Auch die Geschichte des Hole-in-the-Wall-Experiments geht weiter: Die neuesten Hole-in-the-Wall-Lernstationen stehen in Khajuraho (http://we-the-school.org/2012/07/es-ist-vollbracht-done/). We-the-school (http://we-the-school.org/) heißt das Projekt einer Gruppe um die deutsche Internet-Aktivistin Ulrike Reinhard, dessen Ziel es ist, eine Schule in der indischen Stadt zu gründen, die für alle Kinder zugänglich sein soll. Als erster Schritt wurden zwei Lernstationen installiert, die von den Kindern bereits sehr gut angenommen werden. Auf den Lernstationen sind 500 Lernprogramme in Hindi und Englisch installiert, die zum Selbstlernen für Kinder geeignet sind. Einen Internetzugang gibt es nicht. Die Erfahrung des  HiWEL-Instituts, das 2001 für das Hole-in-the-Wall-Projekt gegründet wurde und die Nutzung  wissenschaftlich evaluiert, hat gezeigt, dass Lernstationen mit Internetzugang vor allem von älteren Kindern und Jugendlichen genutzt werden. Diese verdrängen dann die jüngeren Nutzer. Hole-in-the-Wall-Lernstationen gibt es mittlerweile nicht nur in Indien, sondern in weiteren Ländern Asiens und in Afrika.

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Foto von Brusk Dede

Einen vollständigen Überblick zu Sugata Mitra´s Veröffentlichungen, Videos seiner Auftritte zum Beispiel auf Ted-Konferenzen und Presseberichte über seine Arbeit gibt es unter http://sugatam.wikispaces.com/

Den Garten des Unternehmens und dessen Gebäude trennte nur eine massive Steinmauer von den Baracken und dem grauen Schmutz des Slums nebenan. Mitras Experimentierfeld lag vor der Haustür und 1999 wurde genau dort das erste Loch in die Mauer gehauen und der erste frei zugängliche Computer installiert. Es tat sich Erstaunliches. Kinder, die weder lesen noch schreiben konnten, überwanden schnell ihre Berührungsängste, lernten ohne fremde Hilfe innerhalb von wenigen Tagen, im Internet zu surfen, Dateien anzulegen und Inhalte zu kopieren. Sie fanden heraus, wie man mit einem Zeichenprogramm malt, Spiele herunterlädt und spielt und luden bereits nach zwei Monaten Musik herunter. Dieser Effekt wurde begleitet von weiteren Veränderungen. Neben den Kindern fanden sich zunehmend auch ältere Jugendliche und Erwachsene vor dem Computer ein. Die Kinder, die sich damit auskannten, wurden zu einer Art Lehrern für die neuen Interessenten und lernten selbst besser, wenn sie durch die Älteren bestätigt wurden. Mitra beobachtete auch, dass sich ihr äußeres Erscheinungsbild veränderte, sie selbstsicherer und vor allem sauberer und ordentlicher gekleidet an der Lernstation erschienen.

Corporate Learning mit der „Granny Cloud“?

Als Professor in Newcastle, England, angekommen, forschte Mitra weiter über die Effekte des technologiegestützten Lernens in der Elementarbildung. Er fand heraus, dass Kinder, die in Arbeitsgruppen zusammen eine Aufgabe lösen und dazu den PC nutzen, sich das Ergebnis besser merken, als wenn sie alleine mit dem Rechner an der Aufgabe arbeiten. Sein Thema des „Self Organised Learning Environment“ und die Erkenntnis, dass die wohlwollende Bestätigung junger Lernender durch ältere Menschen die Lernergebnisse fördert, brachten ihn auf die Idee der „Granny Cloud“. Dazu rekrutierte er freiwillige Seniorinnen in England, die sich verpflichteten, einmal wöchentlich per Videoverbindung über den frei zugänglichen Kommunikationsdienst Skype  Schüler in Indien beim Englischlernen zu unterstützen, indem sie ihnen zum Beispiel eine Geschichte vorlesen.

Wie und ob sich die von Mitra in der Elementarbildung gewonnenen Erkenntnisse auf das Corporate Learning übertragen lassen, können die Teilnehmer der Professional Learning Europe am  Dienstag, 25. September, ab 14 Uhr mit ihm diskutieren. Im gleichen Plenum stellen Vertreter von Audi das Audi Learning Valley vor. www.professional-learning.de

Der Leonardo – European Corporate Learning Award wird nach 2010 und 2011 in diesem Jahr bereits zum dritten Mal verliehen. Beginnend mit dem ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission Jacques Delors, der mit seinen Verdiensten um das ganzheitliche, lebenslange Lernen die Idee der Initiatoren beispielhaft verkörpert, über Wikipedia-Gründer Jimmy Wales bis hin zu den diesjährigen Preisträgern Professor Dr. Hans-Jörg Bullinger (in der Kategorie „Thought Leadership“), Dr. Wilfried Stoll und Dr. h.c. Kurt Stoll (in der Kategorie „Company Transformation) bis hin zu Professor Sugata Mitra wollen die Initiatoren eine Geschichte erzählen, in der es nicht nur um technologiegestützte Bildung und Wissen geht, das auf reine, unmittelbare Anwendbarkeit für irgend ein geschäftliches Interesse reduziert werde, wie es Leonardo-Generalsekretär Günter Szogs ausdrückt. Vielmehr stelle sich die Frage, wie man Wissen gesellschaftlich einbette und erreiche, dass Menschen Wissen nutzen, um daraus eigene Urteilskraft zu gewinnen.

Zusätzliche Effekte selbstgesteuerten Lernens

Einer, der diese Geschichte aus eigener Erfahrung und mit der Übung zahlreicher Auftritte bei internationalen Konferenzen und Veranstaltungen erzählen kann, ist Professor Sugata Mitra. Überall auf der Welt, in jedem Land, gebe es Gegenden, in die gute Lehrer nicht gehen wollten, erklärt er seinen grundlegenden Gedanken. Aber genau dort, wo man sie am nötigsten bräuchte und es sie nicht gebe, entstünden die Probleme. Also kam er auf die Idee des berühmt gewordenen Experiments Hole in the Wall. Damit konnte Mitra nachweisen, dass Kinder praktisch ohne jegliche Vorkenntnisse in der Lage sind, sich selbst Computerkenntnisse anzueignen, wenn ihnen dazu ein geeigneter Computer und motivierende Lerninhalte zur Verfügung gestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt war er als Chief Scientist von NIIT tätig, einem indischen Anbieter von technologiegestütztem Lernen, der seinen Unternehmenssitz direkt neben einem Slum hatte. Das Unternehmen beschäftigte sich damals vor allem mit der IT-gestützten Weiterbildung von Computerfachleuten, aber Mitra kam bereits in den 1980er-Jahren die Idee, diese Technologie in der Elementarbildung einzusetzen.