1 Begrifflichkeiten

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Sieht man sich die einschlägigen Regelungen in Arbeits- oder Tarifverträgen an, tauchen regelmäßig die Begriffe „Überstunden“ und „Mehrarbeit“ auf. Sie werden häufig nebeneinander – teils synonym – gebraucht, ohne dass klar ist, wo der Unterschied liegt.

Definition: Überstunden und Mehrarbeit

Unter Überstunden (oder „Überarbeit“) versteht man die Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer über seine vertragliche Verpflichtung hinaus erbringt. Eine auf den Tag bezogene höhere Arbeitszeit im Rahmen von flexiblen Modellen (z. B. Arbeitszeitkonten) stellt i. d. R. keine Überarbeit dar. Überstunden fallen erst an, wenn im festgelegten Ausgleichszeitraum das vereinbarte Arbeitszeitkontingent überschritten wird.

Der Begriff Mehrarbeit ist dagegen unscharf. Soweit nicht Spezialnormen (z. B. § 8 Mutterschutzgesetz) und Tarifverträge eigenständige Definitionen schaffen, versteht man darunter diejenige Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer über die im Arbeitszeitgesetz geregelte normale gesetzliche Arbeitszeit (acht Stunden) hinaus leistet.

Der Begriff der Mehrarbeit hat seine wesentliche praktische Bedeutung eingebüßt, nachdem § 15 der Arbeitszeitordnung (bis 1994) außer Kraft getreten war, der einen Mehrarbeitszuschlag von 25 % auf über die gesetzliche Normarbeitszeit hinaus geleistete Arbeit vorsah.

Praxistipp

Im Arbeitsvertrag benötigt man eine Unterscheidung deshalb nur noch dann, wenn Mehrarbeit mit einem Zuschlag honoriert werden soll. Anderenfalls kann die Unterscheidung aus Gründen der Übersichtlichkeit aufgegeben werden.

2 Ausgangslage

Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer keine Überstunden leisten, d. h. über die vertraglich geregelte Arbeitszeit hinaus tätig werden; vgl. zum Thema Dienstreisen auch Barthel/Müller, AuA 3/11, S. 152 ff. Eine Verpflichtung des Beschäftigten, einer Anordnung von Überstunden durch seinen Arbeitgeber nachzukommen, besteht ohne vertragliche Grundlage nur ausnahmsweise in Notfällen.

Wichtig

Ohne die vertraglich geregelte Befugnis, Überstunden anzuordnen, können Unternehmen Mitarbeiter daher im Regelfall einseitig nicht zur zusätzlichen Arbeitsleistung heranziehen.

Bei Überstunden gilt ohne besondere Regelung § 612 BGB, wonach stillschweigend eine Vergütung vereinbart ist, wenn im Einzelfall ein Tätigwerden nur gegen Vergütung zu erwarten ist. Dies gilt nicht nur für die Entlohnungspflicht allgemein, sondern auch für überobligatorische Leistungen – also auch für Überstunden.

Im Grundsatz geht auch das BAG davon aus, dass der Arbeitnehmer nach § 612 BGB eine zusätzliche Vergütung für Überstunden fordern kann (vgl. BAG, Urt. v. 17.3.1982 – 5 AZR 1047/79). Grund für die Erwartung, dass zusätzliche Arbeit vergütet wird, ist die vertraglich vereinbarte Regelarbeitszeit. Dabei kann der Beschäftigte davon ausgehen, grundsätzlich nicht länger – und falls doch, dann nur gegen zusätzliche Vergütung – arbeiten zu müssen.

Wichtig

Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem normalen Arbeitslohn des Mitarbeiters. Zuschläge für Überstunden kann der Arbeitnehmer auf Grundlage des § 612 BGB nicht fordern. Freizeitausgleich kann ohne vertragliche Vereinbarung ebenfalls nicht gewährt werden: Der Arbeitgeber schuldet eine Vergütung in Geld.

Umgekehrt gilt jedoch auch, dass Beschäftigte nicht eigenmächtig Überstunden leisten und dafür gegen den Willen des Unternehmens eine Vergütungspflicht herbeiführen können. Es muss überobligatorische Leistungen der Mitarbeiter nur bezahlen, wenn ihm die Leistung der Überstunden zugerechnet werden kann (d. h. bei Anordnung, Billigung oder Duldung).

3 Sind vertragliche Regelungen erforderlich?

Diese gesetzliche Ausgangslage entspricht nicht immer den Interessen der Parteien:

So ist es für den Arbeitgeber i. d. R. erforderlich, sich für den Fall, dass die Auftragslage dies erfordert, die Möglichkeit vorzubehalten, punktuell Überarbeit anzuordnen.

U. U. kann die gesetzliche Regelung, wonach Überstunden in Geld zu vergüten sind, unzweckmäßig sein.

Schließlich soll häufi g durch Pauschalen der Verwaltungs- und Abrechnungsaufwand minimiert werden.

In der Praxis sind diese Fragen meist in den kollektivrechtlichen Vereinbarungen, also in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen, geklärt. Wo solche Vereinbarungen jedoch fehlen, muss man die individuellen Arbeitsverträge entsprechend anpassen.

Praxistipp

Erforderlich sind insbesondere Vereinbarungen zu folgenden Komplexen:

– Verpflichtung zur Leistung von Überstunden

– Vergütung von Überstunden (inkl. des Freizeitausgleichs)

– Verfahren der Anordnung von Überstunden

4 Wer darf anordnen?

Eine Anordnungsbefugnis kann man ohne Weiteres in den Vertrag aufnehmen. Eine solche Anordnungsbefugnis versetzt den Arbeitgeber jedoch in die Lage, die Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers in Bezug auf den zeitlichen Umfang einseitig zu erweitern. Das stellt sich als Änderungsvorbehalt i. S. d. § 308 Nr. 4 BGB dar.

Zur Vermeidung von Streitigkeiten über die Wirksamkeit der Klausel sollte bei der Gestaltung daher auf die Interessen des Beschäftigten Rücksicht genommen werden, um dem Zumutbarkeitserfordernis des § 308 Nr. 4 BGB sicher gerecht zu werden. In Betracht kommt etwa folgende Regelung:

Muster: Anordnungsklausel

„Der Arbeitgeber darf monatlich bis zu [25] Überstunden anordnen, wenn die betrieblichen Belange dies erfordern. Bei der Anordnung der Überstunden sind die berechtigten Belange des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.“

5 Vergütungsklauseln

Will das Unternehmen sich die Möglichkeit vorbehalten, geleistete Überstunden in Freizeit auszugleichen, muss es dies ausdrücklich im Arbeitsvertrag klarstellen (vgl. BAG, Urt. v. 18.9.2001 – 9 AZR 307/00, BB 2002, S. 359).

Muster: Überstundenausgleich in Freizeit

„Überstunden werden nach Wahl des Arbeitgebers in Freizeit ausgeglichen oder vergütet.“

Soweit eine Vergütung in Geld erfolgen soll, lassen sich grundsätzlich zwei Modelle unterscheiden:

Zum einen kann vereinbart werden, dass Überstunden wie normale Arbeitszeit auf der Grundlage des normalen Arbeitslohns vergütet werden (sog. Einzelvergütung). Dies entspricht der gesetzlichen Ausgangslage, sollte jedoch aus Gründen der Transparenz in den Vertrag aufgenommen werden. Zusätzlich kann man einen Zuschlag vereinbaren, um überobligatorische Arbeit besonders zu honorieren.

Daneben finden sich in vielen Verträgen auch Regelungen, die eine pauschale Abgeltung (einer begrenzten Anzahl) von Überstunden mit dem Bruttogrundgehalt oder durch eine gesonderte Pauschale vorsehen. Diese pauschale Abgeltung ist hierbei zumeist mit der Verpflichtung des Mitarbeiters verbunden, Überstunden im erforderlichen Umfang zu leisten.

6 Pauschalierungen u. U. unwirksam

Die Zulässigkeit solcher Pauschalierungsregelungen – jedenfalls solcher, die ein Abgelten sämtlicher Überarbeit vorsehen – ist seit Langem umstritten. Mit Urteil vom 1.9.2010 (5 AZR 517/09, DB 2011, S. 61) hat sich das BAG zu der Frage geäußert, inwieweit eine pauschale Abgeltung geleisteter Überstunden mit dem Bruttogrundgehalt möglich ist.

Gegenstand der Entscheidung war eine allgemeine Geschäftsbedingung in einem Arbeitsvertrag, nach der Überstunden zu leisten waren, „… sofern diese zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung … erforderlich sind“. Weiter sah der Vertrag vor, dass „Mit der … Vergütung … erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers abgegolten …“ sind, wobei zugleich die wöchentliche Regelarbeitszeit auf 45 Stunden festgelegt wurde.

Das BAG hat die Abgeltungsklausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB für unwirksam gehalten und sich damit der bei den LAG verbreiteten Meinung angeschlossen (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 18.3.2009 – 2 Sa 1108/08; LAG Düsseldorf, Urt. v. 6.5.2010 – 13 Sa 1129/09; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 3.6.2010 – 15 Sa 166/10). Diese hatten entsprechende Klauseln schon längere Zeit für unwirksam gehalten.

Tragende Überlegung des BAG war, dass der Umfang der Leistung, die der Beschäftigte für das Grundgehalt erbringen muss, nicht klar umrissen ist. Der Arbeitsvertrag verbindet eine – zeitlich nicht begrenzte – Verpflichtung zur Leistung von Überstunden mit einer pauschalen Abgeltung aller Überstunden über das Grundgehalt. Wie viel der Mitarbeiter damit letztlich im Monat für das Grundgehalt arbeiten muss, ist dem Vertrag nicht zu entnehmen. Er muss jedoch bei Vertragsschluss wissen, „was auf ihn zukommt“, d. h. welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Lässt sich das nicht aus der Klausel ersehen, ist dies intransparent und damit unwirksam. Auch lässt sich eine derartig unbestimmte Klausel nicht dadurch retten, dass man von einer Beschränkung auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit ausgeht.

Praxistipp

Mit der Entscheidung hat das BAG nicht die Vereinbarung von Pauschalierungsklauseln insgesamt für unzulässig erklärt. Geäußert hat es sich lediglich zur (unwirksamen) Pauschalabgeltung einer unbestimmten Anzahl von Überstunden.

Entsprechend umfassende Abgeltungsklauseln können für die Zukunft daher nicht mehr vereinbart werden. Klauseln in laufenden Arbeitsverträgen sind unwirksam, so dass die bereits beschriebene gesetzliche Ausgangslage, also die Einzelvergütungspflicht, gilt – und zwar für alle Überstunden. Falls möglich, sollten Arbeitgeber Änderungsvereinbarungen treffen, die diesen Fehler korrigieren.

7 Transparenz- und Angemessenheitskontrolle

Vertragsklauseln, die die Abgeltung lediglich einer bestimmten Anzahl von Überstunden durch das Grundgehalt vorsehen, sind weiterhin zulässig. Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenzkontrolle des BGB passieren, ist jedoch, eine klare Regelung dessen, was der Arbeitnehmer in zeitlicher Hinsicht maximal leisten muss, um sich die vereinbarte Vergütung zu verdienen.

Das BAG hat sich in seiner Entscheidung nicht abschließend mit der Frage befasst, ob Pauschalierungsklauseln – als Nebenabreden – auch der Angemessenheitskontrolle gem. § 307 Abs.1 Satz 1 BGB unterliegen. Diese Frage konnte das Gericht offenlassen, da die Transparenzkontrolle auch bei ansonsten kontrollfreien Preisabreden Anwendung fi ndet (vgl. § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB).

Pauschalierungsabreden sind allerdings umstritten, da befürchtet wird, dass der Arbeitgeber einseitig die Arbeitszeit erhöht, ohne zugleich die Vergütung angemessen anzupassen. Dies spricht eher für eine Angemessenheitskontrolle gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Praxistipp

Beim Festlegen der Anzahl der abzugeltenden Überstunden ist daher eine für beide Seiten interessengerechte Regelung zu treffen. Dies setzt voraus, dass die Vergütung insgesamt in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtarbeitsleistung (inkl. geleisteter Mehrarbeit) steht. In einem überschaubaren Ausgleichszeitraum darf sich durch die pauschalierte Überstundenabgeltung kein Missverhältnis ergeben.

Vor der Schuldrechtsreform beurteilte man die Angemessenheit von Pauschalierungsabreden nach § 138 BGB. Die Rechtsprechung sah eine Pauschalierung, die dazu führte, dass der Beschäftigte faktisch einen Stundenlohn i. H. v. 70 % des Stundenlohns eines ihm vergleichbaren Arbeitnehmers erhielt, als gerade noch angemessen an (vgl. LAG Schleswig- Holstein, Urt. v. 5.11.2002 – 5 Sa 147c/02).

Berücksichtigt man, dass der Maßstab des § 138 BGB im Vergleich zu dem des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB weiter ist, wird es angemessen sein, Überstunden im Umfang zwischen 10 und 25 % der monatlichen Arbeitsleistung durch das Grundgehalt mit abzugelten. Was im Einzelfall noch angemessen ist, richtet sich grundsätzlich danach, wie hoch jeweils die Vergütung und die der Tätigkeit zugeordnete Verantwortung ist.

8 Formulierungsvorschlag

Bei Tätigkeiten auf der unteren Betriebsebene, die üblicherweise auf der Basis von festen Regelarbeitszeiten entlohnt werden und im Lohngefüge niedrig angesiedelt sind, dürfte die Pauschalierung nur hinsichtlich einer geringfügigen Mehrleistung angemessen sein. Bei höher bezahlten Tätigkeiten auf der mittleren Betriebsebene, die ggf. eine selbstständige Einteilung der Arbeitszeit erfordern, liegt die Grenze höher.

Praxistipp

Vorsorglich sollte man beim Bemessen der Pauschalierung konservativ agieren. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund ratsam, dass eine unangemessene Klausel gem. § 306 Abs. 2 BGB ersatzlos wegfällt. Eine geltungserhaltende Reduktion auf ein gerade noch angemessenes Maß fi ndet nicht statt, d. h. der Arbeitgeber schuldet entsprechend den oben beschriebenen Grundsätzen Einzelvergütung für jede geleistete Überstunde.

Für die künftige Vertragsgestaltung folgt aus dem Urteil des BAG, dass – unabhängig davon, ob eine pauschale Abgeltung von Überstunden erfolgt, oder nicht – klar zu regeln ist, was der Arbeitnehmer in zeitlicher Hinsicht maximal leisten muss, um sich die vereinbarte Vergütung zu verdienen.

Muster: Pauschalierungsklauseln zu Überstunden

Eine wirksame Pauschalierungsklausel kann in Zukunft etwa lauten: „Mit dem Grundgehalt werden bis zu (…) Überstunden im Monat abgegolten. Darüberhinausgehende angeordnete oder genehmigte Überstunden werden nach Wahl des Arbeitgebers durch Freizeit ausgeglichen oder vergütet.“

Um die Transparenz noch weiter zu erhöhen, wird teilweise auch gefordert, die Höhe der Pauschale konkret zu regeln, d. h. Grundgehalt und Überstundenvergütung im Vertrag separat auszuweisen (so LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 3.6.2010 – 15 Sa 166/10). Eine entsprechende Vertragsklausel könnte etwa wie folgt aussehen:

„Zusätzlich zum Grundgehalt erhält der Arbeitnehmer eine Pauschale i. H. v. (…) Euro mit der im Monat bis zu (…) Überstunden abgegolten werden.“

Eine solche Klauselgestaltung ist jedoch aufgrund der Vorgaben des BAG nicht zwingend erforderlich. Sie ist aus Transparenzgründen indes dann erwägenswert, wenn für ein konkretes Arbeitsverhältnis verlässliche Daten über voraussichtlich anfallende Überarbeit vorliegen. Nur dann kann man die Pauschale angemessen konkret ausweisen.

9 Sondersituation: Führungskräfte

Für die Gruppe der Führungskräfte stellt sich die rechtliche Situation anders dar: Das BAG geht davon aus, dass man hoch bezahlten Angestellten in verantwortlicher Stellung ein besonderes Maß an Arbeitsleistung abverlangen darf. Das gilt jedenfalls dann, wenn im Vertrag keine zeitliche Regelleistung vereinbart ist. Daher sind arbeitsvertragliche Klauseln, nach denen Führungskräfte dem Betrieb ihre gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen haben – bei entsprechender Entlohnung – grundsätzlich zulässig. In dieser Konstellation ist die Führungskraft i. d. R. zu Überarbeit verpflichtet. Gesonderte Vergütung kann sie nach Maßgabe des § 612 BGB nicht verlangen, da Überarbeit hier gerade regelmäßig erwartet wird.

Ausnahmsweise kann daher auch die Vereinbarung einer pauschalen Abgeltungsklausel wirksam sein. Voraussetzung ist jedoch u. a., dass es sich tatsächlich um eine „Führungskraft“ handelt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Mitarbeiter irgendeine Leitungsfunktion ausübt. Er muss tatsächlich – auf das gesamte Unternehmen bezogen – eine deutlich herausgehobene und verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben. Das ist jedenfalls bei leitenden Angestellten i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG so; eine Leitungsfunktion bloß auf der mittleren Hierarchieebene reicht hingegen nicht aus.

Wichtig

Es besteht allerdings ein gewisses Risiko, dass das BAG zukünftig unbeschränkte Pauschalierungsabreden auch bei Führungskräften für unwirksam hält. Die zurzeit noch maßgeblichen Entscheidungen sind relativ alt und hatten sich noch nicht mit dem im BAG-Urteil vom 1.9.2010 (a. a. O.) maßgeblichen § 307 BGB auseinanderzusetzen. Eine zukünftige Entscheidung könnte daher anders ausfallen.

10 Vergütungspflicht bei Billigung

Eine Vergütungspflicht für geleistete Arbeitsstunden besteht nur, wenn das Unternehmen die Überstunden angeordnet, gebilligt oder geduldet hat, oder aber die Überstunden zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung erforderlich waren (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 319/04).

Dabei kann die Anordnung von Überstunden auch stillschweigend erfolgen, indem der Arbeitgeber dem Mitarbeiter etwa Aufgaben überträgt, die in der regelmäßigen Arbeitszeit nicht erledigt werden können („muss heute fertig werden!“).

Eine Erforderlichkeit im o. g. Sinn soll jedenfalls dann vorliegen, wenn die geschuldete Arbeitsleistung aufgrund personeller Unterbesetzung objektiv nicht in der regelmäßigen Arbeitszeit zu erledigen ist.

Die beiden anderen vom BAG genannten Begriffe Billigung und Duldung werden in der Rechtsprechung unterschiedlich gehandhabt. Eine klare Begriffsbildung durch das BAG gibt es bisher nicht.

Eine Billigung ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Arbeitgeber darum weiß, dass der Beschäftigte Überstunden leistet und er damit einverstanden ist. Dabei liegt eine Billigung nach der Ansicht des BAG noch nicht in der bloßen Entgegennahme von Stundenzetteln, die Überstunden ausweisen, sondern erst in einer Abzeichnung oder der Erteilung einer die Überstunden berücksichtigenden Gehaltsabrechnung.

Praxistipp

Nach der BAG-Rechtsprechung kann das Unternehmen auch ohne ausdrückliche Anordnung von Überstunden vergütungspflichtig sein, wenn es diese „billigt“. Zur Streitvermeidung sollte man daher klare Regeln dahingehend schaffen, dass Überstunden nur nach vorheriger Anordnung durch den Vorgesetzten zu leisten sind.

11 Geduldete Überstunden

Welche eigenständige Bedeutung dem Begriff Duldung zukommt, hat das BAG bisher dagegen offengelassen. Die LAG behandeln den Begriff daher unterschiedlich, vor allem was den Erklärungswert der Entgegennahme von Zeiterfassungen angeht:

In einem aktuellen Urteil hat das LAG Berlin-Brandenburg den Begriff dahingehend von der Billigung abgegrenzt, dass es bei der Duldung nicht auf eine Kenntnis des Arbeitgebers von der Leistung der Überstunden ankomme. Das Gericht schloss – unabhängig von der konkreten Kenntnis des Unternehmens hinsichtlich geleisteter und in einem Zeiterfassungssystem erfasster Überstunden – aus dem Umstand, dass über mehrere Wochen keine ernsthaften organisatorischen Maßnahmen getroffen wurden, um eine freiwillige Leistung von Überarbeit zu unterbinden, auf eine Duldung der geleisteten Überstunden (Urt. v. 3.6.2010 – 15 Sa 166/10). Die zugrunde liegende Erwägung der Gerichte scheint zu sein, dass der Arbeitgeber Kenntnis hätte haben können und müssen.

In einem anderen Fall schloss das Hessische LAG (Urt. v. 9.3.2010 – 12 Sa 1577/09) aus der anstandslosen Entgegennahme von Stundenzetteln, die Überstunden auswiesen, ebenfalls auf eine Duldung (insoweit im Widerspruch zum BAG).

Praxistipp

Unternehmen sollten vor dem Hintergrund dieser Instanzrechtsprechung sorgfältig darauf achten, dass die in der täglichen Praxis tatsächlich anfallenden Überstunden erfasst und laufend (mindestens wöchentlich) vom Vorgesetzten kontrolliert werden, um notfalls ungewünschte Überstunden (und die korrespondierende Vergütungspflicht) zu verhindern.

Die genannten Entscheidungen der LAG dehnen die Kontrollpflichten des Arbeitgebers jedoch über Gebühr aus, da in der Praxis ganz unterschiedliche Fallkonstellationen vorkommen, etwa bei einer auch zu Gunsten der Arbeitnehmer vereinbarten „Vertrauensarbeitszeit“, in denen das Unternehmen nicht in der Lage ist, einen längeren Verbleib des Beschäftigten am Arbeitsplatz wirksam laufend zu kontrollieren.

Das LAG Schleswig-Holstein geht daher zutreffend davon aus, dass eine Duldung ohne konkrete Kenntnis nicht in Betracht kommt (Urt. v. 14.11.2007 – 6 Sa 492/06). Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis davon, dass ohne seine Veranlassung Überarbeit geleistet wird, kann man aus seiner fehlenden Reaktion keinen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert bzgl. dieser Arbeitsleistung herleiten. Irgendein rechtsgeschäftlicher Anknüpfungspunkt muss jedoch vorliegen, da Überstunden gerade nicht ursprünglicher Gegenstand des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses sind; hierzu werden sie erst durch eine beidseitige, rechtsgeschäftliche Einigung, die auch auf Seiten des Arbeitgebers einen entsprechenden Willen – und damit Kenntnis – voraussetzt.

12 Darlegungs- und Beweislast

Schließlich ist zu beachten, dass bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung um Überstundenvergütung grundsätzlich der Arbeitnehmer – als Anspruchsteller – in Vorleistung treten und die Voraussetzungen seines Vergütungsanspruchs darlegen und ggf. beweisen muss. Dabei stellt die Rechtsprechung durchweg relativ hohe Anforderungen an den Mitarbeiter:

Grundsätzlich muss er im Einzelnen zunächst darlegen und notfalls beweisen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat.

Zusätzlich muss er zu den oben beschriebenen materiellen Zurechnungsvoraussetzungen (Anordnung, Billigung oder Duldung des Arbeitgebers) vortragen.

Ggf. muss der Beschäftigte auch konkret dazu vortragen, welche Tätigkeiten er während der Überarbeit ausgeführt hat. Das BAG geht von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast aus, so dass der Arbeitnehmer hierzu im Regelfall nur substanziiert vortragen muss, wenn die Tatsache der Arbeitsleistung streitig ist.

Wichtig

Darlegungen des Arbeitnehmers, die den Anforderungen genügen, muss der Arbeitgeber substanziiert bestreiten, d. h. er muss den Behauptungen mit einer eigenen konkreten Sachdarstellung entgegentreten. Pauschales Bestreiten genügt nicht (vgl. BAG, Urt. v. 17.4.2002 – 5 AZR 644/00).

13 Fazit

Bei der Anordnung und Vergütung von Überstunden entspricht die gesetzliche Ausgangslage nicht immer den Interessen der Parteien in der betrieblichen Praxis. U. U. kann die gesetzliche Regelung, wonach Überstunden in Geld zu vergüten sind, unzweckmäßig sein. Schließlich will man den Verwaltungs- und Abrechnungsaufwand häufig durch Pauschalen minimieren. Wenn Abgeltungssachverhalte nicht in kollektivrechtlichen Vereinbarungen, also in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen, geklärt sind, ist aufgrund der neuesten Rechtsprechung des BAG bzgl. Individualregelungen besondere Vorsicht geboten.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 04/11