Problempunkt

two person siting beside laptops
Foto von Clayton Cardinalli

Die Klägerin war seit 1995 beim beklagten Bundesland beschäftigt. Sie leidet unter Neurodermitis, weshalb das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt hat. Einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen hat sie nicht gestellt.

Die Klägerin bewarb sich im Oktober 2003 bei der Beklagten als Angestellte für den Bereich der Parkraumbewirtschaftung. An einem Auswahlverfahren und einer schriftlichen Prüfung nahm sie mit Erfolg teil. Trotzdem lehnte die Beklagte im April 2004 ihre Einstellung ab und teilte dazu schriftlich mit, angesichts ihrer Neurodermitis sei sie gesundheitlich für die Tätigkeit in der Parkraumüberwachung nicht geeignet. Daraufhin verlangte die Klägerin eine angemessene Entschädigung in Geld wegen einer ungerechtfertigten Benachteiligung aufgrund ihrer Behinderung. Die Beklagte lehnte dies ab.

Entscheidung

Obwohl zum Zeitpunkt, als die Beklagte die Bewerbung ablehnte, das AGG noch nicht in Kraft getreten war, hielt das BAG den Anspruch der Klägerin für berechtigt. Es stützte sich dabei jedoch nicht auf § 81 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch alte Fassung (SGB IX a.F.), da die Voraussetzungen des dort geregelten Entschädigungsanspruchs – GdB von mindestens 50 oder Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen – nicht erfüllt waren. Die Erfurter Richter wandten vielmehr die Richtlinie 2000/78/EG des Rats vom 27.11.2000 an. Zwar gelten europäische Richtlinien grundsätzlich erst, wenn der nationale Gesetzgeber sie umgesetzt hat. Ist die Frist für die Umsetzung jedoch bereits abgelaufen, sind alle öffentlichen Stellen – auch die öffentlichen Arbeitgeber – verpflichtet, sie unmittelbar anzuwenden. Dies war hier der Fall, so dass sich die Klägerin unmittelbar auf die Richtlinie berufen konnte.

Dem steht auch nicht entgegen, dass sie weder schwerbehindert noch einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist. Die Richtlinie verbietet jede Diskriminierung wegen einer Behinderung. Der Begriff ist für die gesamte Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist darunter eine physische, geistige oder psychische Beeinträchtigung zu verstehen, die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben darstellt, wenn sie von Dauer ist. Auf den GdB kommt es dabei nicht an.

Das BAG hat im Ergebnis offengelassen, ob der Klägerin ein Entschädigungsanspruch tatsächlich zusteht, da noch nicht geklärt war, ob sie aufgrund ihrer Erkrankung eine entscheidende berufliche Anforderung nicht erfüllt.

Konsequenzen

Bei einer Diskriminierung wegen einer Behinderung, die vor Inkrafttreten des AGG erfolgte, können Ansprüche auf Entschädigung bestehen. Dies betrifft zum einen die nach alter Rechtslage unmittelbar geregelten Entschädigungsansprüche (z.B. § 87 Abs. 2 SGB IX). Zum anderen kommen aber auch Ansprüche gegen öffentliche Arbeitgeber in Betracht, weil der deutsche Gesetzgeber die EG-Richtlinie, die das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung enthält, nicht rechtzeitig umgesetzt hat. In diesen Fällen ist die Richtlinie unmittelbar anzuwenden. Das gilt auch für die Beweiserleichterung, wonach der Arbeitgeber die Beweislast dafür trägt, dass keine Diskriminierung vorliegt, wenn der Mitarbeiter Tatsachen glaubhaft macht, die hierauf schließen lassen. Trotz des Wortlauts der Richtlinie genügt aber eine Glaubhaftmachung durch eine eidesstattliche Versicherung i.S.d. § 294 Zivilprozessordnung nicht. Vielmehr muss der Betreffende Indizien beweisen, die eine Diskriminierung wahrscheinlich erscheinen lassen. In § 22 AGG ist dies nunmehr ausdrücklich geregelt.

Praxistipp

Auslegungsfragen, die sich im Zusammenhang mit Diskriminierungsfällen nach den EG-Gleichbehandlungsrichtlinien stellen, sind für die gesamte europäische Gemeinschaft autonom und einheitlich zu beantworten. Deshalb ist die Rechtsprechung des EuGH nicht nur für die Auslegung der Richtlinien, sondern auch für die der nationalen Gesetze – insbesondere des AGG – von entscheidender Bedeutung.

RA und FA für Arbeitsrecht Dr. Reinhard Möller,

Rechtsanwälte Bartsch und Partner, Karlsruhe

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - Personal-Profi - 8/08