Aller guten Dinge sind zwei: In unserer heutigen Folge der HRM-Hacks haben wir zum wiederholten Male den Payroll-Experten Markus Stier zu Gast. Das Thema ist heute “Rückrechnungen bei der Kurzarbeit”. Er wird uns erklären, in welchen Fällen ein Rechtsanspruch auf Kurzarbeitergeld besteht und welche Fehler von Unternehmen in diesem Zusammenhang oft begangen werden. Seinen beruflichen Werdegang startete Markus Stier in einer Steuerkanzlei, bevor er als Leiter der Entgeltabrechnung in einem mittelständischen Unternehmen tätig war. Nach diversen Fort- und Weiterbildungen im Bereich Lohn- und Finanzbuchführung machte er sich als Coach, Berater und Dozent selbstständig. Darüber hinaus leitet Markus Stier das alga-Competence-Centre und ist Chefredakteur der Fachzeitschrift Lohn und Gehalt.

Alexander Petsch: Herzlich willkommen, Herr Stier.

Markus Stier: Herzlichen Dank.

Alexander Petsch: Kurzarbeit ist aufgrund von Corona noch immer in vielen Unternehmen ein Thema. Was kommt da auf die Firmen zu?

00:01:20

Markus Stier: Jetzt haben wird die erste Welle der Abrechnung hinter uns. Für viele war ja grundsätzlich das Thema Kurzarbeit neu. Viele haben in den letzten Jahren bei vollen Auftragsbüchern überhaupt nicht an Kurzarbeit gedacht. Nun, im Rahmen der Corona-Pandemie, sah das ganz anders aus. Das heißt, wir hatten noch nie so viele Kurzarbeitsfälle wie während der Pandemie 2020, Höchststand in den abgerechneten Kurzarbeitsfällen. Viele Unternehmen sind jetzt aus der Kurzarbeit raus. Wobei Vorsicht, man weiß ja nie, wie sich die Lage entwickeln wird. Kurzarbeit hängt ja nicht nur mit Corona zusammen, das kann auch ganz andere Gründe haben, wie Unwetter, Katastrophen und so weiter. Aber nach der Kurzarbeit kommt die Prüfung der Kurzarbeit. Das heißt, hier könnte jetzt die Bundesagentur für Arbeit plötzlich in der Abprüfung feststellen, da ist aber das eine oder andere nicht richtig gelaufen. Ok, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Aber es könnte auch zum Ergebnis führen, dass die Kurzarbeit zu Unrecht eingeführt wurde und deshalb von der Agentur für Arbeit gestrichen wird.

00:02:27

Alexander Petsch: Was sind denn die größten Schnitzer? Im schlimmsten Fall droht ja die Rückzahlung des Kurzarbeitergelds, gegebenenfalls mit einem Bußgeld. Auf was muss ich denn achten als Unternehmen, wenn jetzt eine Prüfung ansteht?

00:02:48

Markus Stier: Das geht schon bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen los. Sind im Betrieb mindestens zehn Prozent der beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von mehr als zehn Prozent betroffen? Habe ich das schon? Da geht es teilweise schon los, denn viele ermitteln die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer falsch. Da wird es jetzt einige geben, die sagen, da muss ich ja nur durchzählen. So einfach ist es dann auch wieder nicht. Manche rechnen zum Beispiel diejenigen, die keinen Antrag auf Kurzarbeitergeld haben, etwa den geringfügig Beschäftigten, gar nicht mit ein. Der wird aber in die Gesamtzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer miteingerechnet. Also, wenn ich da 400 Mitarbeiter habe, davon sind 200 geringfügig Beschäftigte und ich habe vergessen, die zu berücksichtigen,  habe ich die zehn Prozent vielleicht gar nicht erreicht. Dann natürlich das Thema, die Kurzarbeit muss unvermeidbar sein. Abbau von Urlaub, Abbau von flexiblen Arbeitszeitguthaben. Dann müssen die Voraussetzungen während der gesamten Kurzarbeit erfüllt sein. Ich habe ja gesagt, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Man hat vielleicht das Sollentgelt falsch ermittelt, man hat vielleicht das Istentgelt falsch vermittelt. Und hier kommt es dann gegebenenfalls zu Rückforderungen, wenn es auch nur ein Teil des Kurzarbeitergelds ist. Aber es gibt letztendlich alles, von der kompletten Ablehnung bis zur Rückrechnung.

00:04:09

Alexander Petsch: Gibt es etwas, was ich mir vorher noch mal genauer angucken sollte, bevor ich die Unterlagen zur Prüfung einreiche?

00:04:15

Markus Stier: Dann ist es schon zu spät noch irgendwas versuchen zu kontrollieren. Die Prüfung ist angeordnet, der Prüfungstermin steht. Wenn sie jetzt im Vorfeld sagen würden, jetzt fällt mir plötzlich auf, dass ich da etwas falsch gemacht habe, würde das zu einem Korrekturbescheid führen. Aber letztendlich ist das Prüfungsverfahren angelaufen. Man sollte da mit offenem Visier hingehen, sollte sagen, da haben wir einen Fehler gemacht, das fällt uns jetzt in diesem Verfahren auch auf. Aber dadurch, dass sie eine monatliche Abrechnung machen, das heißt, das Kurzarbeitergeld monatlich beantragen, können sie hier kurz vor der Prüfung nichts mehr retten. Es gibt viele Arbeitgeber, denen fällt während der Abrechnung der Kurzarbeit auf, dass sie da einen Rechnungsfehler drin haben, dass Lohnprogramme nicht richtig umgesetzt wurden. Auch da gilt, mit offenem Visier. Dann beantragt man eine Korrektur des Antrags, eine Korrektur des Bescheids. Und dann ist die Agentur für Arbeit da auch jemand, der einem entgegenkommt, gegebenenfalls auch bei Nachfragen nochmal erklärt. Aber im Prüfungsverfahren selbst ist man im Verfahren und dann sollte man ganz offen mit Fehlern umgehen.

00:05:32

Alexander Petsch: Dann ist man auf hoher See.

00:05:34

Markus Stier: Das ist vor Gericht und auf hoher See.

00:05:39

Alexander Petsch: Worauf würden Sie beim Thema Kurzarbeit noch genau achten?

00:05:46

Markus Stier: Der Schwerpunkt liegt im Moment darin, dass der GKV-Spitzenverband sich zum Umgang mit rückwirkenden Korrekturen geäußert hat. Steuerrechtlich ist das eigentlich  kalter Kaffee, denn Rückrechnungen im Steuerrecht sind klar geregelt. Der Paragraph 41.10 nennt da die Voraussetzungen. Mit der nächsten Lohn- und Gehaltsabrechnung beziehungsweise solange die Lohnsteuerbescheinigung noch nicht übermittelt wurde, kann korrigiert werden. Beitragsrechtlich sieht das immer ein bisschen schwieriger aus, denn beitragsrechtlich haben wir das Entstehungsprinzip. Der GKV-Spitzenverband hat sich mit einem Rundschreiben Ende Juli zu drei Sachverhalten geäußert: Erstens zum Versäumnis des Antrags beziehungsweise der Erstattungsanträge; zweitens zur freiwilligen Rückzahlung von Kurzarbeitergeld; drittens zur Rückforderung durch die Agentur für Arbeit im Rahmen des Prüfungsverfahrens. Auf diese drei geht nun der GKV-Spitzenverband ein und stellt noch einmal deutlich in den Fokus, wann eine beitragsrechtliche Korrektur erfolgen muss und wann nicht. Und das ist natürlich gerade für die Entgeltabrechnung ein ganz wichtiger Punkt. Hier werden dann gegebenenfalls Säumniszuschläge erhoben. Das ist in den Augen der Sozialversicherung, wenn Sie nicht abgeführt haben. Da ist die Sozialversicherung dann recht streng.

00:07:11

Alexander Petsch: Wie gehe ich damit um, wenn ich den Antrag zu spät gestellt habe? Wie sieht es da aus mit Fristen und Vorgehensweisen?

00:07:21

Markus Stier: Ja, wir sprechen hier von der Anzeige. Die Anzeige muss in dem Monat gestellt werden, in dem die Kurzarbeit beantragt wird. Sie fragen jetzt gezielt nach dem Antrag, also den Leistungsantrag. Der wird hier monatlich gestellt. Monatlich rechne ich die Kurzarbeit ab, also stelle ich auch monatlich einen Leistungsantrag. Nach Paragraph 3.25 Absatz 3 des SGB III muss dieser Antrag mit einer Frist von drei Monaten gestellt werden. Das heißt, wenn sie im Juli die Kurzarbeit abgerechnet haben, dann geht die Frist los. August, September, Oktober. Ende Oktober müsste der Antrag gestellt sein. Was ist, wenn wir die Frist jetzt versäumt haben? So wie das mit Fristen ist. Wenn man Fristen versäumt, hat man Pech gehabt. Dafür ist eine Frist eingeführt worden. Sind die drei Monate rum und der Leistungsantrag ist nicht bei der Agentur für Arbeit gestellt worden, dann liegt für diesen Zeitraum eben auch keine Kurzarbeit vor. Und darauf nimmt auch der GKV-Spitzenverband Stellung, indem er ganz klar sagt, hat der Arbeitgeber die Frist zum Beantragen des Kurzarbeitergelds mit dem Leistungsantrag versäumt, liegen die rechtlichen Voraussetzungen für das Kurzarbeitergeld nicht vor. Das heißt, das, was ich als Kurzarbeitergeld gezahlt habe, ist dann quasi ein Brutto-Arbeitslohn, der ganz normal verbeitragt werden muss, wie wir das kennen: Halbteilungsgrundsatz, Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich die Beiträge jeweils zur Hälfte auf. Aber diese besondere Beitragsberechnung, 80 Prozent des unterschiedlichen Betrags, und was es da alles gibt, aus dem fiktiven Entgelt, das trägt dann eben nicht mehr. Und dann muss ich die Beiträge rückrechnen. Wir nennen das das Aufrollen des Entgeltabrechnung.

00:09:09

Alexander Petsch: Und das hat zur Folge, dass ich rückwirkend den ganz normalen Lohn zahlen muss, weil der Arbeitnehmer Anspruch auf seinen Lohn hat.

00:09:19

Markus Stier: Ja, Herr Petsch, ich bin da bei Ihnen. Das ist auch meine vorherrschende Meinung. Nun sind wir beide keine Arbeitsrechtler, deshalb ist das mit einer arbeitsrechtlichen Beratung immer schwierig. Aber ich stimme Ihnen da ein Stück weit zu. Ich sehe das genauso, dass ein Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung zur Einführung der Kurzarbeit abgeschlossen hat. Wenn jetzt am Ende Fristen versäumt werden, wenn die Agentur für Arbeit Kurzarbeitergeld zurückfordert, dann kommt es natürlich auf die arbeitsrechtliche Regelung an. Aber ich sehe hier ein Stück weit einen Lohnanspruch, der allerdings in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen wird. Also wir haben durchaus Rechtsprechung, die sagt, nein, das bleibt der Arbeitnehmer auf dem Lohnanspruch der Kurzarbeit. Ich weiß nicht, ob man das in dieser Vielzahl der Fälle noch so begründen könnte, dass man als Arbeitgeber sagen kann, nun gut, dann haben wir es halt beantragt, aber es war falsch. Aber du kriegst trotzdem keinen Arbeitslohn. Das wage ich zu bezweifeln. Aber auch darauf geht der GKV-Spitzenverband ein, wenn es um die Rückforderung des Kurzarbeitergelds geht. Also wenn die Agentur für Arbeit am Ende sagt, du hast das völlig zu Unrecht eingeführt und wir wollen dein gesamtes Kurzarbeitergeld zurückhaben. Da sagt der GKV-Spitzenverband, dass er nicht davon ausgeht, dass dann der volle Lohnanspruch besteht. Er sagt aber auch ganz klar, das ist arbeitsrechtlich noch nicht ganz entschieden. Aber ich tendiere da mehr zu Ihrer Meinung, ohne dass wir das hier jetzt arbeitsrechtlich klären können. Dazu müssten wir die Richter fragen.

00:10:59

Alexander Petsch: Der dritte Punkt war die freiwillige Rückzahlung. Wann ist die angebracht?

00:11:04

Markus Stier: Man wundert sich erst mal. Wer führt jetzt Kurzarbeit ein? Wer rechnet Kurzarbeit ab und geht am Ende zur Agentur für Arbeit und sagt, ich zahle euch das freiwillig zurück? Das erscheint für manchen, der uns jetzt zuhört, abwegig. Wer macht das? Lassen Sie uns mal auf die Arbeitgeber blicken, die zum Beispiel auch während der Kurzarbeit Förderungen in Anspruch nehmen. Das können staatliche Förderungen sein, das können EU-Fördermittel sein, das können aber auch andere Fördermittel sein. Und häufig steht in Förderrichtlinien drin, sie dürfen in dieser Zeit keine anderen Entgeltersatzleistungen in Anspruch genommen haben. Und da gehört das Kurzarbeitergeld dazu. Und deshalb gibt es durchaus Arbeitgeber, die sagen, die Förderung ist aber attraktiver als das Kurzarbeitergeld. Also zahlen wir freiwillig das Kurzarbeitergeld zurück und holen uns dann die Förderung. Hier vielleicht der interessante Hinweis des GKV-Spitzenverbands: Wer freiwillig das Kurzarbeitergeld zurückzahlt, das ihm rechtmäßig per Bescheid bewilligt wurde, bei dem bleibt der Anspruch auf Kurzarbeitergeld erhalten. Das ist ganz interessant, der Anspruch bleibt erhalten. Infolgedessen muss ich auch nichts zurückrechnen. Also, ich zahle mein Kurzarbeitergeld freiwillig zurück, die Beitragsberechnung bleibt aber auf dem Niveau des Kurzarbeitergelds. Also nehme ich den Vorteil des beitragsrechtlichen Beurteilung hier sogar noch mit.

00:12:41

Alexander Petsch: Gibt es von Ihrer Seite noch Tipps, die Sie mitgeben möchten?

00:12:45

Markus Stier: Ja. Beim Kurzarbeitergeld ist immer wieder ganz wichtig, dass ich auch während des Prozesses an dem Thema dran bleibe. Denn wir haben ja während der Corona-Pandemie festgestellt, dass die Regelungen zum Kurzarbeitergeld sehr häufig angepasst werden. Mittlerweile warten wir auf die vierte Verordnung zum Kurzarbeitergeld. Das sind viele Änderungen im laufenden Verfahren. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Es ist immer wichtig, dass man sich rechtzeitig informiert. Bei der Agentur für Arbeit, aber auch anderen Quellen, die man hat. Auch wir in der „Lohn und Gehalt“ haben immer wieder dieses Thema aufgegriffen und es auch immer wieder dargestellt. Aber man muss eben schauen, in welchen Zeitraum beziehe ich das Kurzarbeitergeld und wie waren die Regelungen in diesem Zeitraum? Nichtsdestotrotz möchte ich auch den Arbeitgebern einen Tipp geben: Schrecken Sie nicht vor umfangreichen gesetzlichen Regelungen zurück, sprich, das ist vielleicht dann noch ein bisschen kompliziert, dann lassen wir das lieber. Nein, nutzen Sie sie! Es ist ja eine Entgeltersatzleistung, die der Gesetzgeber eingeführt hat, um die Mitarbeiter auch im Arbeitsleben zu halten und den Arbeitgebern die Fachkräfte zu sichern. Deshalb nicht davor zurückschrecken, wenn die Thematik mal schwierig wird. Dazu gibt es ja auch viele, die einen unterstützen. Und nutzen Sie das. Aber bleiben Sie eben informiert bei diesen Themengebieten. Das ist ganz wichtig, damit man hier nicht gegebenenfalls einem alten Sachstand hinterherläuft. Und schauen Sie auch immer bei den Quellen, bei denen Sie sich informieren. Wir sind eine renommierte Fachzeitschrift am Markt. Achten Sie darauf, keine alten Informationsquellen zu nutzen, denn unter Umständen wenden Sie eine Regelung an, die es seit fünf Jahren nicht mehr gibt.

00:14:33

Alexander Petsch: Also informiert bleiben, interessiert bleiben, am Ball bleiben. Das gilt bestimmt für vieles, aber auch fürs Kurzarbeitergeld. Herr Stier, herzlichen Dank für Ihren Input und für das Gespräch.

00:14:48

Markus Stier: Ich darf Ihnen danken.

00:14:50

Alexander Petsch: Wer gerne eine schriftliche Zusammenfassung hätte, findet die auf hrm.de unter dem Stichwort Markus Stier oder unter dem Titel des Podcasts. Noch mal herzlichen Dank für Ihren Input, Herr Stier. Glückauf, bleibt gesund und denkt daran, der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Euer Unternehmen.