„Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“ Diese Frage stellen sich gerade viele Personaler, wenn sie an ihre Suche nach Fachkräften denken. Und vielleicht ist es genau das, was der War for Talents mit sich bringt: Unternehmen legen langsam aber sicher eine härtere Gangart ein – zumindest in Amerika, Asien und Russland. In einem Workshop von Dr. John Sullivan, Professor am College of Business der Universität San Francisco, auf der Personal Austria durfte ich einen rasanten Beispielmarathon miterleben, was „outrageous recruiting“ bedeutet. Legen Sie bitte kurz für die folgenden Beispiele moralische Bedenken und die Angst unangenehm aufzufallen beiseite, denn: „It’s not research, it’s corage!“

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Foto von bruce mars

1. mass personalized recruiting: Die eigene Zielgruppe arbeitet nicht selten für die Mitbewerber der Branche. Deshalb sagen sich manche Firmen: Ich gehe mit meiner Jobsuche direkt zur Konkurrenz. Sullivan berichtete etwa von einem Hotel, das seine Recruiter in T-Shirts mit der Aufschrift „I’m hiring“ bei einem anderen Hotel postierte. Ein gefundenes Fressen für unmoralische Recruiter sind anscheinend insbesondere Unternehmen, die sich gerade in einer Krise befinden. Als Yahoo mit Umsatzeinbrüchen zu kämpfen hatte, warb ein anderes Softwareunternehmen mit Postern auf der Toilette für einen Firmenwechsel. Microsoft schrieb die Marketingabteilungen von Yahoo mit einem Direktmailing an. Sullivans Tipp an Softwareunternehmen: Warum werben Sie nicht vor dem Google-Firmengebäude?! Zum Beispiel mit einer Stellenanzeige in Computersprache (eine solche Anzeige hatte beispielsweise EA Canada).

2. Videospiele als Recruiting-Tool: Inzwischen nutzen einige Unternehmen wie Deloitte oder Mitre Videospiele, um an ihre Zielgruppe, den technikaffinen Nachwuchs, heranzukommen, der sonst womöglich nie auf die Idee käme, sich bei diesen Firmen zu bewerben. Vorreiter ist die U.S.Army, die mit einem beliebten Kriegsspiel neue Leute rekrutiert. Das Anmeldetool für die Army ist direkt in das Spiel integriert. Aber auch bestimmte Spezialisten identifiziert die amerikanische Armee über das Spiel. Die Entscheidungen, die ein Spieler trifft, dienen als eine Art Assessment-Center. Der Erfolg ist immens: Mitre rekrutierte beispielsweise in der Startphase seines Spiel circa 4000 Studenten in einer Woche.

3. Contest Recruiting: Mithilfe von Wettbewerben können die Mitarbeiter selbst zu Recruitern werden. Deloitte schrieb zum Beispiel ein eigenes Film-Festival aus. Am Ende hatte das Unternehmen rund 1000 Videos, die zeigten, was für ein guter Arbeitgeber Deloitte ist. Wettbewerbe eignen sich jedoch nicht nur dafür, firmenintern außerordentliche Leistungen zu generieren oder zu identifizieren. Sie können auch helfen, externe Talente zu finden. Sullivan nennt ein Beispiel: Ein Personaldienstleister bediente sich eines firmenunabhängigen Awards, um seine Datenbank mit qualifizierten Krankenschwestern auszubauen. Die Anzeige zum Wettbewerb war ein Plakat, das dazu aufforderte, Krankenschwestern, die man in guter Erinnerung behalten hat, zu empfehlen, um die beste Krankenschwester zu küren. Das Ergebnis: rund 300.000 Empfehlungen.

4. Paying for Interview: Im War for Talents ist die billigste Methode nicht immer die erfolgreichste. Wenn begehrte Kandidaten nicht freiwillig zum Vorstellungsgespräch kommen möchten, sind manche Unternehmen dazu übergegangen, sie zu bezahlen. Laut Sullivan ist ein Betrag von 500 $ keine Seltenheit mehr, das Honorar könne aber durchaus auch höher sein. Allerdings bekommt diese Bezahlung nicht jeder, sondern nur ausgewählte Experten der Branche. Die Methode fokussiert vor allem internationale Vordenker.

5. Recruiting on Events: Ein Trick, aussichtsreiche Kandidaten zu einem Interview zu bewegen, sind eigene Events. Der Clou an der Sache: Zunächst dienen diese Events nicht dazu über den Job zu sprechen. Zum Beispiel veranstaltete Cisco ein Weinfestival und lud dazu potenzielle Bewerber ein. Im Mittelpunkt stand hervorragender Wein und wenn jemand nach dem Grund der Einladung oder den Jobmöglichkeiten fragte, gaben die Cisco-Recruiter ihre Visitenkarten weiter mit dem Hinweis: „Rufen Sie mich an, wenn Sie über die Arbeit sprechen möchten“. So einfach lässt sich anscheinend der Spieß umdrehen. Dell, Microsoft und Harrah’s greifen zu MBA Poker Events, UPS rekrutiert auf Rockfestivals und die Navy in Beach Clubs.

6. A story each day: Das ist Sullivan zufolge das Geheimnis von Google, einer wahren „Recruiting Farm“. Dabei gelingt dem Unternehmen wie es scheint der schwierige Drahtseilakt zwischen Ehrlichkeit und Begehrlichkeit. Zu viel Idylle weckt Skepsis bei den Kandidaten, da sie plumpe PR wittern. Aber Soziales Engagement ist gleichwohl gefragt. Slogans wie „We work hard and play hard“, aber auch „We want people who care“ kommen bestens an. Geschichtenerzähler wüssten auch, dass es No-days und Yes-days gebe. Einer der Tage, an denen die Kandidaten ja sagen, ist, so Sullivan, Neujahr. Ein Unternehmen schickte 175 Kandidaten, die bereits abgesagt hatten, an Neujahr „new years cookies“ mit einer Einladung zum Gespräch. 130 kamen zum Interview.

Die Liste ist noch lang nicht komplett, aber einen ersten Eindruck haben Sie bestimmt bekommen. Wer noch nicht genug hat, kann sich auf www.drjohnsullivan.com umsehen.