Problempunkt

three women sitting beside table
Foto von Tim Gouw

Die Betriebsärztin der beklagten Arbeitgeberin, die ein Herzzentrum betreibt, rief im November 2011 alle interessierten Mitarbeiter des Betriebs zur Teilnahme an einer Grippeschutzimpfung auf, deren Kosten die Beklagte übernahm. Nach Bekunden der klagenden Arbeitnehmerin, einer Controllerin, ist ihr durch die Maßnahme ein Impfschaden entstanden. Für diesen hafte die Beklagte, da sie vor der Impfung nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Wäre dies geschehen, hätte sie die angebotene Grippeschutzimpfung nicht durchführen lassen.

Mit ihrer Klage fordert sie von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Zudem begehrt sie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der Schädigung in Folge der Impfung noch entstehen werden. Die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretene Streithelferin ist als Ärztin approbiert; zwischen ihr und der Beklagten besteht ein Vertrag, nach dem die Beklagte der Streithelferin die Aufgabe eines Betriebsarztes übertragen und die Streithelferin diese Aufgabe als freiberuflich tätige Betriebsärztin übernommen hat. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen und auch die Revision der Klägerin vor dem 8. Senat des BAG blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Das BAG hat entschieden, dass die Beklagte der Klägerin nicht für den von ihr behaupteten Impfschaden haftet, da sie keine Pflichten gegenüber der Klägerin verletzt hat. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist, aus dem die Beklagte zur Aufklärung verpflichtet gewesen wäre. Die Vorinstanz hatte dazu ausgeführt, dass zu der Grippeschutzimpfung nicht die Beklagte, sondern die Betriebsärztin eingeladen hat. Dass sie die Einladung mit dem Zusatz Betriebsärztin versehen hat, ändert nichts daran, dass sie diejenige ist, die durch die E-Mail zu erkennen gegeben hat, dass die Grippeschutzimpfung durch sie bzw. durch ihre Kollegin durchgeführt werden wird und sie die entsprechende Behandlungsleistung erbringen wollten. Die Beklagte war vorliegend auch nicht aufgrund des zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet, die Klägerin über etwaige Risiken der Impfung aufzuklären, und musste sich deshalb auch nicht einen möglichen Verstoß der Ärztin gegen die Aufklärungspflicht zurechnen lassen. Da es bereits an einer Grundlage für eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin fehlt, kann dahingestellt bleiben, ob die Aufklärung vor der Impfung tatsächlich ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Eine deliktische Haftung der Beklagten durch Unterlassen oder Mittäterschaft war hier nach den Ausführungen der Vorinstanz auch nicht gegeben, da die Durchführung einer solchen betrieblichen Impfung nicht rechtswidrig ist, sondern als Ganzes gesehen einen sinnvollen Beitrag zum Gesundheitsschutz der Belegschaft und der Bevölkerung bietet.

Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Schadensersatz kam hier zwar dem Grunde nach in Betracht, da ein Impfschaden i.d.R. kein Arbeitsunfall ist. Daher greift das Haftungsprivileg des Arbeitgebers nicht, wonach der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die gesetzliche Unfallversicherung in Anspruch nehmen muss und ein direkter Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte (vgl. u.a. SG Dortmund, Urt. v. 5.8.2015 – S 36 U 818/12) unterliegt eine allgemeine Grippeschutzimpfung grundsätzlich nicht dem Recht der allgemeinen Unfallversicherung, da sie der Erhaltung der Gesundheit dient und damit dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen ist. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Impfung mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem ursächlichen Zusammenhang steht.

 

Konsequenzen

Betriebsärzte können grundsätzlich Grippeschutzimpfungen in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers anbieten. Letztere können auch die Kosten dafür übernehmen, ohne dass sie Schadensersatzrisiken für Impfschäden in Kauf nehmen müssen.

 

Praxistipp

Soweit nach dem Urteil bei Grippeschutzimpfungen keine Haftung des Arbeitgebers besteht, ist dennoch anzuraten, dass der Arbeitgeber selbst weder zu solchen Impfungen einlädt noch Empfehlungen dazu ausspricht, sondern dies vollumfänglich dem Kompetenzbereich des Betriebsarztes überlässt.

Darüber hinaus kann die Entscheidung nicht auf berufsbezogene Impfungen übertragen werden. Insoweit greifen dann jedoch zumeist der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und ein Haftungsprivileg des Arbeitgebers. Abseits von Haftungsfragen sollte jedoch in diesem Bereich immer ein sorgsamer Maßstab angelegt werden, bevor man Impfmaßnahmen anbietet.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 3/18, S. 181f.