Problempunkt

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Foto von Austin Distel


Gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erfolgt die Überlassung von Arbeitnehmern „vorübergehend“. Der Betriebsrat des Kundenbetriebs ist vor der Beschäftigung eines Zeitarbeitnehmers zu beteiligen und kann gem. § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG i.V.m. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung verweigern, wenn eine personelle Maßnahme gegen ein Gesetz verstößt.


Das BAG musste sich nun mit der Frage auseinandersetzen, ob dem Betriebsrat bei einem nicht mehr nur vorübergehenden Einsatz ein entsprechendes Widerspruchsrecht zusteht.

 

 

Entscheidung

Der 7. Senat hat dies im konkreten Fall bejaht. Die beabsichtigte Einstellung des Zeitarbeitnehmers verstößt gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und somit gegen ein Gesetz i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Für die Entscheidung ist auf die zum Zeitpunkt des Beschlusses geltende Rechtslage abzustellen. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist anzuwenden, obwohl dieser zeitlich erst nach der Beantragung der Zustimmung durch den Arbeitgeber und auch nach dem Beschluss der Vorinstanz vom 1.12.2011 in Kraft getreten ist. Streitgegenstand eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVg ist aber nicht die Frage, ob die Maßnahme im Zeitpunkt der Antragsstellung zulässig war, sondern ob diese gegenwärtig und zukünftig zulässig ist.

Bei § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG handelt es sich um eine verbindliche Rechtsnorm. Insbesondere aus den Gesetzesmaterialien ist erkennbar, dass der Gesetzgeber die nicht mehr vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung verbieten will. Ein Eingriff in das Grundrecht von Personaldienstleister und Kundenunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG ist durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls, namentlich den Schutz der Zeitarbeitnehmer und die Begrenzung der Spaltung der Belegschaft des Kundenbetriebs, gerechtfertigt. Letztlich stehen auch die Zeitarbeitsrichtlinie sowie Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dem Verständnis von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als verbindliche Rechtsnorm nicht entgegen. Insbesondere die Richtlinie hindert den deutschen Gesetzgeber nicht daran, die nicht mehr nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung zu verbieten.

Eine Konkretisierung des Begriffs „vorübergehend“ i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG konnte das BAG dahinstehen lassen, da es um eine Überlassung ohne zeitliche Begrenzung ging, bei der die Zeitarbeitnehmerin anstelle eines Stammarbeitnehmers eingesetzt werden sollte. Zumindest diese Konstellation ist nach Ansicht des BAG nicht mehr vorübergehend. 

Konsequenzen

Das BAG klärt die bislang hoch umstrittene Frage, ob der Betriebsrat des Einsatzbetriebs bei der nicht nur vorübergehenden Beschäftigung eines Zeitarbeitnehmers ein Zustimmungsverweigerungsrecht hat (dafür: LAG Berlin- Brandenburg, Beschl. v. 10.4.2013 – 4 TaBV 2094/12; weitere Nachweise bei: Bissels, juris-PR-ArbR 32/2013, Anm. 3; ablehnend: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rdnr. 177g; Teusch/Verstege, NZA 2012, S. 1330). Bedauerlicherweise hat der Senat aber wesentliche Rechtsfragen offen gelassen – insbesondere, wie der Begriff „vorübergehend“ tatsächlich auszulegen ist. Vielmehr hat er nur negativ abgegrenzt, indem er ausschließlich feststellt, dass zumindest der konkret geplante Einsatz nicht mehr vorübergehend ist.

Ob für diese Begriffsbestimmung ansonsten darauf abzustellen ist, ob ein Dauerarbeitsplatz im Kundenbetrieb mit einem Zeitarbeitnehmer besetzt wird (arbeitsplatzbezogene Betrachtung, vgl. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 31.7.2013 – 4 Sa 18/13 m. w. N.), oder über welchen Zeitraum dieser tatsächlich beim Kundenunternehmen im Einsatz ist (arbeitnehmerbezogene Betrachtung, vgl. LAG Hamburg, Beschl. v. 4.9.2013 – 5 TaBV 6/13), bedurfte vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung. Gerade für die Rechtspraxis ist die Klärung dieser Frage jedoch von essenzieller Bedeutung. 

Der 7. Senat musste sich ebenfalls nicht damit befassen, welche individualvertraglichen Rechtsfolgen eine (unzulässige) nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung auslöst. Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg (Urt. v. 22.11.2012 – 11 Sa 84/12; so auch: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 9.1.2013 – 15 Sa 1635/12, AuA 11/13, S. 682) wird ein Arbeitsverhältnis zwischen Zeitarbeitnehmer und Kundenunternehmen fingiert. Dieser Auffassung ist das BAG inzwischen (Urt. v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13; v. 3.6.2014 – 9 AZR 111/13) überzeugend entgegengetreten: § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG sieht die Fiktion ausschließlich bei einer fehlenden Überlassungserlaubnis des Personaldienstleisters vor; für eine analoge Anwendung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke (so auch: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.4.2013 – 16 Sa 1637/12; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rdnr. 177f m. w. N.).

 

Praxistipp

Zukünftig müssen Unternehmen mit einer (berechtigten) Zustimmungsverweigerung ihres Betriebsrats rechnen, sofern sie einen Zeitarbeitnehmer ohne zeitliche Begrenzung anstelle eines Stammarbeitnehmers einsetzen wollen. Möglich ist zwar weiterhin die Durchführung als vorläufige personelle Maßnahme i. S. v. § 100 BetrVG. Es erscheint jedoch zumindest zweifelhaft, ob dies im Hinblick auf die Kosten des einzuleitenden gerichtlichen Verfahrens und die daraus resultierende Verschlechterung des Betriebsklimas als regelmäßige Alternativlösung tatsächlich sinnvoll ist (vgl. dazu bereits: Bissels, a. a. O.).

Ob eine Arbeitnehmerüberlassung, die zeitlich begrenzt auf einem Dauerarbeitsplatz erfolgt, noch vorübergehend – und damit betriebsverfassungsrechtlich zulässig – ist, kann nach wie vor nicht rechtssicher beurteilt werden. In diesem Fall ist zu empfehlen, den Einsatz (in Anlehnung an § 14 Abs. 2 TzBfG) auf maximal zwei Jahre zu beschränken oder sich bei längerfristigen Überlassungen an den Sachgründen nach § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG zu orientieren und dem Betriebsrat die zeitliche Begrenzung des Einsatzes bereits im Verfahren nach § 99 BetrVG mitzuteilen. Des Weiteren sollte sie im jeweiligen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geregelt werden.

Eine Erleichterung für die Praxis ist, dass keine Gefahr für die Begründung eines fingierten Arbeitsverhältnisses zwischen Zeitarbeitnehmer und Einsatzunternehmen mehr besteht. Aber auch zukünftig ist mit (arbeitsgerichtlichen) Auseinandersetzungen zu rechnen. Insbesondere, solange die Große Koalition die vereinbarte zeitliche Begrenzung der Überlassung auf 18 Monate noch nicht gesetzlich umgesetzt hat.

 

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 9/14

Fotocredit:

(1) Guedo  / pixelio.de
(2) Florentine  / pixelio.de