Es muss aus rechtlicher Perspektive unbeantwortet bleiben, ob man(n) noch einer Kollegin/Untergebenen/Vorgesetzten in den Mantel helfen, ihr die Tür aufhalten, sie zum Geburtstag in den Arm nehmen oder ihr ein Kompliment machen sollte. Sicher ist, dass all diese höflichen und schlicht kollegialen – im Arbeitsumfeld aber dennoch teilweise unangemessenen – Verhaltensweisen weit davon entfernt sind, als arbeitsrechtlich relevante sexuelle Belästigungen eingestuft zu werden. Das Unternehmen sollte es hier also der Entscheidung jedes einzelnen Mitarbeiters überlassen, ob und gegenüber wem er sich an derlei Gepflogenheiten halten möchte, und hier nicht regulierend oder verbietend eingreifen. Dennoch kann die Grenze manchmal fließend sein und sich (je nach Situation, beteiligten Personen und deren Beziehung zueinander) verschieben.

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Foto von Van Tay Media

Mit Blick auf die gegenwärtig hitzig geführte Sexismus-Debatte dürfte es jedoch nicht schaden, dem Ganzen mit erhöhter Sensibilität entgegenzutreten und dies als Arbeitgeber bei Bedarf nach außen zu kommunizieren. Auch muss – wie dargelegt – sichergestellt sein, dass jeglicher Sexismus oder gar sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz durch diverse Vorkehrungen (Schulungen, Verhaltenskodizes, verpflichtende Ablaufvorgaben, Beschwerdestellen) verhindert und mittels arbeitsrechtlicher Maßnahmen, wie Abmahnungen, Versetzungen oder auch Kündigungen, effektiv bekämpft werden. Dann wird man den Anforderungen des AGG gerecht und tut sich gleichzeitig selber den Gefallen, ein für alle Geschlechter gleichermaßen angenehmes, kollegiales sowie dadurch produktives Arbeitsklima zu schaffen.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 3/18, S. 136ff.

Beispielhaft könnte festgehalten werden: „Jede/r Beschäftigte hat die Pflicht, zu einem belästigungsfreien Arbeitsklima beizutragen, die Persönlichkeit jedes/r Kollegen/in zu respektieren und Verhaltensweisen zu unterlassen, die andere im Betrieb belästigen, herabwürdigen oder diskriminieren.“ Solcherlei Formulierungen sind gut geeignet, klarzumachen, dass das Unternehmen Wert auf ein sexismusfreies Arbeitsklima legt und sich zu dessen Wahrung verpflichtet fühlt.

Auch sollten verpflichtende Ablaufvorgaben ausgearbeitet und z.B. auf Betriebsversammlungen kommuniziert sowie sodann auch strikt verfolgt werden, damit allen klar ist, dass es bei Belästigungen einen vorgeschriebenen Weg gibt und nicht nach freiem Ermessen gehandelt wird.

Der Arbeitgeber kann dazu außerdem unterstützende Strukturen schaffen, indem er eine Beschwerdestelle einrichtet und diese (auch) mit Frauen besetzt. Eine betriebsinterne Bußordnung ist indes als problematische „Betriebsjustiz“ abzulehnen (v. Hoyningen-Huene, a.a.O., S. 2216).

Außerdem tut man gut daran, penibel jede einzelne dieser Maßnahmen mitsamt Inhalt und Teilnehmerliste zu dokumentieren. Bei Leiharbeitnehmern sollte sich der Entleiher zudem im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vom Verleiher zusichern lassen, dass jener den jeweiligen Leiharbeitnehmer ausreichend geschult hat (Bauer u.a., a.a.O., § 12 Rdnr. 27).

Eine nicht unerhebliche Rolle für ein sexismusfreies Arbeitsklima spielt darüber hinaus die Arbeitsplatzgestaltung, denkt man z.B. an einschlägige Kalender, Poster oder Plakate in Werkstätten, bei Lastwagenfahrern etc. Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 4 AGG liegt dabei bei Kalendern an der Wand oder Bildschirmschonern mit pornografischen Darstellungen auf der Hand, wenn der belästigte Kollege beim normalen Erbringen seiner Arbeitsleistung hiervon Kenntnis nehmen muss (Bonanni, a.a.O., S. 83). Dass die in vielen Branchen noch immer üblichen Darstellungen von Pin-up-Girls am Arbeitsplatz nicht per se als sexuelle Belästigung anzusehen seien (Bauer u.a., a.a.O., § 3 Rdnr. 57 und Staudinger/Seer, § 3 Rdnr. 58; a.A.: MüKoBGB/Thüsing [2015], § 3 AGG, Rdnr. 73), muss vor dem Hintergrund der momentanen öffentlichen Debatte rund um das Thema Sexismus hinterfragt werden.

Berechtigterweise hat das neue, medienwirksame öffentliche Bewusstsein bereits zu Verunsicherungen in Belegschaft, Personalabteilungen und Unternehmensführung geführt: Darf man(n) noch einer Kollegin/Untergebenen/Vorgesetzten in den Mantel helfen? Ihr die Tür aufhalten? Sie zum Geburtstag in den Arm nehmen oder ihr ein Kompliment machen? Wo verläuft die Grenze zwischen harmlosem Flirt und nicht zu tolerierender Belästigung? Und was sollte der Arbeitgeber beachten, um diesem Thema nicht weniger, aber eben auch nicht mehr als seinen gebotenen Raum im Arbeitsalltag zu lassen? Dieser Beitrag versucht, Antworten zu liefern und bietet Orientierungshilfe. Dabei wird zugunsten besserer Lesbarkeit von der (statistisch belegt häufiger vorkommenden) sexuellen Belästigung einer Frau durch einen Mann ausgegangen; gleichermaßen umfasst sind aber der umgekehrte Fall sowie der einer Belästigung unter Gleichgeschlechtlichen.

Sexuelle Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG kann in drei Formen vorkommen:

– körperliche (unerwünschte Berührungen wie Kneifen, Streicheln, Tätscheln, Küssen und Umarmen),

– verbale (zweideutige Kommentare, anzügliche Witze oder Bemerkungen, Aufforderungen zu sexuellen oder intimen Handlungen und gewisse Fragen zur Privatsphäre) sowie

– non-verbale (vor allem das ungewollte Konfrontieren mit sexuellen oder intimen Inhalten, anzügliche Blicke, Hinterherpfeifen, unerwünschte Annäherungsversuche per E-Mail oder Handy).

Beschwert sich ein Arbeitnehmer über sexuelle Belästigung durch Kollegen, muss der Arbeitgeber aktiv werden, denn „Untätigkeit ist Parteinahme“ (Linde, BB 1994, S. 2412 ff.) und kann empfindliche Folgen in Gestalt von Schadensersatzansprüchen haben. Sogar dann, wenn betriebsfremde Dritte im Betrieb wiederholt negativ durch Belästigungen auffallen, obwohl das Unternehmen beim ersten Mal darauf hingewiesen worden ist, kann es haftbar gemacht werden (Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 12 Rdnr. 28). Darüber hinaus kann der belästigte Mitarbeiter gem. § 14 AGG seine Arbeitsleistung verweigern, sodass – je nach dessen Aufgabenbereich – betriebliche Belastungen drohen. Das Dulden eines Umgangstons mit vielen sexuellen Bezügen kann außerdem eine „schiefe“ betriebliche Übung generieren, die dem Arbeitgeber vom Arbeitsgericht negativ angelastet werden könnte (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 14.8.2012 – 5 Sa 324/11, Rdnr. 57). Umgekehrt kann das „Aussitzen“ der Situation auch zur Folge haben, dass der Betriebsrat und/oder der Beschäftigte mittels Druckkündigung eindeutige Konsequenzen fordern. Nicht zu reagieren, kann also keine Option sein.

Wie aber kann eine richtige Reaktion aussehen? Orientierungshilfe bietet der Katalog des § 12 Abs. 3 AGG mit den repressiven (nicht abschließenden, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 37) Maßnahmen der Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung, die in der Intensität ihrer Bestrafungswirkung aufeinander aufbauen. Die konkret gewählte Maßnahme muss dabei der Schwere und dem Umfang der sexuellen Belästigung entsprechen. Bei Pflichtverletzungen mäßigen Unrechtsgehalts käme die Kündigung einem „Kanonenschießen auf Spatzen“ gleich (so explizit LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 14.8.2012, a.a.O., Rdnr. 55). Eben hier liegt aber schon die erste Schwierigkeit: Wie sollen Unternehmen einschätzen, welche sexuelle Belästigung welche Maßnahme erfordert?

– Die nicht in § 12 Abs. 3 AGG enthaltene Ermahnung kommt nur bei ganz leichten, erstmaligen Verstößen in Betracht; sie ist mangels ihrer arbeitsrechtlichen Auswirkungen ein stumpfes Schwert.

– Vor einer Abmahnung sollte sich der Arbeitgeber stets die folgende Frage stellen: Kann man davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer nach der Abmahnung solche Pflichtverletzungen (hier also die sexuellen Belästigungen) zukünftig unterlassen wird? Bei der Beantwortung hilft es, die innere Einstellung des Mitarbeiters zu seinen Verfehlungen zu betrachten, also ob er das Ganze leugnet oder (ggf. erst wenn ein Leugnen schlicht nicht mehr möglich ist) verharmlost, ob er sich mit dem eigenen Verhalten kritisch auseinandersetzt oder ob er vielmehr keinerlei Anzeichen von Reue oder Verarbeitung zeigt. Naturgemäß kann hier nur eine Prognose angestellt werden. Will das Unternehmen seiner Schutzpflicht gegenüber seinen weiblichen Beschäftigten aber gewissenhaft nachkommen, darf dieser Prognosemaßstab bei sexuellen Belästigungen als abzumahnenden Pflichtverletzungen nicht zu streng angelegt werden, verändert doch eine Abmahnung allein das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ohne aber faktische Auswirkungen für die Kolleginnen zu haben, die noch immer auf dem betreffenden Arbeitsplatz mit dem „Belästiger“ umgehen müssen. Eine pauschale Vorverurteilung darf jedoch ebenso wenig stattfinden, damit die Abmahnung getreu ihrem Motto „Wissen ändert das Verhalten“ Wirkung entfalten kann und sexuelle Belästigungen in der Zukunft verhindert.

– Lässt sich die oben gestellte Frage nicht guten Gewissens mit „Ja“ beantworten, sollte man kraft Direktionsrechts eine Umsetzung oder Versetzung bzw. (wenn der Arbeitsbereich des Mitarbeiters in seinem Vertrag genau definiert ist) eine einvernehmliche Arbeitsvertragsänderung oder eine Änderungskündigung vornehmen; ggf. muss dabei an die Beteiligung des Betriebsrats (§§ 99, 102 BetrVG) gedacht werden.

Damit es gar nicht erst nötig wird, eine der genannten repressiven Maßnahmen zu ergreifen, sollten Unternehmen präventiv tätig werden und sich bemühen, sexuelle Belästigungen zu vermeiden, indem sie ein sexismusfreies Arbeitsklima schaffen. Dies liegt auch in ihrem ureigenen wirtschaftlichen Interesse, da sonst erhöhte Kosten und Probleme durch Krankheit oder Leistungsverluste wegen verringerter Arbeitsmotivation drohen. Auch kann das allgemeine Betriebsklima leiden, denn nicht nur bei direkt Betroffenen, sondern auch bei Zuhörern und Beobachtern sind nach der Konfrontation mit (geduldeter) sexueller Belästigung oft Betroffenheit, Angst und Unsicherheit die Folgen (v. Hoyningen-Huene, BB 1991, S. 2215 ff.). Konkrete Hilfestellungen bieten dabei die folgenden Möglichkeiten:

1. Die in § 12 Abs. 2 Satz 1 AGG genannten Schulungen, die ihr Vorbild in den US-amerikanischen „trainingdefenses“ haben (Bauer u.a., a.a.O., § 12 Rdnr. 16), sind nicht nur Selbstzweck, denn ein positiver Nebeneffekt ist die Fiktion des § 12 Abs. 2 Satz 2 AGG: Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zur Verhinderung von sexueller Belästigung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Schutzpflichten aus § 12 Abs. 1 AGG. Kann er also nachweisen, dass sein mit Belästigungsvorwürfen konfrontierter Mitarbeiter (eine solche Entlastung kann jeweils nur für den Einzelnen und nicht pauschal wirken!) an einer seiner Schulungen teilgenommen hat, so kann er das Risiko, der belästigten Arbeitnehmerin wegen Schadensersatzes zu haften (s.o.), erheblich minimieren. Auswirkungen hat die Fiktion des § 12 Abs. 2 Satz 2 AGG allerdings weder auf ein Organisationsverschulden (Bonanni, a.a.O., S. 85) noch auf die Zurechnung des Verhaltens anderer Personen über §§ 278, 831 BGB; diese Fallgestaltungen können hier also trotz Schulungen im Einzelfall zur Haftungsfalle werden.

2. Nicht ausreichend sind bloße Veröffentlichungen von Merkblättern oder Verhaltensmaßregeln im Betrieb ohne die Möglichkeit für Nachfragen im Intranet(so auch Bauer u.a., a.a.O., § 12 Rdnr. 20; Bonanni, a.a.O., S. 83). Empfehlenswert ist dahingehend eher ein digitales Diskussionsforum.

3. Auch das Aufstellen von Ethik-Richtlinien oder der Abschluss von Betriebsvereinbarungen allein ist nicht ausreichend für die Erfordernisse des § 12 AGG, es kann jedoch als Code of Conduct (CoC) nach außen „Good Practice“ symbolisieren, wie die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in ihrem Leitfaden „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?“ herausgehobenen Maßnahmen der Volkswagen AG, der Deutschen Telekom AG und der Charité Berlin (S. 30 ff.) verdeutlichen.

4. Eine Kombination verschiedener Maßnahmen ist jedenfalls geeignet, also z.B. in bestimmtem Rhythmuswiederholte Schulungen (ggf. unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats) begleitet vom Erlass eines Verhaltenskodex (Bonanni, a.a.O., 83).

Reichen die vorgenannten Maßnahmen nicht aus, um weitere sexuelle Belästigungen verhindern zu können, kommt nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung in Betracht. Jedoch kann auch hier aus dem Schutzauftrag des Unternehmens gegenüber seinen weiblichen Beschäftigten folgen, dass eine solche nicht ausreicht: So gab das BAG zu bedenken, während des Laufes der Kündigungsfrist könne sich die Gefahr weiterer sexueller Belästigungen durch den ordentlich Gekündigten gerade durch das nun bereits klar absehbare Ende des Arbeitsverhältnisses noch verstärken (BAG, Urt. v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10, AuA 4/12, S. 247). Hier wird wiederum eine Prognose vom Arbeitgeber erwartet; ggf. sollte man daran denken, den Arbeitnehmer (soweit arbeitsvertraglich zulässig) für den betreffenden Zeitraum freizustellen.

Ultima Ratio ist sodann die außerordentliche Kündigung. Wann eine sexuelle Belästigung eine solche rechtfertigen kann, ist – angestoßen vom sog. „Grapscher“-Urteil des BAG (v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, AuA 5/15, S. 308) – jüngst in Fachliteratur und Medien gleichermaßen rege diskutiert worden. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Angestellter zu einer ihm unbekannten neuen Mitarbeiterin, mit der er allein im Waschraum war, gesagt, sie habe einen schönen Busen, und diesen dann auch berührt. Obwohl das Gericht dies als sexuelle Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG einordnete, ließ es die außerordentliche Kündigung an deren Unverhältnismäßigkeit scheitern. Denn der Mitarbeiter hatte bis ins Äußerste Buße getan: Er habe einen unerklärlichen Blackout gehabt, er schäme sich, es habe ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ vorgelegen, da er irrtümlich gemeint habe, von der Frau angeflirtet worden zu sein, er habe sich entschuldigt sowie Schmerzensgeld gezahlt und an einem Täter-Opfer-Ausgleich teilgenommen. Das BAG sprach wie auch die Vorinstanz daraufhin nur noch von einer „einmaligen Entgleisung ohne Belästigungswillen“, sodass nicht zu erwarten sei, dass sich der Arbeitnehmer nach einer Abmahnung nochmals so verhalten werde – was der außerordentlichen Kündigung den Boden und dem Arbeitgeber den Prozessgewinn entzog.

Dieses Urteil als „Praxisleitfaden“ einzuordnen (so Köhler/Koops, BB 2015, S. 2807 ff.), überzeugt mit Blick auf die negativen Konsequenzen für Unternehmen im Kündigungsschutzprozess nicht: Wirft sich der Beschäftigte mit viel Getöse in den Staub und trägt all die auch im BAG-Urteil relevanten Entschuldigungs- und Erklärungsgründe vor, steht der Arbeitgeber vor der prozessual nahezu unmöglichen Herausforderung, diese inneren Tatsachen widerlegen zu müssen. Sie sind aber ebenso wenig justitiabel wie objektiv überprüfbar; „man mag sie glauben oder nicht“ (Schrader/Thoms, ArbRAktuell 2017, S. 31 f.). Ohne dem Mitarbeiter im Einzelfall ehrliche Reue absprechen zu wollen, besteht hier doch die gefährliche Konsequenz, dass manipulative Kriterien entscheidungserheblich werden. So ist die Kritik, das BAG habe mit diesem Urteil Argumentationshilfen an die Hand gegeben, um Pflichtverletzungen zu relativieren (Schrader/Thoms, ArbRAktuell 2017, S. 63), nicht von der Hand zu weisen; in einem Kündigungsschutzverfahren verschiebt sich bei einer solchen Verteidigung des Arbeitnehmers das Prozessrisiko (ggf. entscheidend) zulasten des Unternehmens. Hier ist also Vorsicht geboten und insbesondere die konkrete Situation nach der sexuellen Belästigung zu analysieren, bevor eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird.

Gleichwohl kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass verständige Instanzgerichte sich von diesem BAG-Urteil nicht dazu verleiten lassen werden, jede außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung mangels Abmahnung pauschal als unverhältnismäßig einzustufen. Wird klar und notorisch in Tabuzonen eingegriffen oder kommt es (beweisbar) zu wiederholten Bemerkungen eindeutig sexuellen Inhalts, durch die ein Arbeitsumfeld geschaffen wird, in welchem die betroffene Arbeitnehmerin jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten ihres Kollegen rechnen muss, darf sich dann auch der Arbeitgeber eindeutig positionieren und mit der außerordentlichen Kündigung hart, aber angemessen reagieren (so bereits BAG v. 9.6.2011, a.a.O.).

Es bleibt außerdem zu bedenken, dass ein Vortrag im Kündigungsschutzprozess, das rechtswidrige Verhalten sei unüberlegt oder gar unkontrolliert gewesen, sich auch zum Nachteil des Gekündigten auswirken könnte, ergibt doch die Abmahnung eines Pflichtverstoßes per se nur dann Sinn, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten handelt (in diese Richtung auch Koops, NJW 2017, S. 3018 ff.). Ob eine Abmahnung einen erneuten „Ausrutscher“ künftig überhaupt effektiv ausschließen kann, erscheint also zweifelhaft; insofern kann dieser Gedanke als Argument für den Arbeitgeber streiten.

Ein besonders sensibler Aspekt ist außerdem die Verdachtskündigung. Notwendig ist sie vor allem bei Vier-Augen-Situationen, in denen die behauptete sexuelle Belästigung ohne Zeugen stattfand. Das Unternehmen hat dabei – bevor es Konsequenzen zieht – eine Aufklärungsobliegenheit im eigenen Interesse, denn auch hier liegt das hohe Prozessrisiko dann, wenn sich die Verdächtigungen tatsächlich als haltlos herausstellen, bei ihm (Bonanni, ArbRB 2013, S. 84). Insofern kann nur geraten werden, umfassende Erkundigungen einzuholen und Gespräche zu dokumentieren sowie die inzwischen fast schon uferlos ausgeweiteten Anforderungen der Rechtsprechung an eine Verdachtskündigung (vgl. für einen Überblick Schulz, ArbRAktuell 2016, S. 365) penibel einzuhalten.

Schließlich entstehen in der „Partnerbörse Arbeitsplatz“ oft auch gegenseitige Gefühle unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Dann gilt es für alle im Betrieb – vor allem aber für den Arbeitgeber – damit richtig umzugehen. Dass intime Beziehungen zwischen Kollegen per se weder verboten sind noch es werden können, steht spätestens seit der „Wal-Mart-Entscheidung“ des LAG Düsseldorf (Beschl. v. 14.11.2005 – 10 TaBV 46/05, NZA-RR 2006, S. 81) fest. Wal Mart hatte in einem „Code of business conduct and ethics“ auch seinen deutschen Mitarbeitern verboten, miteinander auszugehen oder in eine Liebesbeziehung zu treten, wenn die beiden betroffenen Personen wechselseitig ihre Arbeitsbedingungen beeinflussen können. Das LAG sah hierin einen Verstoß gegen das Grundgesetz: Dem Arbeitnehmer werde suggeriert, er habe lediglich zu arbeiten und müsse sein Persönlichkeitsrecht „sozusagen am Betriebseingang abgeben“, was unvereinbar mit der Tatsache sei, dass das Leben eines jeden entscheidend mitbestimmt werde von der Art, wie er seine Arbeit leiste. Damit steht fest: „Der Arbeitgeber ist nicht zum Sittenrichter über die in seinem Betrieb tätigen Arbeitnehmer berufen“ (KR/Fischermeier [2016], § 626 BGB Rdnr. 430). Daher kann er auch z.B. keine Kündigung aussprechen, weil ihm die fortgesetzte ehewidrige Beziehung von einem seiner Mitarbeiter zu einer in demselben Betrieb beschäftigten verheirateten Frau moralisch nicht passt (LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.2.1969 – 11 Sa 60/69, DB 1969, S. 667; dazu sei auch auf ArbG Hildesheim, Urt. v. 21.10.1965 – 1 Ca 629/65 hingewiesen, wo die Kündigung eines Lehrers wegen fortgesetzten ehebrecherischen Verhaltens noch als personenbedingt eingeordnet wurde); ebenso wenig kann er verlangen, dass ihm Beziehungen zwischen Kollegen grundsätzlich mitgeteilt werden.

Anders liegt der Fall hingegen, wenn die private Beziehung die Arbeitsleistung beeinflusst, oder – wie es das ArbG Berlin so treffend formulierte – „Die Anknüpfung und Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen (auch) am Arbeitsplatz bleibt grundsätzlich ‚Privatsache‘ der Beteiligten (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG; § 75 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG), die allenfalls dann vertragsrechtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, wenn deren Erscheinungsformen oder Krisenszenarien auf die von den Akteuren geschuldete Arbeitserbringung nachteilig durchschlägt oder gesetzliche Schutzpflichten des Arbeitgebers aktualisiert.“ (ArbG Berlin, Urt. v. 27.2.2015 – 28 Ca 16939/14, BB 2015, S. 1136). Kommt es also wegen der privaten Beziehung zu Spannungen im Betrieb oder zu Problemen mit anderen Kollegen und/oder Vorgesetzten, kann und muss das Unternehmen eingreifen. Dabei sollte es jedoch unmissverständlich klarstellen, dass seiner Ansicht nach Stein des Anstoßes nichts anderes als das Verhalten des jeweiligen Beschäftigten am Arbeitsplatz ist. Der Bezug zu privaten Beziehungen der Kollegen untereinander ist dabei zwar mittelbar vorhanden, ohne jedoch Anlass für das „Einmischen“ des Arbeitgebers zu sein, sodass man rechtlich keine Angriffsfläche bietet.

Auch Beziehungen zwischen Vorgesetztem und Untergebenem sind zwar grundsätzlich nicht verboten, wie das LAG in der Wal-Mart-Entscheidung heraushob; wegen des Abhängigkeitsverhältnisses haben sie dennoch eine Sonderstellung inne. Insofern wird in der Fachliteratur diskutiert, ob kraft Direktionsrechts ein Verbot von intimen Beziehungen mit Auszubildenden aufgestellt oder den Mitarbeitern auferlegt werden dürfe, ernsthafte Liebesbeziehungen zwischen Vorgesetztem und Untergebenem dem Arbeitgeber offenzulegen (bejaht von Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 1, Rdnr. 29 m.w.N.). Dies scheint das BAG jedenfalls nicht auszuschließen, führte es doch aus, auch Regelungen über im Betrieb stattfindende private Verhaltensweisen der Arbeitnehmer, insbesondere wenn es um das Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen gehe, seien nicht generell unzulässig (Beschl. v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, AuA 12/08, S. 756).

Zu beachten ist indes, wann ein belästigungsrelevantes Verhalten überhaupt arbeitsrechtlich relevant ist und deshalb solche Konsequenzen erfordert: Kein betrieblicher Bezug besteht nämlich bei privaten Treffen – und zwar selbst dann, wenn die Verabredung dazu während der Arbeitszeit getroffen wurde, denn sonst bürdete man dem Arbeitgeber das Risiko einer Haftung für ein Verhalten seines Beschäftigten auf, das er gar nicht kontrollieren kann.

Anders liegt der Fall jedoch, wenn es eine betriebliche Veranlassung für das Treffen gibt, z.B. Dienstreisen, Weihnachtsfeiern oder Betriebsfeste. Der Arbeitgeber muss sich daher auch seiner Verantwortung, sexuelle Belästigungen in alkoholgeschwängerter Umgebung auszuschließen, bewusst sein (zu sexuellen Belästigungen unter Alkoholeinfluss vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 13.6.2016 – 3 Sa 24/16: unwirksame außerordentliche Kündigung nach sexueller Belästigung im Rahmen eines betrieblich veranlassten externen Gesundheitsförderseminars; sowie Schrader/Thoms, a.a.O., S. 62: sexuelle Belästigung einer betrunkenen Arbeitnehmerin).