Bereits 2018 gaben mehr als 63 Prozent der deutschen Unternehmen in einer Bitkom-Studie an, beim Thema Digitalisierung den Anschluss verloren zu haben oder Nachzügler in ihrer jeweiligen Branche zu sein. Aber auch bis zum Jahr 2021 hat sich diese Situation nicht verbessert. Eine Studie der europäischen Union zeigt, dass die deutschen Unternehmen in der digitalen Wettbewerbsfähigkeit nur im Mittelfeld und weit abgeschlagen hinter den Spitzenreitern Finnland, Schweden, Dänemark und den Niederlanden liegen. Welche Ursachen die schleichende Digitalisierung bei deutschen Mittelständlern hat, beschreibt dieser Artikel. Darin erfahren Sie außerdem, welche Kompetenzen Mitarbeitende und Führungskräfte für die digitale Transformation benötigen und wie sie diese aufbauen können.

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Foto: barraza, Unsplash

Gründe für die schleppende Digitalisierung in Deutschland

75 Prozent der deutschen Unternehmen passen im Zuge der Digitalisierung bereits bestehende Produkte und Dienstleistungen an und über die Hälfte entwickelt neue Produkte und Dienstleistungen oder plant dieses. Dass dies nur zu einem Platz im europäischen Mittelfeld reicht, liegt aus Personal- und Organisationsperspektive an zwei Hauptgründen: Einerseits fehlen die Fachkräfte für die Umsetzung digitaler Strategien, andererseits fehlen den Führungskräften die notwendigen Kompetenzen, die digitale Transformation zu organisieren.

In einer Analyse des Branchenverbandes Bitkom geben 58 Prozent der Unternehmen an, dass der Mangel an Spezialisten zu den großen Hemmnissen zählt und dass sich dieser Wert seit 2018 um neun Prozent verschlechtert hat. In deutschen Handwerksbetrieben ist die Situation noch dramatischer. 72 Prozent der Unternehmen haben große Probleme, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Das hat Folgen: Eine Studie der TU Dresden zeigt, dass die Unternehmenskultur, die Führungskultur sowie die Einführung einer digitalen Denkweise zu den absoluten Erfolgsfaktoren von Digitalisierungsprojekten zählen. Die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen dabei den Unterschied.

Abbildung 1: Erfolgsfaktoren für Digitalisierungsprojekte, absolute Nennungen, Ergebnisse einer Literaturanalyse (Ley & Bley 2016)

Digitalisierung versus digitale Transformation

Unternehmen müssen bei ihren Digitalisierungsvorhaben umdenken, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Während wir bei Digitalisierungsvorhaben von der Einführung technischer Lösungen sprechen, so bedeutet der Begriff „digitale Transformation“ die aktive Veränderung des Alltagslebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die Verwendung digitaler Technologien und Techniken. Dies bedeutet, dass Unternehmen den Fokus ändern müssen. Es reicht nicht, einzelne Digitalisierungsprojekte in der Strategie zu verankern. „Digitale Transformation“ bedeutet, dass Unternehmen „digital denken“, entsprechende Qualifizierungsangebote schaffen, zum Beispiel in Form von „Learning on the Job“. Sie müssen agile Arbeitsweisen einführen und zukünftige Fachkräfte für die Digitalisierung aus- und weiterbilden.

Welche Fähigkeiten brauchen Fachkräfte?

Studien zeigen, dass Facharbeiterinnen und Facharbeiter neben klassischen IT-Kenntnissen und berufsspezifischem Wissen auch die Kompetenz entwickeln müssen, selbstständig zu lernen und Probleme zu lösen. So können sie Herausforderungen bei der Planung und Einführung neuer Technologien und Prozesse selbstständig und ressourcensparend meistern. Das können nicht alle. Den Entscheiderinnen und Entscheidern in den Unternehmen ist durchaus bewusst, dass sie Digitalkompetenzen bei Mitarbeitenden und Führungskräften entwickeln müssen.

Eine aktuelle Studie der KfW Bank zeigt, dass mehr als 30 Prozent der KMUs hier einen mittleren oder erweiterten Weiterbildungsbedarf sehen, auch wenn viele Schulungen mit Verweis auf die Coronapandemie zurzeit nicht stattfinden. Führungskräfte benötigen zudem neben klassischen IT-Fähigkeiten für die Umsetzung der digitalen Transformation Kompetenzen wie kritisches Denken, die Bereitschaft zur agilen Führung sowie Kommunikations- und Verhandlungskompetenzen.

Wie können Unternehmen diese Kompetenzen vermitteln?

Als primäre Methode für die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im Unternehmen ist die Moderationsmethode, insbesondere bei Workshops und Seminaren, zielführend. Bei diesem Ansatz arbeiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Gruppen, die ein Moderator oder eine Moderatorin unterstützt. Das Ziel ist, mit allen Gruppenmitgliedern einen gemeinsamen Lernprozess zu gestalten. Durch die Moderationsmethode erlernen und trainieren die Teilnehmenden das Entwickeln von Problemlösungen, lernen berufsspezifische Inhalte und wenden diese an.


Für diese Qualifizierungen benötigen Unternehmen Moderatorinnen und Moderatoren, die eine neutrale Position einnehmen und die Teilnehmenden anleiten. Dafür müssen sie über bestimmte Schlüsselqualifikationen verfügen, darunter personale, aktivitäts- und umsetzungsorientierte, fachlich-methodischen sowie sozial-kommunikative Kompetenzen. Denn im Regelfall finden diese Qualifizierungen mit heterogenen Gruppen statt. Der Moderierende trifft auf unterschiedliche Charaktere, die eine unterschiedliche Motivation und Intension bei der Teilnahme haben. Darüber hinaus verfügen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über einen unterschiedlichen Wissensstand und wenden das Erlernte in unterschiedlichen Teilprozessen im Unternehmen an. Diese gehen über die formalen Qualifikationen hinaus und befähigen zu einem kompetenten Umgang mit den Teilnehmenden.

Ein Forschungsprojekt des Fraunhofer IMW und des Instituts Chemnitzer Maschinen- und Anlagenbau e.V. hat diese Methode in einem Projekt entwickelt, das die Kollaboration zwischen Menschen und Maschinen (Robotik) in produzierenden Unternehmen untersucht hat. In einem nachgelagerten Projekt konnte festgestellt werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kompetenzen in diesem Bereich steigern konnten.

Leadership Skills für die digitale Transformation

Die digitale Transformation stellt Unternehmen aus allen Branchen vor neue Anforderungen. Daher müssen sie geeignete Angebote zu entwickeln, um den Bedarf an Reskilling (Umschulung) und Upskilling (Weiterbildung) bewältigen zu können. Ein europäisches Forschungskonsortium hat diese „Future Skills for Digital Transformation“ für Führungskräfte in einem Projekt untersucht, das von der Initiative „EIT Health“ gefördert wurde.

Diese Future Skills lassen sich den Ergebnissen zufolge in drei Hauptbereiche untergliedern (EIT-Health „Future Digital Skills“ 2020):

1. Management

Um die digitale Transformation zu managen, müssen Führungskräfte finanzielle Aspekte im Blick behalten, Geschäftspotenziale erkennen und für einen verbesserten Einsatz digitaler Technologien sorgen. Unternehmen sollten daher diese Kompetenzen stärken, die es Führungskräften ermöglichen, digitale Strategien umzusetzen.

2. Fundamentale Fähigkeiten

Die digitale Transformation stellt neue Anforderungen an Kooperation und Kommunikation. Ein Grund dafür sind die Entwicklungen in Richtung einer VUKA-Welt, die unsere Arbeitsbedingungen zunehmend volatil, unsicher, komplex und ambivalent erscheinen lassen. Darüber hinaus benötigen Führungskräfte Fähigkeiten im grundlegenden Umgang mit der Digitalisierung und den entsprechenden Technologien sowie methodische und soziale Fähigkeiten. Denn nur so können sie in einer digitalisierten Arbeitswelt professionell agieren.

3. Anwendung transformativer Technologien

Führungskräfte müssen Mitarbeitende aller Qualifizierungsebenen befähigen können, Technologien als Treiber der digitalen Transformation im Arbeitskontext zu verstehen und anzuwenden. Dabei müssen sie den Transfer in das Arbeitsfeld vermitteln und die Innovationskraft stärken.

Abbildung 2: Beispielhafte Inhalte für den Gesundheitssektor (Fraunhofer Gesellschaft im Rahmen EIT-Health „Future Digital Skills“, 2020, © Fraunhofer)

Neben den thematischen Inhalten ist das Lerndesign für ein bedarfsgerechtes Qualifizierungsangebot von großer Bedeutung. In Abbildung zwei sehen Sie eine explizite Vorgehensweise für die notwendigen Weiterbildungsangebote für Führungskräfte im Healthcare-Sektor. Um die digitale Transformation, beispielsweise in einem Krankenhaus, erfolgreich umzusetzen, müssen Führungskräfte die technischen Möglichkeiten digitaler Lösungen verstehen und einsetzen können.

Ein Beispiel dafür ist Wissen über den Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Diagnose oder beim Einsatz bildgebender Verfahren in der Radiologie. Aber diese Technologien zu kennen und eventuell sogar anwenden zu können, reicht nicht aus, um dieses Verfahren zu implementieren. Persönliche Fähigkeiten wie Mitarbeiterorientierung oder der Einsatz transformationaler Führungselemente sind genauso notwendig wie die Bereitschaft und Fähigkeit zum agilen Arbeiten.

Grundlage für eine erfolgreiche Transformation

Diese fundamentalen Fähigkeiten bilden die Grundlage für die erfolgreiche digitale Transformation. Mit der fachlichen Ausbildung in den relevanten Technologien, beispielsweise beim Einsatz Robotik oder technischen Assistenzsystemen in der Behandlung von Patienten, verfügen Führungskräfte aus dem Medizin- oder Verwaltungsbereich über das Rüstzeug für die Einführung digitaler Technologien.

Diese Inhalte müssen auf die individuellen Bedarfe der Lernenden anpassbar sein. Sie benötigen ausreichend Raum für zeit- und ortsungebundenes Lernen mit Hilfe moderner Lerntechnologien. Dies bedeutet, dass sich Unternehmen des Potenzials der Weiterbildung bewusst sein müssen. Die Freistellung für Schulungen und der damit verbundene Kompetenzerwerb der Führungskräfte amortisiert die Kosten der Weiterbildung um ein Vielfaches.

Beispiele aus dem Gesundheitswesen im Rahmen des EIT-Health-Projektes zeigen, dass die Anzahl erfolgreicher Projekte, die Akzeptanz neuer Technologien und die Mitarbeiterzufriedenheit steigt. Dies reduziert in der Konsequenz die psychologische Belastung am Arbeitsplatz. Um den Lernprozess flexibel und effizient gestalten zu können, empfehlen wir den Einsatz digitaler und hybrider Lehr-Lernformen die das orts- und zeitungebundene Lernen ermöglichen. Elemente des Flipped-Classroom-Ansatzes sowie BlendedLearning sind hierbei am geeignetsten.

Fazit

Um die Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich zu bewältigen, müssen Unternehmen die digitale Transformation vollziehen. Dies gelingt nur, wenn sie Fachkräfte für digitale Technologien fit machen und Führungskräfte auf die Organisation der digitalen Transformation vorbereiten.

Quellen

BITKOM – Digitalisierung der Wirtschaft, Berlin, 2020

Digitalisierung: Chance oder Risiko für den deutschen Mittelstand? – Eine Studie ausgewählter Unternehmen. Von Christian Leih und Katja Bley. HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik, Vol. 53, No. 1, pp. 29-41, 2016.