BAG vom 14. Juli 2010 – 7 ABR 80/08

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Foto von Jesus Kiteque

Dass der Betriebsrat generell einen Anspruch sowohl auf einen Internet-Zugang als auch auf einen E-Mail-Account hat, ist nicht neu. Überraschend ist jedoch die Aussage des Bundesarbeitsgerichtes, dass jedes einzelne Betriebsratsmitglied am jeweiligen Arbeitsplatz einen Zugang zum Internet sowie einen E-Mail-Account als Betriebsratsmitglied verlangen kann. Die Vorinstanzen hatten das noch anders gesehen.

Diese Entscheidung kann zu einer erheblichen Ausweitung der Verpflichtung des Arbeitgebers, den Betriebsrat mit Sachmitteln auszustatten, führen. Ihre Bedeutung ist zurzeit aber noch nicht ganz klar, da bislang nur eine knappe Pressemitteilung vorliegt.

Bis zu dieser Entscheidung des BAG war anerkannt, dass der Betriebsrat als Gremium im Betriebsratszimmer einen Anspruch auf erweiterte Kommunikationsmittel wie einen Internet-Zugang und einen Betriebsrats-E-Mail-Account hat. Der Sachverhalt der dem Urteil des BAG vom 14. Juli 2010 zu Grunde liegt, unterscheidet sich von den bisherigen Sachverhalten jedoch wesentlich: Der Arbeitgeber hat bereits zwei von fünf Betriebsratsmitgliedern den persönlichen Zugang zum Internet samt persönlichem E-Mail-Account ermöglicht und nicht den Betriebsrat auf die Zugänge im Betriebsratszimmer verwiesen. Zudem war den Mitarbeitern die private Nutzung von Internet und E-Mail gestattet.

Das Bundesarbeitsgericht hat bei der Frage der Erforderlichkeit bei seiner Entscheidung wohl maßgeblich auf die Kosten der Bereitstellung abgestellt und außer Acht gelassen, ob dies für das einzelne Betriebsratsmitglied, welches den Anspruch stellt, unabdingbar für die Betriebsratsarbeit an seinem individuellen Arbeitsplatz erforderlich ist. Genau das Gegenteil ist der Fall.

1. Zur Erforderlichkeit von Informations- und Kommunikationstechnik

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes befasst sich mit einer klassischen Fragestellung: Welche Betriebsmittel muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat zur Verfügung stellen, damit dieser seine Betriebsratsaufgaben erfüllen kann?

Nach § 40 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung des Betriebsrats in erforderlichem Umfang Räume, sachliche Mittel, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Büropersonal zur Verfügung zu stellen. Entscheidend ist hierbei der “erforderliche Umfang”.

Die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichtes legt nahe, dass dann eine Erforderlichkeit vorliegt, wenn

  • die Betriebsratsmitglieder bereits an einem PC beschäftigt werden,
  • die Freischaltung des Internetzugangs und die Einrichtung des E-Mail-Accounts für den Betriebsrat keine zusätzlichen Kosten verursacht und
  • dem Internetzugang/dem E-Mail-Account für den Betriebsrat keine sonstigen berechtigten Belange des Arbeitgebers entgegenstehen. 

Nach der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichtes spricht viel dafür, dass das BAG bei der Frage der Erforderlichkeit maßgeblich auf die Kosten für den Arbeitgeber abgezielt hat.

2. Zur Erforderlichkeit der Betriebsratsarbeit im Allgemeinen

Allein auf die Frage abzustellen, welche Kosten und welchen Sachaufwand der Arbeitgeber für die Betriebsratsarbeit zu tragen hat, wäre eine zu eingeschränkte Sichtweise. Der Kostenerstattungsanspruch des Betriebsrates gemäß § 40 BetrVG bezieht sich nur auf die erforderliche Betriebsratstätigkeit und ist damit untrennbar mit der Frage verbunden, wann welche Betriebsratsmitglieder Betriebsratsarbeit ausüben dürfen.

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG kann ein Betriebsratsmitglied sich nur dann von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgeltes befreien lassen, “wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung” der Aufgaben des Betriebsrates erforderlich ist. Per se darf also ein nicht freigestelltes ordentliches Betriebsratsmitglied nicht jederzeit Betriebsratsarbeiten ausüben, sondern muss sich nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit für jede Betriebsratstätigkeit an- und abmelden. Dies wird auch durch die §§ 26 f. BetrVG, nach denen der Betriebsrat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter wählt und durch die Regelungen zur Arbeitsbefreiung und Freistellung von Betriebsratsmitgliedern (§§ 37 ff. BetrVG) deutlich.

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz muss der Arbeitgeber die Erforderlichkeit einer Betriebsratsarbeit in zwei Schritten prüfen. In einem ersten Schritt geht es darum, ob die gewünschte Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds zu dessen Amtsobliegenheiten gehört. In einem zweiten Schritt muss die Tätigkeit des einzelnen Betriebsratsmitglieds nach Umfang und Art des Betriebes erforderlich sein.

3. Anerkennung im Einzelfall

Laut dem Gesetz gilt die Regel, dass eine Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit für die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrates, des Betriebsausschusses oder weitere Ausschüsse des Betriebsrates erforderlich ist.

Für Betriebsratstätigkeiten, die außerhalb einer Betriebsratssitzung wahrgenommen werden, müssen die Beteiligten stets – im Einzelfall – prüfen, ob eine Arbeitsversäumnis notwendig ist. Das Bundesarbeitsgericht (1 AZR 488/60) legt mit seiner ständigen Rechtsprechung den entsprechenden Maßstab wie folgt fest: “Danach ist nicht entscheidend, ob rückblickend festzustellen ist, dass eine objektive Notwendigkeit vorgelegen hat. Richtig ist vielmehr der Mittelweg: Ein verständiger Dritter muss aus sachlichen Gründen zum Zeitpunkt des Notwendigwerdens einer Entscheidung der Auffassung sein können, dass um eine Versäumung von Arbeitzeit nicht herumzukommen ist, sollen nicht Belange des Betriebsrates und der Belegschaft geschmälert werden.”

Fazit: Betriebsratsarbeit ist vom Gremium und innerhalb dessen primär von freigestellten Betriebsratsmitgliedern, dem Betriebsratsvorsitzendem und dessen gesetzlichem Stellvertreter vorzunehmen.

Ein nicht freigestelltes, ordentliches Betriebsratsmitglied darf damit nur bei besonderen Sachgründen oder wegen Besonderheit des Einzelfalls Betriebsratsaufgaben außerhalb einer Betriebsratssitzung wahrnehmen (LAG Hamm, 24. August 1979, 3 Sa 362/79).

4. Erforderlicher Internetzugang/E-Mail-Adresse bei erforderlicher Betriebsratstätigkeit

Dürften einzelne Betriebsratsmitglieder das Internet bzw. einen E-Mail-Account am jeweiligen Arbeitsplatz nutzen, würde das von diesem Grundsatz abweichen. Es wäre für den Arbeitgeber nicht mehr erkennbar und differenzierbar, wann ein ordentliches, nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied seine Arbeit erledigt oder Betriebsratstätigkeiten nachgeht. Er könnte nicht nachprüfen, ob die Betriebsratstätigkeit im Einzelfall erforderlich ist.

Unter Beachtung der vorbenannten Grundsätze muss es bei dem bisherigen Verständnis hinsichtlich der Internet- und der E-Mail-Nutzung bleiben. Die Nutzung am persönlichen PC ist, wenn überhaupt, auf den Betriebsratsvorsitzenden und/oder dessen Stellvertreter und/oder das freigestellte Betriebsratsmitglied zu beschränken. Es kann vor diesem Hintergrund kein genereller Anspruch jedes einzelnen, nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedes von seinem persönlichen PC aus bestehen. Auch für Betriebsratsarbeiten mithilfe von Internet- und E-Mail-Nutzung ist eine An- und Abmeldung bzw. eine Kontrollmöglichkeit der An- und Abmeldung für den Arbeitgeber unerlässlich.

Der Arbeitgeber sollten deshalb die private Nutzung von Internet und E-Mails generell, auch den Betriebsratsmitgliedern, nicht gestatten. Der Zugang zum Internet und auch die Nutzung des E-Mail-Accounts der Betriebsräte sollten nur im Betriebsratszimmer erlaubt sein.