und Christian Gasper

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Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre,
insbesondere Management-Informationssysteme,
Universität des Saarlandes

Von Prof. Dr. Stefan Strohmeier

Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre,
insbesondere Management-Informationssysteme,
Universität des Saarlandes

Da das „electronic HRM“ (E-HRM) immer größere Anteile der betrieblichen Personalarbeit durch webbasierte Informationstechnikanwendungen unterstützt (Strohmeier 2007), stellt sich die Frage, ob und welche Verbesserungen dabei durch das „Semantic Web“zu erwarten sind.

Das Problem: Die grundlegenden Technologien sind komplex und funktionsfähige Beispiele aus der Praxis beschränken sich auf wenige Pionieranwendungen. Entsprechend stellt sich das „Semantic Web“ derzeit für viele eher schillernd dar: Bewertungen schwanken zwischen belanglosem „Hype“ und revolutionärer Veränderung. Der vorliegende Beitrag diskutiert Problemstellungen und Lösungsansätze semantischer Technologien und stellt die prototypischen Anwendung SABINE für das E-Recruiting und E-Learning vor.

Internetanwendungen „verstehen“ heute unstrukturierte Inhalte noch nicht

Ein zentrales Manko gegenwärtiger Internetanwendungen ist der Mangel an Maschinenlesbarkeit der Inhalte. Zwar sind die unstrukturierten oder strukturierten Inhalte (z.B. die Suche nach einem „Vertriebsleiter“ in einem e-recruiting-System) für einen menschlichen Anwender (z.B. einen Stellensuchenden) verständlich. Maschinen (z.B. eine Internet-Jobbörse) bedürfen dagegen aber spezifischer und aufwändiger Voraussetzungen (z.B. standardisierte Datenstrukturen nach HR-XML), um einen Internetinhalt als solchen „erkennen“ und „verstehen“ zu können.

Die derzeitige maschinelle Unterstützbarkeit des Menschen besteht meist in einer Stichwort-Suche (z.B. „Vertriebsleiter“) mittels Suchmaschinen. Bekanntermaßen leidet diese Vorgehensweise an diversen Problemen: Die Anzahl der erzielten Treffer ist hoch, doch deren Präzision gering. Die Treffer berücksichtigten keine Synonyme (z.B. Marketing Manager) oder Hyperonyme (z.B. Senior Manager) und bleiben deshalb unvollständig. Aufwändige menschliche Such- und Abstimmungsprozesse mit unklarer Ergebnisgüte sind die bekannte Folge.

Findet der Nutzer auf diese Weise adäquate Inhalte (z.B. stellensuchende Vertriebsleiter), die Maschinen weiterverarbeiten sollen (z.B. Übernahme in das Bewerbermanagement-System und Anstoßen eines Auswahlprozesses), führt die mangelnde Maschinenlesbarkeit der Inhalte erneut zu Schwierigkeiten. Fehlen nämlich gemeinsame Datenaustauschstandards, müssen die Anwender die eigentlich bereits vorhandenen Inhalte (z.B. Name und Qualifikation der Stellensuchenden) manuell neu eingeben.

Semantische Technologien liefern Lösungsbeiträge im E-HRM

Die Grundidee semantischer Technologien besteht daher darin, die Webinhalte so aufzubereiten, dass Maschinen sie verarbeiten können. Semantische Technologien zielen entsprechend darauf ab

a) die Suche nach Information in heterogenen Internetanwendungen/-dokumenten und

b) den Transfer von Informationen zwischen heterogenen Internetanwendungen

in intelligenter Weise automatisieren zu können (z.B. Antoniou/van Harmelen 2004).

Um dies zu ermöglichen, können verschiedene semantische Technologien zum Einsatz kommen. Als Kernbestandteil dienen dabei die so genannten „Ontologien“. Der aus der Philosophie übernommene Begriff steht für umfassende formale Beschreibungen realer Phänomene, den so genannten „Domänen“ (z.B. Personalbeschaffung). Ontologien bestehen aus Konzepten einer Domäne (z.B. Berufe und Qualifikationen), die hierarchisch in Subkonzepte aufgegliedert werden (z.B. Manager Berufe, Englisch Qualifikationen) und zwischen denen Beziehungen (z.B. Berufe erfordern Qualifikationen) hergestellt werden. Ontologien enthalten außerdem Regeln für wesentliche Zusammenhänge der Domäne (z.B. IF Ausbildungsort = GB THEN Qualifikation = Englisch). Zusätzlich werden die Konzepte im Sinne eines (idealerweise mehrsprachigen) Thesaurus umfassend mit Syno-, Hypero- und Hyponymen (z.B. Vertriebsleiter = Marketing Manager, Manager, Manager Direct Mailing) beschrieben. Als Ergebnis liegt eine umfassende und systematische formale Beschreibung einer Domäne vor.

Ontologien stellen den Basisbaustein dar, um die erwünschte Maschinenverarbeitbarkeit von Webinhalten zu ermöglichen. Sie bilden zum einen die Grundlage für eine umfassende, an der Bedeutung („Semantik“) des Begriffs orientierten Suche mittels entsprechender Suchmaschinen. Suchen Nutzer nach spezifischen Webinhalten (z.B. Vertriebsleiter mit Schwerpunkt Analytisches CRM), finden sie damit anders als bisher auch bedeutungsgleiche Inhalte (z.B. Marketing Manager Database Marketing). Darüber hinaus können sie bei zu großen oder zu kleinen Treffermengen nach entsprechenden Hyponymen (z.B. Manager Direct Mailing) oder Hyperonymen (z.B. Sales Manager) suchen. Auf diese Weise „versteht“ das System, was der Anwender eigentlich sucht und bildet menschliches Suchverhalten nach.

Auf die gleiche Weise bilden Ontologien die Grundlage für einen semantischen Datenaustausch im Internet. Bisher bedarf der Austausch von Daten zwischen zwei webbasierten Anwendungen (z.B. zwischen externer Internet-Jobbörse und internem E-Recruiting-System) dezidierter Datenaustauschstandards bzw. eigens erstellter Schnittstellen. Gefundene relevante Inhalte (z.B. „Stellensuchender Peter Meier, Marketing Manager Database Marketing“) können mit Ontologien „übersetzt“ und in der vom importierenden System vorgegebenen Datenstrukturierung und -terminologie abgespeichert werden (z.B. „Vertriebsleiter mit Schwerpunkt analytisches CRM, Meier, Peter“).

Bei diesem Datenaustausch kann das importierende System durch logische Schlussfolgerungen auch neue Informationen generieren. Mithilfe der Regeln in Ontologien (z.B. „IF Studienland = GB THEN Qualifikation = Englisch“) und weiterer Informationen (z.B. Studienland von Peter Meier = GB) lassen sich neue, in der Datenquelle nicht (oder nur implizit) vorhandene Informationen (z.B. „Qualifikation von Peter Meier = Englisch“) erstellen. Auf diese Weise ermöglicht die Ontologie eine umfassende Fähigkeit zur Zusammenarbeit zwischen heterogenen, per se nicht kompatiblen Internetanwendungen.

Abb. 1: Semantische Technologien im e-Recruiting

Abbildung 1 fasst die obigen Überlegungen beispielhaft zusammen und zeigt schematisch, wie etwa ein künftiges E-Recruiting-System den Prozess einer semantische Suche und eines semantischen Datenaustausches bei der internetbasierten Personalbeschaffung ermöglicht.

„SABINE“ – Prototyp für ein integriertes semantisches E-Recruiting und E-Learning

Inzwischen sind semantische Technologien deutlich mehr als eine bloße Vision. Sie befinden sich in einem Stadium der Entwicklung und Konkretisierung. Auch für das E-HRM existieren umfangreiche Aktivitäten und erste Pionieranwendungen (z.B. Jarrar et al. 2007). Die imc AG (www.i-mc.de) und der Lehrstuhl für Management Informationssysteme der Universität des Saarlandes (www.mis.uni-saarland.de) entwickeln derzeit gemeinsam den Prototyp SABINE (www.sabine-projekt.de: SABINE wird im Rahmen des Programms THESEUS mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie finanziell gefördert).

Generelles Ziel von SABINE ist es, Mitarbeiter (Stellensuchende) systematisch bei der Suche nach ihren Qualifikationen entsprechenden freien Stellen bzw. Kombinationen aus freien Stellen und korrespondierenden Trainings zu unterstützen. Zu diesem Zweck wurde eine umfassende Qualifikationsontologie für die Domäne „Vertriebs- und Marketingqualifikationen“ erstellt. Diese findet zur Beschreibung des vorhandenen Qualifikationsprofils von Personen, der Anforderungen freier Stellen und der in Trainings vermittelten Qualifikationen Verwendung (Gasper et al. 2010).

Abb. 2: SABINE: Integriertes Angebot von Stellen und korrespondierenden Trainingsmaßnahmen auf semantischer Basis

Das SABINE-Backend „crawlt“ für den Anwender nach im Netz frei zugänglichen Stellenangeboten und Trainings von verschiedenen Job- und Lernplattformen im Internet. Diese sind meist in natürlicher Sprache beschrieben. Deshalb ist es oft schwierig direkt festzustellen, welche Qualifikationen eine Stellenausschreibung verlangt, welche möglichen Qualifikationslücken bestehen und welche Trainings am besten geeignet sind, die Qualifikation zu vermitteln. Auf Basis der Qualifikationsontologie extrahiert und identifiziert SABINE daher zunächst solche impliziten Qualifikationen, annotiert die entsprechenden Stellen- und Trainingsangebote semantisch und speichert diese in einer Datenbank.

Das SABINE-Frontend ist für alle verbreiteten Webbrowser konzipiert. Hier erfasst der Anwender sein persönliches Qualifikationsprofil. Dabei assistiert das System mit automatischer Vervollständigung („auto completion“), indem es Qualifikationen vorschlägt, die ebenfalls aus der Qualifikationsontologie stammen. Die Nutzer können ihre Qualifikationen manuell eingeben oder sie über Schnittstellen auch automatisch aus Learning-Management-Systemen und Sozialen Netzwerken wie Facebook, XING oder LinkedIn übernehmen. Erstellte und/oder importierte Qualifikationen lassen sich zur weiteren Verwendung auch in HR-relevanten Formaten wie HR-XML oder Europass als automatisch generiertes Qualifikationsprofil herunterladen.

Auf dieser Grundlage von Qualifikationsdaten ist SABINE in der Lage diejenigen Stellenangebote vorzuschlagen, die am besten mit dem Qualifikationsprofil des Suchenden übereinstimmen. Ebenso ist es möglich, für eine mit Blick auf ein spezifisches Stellenangebot fehlende Qualifikation ein passendes Training vorzuschlagen (vgl. Abb. 2). Um die Akzeptanz und Anwendbarkeit zu erhöhen, kann SABINE auch als „widget“ in facebook oder iGoogle integriert werden.

Vorteile überwiegen vor Schwierigkeiten

Insgesamt zeigt SABINE damit, dass die rein technische Funktionsfähigkeit semantischer Anwendungen immer weniger ein Problem darstellt. Einige Basistechnologien, etwa Ontologie-Editoren, sind bereits als marktreife Produkte verfügbar. Andere Technologien, etwa Algorithmen für semantische Erläuterungen, sind dagegen eigens zu entwickeln. Besonders kritisch stellt sich insbesondere der Entwicklungsaufwand der notwendigen Ontologien dar.

Wie SABINE zeigt, ist der quantitative und qualitative Aufwand einer umfassenden und systematischen Ontologieerstellung erheblich. Genau dies ist aber unabdingbar, da jeder fehlende „ontologische“ Aspekt die Such-, Transfer- und Anreicherungsergebnisse semantischer Systeme mindert. Entsprechend werden verschiedene Lösungen diskutiert – wie etwa das Wiederverwenden bereits erstellter Ontologien oder das dezentrale webbasierte Erstellen personalwirtschaftlicher Ontologien nach dem Vorbild einer „Folksonomy“.

Gleichwohl bleibt der quantitative und qualitative Aufwand der Ontologie-Erstellung derzeit ein kritischer Punkt. Insgesamt dürfte das Semantic Web auch für das E-HRM besonders interessante Technologien bereitstellen. Grundsätzlich gilt, dass überall dort, wo im E-HRM nach heterogenen Webinhalten gesucht und/oder heterogene Webinhalte übertragen und angereichert werden sollen, die Anwendung semantischer Technologien empfehlenswert ist. Entsprechend gilt es in Zukunft, die Potenziale semantischer Technologien durch weitere prototypische praktische Anwendungen systematisch auszuarbeiten und zu evaluieren.

Literatur:

  • Antoniou, G., van Harmelen, F. (2004): A Semantic Web Primer, Cambridge.
  • Berners-Lee, T., Hendler, J., Lassila, O. (2001): The Semantic Web: A New Form of Web Content that is Meaningful to Computers Will Unleash a Revolution of New Possibilities, Scientific American, 284 (5), 34–43.
  • Gasper, C.; Pekczynski, P.; Strohmeier, S.; Zimmermann, V. (2010): Semantische Verknüpfung von Jobangeboten und Weiterbildung auf Basis von Skill- und Kompetenzprofilen – Konzeption einer Plattform für die Verbesserung von Jobvermittlung und Weiterbildungsempfehlung im Rahmen des Projektes SABINE (THESEUS Mittelstand)“, White Paper, Saarbrücken.
  • Jarrar, M., Vervenne, L., Maynard, D. (Hrsg.) (2007): HR Semantics Roadmap. The Semantic Challenges and Opportunities in the Human Resource Domain, White Paper, Brüssel.
  • Strohmeier, S. (2008): Informationssysteme im Personalmanagement. Architektur – Funktionalität – Anwendung, Wiesbaden.