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Foto von Toa Heftiba

PROBLEMPUNKT

Die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats richtet sich gem. § 9 Satz 1 BetrVG nach der Anzahl der im Betrieb i. d. R. beschäftigten Arbeitnehmer. Da Zeitarbeitnehmer ausschließlich mit dem Personaldienstleister in einem Arbeitsverhältnis stehen, tatsächlich aber in einem „fremden“ Betrieb eingesetzt werden, musste das BAG nun im Rahmen eines Verfahrens zur Anfechtung einer Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG entscheiden, ob diese bei der Berechnung der i. d. R. im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gem. § 9 BetrVG zu berücksichtigen sind. Dies hatte das BAG bislang in ständiger Rechtsprechung verneint.


"Anerkennung von Zeitarbeitern - Erosion
der Stammbelegschaft entgegenwirken"

ENTSCHEIDUNG


Der 7. Senat sah die Betriebsratswahl wegen eines Verstoßes gegen § 9 Satz 1 BetrVG als unwirksam an. Unter Berücksichtigung der regelmäßig im Betrieb eingesetzten Zeitarbeitnehmer hätten 15 statt 13 Mitglieder in den Betriebsrat gewählt werden müssen.

Das BAG begründete sein Ergebnis mit dem systematischen Zusammenhang zu § 7 Satz 2 BetrVG. Nach dieser Bestimmung sind überlassene Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate eingesetzt werden. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es dazu, die Norm erkenne für bestimmte Fälle die Zugehörigkeit der Zeitarbeitnehmer zum Einsatzbetrieb an, um der Erosion der Stammbelegschaft entgegenzuwirken. Dabei steht dem überlassenen Arbeitnehmer, der länger als drei Monate eingesetzt wird, das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat bereits ab dem ersten Arbeitstag im Einsatzbetrieb zu; sein Wahlrecht im Stammbetrieb bleibt unberührt. § 9 Satz 1 BetrVG stellt mitunter ebenfalls auf deren Wahlberechtigung ab.

Nach Ansicht des BAG erscheint es wenig konsistent, die Zeitarbeitnehmer zwar nach § 7 BetrVG als im Einsatzbetrieb wahlberechtigt zu behandeln, sie aber nicht als „wahlberechtigte Arbeitnehmer“ i. S. v. § 9 BetrVG anzusehen. Ferner sprechen Sinn und Zweck der Schwellenwerte in § 9 Satz 1 BetrVG entscheidend für die Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmer. Die dort vorgesehene Staffelung soll sicherstellen, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Mitarbeiter steht. Je mehr Arbeit im Betriebsrat anfällt, desto mehr Mitglieder soll er haben. Die Zunahme an Betriebsratsaufgaben, die mit der Beschäftigung von Zeitarbeitnehmern verbunden ist, ist so erheblich, dass ihr durch eine entsprechende Größe des Gremiums Rechnung zu tragen ist. Für dieses ergeben sich durch die Zeitarbeitnehmer sowohl in Mitbestimmungsangelegenheiten (insbesondere in sozialen und personellen Angelegenheiten) als auch darüber hinaus in beträchtlichem Umfang Aufgaben und Pflichten.

KONSEQUENZEN

Bereits im Dezember 2012 hatte das BAG (Beschl. v. 5.12.2012 – 7 ABR 48/11) in einer anderen Konstellation des drittbezogenen Personaleinsatzes die bisher vertretene Zwei-Komponenten-Lehre aufgegeben, so dass es nur eine Frage der Zeit war, wann der bisher vertretene Grundsatz „Zeitarbeitnehmer wählen, aber zählen nicht“ (vgl. BAG, Beschl. v. 10.3.2004 – 7 ABR 49/03) fallen würde. Das BAG vollzieht damit eine Kehrtwende in seiner bisherigen Rechtsprechung: Zukünftig zählen i. d. R. beschäftigte Zeitarbeitnehmer bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG im Einsatzbetrieb mit (ähnlich bereits: ArbG Elmshorn, Beschl. v. 16.2.2012 – 3 BV 43 d/11, AiB 2012, S. 398). Erstaunlich ist dabei aber, mit welcher „Leichtigkeit“ sich der 7. Senat vom Prinzip „Wählen, aber nicht zählen“ verabschiedet. An den noch im Jahr 2004 als überzeugend angesehenen Argumenten will sich der Senat – ggf. auch aufgrund des inzwischen erfolgten Wechsels des Vorsitzenden – nicht mehr festhalten lassen. Dies ist insbesondere unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit einer höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie dem Gedanken der Rechtssicherheit und -beständigkeit zu kritisieren. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber das AÜG im Jahr 2011 mehrfach angepasst hat, ohne aber gerade eine entsprechende Änderung vorzunehmen. Insoweit rückt die Rechtsprechung des 7. Senats zumindest in die Nähe einer unzulässigen Rechtsfortbildung, da die betriebsverfassungsrechtliche Gleichstellung von Zeitarbeitnehmern mit Stammbeschäftigten zumindest nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen dürfte. Die höchstrichterliche Judikatur ist dabei schon seit Ende 2011 in Bewegung (s. auch Ramstetter/Hartmann, AuA 7/13, S. 410 ff.). Zunächst befand der 1. Senat zum Schwellenwert des § 111 Satz 1 BetrVG, dass Zeitarbeiter mitzuzählen sind, wenn sie länger als sechs Monate im Kundenunternehmen beschäftigt werden (BAG, Urt. v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, AuA 10/12, S. 616). Der 7. Senat entschied sodann – aufgrund der Spezialvorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG –, dass Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die aufgrund einer Personalgestellung in Privatbetrieben tätig sind, mitzählen (BAG, Beschl. v. 15.12.2011 – 7 ABR 65/10, AuA 6/13, S. 377). Anfang 2013 urteilte der 2. Senat, dass Zeitarbeitnehmer im Einsatzbetrieb beim Schwellenwert nach § 23 KSchG zu berücksichtigen sind, wenn ihre Überlassung auf einem „i. d. R.“ vorhandenen Personalbedarf beruht (BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, AuA 9/13, S. 548). Vor diesem Hintergrund entschied das Hessische LAG (Beschl. v. 11.4.2013 – 9 TaBV 308/12) jüngst, dass wahlberechtigte Zeitarbeitnehmer bei der Berechnung der Mitarbeiterzahl nach § 9 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz mitzuzählen sind.

Das BAG wird noch zu klären haben, ob und inwieweit Zeitarbeitnehmer bei anderen Schwellenwerten des BetrVG wie Stammbeschäftigte behandelt werden, insbesondere bei der Bestimmung der Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gem. § 38 BetrVG. Dies dürfte auf Grundlage des derzeitigen Begründungsansatzes des 7. Senats wohl zu bejahen sein. Spannend bleibt, wie das BAG den Konflikt auflöst, der sich daraus ergeben kann, dass eine Überlassung von Zeitarbeitnehmern nur „vorübergehend“ erfolgen darf (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG). In einer aktuellen Entscheidung hat das Gericht entschieden, dass zumindest der Einsatz von Zeitarbeitnehmern ohne jegliche zeitliche Begrenzung nicht mehr „vorübergehend“ ist (BAG, Beschl. v. 10.07.2013 – 7 ABR 91/11). Wie sich dies damit verhält, dass in §§ 9, 38 BetrVG auf die „i. d. R.“ im Betrieb tätigen (Zeit-)Arbeitnehmer abzustellen ist, muss Erfurt noch klären.


Praxistipp

In Zukunft müssen Wahlen zum Betriebsrat – die nächsten stehen im Frühjahr 2014 an – so vorbereitet und durchgeführt werden, dass „i. d. R. beschäftigte“ Zeitarbeitnehmer bei der Feststellung der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG mitzählen, andernfalls droht eine Anfechtung nach § 19 BetrVG – verbunden mit entsprechenden Kosten durch die Rechtsverfolgung und der ggf. erforderlichen Wiederholung der Wahl, die vom Arbeitgeber zu tragen sind. Insoweit hat auch dieser ein Interesse daran, dass der Schwellenwert nach § 9 BetrVG korrekt bestimmt wird. Streitigkeiten können dabei insbesondere entstehen, ob und wann Zeitarbeitnehmer tatsächlich „i. d. R.“ im Einsatzbetrieb tätig sind.

Quelle: Arbeit & Arbeitsrecht 12/2013
Fotocredit: Maren Beßler / www.pixelio.de