Arbeitsentgelt

Was ist zu beachten, wenn der Arbeitgeber im Vorfeld einer Insolvenz das Arbeitsentgelt nicht oder nicht mehr vollständig zahlen kann?

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Foto von Austin Distel

Für das Unternehmen entsteht die missliche Lage, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung zurückbehalten und ihre Arbeitsverhältnisse ggf. sogar kündigen können. Daher sollte es versuchen, mit ihnen Stundungsabreden in Bezug auf das Arbeitsentgelt zu vereinbaren, um eine rechtliche Grundlage für die Nichtzahlung der Gehälter zu haben.

Außerdem besteht für Arbeitgeber bzw. bei juristischen Personen für die Organe die Gefahr, dass sie sich nach § 266a Strafgesetzbuch strafbar machen, wenn sie die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abführen, obwohl noch liquide Mittel für die Gehälter vorhanden sind.

Praxistipp

Verpflichtungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern haben in solchen Situationen immer Vorrang. Ggf. kann das Unternehmen versuchen, mit den Sozialversicherungsträgern Stundungsabreden zu treffen.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass rückständige Verbindlichkeiten gegenüber Mitarbeitern bzw. Sozialversicherungsträgern oder dem Fiskus u. U. ein Indiz für die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sind. In diesem Fall sind die Organe von juristischen Personen verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Andernfalls liegt ggf. eine haftungsauslösende und strafbewährte Insolvenzverschleppung vor.

Besteht das Arbeitsverhältnis noch, aber beschäftigt der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht mehr und zahlt auch keinen Lohn, kann er sie darauf verweisen, Arbeitslosengeld zu beantragen, sofern das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet wurde. Maßgebend ist der Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts und nicht der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Insolvenzgeld

Wie schützt das Insolvenzgeld der Agentur für Arbeit die Beschäftigten vor Gehaltsausfällen?

Ein Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Insolvenzgeld gegenüber der Agentur für Arbeit (§§ 183 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III) entsteht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. einem anderen Insolvenzereignis, z. B. Abweisung der Eröffnung mangels Masse. Auch ein ausländisches Insolvenzereignis kann ausreichen. Dies wird z. B. bei Niederlassungen ausländischer Unternehmen in Deutschland relevant.

Die Agentur für Arbeit zahlt das Insolvenzgeld für die ausstehenden Gehälter der letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis. Das gilt auch für Auszubildende, Aushilfen etc. Es wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gewährt. Zur Berechnung nimmt man das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosenversicherung begrenzte Bruttoarbeitsentgelt (hierzu zählen neben dem Fixgehalt auch – ggf. anteilig – Überstundenzuschläge, Urlaubsgelder, Weihnachtsgeld, Jubiläumszuwendungen, Provisionen etc.) und zieht davon die gesetzlichen Abzüge, wie Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer, ab.

Neben dem Insolvenzgeld zahlt die Agentur für Arbeit auch die für den Insolvenzgeldzeitraum rückständigen Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie die Beiträge zur Arbeitsförderung, vgl. § 208 SGB III. Für die Arbeitnehmer entstehen damit keine Versicherungslücken. Geschäftsführer sind nur insolvenzgeldberechtigt, wenn sie nicht nennenswert am insolventen Unternehmen beteiligt sind, d. h. keine Sperrminorität besitzen, und der aktiven Kontrolle durch ihre Gesellschafter unterliegen.

Das Insolvenzgeld müssen die Arbeitnehmer fristgerecht bis max. zwei Monate nach Verfahrenseröffnung bei der Agentur für Arbeit am Sitz der insolventen Gesellschaft beantragen. Der Insolvenzverwalter erstellt entsprechende Insolvenzbescheinigungen, die die bestehenden Gehaltsrückstände bestätigen.

Beispiel

Insolvenzgeld

Die letzte Gehaltszahlung erfolgte für Dezember 2009. Das Unternehmen stellte am 15.2.2010 einen Insolvenzantrag. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte am 1.4.2010. Der Insolvenzgeldzeitraum besteht damit von Januar bis März 2010. Für diese Monate tritt die Agentur für Arbeit ein. Wurde das Unternehmen nach dem Insolvenzantrag am 15.2.2010 fortgeführt, musste es also 1,5 Monate bis Ende März keine Personalkosten zahlen. Wäre das Insolvenzverfahren dagegen erst am 1.5.2010 eröffnet worden und hätte sich keine anderweitige Zahlungsmöglichkeit für Januar 2010 gefunden, wären die Mitarbeiter mit dem Januargehalt ausgefallen.

Das Insolvenzgeld eröffnet häufig erst die Chance, insolvente Unternehmen nach einem Insolvenzantrag zu sanieren. Bis zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann das Unternehmen dadurch im Idealfall bis zu drei Monate ohne Personalkosten arbeiten. Das stellt insbesondere in personalintensiven Branchen einen erheblichen Liquiditätsvorteil dar. Ist das Unternehmen jedoch bereits drei Monatsgehälter rückständig, wenn es den Insolvenzantrag stellt, eröffnen sich diese Vorteile nicht. Je früher es also einen Insolvenzantrag stellt, desto größer sind die Chancen auf eine Fortführung und Sanierung.

Der Arbeitnehmer erhält das beantragte Insolvenzgeld erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, d. h. im Idealfall drei Monate nach Stellung des Insolvenzantrags, ausgezahlt. Daher begegnet man in der Praxis häufig dem Institut der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Um die Mitarbeiter zu motivieren, weiterzuarbeiten, nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter bei positiven Fortführungsaussichten mit Zustimmung der Agentur für Arbeit (§ 188 Abs. 4 SGB III) ein Darlehen auf, mit dem er die monatlichen Gehälter bezahlt. Im Gegenzug treten die Arbeitnehmer ihre später fällig werdenden Ansprüche auf Insolvenzgeld an die finanzierende Bank ab. Weil es den Mitarbeitern i. d. R. nicht zuzumuten ist, ihre täglichen Kosten für einen Zeitraum von im Zweifel drei Monaten vorzufinanzieren, ist diese Lösung häufig zwingende Voraussetzung, um das Unternehmen sanieren zu können.

Praxistipp

Die Agenturen für Arbeit bieten alle notwendigen Antragsformulare und Vorlagen sowie ausführliche Merkblätter auf ihren Internetseiten zum Download an, s. a. www.arbeit-und-arbeitsrecht.de/downloads. Das Unternehmen sollte versuchen, die Aktivitäten der Belegschaft – ggf. auch mithilfe der Betriebsräte – schon im Vorfeld zu koordinieren, damit Mitarbeiter nicht vorschnell den Antrag stellen. Hierdurch kann es die weiteren Handlungen eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters vorbereiten und erreichen, dass die Arbeitsagentur die rückständigen Gehälter schnell auszahlt.

Zahlungsansprüche vor dem Insolvenzgeldzeitraum

Wie werden Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern aus der Zeit vor dem Insolvenzgeldzeitraum behandelt?

Insoweit werden Mitarbeiter nicht bevorzugt behandelt. Sie können ihre Ansprüche nur – wie andere ungesicherte Insolvenzgläubiger auch – zur Insolvenztabelle anmelden. Im Laufe des Insolvenzverfahrens erhalten sie i. d. R. dann den auf sie entfallenden Quotenanteil. Weil die Beschäftigten nur selten Gehaltsrückstände für einen längeren Zeitraum als drei Monate hinnehmen, handelt es sich hierbei regelmäßig um noch nicht abgerechnete Spesen und Reisekosten oder die Abgeltung von Urlaubsansprüchen.

Praxistipp

Um Mitarbeiter, die das Unternehmen für eine spätere Fortführung und Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens noch benötigt, nicht durch entsprechende Ausfälle zu demotivieren, sollte es deren Forderungen auch in Zeiten der Krise zeitnah begleichen.

Arbeitsrechtliche Regelungen

Welche arbeitsrechtlichen Regelungen gelten nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens?

Das Arbeitsverhältnis besteht mit allen Rechten und Pflichten fort, d. h. der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsleistung erbringen und der Insolvenzverwalter ihn dafür entlohnen. Die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt über das Unternehmen gehen ebenso wie die Arbeitgebereigenschaft auf den Insolvenzverwalter über. Arbeitsentgelt, das nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründet wird, ist eine sog. Masseverbindlichkeit gem. § 55 Insolvenzordnung (InsO). Es ist vom Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse vorrangig zu bezahlen.

Wichtig

Die InsO sieht im Bereich des Kündigungsrechts und des Betriebsverfassungsrechts (z. B. Kündigungsrecht für Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO) Sonderregelungen vor und es besteht z. T. auch Rechtsprechung, die besondere Regeln im Falle der Insolvenz oder der drohenden Insolvenz definiert. Ansonsten gilt im Wesentlichen das Gleiche wie sonst auch.

Kündigungen

Was ist bei arbeitgeberseitigen Kündigungen in der Insolvenz zu beachten?

Es gelten einige Kündigungserleichterungen, grundsätzlich bleibt aber das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) mit allen Besonderheiten, z. B. der Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG, anwendbar. Daher bedarf es auch weiterhin eines Kündigungsgrunds. Betriebsbedingte Kündigungen sind in der Insolvenz jedoch oft leichter zu begründen. So ist bspw. die Stilllegung eines Betriebs keine Seltenheit. Diese rechtfertigt grundsätzlich immer eine betriebsbedingte Kündigung. Bei Teilbetriebsstillegungen ist zu beachten, dass eine Sozialauswahl innerhalb des Gesamtbetriebs zu erfolgen hat, d. h. es kann auch der Teil betroffen sein, der nicht stillgelegt wird.

Kündigungen sind ggf. auch aufgrund von sanierungsfreundlicher Rechtsprechung der Arbeitsgerichte möglich. So lässt es z. B. das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu, in der Insolvenz unter bestimmten Voraussetzungen das Entgelt mittels einer betriebsbedingten Änderungskündigung abzusenken. Bedingung ist ein umfassender Sanierungsplan, der alle gegenüber der Änderungskündigung milderen Mittel vorher ausschöpft.

In der Insolvenz gilt nach § 113 InsO ohne Rücksicht auf die Vertragsdauer, d. h. auch bei befristeten Verträgen, eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende, wenn nicht der Arbeitsvertrag eine kürzere Kündigungsfrist bestimmt. Allerdings können Arbeitnehmer dann nach § 113 Satz 2 InsO Schadensersatz als Insolvenzforderung verlangen und zur Insolvenztabelle anmelden. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hat der Insolvenzverwalter grundsätzlich die Gehaltsforderungen der Mitarbeiter als Masseverbindlichkeit zu bezahlen.

Wichtig

Eine Ausnahme gilt, sofern die Masse voraussichtlich nicht ausreicht, um die Masseverbindlichkeiten zu begleichen. Dann zeigt der Insolvenzverwalter gegenüber dem zuständigen Insolvenzgericht die sog. Masseunzulänglichkeit an, § 208 InsO. In diesem Fall werden bis dahin entstandene (Alt-)Masseverbindlichkeiten gemäß der Rangordnung des § 209 InsO erst im Laufe des Insolvenzverfahrens quotal befriedigt. Der Insolvenzverwalter kann dann auch Arbeitnehmer kündigen und unwiderruflich freistellen, ohne bis zum Ende der Kündigungsfrist das Gehalt zahlen zu müssen. Nur wenn er die Arbeitsleistung der Mitarbeiter noch in Anspruch nimmt, muss er sie auch entlohnen. Der unwiderruflich freigestellte Arbeitnehmer hat sofort Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Differenzbetrag zu seinem vertraglichen Gehalt bis zum Ende der Kündigungsfrist stellt dann die (Alt-)Masseverbindlichkeit dar.

Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 102 BetrVG und im Rahmen der Massenentlassung bleibt auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens unberührt. Beschäftigt das Unternehmen mehr als 20 Arbeitnehmer, ist bei einer Betriebsänderung (vgl. § 111 BetrVG) i. d. R. ein Interessenausgleich (und Sozialplan) mit dem Betriebsrat abzuschließen. Darin können die Parteien eine Namensliste mit den zu kündigenden Arbeitnehmern vereinbaren. Dann gelten Beweiserleichterungen in Bezug auf den Kündigungsgrund und die richtige Sozialauswahl (§ 125 InsO). Dadurch wird § 1 KSchG modifiziert und die ähnliche, aber etwas engere Regelung in § 1 Abs. 5 KSchG verdrängt.

Besteht kein Betriebsrat oder sind die Verhandlungen über einen Interessenausgleich für die Betriebsänderung nicht innerhalb von drei Wochen abgeschlossen, kann der Insolvenzverwalter beim Arbeitsgericht beantragen, dass die Kündigungserleichterungen, die er durch eine Namensliste erhalten würde, bereits jetzt für bestimmte Arbeitnehmer gelten, § 126 InsO.

Praxistipp

Gibt es einen Betriebsrat, darf der Insolvenzverwalter bei mangelnder Einigungsbereitschaft beim Arbeitsgericht parallel auch die Zustimmung zur Durchführung des Interessenausgleichs beantragen, § 122 InsO. Langwierige Verzögerungstaktiken der Betriebsräte sollen damit ausgeschlossen werden.

Sozialplan

Welche Besonderheiten gelten beim Abschluss eines Sozialplans in der Insolvenz?

Im Insolvenzverfahren begrenzt § 123 Abs. 1 InsO den Umfang des Sozialplanvolumens auf 2,5 Monatsverdienste (berechnet nach § 10 Abs. 3 KSchG) aller von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer. Dafür sind die Forderungen als Masseverbindlichkeiten vorrangig zu befriedigen. Das gilt nicht nur für gekündigte Mitarbeiter, sondern auch für solche, die einen Aufhebungsvertrag abschließen oder kündigen. Streitig sind häufig die Fälle der Beschäftigten, die bereits vor der Insolvenz das Unternehmen verlassen haben.

Außerdem darf der Insolvenzverwalter nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Masse für Sozialplanforderungen verwenden. Andernfalls sind sie anteilig zu kürzen.

Praxistipp

Die Begrenzungen des Volumens sind strikt einzuhalten, da sonst der gesamte Sozialplan unwirksam ist. Es empfiehlt sich, eine Nachbesserungsklausel sowie eine salvatorische Klausel aufzunehmen. Die Verteilung des Volumens sollte anhand einer Tabelle als Anlage zum Sozialplan im Einzelnen nachvollziehbar sein.

Problematisch sind Sozialpläne, die das Unternehmen im Vorfeld einer Insolvenz abgeschlossen hat. Geschah dies innerhalb von drei Monaten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, haben sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Betriebsrat das Recht, den Sozialplan zu widerrufen. Die berücksichtigten Arbeitnehmer können in den Insolvenzsozialplan mit einbezogen werden.

Unternehmenstransaktionen

Was ist bei Unternehmenstransaktionen im Zusammenhang mit Insolvenzen zu beachten?

Der Verkauf insolventer oder insolvenznaher Unternehmen oder von Teilen davon ist äußerst praxisrelevant. Oft ist dies die einzige Chance, um die verkauften oder andere Unternehmensteile zu sanieren. Möglich ist aber auch, dass der Insolvenzverwalter bei der Abwicklung eines Unternehmens das Vermögen zugunsten der Gläubiger einzeln veräußern muss. Die Erwerber insolventer Unternehmen(steile) sehen sich vor allem mit den Folgen des § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) konfrontiert, der grundsätzlich auch in der Insolvenz gilt. Sie haben oft nur Interesse an bestimmten Arbeitnehmern oder wollen Teile des Vermögens ohne jegliche Mitarbeiter übernehmen. Ein solches „Cherrypicking“ unterbindet meist § 613a BGB, da der Erwerber eines Betriebs in die Rechte und Pflichten aller in der übernommenen Einheit beschäftigten Arbeitnehmer eintritt.

Grundsätzlich keine Lösung ist es, den Mitarbeitern mit Blick auf den Betriebsübergang vor dem Verkauf zu kündigen, denn das verbietet § 613a Abs. 4 BGB. Ausnahmen macht die Rechtsprechung jedoch bei notleidenden und insolventen Unternehmen, wenn der Veräußerer, regelmäßig also der Insolvenzverwalter, bereits eine vom Erwerber geplante Personalanpassung umsetzt. Hat er mit diesem schon einen verbindlichen Vertrag geschlossen und liegt ein fertiges Sanierungs- und Rationalisierungskonzept vor, kann er die Kündigungen unter Verweis auf das Erwerberkonzept bereits vor dem Betriebsübergang und unter Ausnutzung der Erleichterungen der InsO aussprechen. Schwierigkeiten entstehen bei der Sozialauswahl, denn es sind alle Arbeitnehmer einzubeziehen, die auch im Fall der Kündigung nach einem Betriebsübergang zu berücksichtigen wären.

Unproblematisch ist die Übernahme klar abgrenzbarer Teilbetriebe (Teilbetriebsübergang). Sie kann der Veräußerer aus dem Unternehmen herauslösen und einzeln übertragen. Stabsstellen oder Serviceabteilungen muss der Erwerber nicht mit übernehmen.

Bei der „Filettierung“ eines Unternehmen durch den Insolvenzverwalter, d. h. dem Abverkauf einzelner Betriebsteile und Vermögensbestandteile, griff man bisher auf die Rechtsprechung des BAG zurück, das bei einer Zerschlagung eines Betriebsteils und Eingliederung in die Organisation des Erwerbers keinen Betriebsübergang annahm.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun aber jüngst in der sog. Klarenberg-Entscheidung diese „Eingliederungstheorie“ abgelehnt (Urt. v. 12.2.2009 – C-466/07, AuA 2/10, S. 118, vgl. zum Thema auch Zimmer/Heymann, AuA 3/10, S. 142 ff.). Seiner Ansicht nach kommt es für die Bestimmung der maßgeblichen Einheit nicht primär auf die organisatorische Ordnung an. Entscheidend ist, dass der Erwerber weiterhin eine „funktionelle Verknüpfung der Wechselbeziehung und der gegenseitigen Ergänzung“ zwischen den verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren beibehält.

Diese abstrakte Vorgabe konkretisiert der EuGH nicht. Damit hat er vielen Gestaltungsszenarien die Rechtssicherheit genommen und den Handlungsspielraum in diesen Fällen eingeschränkt. Dennoch sollte der Verkauf von einzelnen Vermögensteilen möglich sein, wenn der Erwerber einen funktionalen Zusammenhang unterbindet.

Beispiel

Vermeidung funktionaler Zusammenhang

Übernimmt der Erwerber eine Maschine aus einem insolventen Unternehmen und stellt er einen Produktionsmitarbeiter, der beim Veräußerer seinen Job verloren hat, neu ein, setzt ihn aber an einer anderen Maschine ein, kann man sich einen „funktionalen Zusammenhang“ an sich nur noch schwer vorstellen.

Wichtig

Die Wirkung des § 613a BGB ist beim Erwerb eines Betriebs(teils) vom Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt: Der Erwerber haftet bzgl. der Betriebsrenten nicht für die Zeiträume vor der Eröffnung.

Transfer- und Beschäftigungsgesellschaft

Ist eine Transfer- und Beschäftigungsgesellschaft (BQG) ein geeignetes Mittel zur Sanierung?

Eine BQG ist ein beliebtes Instrument, um insolvente oder insolvenzgefährdete Unternehmen schnell von den Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern zu befreien und beim Verkauf z. B. eines Betriebsteils den Übergang von Mitarbeitern aus dieser Einheit zu vermeiden (näher dazu Insam/Zöll, AuA 7/06, S. 389 ff.). Dabei wechseln die Beschäftigten aufgrund eines dreiseitigen Vertrags mit der BQG und dem Arbeitgeber (Insolvenzverwalter) zur BQG und bekommen dort Transferleistungen, u. a. Transferkurzarbeitergeld nach § 216a SGB III.

Für Arbeitnehmer ist das Modell attraktiv, da dem Arbeitslosengeld das Transferkurzarbeitergeld vorgeschaltet wird. Zudem stockt der Arbeitgeber häufig die staatliche Leistung auf. Außerdem erhöhen sich die Vermittlungschancen, da die BQG den Mitarbeitern Qualifizierungsmaßnahmen und Vermittlungen anbietet.

In der Insolvenz besteht die Besonderheit, dass der Erwerber unter bestimmten Voraussetzungen beim Wechsel der Belegschaft zur BQG und dem anschließenden Verkauf z. B. eines Betriebsteils Mitarbeiter aus der BQG einstellen kann, ohne dass dies als Umgehung von § 613a Abs. 4 BGB angesehen wird.

Wichtig

Die BQG ist vielfach die einzige Gestaltungsmöglichkeit, durch die der Erwerber eines insolventen Unternehmens einen Betriebsübergang vermeiden kann. Dazu ist aber erforderlich, dass nahezu alle Arbeitnehmer freiwillig in die BQG wechseln, was viel Überzeugungsarbeit erfordert. Außerhalb einer Insolvenz oder einer insolvenznahen Situationen ist dies dagegen nicht relevant.

Betriebliche Altersversorgung

Inwiefern besteht eine Sicherung der betrieblichen Altersversorgung?

Der Pensionssicherungsverein a.G. in Köln (PSV) übernimmt bei einem insolventen Unternehmen nach Maßgabe des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG)

  • unverfallbare Versorgungsanwartschaften der aktiven und ausgeschiedenen Mitarbeiter (Anwartschaftsberechtigte und Betriebsrentner mit laufenden Rentenleistungen) sowie
  • Ansprüche auf Rentenleistungen von Betriebsrentnern.

Ansprüche gegen den PSV entstehen mit Beginn des Kalendermonats, der auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgt. Sie umfassen neben unverfallbaren Versorgungsanwartschaften auch rückständige Versorgungsleistungen, soweit diese bis zu zwölf Monate vor der Leistungspflicht des PSV entstanden sind.

Beispiel

Insolvenzsicherung durch PSV

Insolvenzereignis/Versicherungsfall: Januar 2010

Beginn der Ansprüche gegen den PSV: 1.2.2010

Anspruch der Betriebsrentner: Rentenleistungen, die ab 1.2.2010 fällig werden + rückständige, vom Arbeitgeber nicht ausgezahlte Rentenleistungen seit 1.2.2009

Anspruch der aktiven Mitarbeiter: unverfallbare Anwartschaften nach Maßgabe des BetrAVG

Gesetzlich noch nicht unverfallbare Versorgungsanwartschaften, z. B. vertraglich unverfallbar erklärte Betriebsrentenansprüche, sichert der PSV nicht.

Der Insolvenzverwalter hat etwaige Ansprüche nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dem PSV zu melden. Dieser setzt sich nach der Prüfung unmittelbar mit den Berechtigten in Verbindung. Bei einer Insolvenz können unter bestimmten Bedingungen sowohl der Insolvenzverwalter als auch der PSV ggf. auf bestehende Sicherungsmittel zurückgreifen, um die Versorgungszusagen zu erfüllen, z. B. auf Rückdeckungsversicherungen, Direktversicherung etc., soweit nicht rechtliche Gründe, z. B. ausschließliche Bezugsrechte der Versorgungsberechtigten, entgegenstehen.

Fazit

Im Rahmen einer Insolvenz oder in einer insolvenznahen Situation müssen die Verantwortlichen einerseits schnell und konsequent handeln. Andererseits ist es für eine Sanierung notwendig, die Belegschaft durch eine Kommunikation, die auch rechtliche Fragen abdeckt, und die Zahlung der Gehälter bei der Stange zu halten. Die arbeitsrechtlichen Fragen, die sich in dieser Situation stellen, sind nicht alltäglich, denn es mischen sich allgemeine und spezielle insolvenzrechtliche Anforderungen. Daher sollten Personalverantwortliche alle Maßnahmen mit Experten abstimmen. Ist das Insolvenzverfahren erst einmal eröffnet, hat ohnehin der Insolvenzverwalter das letzte Wort.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 6/10