Problempunkt

architectural photography of black and brown hallway
Foto von Nastuh Abootalebi

Die Klägerin, eine rumänische Richterin, hatte in der Zeit vom 1.10.2014 bis 3.2.2015 Mutterschaftsurlaub. Anschließend wurde ihr vom 4.2. bis zum 16.9.2015 Elternurlaub für die Erziehung eines Kindes im Alter von unter zwei Jahren gewährt. Hierauf folgten 30 Tage bezahlter Jahresurlaub vom 17.9. bis zum 17.10.2015. Die Klägerin beantragte angesichts des ihr gesetzlich zustehenden Jahresurlaubs von 35 Tagen für weitere fünf Tage Urlaub für 2015. Der Arbeitgeber lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Dauer des bezahlten Jahresurlaubs sei kraft Gesetzes an die Zeit der tatsächlichen Arbeitsleistung innerhalb des laufenden Jahres gebunden; da die Dauer des Elternurlaubs der Klägerin für 2015 nicht hierunter falle, habe eine entsprechende Kürzung mit dem Ergebnis zu erfolgen, dass der Klägerin kein Urlaub mehr zustehe. Hiergegen erhob die Richterin Klage. Das rumänische Berufungsgericht legte dem EuGH die Sache mit der Frage vor, ob die RL 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegenstehe, nach der bei der Festsetzung der Dauer des Jahresurlaubs die Zeit, in der sich der Arbeitnehmer im Elternurlaub befunden hat, nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung berücksichtigt wird.

Entscheidung

Nach Auffassung des EuGH steht Art. 7 RL 2003/88 einer nationalen Bestimmung, die die Urlaubsdauer nach der tatsächlichen Arbeitsleistung bemisst und hierbei Elternurlaub nicht berücksichtigt, nicht entgegen. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann zwar grundsätzlich nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, so etwa, wenn er aufgrund Krankheit ausfällt oder sich im Mutterschutz befindet; hiermit ist der Elternurlaub allerdings nicht vergleichbar. Elternurlaub ist somit nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung anzusehen.

Konsequenzen

Gem. Art. 7 RL 2003/88 haben Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf nur im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Für den Elternurlaub hält § 2 RL 2010/18/EU fest, dass Arbeitnehmer im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes ein individuelles Recht auf Elternurlaub von mindestens vier Monaten haben. Durch den Elternurlaub dürfen ihnen keine Rechtsnachteile entstehen (§ 5).

Diese Bestimmungen beantworten allerdings nicht die Frage, ob Zeiten des Elternurlaubs zu einer Verkürzung der jährlichen Urlaubszeit führen dürfen. Ausgangspunkt ist der Zweck von Art. 7 RL 2003/88. Hiernach soll bewirkt werden, dass jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen festgelegten Mindesturlaub hat, der es ihm zum einen ermöglicht, sich zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH, Urt. v. 20.1.2009 – C-350/06, NZA 2009, S. 135). Dieser Zweck beruht auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Eine Erholung setzt nämlich voraus, dass der Mitarbeiter eine Tätigkeit ausgeübt hat. Dies führt dazu, dass die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen sind (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2015 – C-219/14, NZA 2015, S. 1501).In bestimmten Fällen, nämlich im Falle der ordnungsgemäß belegten Erkrankung des Beschäftigten (EuGH, Urt. v. 24.1.2012 – C-282/10, NZA 2012, S. 139, m. w. N.) wie auch bei einem Ausfall durch den gesetzlichen Mutterschutz (EuGH, Urt. v. 18.3.2014 – C-342/01, NZA 2004, S. 535), darf zwar der nationale Gesetzgeber den Urlaub nicht aufgrund solcher Ausfallzeiten kürzen; diese Grundsätze sind jedoch nicht auf den Elternurlaub zu übertragen. Im Gegensatz zur Krankheit ist der Elternurlaub grundsätzlich nicht unvorhersehbar und willensunabhängig. Zudem leidet der Arbeitnehmer im Elternurlaub nicht unter Beschwerden, wie diese durch eine Erkrankung hervorgerufen werden. Insoweit unterscheidet sich die Situation auch vom Mutterschutz, der dem Schutz der körperlichen Verfassung und der Vermeidung einer Doppelbelastung im Schutzzeitraum dient. Hinzu kommt, dass die dem Arbeitnehmer obliegenden Pflichten während des Elternurlaubs entsprechend suspendiert sind (EuGH, Urt. v. 8.11.2012 – C-229/11, AuA 2/14, S. 116).

Praxistipp

Obwohl sich das Urteil des EuGH auf rumänisches Recht bezieht, hat dieses eine unmittelbare Bedeutung für das deutsche Recht.

Die Vorgaben von Art. 7 RL 2003/88 und § 2 RL 2010/18/EU werden durch die deutschen Vorschriften erfüllt (§§ 3, 7 Abs. 4, 13 BUrlG bzw. § 15, 18, 19 BEEG). Bislang ungeklärt war aber die Frage, ob § 17 Abs. 1 BEEG unionsrechtskonform ist. Gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Eine solche Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers ist als zulässig anzusehen, wenn der nationale Gesetzgeber sogar generell regeln darf, dass Zeiten des Elternurlaubs bei der Berechnung des Jahresurlaubs nicht zu berücksichtigen sind. Dabei kann es auch keine Rolle spielen, ob die nationale Rechtsordnung den Urlaubsanspruch bei Arbeitsversäumnissen von vornherein nur anteilig oder aber – wie das deutsche Urlaubsrecht – in vollem Umfang entstehen lässt und diesen erst in einem zweiten Schritt ggf. kürzt. Demgemäß hat mittlerweile auch das BAG bestätigt, dass § 17 Abs. 1 BEEG im Einklang mit dem Unionsrecht steht (BAG, Urt. v. 19.3.2019 – 9 AZR 362/18).

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 9/19, S. 549.