiskriminierend und nicht mehr anwendbar. Solange es keine Neuregelung gibt, sollte man Beschäftigungszeiten zur Berechnung der Kündigungsfrist unabhängig vom Lebensalter ermitteln. Praxistipp

Für „Altfälle“, d. h. alle Kündigungen, die am Tag der Entscheidung (19.1.2010) bereits ausgesprochen waren und deren Kündigungsfrist zwar unter Anwendung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB berechnet wurde, aber bereits abgelaufen ist, gilt: Die Kündigung bleibt wirksam und wirkt zum nächsten zulässigen Termin. Es wird zudem Vertrauensschutz zu gewähren sein, d. h. Ansprüche auf Verzugslohn sind zu verneinen.

7. Befristung auf das Regelrenteneintrittsalter

BAG und EuGH haben entschieden, dass die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf das Erreichen des Regelrenteneintrittsalters zulässig ist. Nach dem BAG (Urt. v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07) überwiegt das Interesse des Unternehmens an Einstellungen und der Förderung bereits Beschäftigter, wenn Arbeitnehmer durch den Bezug gesetzlicher Altersrente wirtschaftlich abgesichert sind. Diese Ungleichbehandlung ist wegen des Verfolgens legitimer Ziele aus dem Bereich Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik i. S. d. EU-Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Das hat der EuGH bestätigt (Urt. v. 16.10.2007 – C-411/05, Palacios de la Villa).

Wichtig

Das ArbG Hamburg hat dem EuGH erneut eine solche Altersgrenzenregelung vorgelegt. Die Schlussanträge der Generalanwältin (v. 28.4.2010 – C-45/09, Rosenbladt) bestätigen die bisherige Rechtsprechung des EuGH.

8. Mittelbare Differenzierung wegen der ethnischen Herkunft

Das Diskriminierungsmerkmal „ethnische Herkunft“ spielt in der Rechtsprechung in erster Linie eine Rolle, wenn es um eine bestimmte Qualität der Deutschkenntnisse von Arbeitnehmern oder Bewerbern geht, vgl.auch Schmitt-Rolfes, AuA 8/10, S. 455, in diesem Heft, und Stück, AuA 6/10, S. 332 ff. Anhand der konkreten Aufgaben muss der Arbeitgeber ermitteln, welcher Grad von Sprachkenntnissen für das Ausüben der jeweiligen Tätigkeit notwendig ist.

Beispiele:

  • Selbst wenn perfekte Deutschkenntnisse in Wort und Schrift notwendig sind, darf man die Ausschreibung nicht allein auf Muttersprachler begrenzen (ArbG Berlin, Urt. v. 11.2.2009 – 55 Ca 16952/08).
  • Die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der in deutsch verfasste Arbeitsanweisungen nicht versteht, ist zulässig, wenn Deutschkenntnisse für die Tätigkeit erforderlich sind, der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit und auf Kosten des Arbeitgebers einen Sprachkurs absolviert hat, jedoch notwendige Folgekurse ablehnt (BAG, Urt. v. 28.1.2010 – 2 AZR 764/08, AuA 5/10, S. 308).
  • Die Aufforderung an einen ausländischen Arbeitnehmer, einen Deutschkurs zu besuchen, um sich mit Kunden verständigen zu können, ist keine Belästigung i. S. d. AGG (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.12.2009 – 6 Sa 158/09, vgl. AuA 3/10, S.178; Revision eingelegt unter Az.: 8 AZR 48/10).

Zum Thema ethnische Herkunft hat der EuGH (Urt. v. 10.7.2008 – C-54/07, Feryn) entschieden, dass bereits die generelle öffentliche Äußerung eines Unternehmens, es werde keine Mitarbeiter einer bestimmten ethnischen Herkunft einstellen, weil seine Kunden ihm sonst die Aufträge entziehen, eine Diskriminierung darstellt.

9. Geschlecht als Differenzierungskriterium

Das ArbG Wiesbaden (Urt. v. 18.12.2008 – 5 Ca 46/08) hat entschieden, dass die Zuweisung eines neuen (schlechteren) Betreuungsgebiets in der Versicherungsbranche nach Rückkehr aus dem Mutterschutz ein Indiz für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts sein kann und 10.800 Euro Schadensersatz zugesprochen, da der Arbeitgeber dieses Indiz nicht widerlegen konnte. Ohne Erfolg blieb die Klägerin jedoch mit ihrem Begehren nach Zahlung von Schadensersatz i. H. v. ca. 500.000 Euro zum Ausgleich des Verdienstausfalls bis zum Rentenbeginn. Das ArbG Wiesbaden hat diese „medienwirksame“ Schadensersatzforderung als überhöhte Schadenskompensation angesehen. Über die eingelegte Berufung entscheidet das LAG Frankfurt (12 Sa 68/09) am 28.9.2010.

Das BAG (Urt. v. 24.8.2008 – 8 AZR 257/07, AuA 12/08, S. 758) hat inzwischen bestätigt, dass allein das Bestehen einer Schwangerschaft ohne Hinzutreten weiterer Tatsachen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen, bei einer versagten Beförderung nicht als Indiz für eine Diskriminierung ausreicht. Allerdings sind an einen weiteren Tatsachenvortrag keine strengen Anforderungen zu stellen. Deshalb hatte es die Sache an das LAG zurückverwiesen. Es musste die Äußerung des Arbeitgebers berücksichtigen: „Freuen Sie sich auf Ihr Kind“ (s. auch S. 491).

10. Religion/Weltanschauung als Differenzierungskriterium

Bei den Diskriminierungsmerkmalen Religion/Weltanschauung ist am schwierigsten zu beurteilen, für welche Tätigkeiten Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen eine bestimmte Religion als zwingende Einstellungsvoraussetzung verlangen dürfen.

Das Diakonische Werk hatte eine Bewerberin türkischer Herkunft, die keiner christlichen Kirche beitreten wollte, für die Besetzung der Position „Integrationslotse Hamburg“ abgelehnt. Das LAG Hamburg (Urt. v. 29.10.2008 – 3 Sa 15/08, AuA 12/09, S. 730) ließ das Entschädigungsbegehren der Klägerin allerdings bereits daran scheitern, dass sie die geforderten Qualifikationen (abgeschlossenes Studium) nicht erfüllte. Über die Revision entscheidet das BAG am 19.8.2010 (8 AZR 466/09).

11. Behinderung als Differenzierungskriterium

Nach dem EuGH (Urt. v. 11.7.2006 – C-13/05, Navas) fällt die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Krankheit nicht unter das Diskriminierungsmerkmal Behinderung. Allerdings gibt diese Entscheidung kaum Rechtssicherheit. Denn es ist bspw. nichts darüber gesagt, ob eine chronische Krankheit auch in eine Behinderung umschlagen kann. Eine Behinderung ist anzunehmen, „wenn die einen Krankheitswert überschreitenden Funktionsbeeinträchtigungen und die damit verbundenen Teilhabedefizite am Gesellschafts- bzw. Berufsleben von gewisser Dauer sind“ (EuGH, a. a. O.).

Darüber hinaus kann nach dem EuGH (Urt. v. 17.7.2008 – C-303/06, Coleman, AuA 5/10, S. 314) auch eine Diskriminierung vorliegen, wenn der Arbeitnehmer selbst keine Behinderung hat, er aber für einen Behinderten zu sorgen hat (hier: behindertes Kind). Zu den Folgen einer für unwirksam befundenen krankheitsbedingten Kündigung hat das BAG (Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 642/08) entschieden, dass diese – selbst bei Vorliegen einer Behinderung – noch keine Benachteiligung wegen der Behinderung indiziert. Diese Aussage ist von zentraler Bedeutung, weil sie auch auf andere Diskriminierungsmerkmale übertragbar ist. Eine unwirksame Kündigung lässt allein nicht den Schluss auf die Vermutung einer Ursächlichkeit zwischen der Kündigungserklärung und dem Diskriminierungsmerkmal zu.

12. Betriebliche Altersvorsorge und Lebenspartner

Nach unzähligen Entscheidungen steht fest: Die vom Arbeitgeber eingerichtete betriebliche Hinterbliebenenversorgung muss auch eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern eingeräumt werden. Nach dem EuGH (Urt. v. 1.4.2008 – C-267/06, Tadao Maruko, AuA 8/08, S. 499) sind Eheleute und eingetragene Lebenspartner gleich zu behandeln, wenn die Situation von überlebenden Lebenspartnern und Ehegatten bzgl. der Hinterbliebenenversorgung vergleichbar ist. Das BAG (Urt. v. 14.1.2009 – 3 AZR 20/07) hat diese Entscheidung dahin konkretisiert, dass sich ab dem 1.1.2005 – dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes – Eheleute und eingetragene Lebenspartner in einer vergleichbaren Situation befinden, weil eine Lebenspartnerschaft auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung als Ehe gilt.

Praxistipp

Bei der Frage, ob ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung besteht, sollte immer geprüft werden, ob am 1.1.2005 noch ein Rechtsverhältnis zwischen dem Versorgungsberechtigten (Arbeitnehmer) und dem Versorgungsschuldner (Arbeitgeber) bestand. Dafür ausreichend ist allerdings, dass der Mitarbeiter mit einer unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden oder Betriebsrentner ist (BAG, Urt. v. 15.9.2009 – 3 AZR 294/09).

13. Begriff der „Belästigung“

Gem. § 3 Abs. 3 AGG ist eine Belästigung einer Benachteiligung gleich- gestellt. Für eine Belästigung muss nach dem BAG (Urt. v. 24.9.2009 – 8 AZR 705/08) neben der Würdeverletzung ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen ge- kennzeichnetes („feindliches“) Umfeld geschaffen worden sein. Dabei ist maßgeblich, ob eine bestimmte Verhaltensweise oder ein bestimmter Vor- fall für das Umfeld charakteristisch oder typisch ist.

Wichtig

Deshalb scheidet einmaliges Verhalten grds. aus. Anders ist dies lediglich bei besonders schwer wiegenden einmaligen Vorfällen. I. d. R. ist auch ein Verhalten von gewisser Dauer erforderlich.

14. Beweislastverteilung und Statistikbeweis

Große praktische Auswirkungen in vermeintlichen Diskriminierungsfällen hat die Entscheidung, ob ein Statistikbeweis zur Umkehr der Beweislast auf den Arbeitgeber führen kann. Mit Spannung ist die Entscheidung des BAG zu folgender Instanzrechtsprechung zu erwarten:

  • Das LAG Berlin-Brandenburg hat einer bei der Beförderung gegenüber einem männlichen Kollegen unterlegenen Klägerin eine Entschädigung zugesprochen. Als Indiz für die Geschlechtsdiskriminierung sah man, dass in dem Betrieb trotz überwiegend weiblicher Beschäftigter in den Führungspositionen nur männliche Arbeitnehmer zu finden sind (Urt. v. 26.11.2008 – 15 Ca 517/08, AuA 2/09, S. 120, Revision anhängig unter Az.: 8 AZR 1012/08).
  • Eine andere Kammer desselben Gerichts (Urt. v. 12.2.2009 – 2 Sa 2070/08,AuA 8/10, S. 491, in diesem Heft, Revision anhängig unter Az.: 8 AZR 483/08, Termin: 19.8.2010) hat in einem gleich gelagerten Fall zu Recht differenzierter geurteilt. Eine Statistik kann nur dann eine Indizwirkung entfalten, wenn sie in Bezug auf die konkrete Einstellung oder Beförderung aussagekräftig ist. Die Geschlechterverteilung in der Gesamtbelegschaft im Verhältnis zu den Führungspositionen hat noch keinen Aussagewert. Sie sagt bspw. nichts über die Frage der Qualifikation für und die Anzahl von Bewerbungen auf Führungspositionen aus (LAG München, Urt. v. 7.8.2008 – 3 Sa 1112/07).

15. Mitbestimmung und Geltendmachung von Ansprüchen

Mittlerweile höchstrichterlich geklärt ist, dass bei der organisatorischen Ansiedlung und personellen Besetzung der Beschwerdestelle gem. § 13 AGG keine Mitbestimmung des Betriebsrats besteht (BAG, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 ABR 42/08, AuA 11/09, S. 676). Es handelt sich um rein betriebsorganisatorische Entscheidungen des Arbeitgebers. Ein Initiativrecht des Betriebsrats ergibt sich jedoch aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hinsichtlich der Einführung und Ausgestaltung eines Beschwerdeverfahrens. Gem. § 15 Abs. 4 AGG muss ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt bei einer Bewerbung oder Beförderung mit dem Zugang der Ablehnung und sonst zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Während das LAG München (Urt. v. 21.9.2009 – 5 Sa 385/08) diese Regelung europarechtskonform dahin auslegt, dass die Ausschlussfrist auch im Falle einer Bewerbung erst mit Kenntnisnahme von der Benachteiligung beginnt, hat das LAG Hamburg (Beschl. v. 6.7.2009 – 5 Sa 3/09) dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Frist mit EU-Vorgaben vorgelegt. Das BAG (Urt. v. 24.9.2009 – 8 AZR 705/08) hat über die Geltendmachung bei einer po- tenziellen Benachteiligung während des laufenden Arbeitsverhältnisses entschieden und insbesondere die Fristlänge von zwei Monaten nach aus- führlicher Prüfung zu Recht für europarechtskonform gehalten.

16. … und weshalb Arbeitnehmer sonst noch klagen

Eine Arbeitnehmerin sah in ihrer Kündigung eine Geschlechtsdiskriminierung, da diese am internationalen Frauentag ausgesprochen wurde. Darin erblickte das ArbG Hamburg (Urt. v. 28.8.2007 – 21 Ca 125/07) aber kein Indiz für eine Diskriminierung.

Erfolglos blieb auch die Klage einer gekündigten ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin, die argumentiert hatte, dass ihre frühere Tätigkeit Ausfluss ihrer damaligen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus gewesen sei (ArbG Berlin, Urt. v. 30.7.2009 – 33 Ca 5772/09). Ebenfalls nicht durchgedrungen mit ihrer Klage wegen ethnischer Diskriminierung ist eine Bewerberin, die ihre Bewerbungsunterlagen mit dem Vermerk „(-) Ossi“ zurückerhalten hatte. Nach Ansicht des ArbG Stuttgart (Urt. v. 15.4.2010 – 17 Ca 8907/09, Berufung eingelegt unter Az.: 8 Sa 31/10) sind die Ostdeutschen keine eigene Ethnie, denn außer der Zuordnung zum ehemaligen DDR-Territorium fehlt es an einheitlichen Merkmalen in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder Ernährung.

17. Fazit

Nach vier Jahren AGG sind einige Fragen höchstrichterlich geklärt und manche unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisiert. Dennoch bleiben viele Fragen offen. Neue Rechtsunsicherheit entsteht durch den nicht abreißenden Strom an Vorlagen – vor allem der Instanzgerichte – zum EuGH. Das Alter ist das am schwierigsten in der Praxis zu handhabende Kriterium. Die Ursache liegt dabei nicht nur in zahlreichen Gesetzen und Tarifverträgen, sondern auch darin, dass viele Altersdifferenzierungen gerade gewünscht sind, was wiederum einen langen Rechtfertigungskatalog in § 10 AGG nach sich zieht, der nicht immer einfach in die Praxis umzusetzen ist.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 8/10