Welche Möglichkeiten bietet künstliche Intelligenz für die Personalentwicklung? Über diese Frage haben wir mit Thomas Jenewein gesprochen. Als Business Development Manager bei SAP unterstützt er derzeit SAP-Kunden und -Partner, SAP-Trainings und Adoption Services optimal zu nutzen. Zuvor hat er rund 25 Jahre an der Schnittstelle von Personalmanagement, Personalentwicklung und Lerntechnologie gearbeitet. Auf der L&Dpro in München hält er eine Keynote über KI im Learning & Development.
Herr Jenewein, wo stehen Unternehmen zurzeit bei der Implementierung von KI in der Personalentwicklung?
Unter den Early Adoptern und Innovatoren, die offen gegenüber technischen Neuerungen sind, beschäftigen sich schon einige mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz. Sie probieren einzelne Lösung aus und nutzen künstliche Intelligenz zum Beispiel, um Meetings zusammenzufassen, zu transkribieren oder für Projekte zu recherchieren. Es gibt einige Tools wie perplexity.ai, die wirklich sehr gut und offen zugänglich sind. Auch ChatGPT haben viele im Einsatz. Vereinzelt haben Unternehmen auch schon erste Lösungen entwickelt, wie beispielsweise EnBW, die eine Lernumgebung für ChatGPT entwickelt haben.
Aktuell befinden wir uns aber noch nicht in der Phase, in der die große Masse der Betriebe künstliche Intelligenz im Weiterbildungsbereich nutzt. Das wird dann der Fall sein, wenn KI in den Lernplattformen und -Tools eingebaut ist, die Unternehmen ohnehin nutzen, wie etwa ein Copilot in Microsoft. Die wenigsten Organisationen werden individuelle eigene Lösungen bauen.
Wie können Personalentwickler:innen KI schon jetzt in ihrer täglichen Arbeit KI nutzen?
Die Anwendungsfelder sind sehr breit gefächert, wenn wir von generativer künstlicher Intelligenz sprechen, die Inhalte mithilfe von einfachen Anweisungen, den sogenannten Prompts, kreieren kann. Früher haben sich die Wirkungsbereiche einer KI eher auf Statistiken oder Mustererkennungen beschränkt. Natürlich gab es schon tolle Anwendungsfälle wie Spamfilter oder vorausschauende Wartung. Auch Spracherkennung war in gewissen Grenzen möglich. Aber bei den neuen KIs ist die Übersetzung deutlich besser geworden: Diese Lösungen können zum Beispiel Texte erstellen, vergleichen, zusammenfassen, übersetzen, überarbeiten und analysieren.
Was sind typische Anwendungsbereiche für den Weiterbildungsbereich?
Im Weiterbildungsbereich kann künstliche Intelligenz beim Entwickeln von Lernprogrammen unterstützen, wenn es zum Beispiel um die Didaktik geht. Sie kann helfen, Lernziele zu gliedern, Inhalte zu erstellen oder Übungen und Tests zu entwickeln. Wenn ich in einer Weiterbildung visuelle Elemente benötige, um etwas zu verdeutlichen, kann ich diese ebenfalls mit KI gestalten.
Sehr nützlich ist KI auch für Kommunikation und Marketing. Ich kann damit Kampagnen entwickeln, zum Beispiel, um Weiterbildungen bekannt zu machen. Eine KI kann mich auch dabei unterstützen, E-Mails oder Blogbeiträge zu verfassen. Aber sie kann auch Daten analysieren, was zum Beispiel hilfreich sein kann, um qualitative Aussagen aus Interviews oder Fragebögen zu ziehen.
Die bereits erwähnten Lern-Chatbots können als Tutoren fungieren und Mitarbeitende im Lernprozess begleiten. Ein Anwendungsfeld wäre zum Beispiel das Lernen einer Fremdsprache.
Künstliche Intelligenz bietet insgesamt sehr viele Möglichkeiten „on the job“ und informell zu lernen. Dabei können die Grenzen zwischen Lernen und Performance Support in Zukunft verwischen, wenn ich beispielsweise einen digitalen Assistenten habe, der mich laufend bei meiner täglichen Arbeit unterstützt und begleitet.
Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden die neuen Technologien annehmen und nutzen?
Bei der sogenannten „Adoption“, also der Aneignung dieser Technologien, spielt die Akzeptanz eine wichtige Rolle. Wenn wir diese Akzeptanz steigern möchten, müssen wir die Userinnen und User mitnehmen. Wir müssen nutzerorientiert denken, wie das beispielsweise im Design Thinking der Fall ist. Im Idealfall geht schon der Software-Anbieter nutzerorientiert vor, so dass die Lösung grundsätzlich anwenderfreundlich ist. Darüber hinaus sollten Unternehmen bei der Einführung neuer Tools Vertreter aus verschiedenen Bereichen einbinden. Ich muss schauen, welche Anwendungsfälle es für die Software in welchen Bereichen gibt. Wo bietet sie einen Mehrwert? Es ist wichtig, eine Strategie zu entwickeln: Zu welchem Zweck (Neudeutsch: Use Case) wollen wir künstliche Intelligenz einsetzen? Hilft sie beispielsweise beim Optimieren der Lieferkette oder in der Programmierung?
Gleichzeitig müssen Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die entsprechenden Fähigkeiten haben, um die Tools zu nutzen. Hier ist Upskilling gefragt – und zwar am besten erfahrungsbasiert und nah an der Arbeits-Praxis – in Form von Hackathons, Promptathons oder Workshops. Dabei überlegen die Leute selbst, welche Anwendungsbereiche es für KI in ihren Tätigkeitsfeldern gibt. Sprich: Was ist der Use Case von KI für meinen Job, mein Team, meine Abteilung?
Ein dritter wichtiger Punkt ist Changemanagement: Wenn Unternehmen Technologien in größerem Stil einsetzen, sollten sie das kommunikativ begleiten und die Leute abholen und mitnehmen. Vertrauen ist gerade beim Thema KI wichtig. Viele Menschen haben Ängste, dass ihnen künstliche Intelligenz die Jobs oder die Relevanz nimmt. Wir brauchen dazu auch einen ethischen Rahmen. Es muss also klar sein, was wir mit KI machen wollen – und was nicht.
Last but not least müssen wir die Einführung begleiten – und zwar auch nach dem Go Live. Wir können nicht einfach in einem „Big Bang“ ein Tool über den Zaun werfen – und die Menschen damit alleine lassen. Wir müssen schauen, wie sie die Lösungen nutzen, um dann immer wieder zu prüfen, wo wir Unterstützung leisten sollten.
Wie können Unternehmen das bereits angesprochene Vertrauen in künstliche Intelligenz fördern?
Indem sie die Ängste der Menschen ernst nehmen und darauf eingehen. Das kann die Angst vor dem Jobverlust sein oder die Angst vor Datenpannen. Wie bereits erwähnt, ist es wichtig, dass Unternehmen einen ethischen Rahmen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz entwickeln und zum Beispiel klarstellen: Wir überwachen damit niemanden und bei personellen Entscheidungen ist immer noch ein Mensch involviert. Es geht eigentlich um grundlegende Dinge: Miteinander reden, die Leute abholen – und zwar nicht nur einmal, sondern regelmäßig.
Wenn Unternehmen außerdem einen nutzerorientierten Ansatz verfolgen und ihre Leute von Anfang an einbeziehen, um Anwendungsfälle von KI zu erarbeiten, dann nehmen sie ihnen gleich viele Vorbehalte. Denn dann können die Nutzerinnen und Nutzer selbst Uses Cases entwickeln, die ihnen und der Firma weiterhelfen.
Interview: Miray Sarkbay und Bettina Geuenich