Von Flexi I zu Flexi II

Zeitwertkonten erfreuen sich seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit. Insbesondere deutsche Großunternehmen entdecken die personalpolitischen Vorteile von Zeitwertkonten für sich. Während eher kurzfristig ausgerichtete Arbeitszeitkonten darauf abzielen, die Kapazitätsauslastung zu optimieren und damit Personalkosten zu senken, haben Zeitwertkonten andere Vorteile: Arbeitnehmer können damit ihren Vorruhestands flexibel finanzieren. Da das gesetzlichen Renteneintrittsalters schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden soll und die staatlich geförderte Altersteilzeit seit dem 1. Januar 2010 ausläuft, gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung.

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Die Große Koalition von CDU/CSU und SPD hatte schon am 11. November 2005 gefordert, die „gesetzlichen Rahmenbedingungen bei der Verwendung und beim Schutz von Langzeitarbeitszeitkonten“ zu verbessern. Diese Forderung erfüllte der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitvereinbarungen und zur Änderung anderer Gesetze“ (Flexi II), das am 1. Januar 2009 in Kraft trat. Seither müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Wertguthabenvereinbarung treffen, damit die Zeitwertkonten (in den Gesetzestexten „Wertguthaben“ genannt) sozialversicherungsrechtlich anerkannt werden. Außerdem ist dafür ein wirksamer Insolvenzschutz des Wertguthabens Voraussetzung. Darüber hinaus normiert Flexi II Vorschriften, wie Unternehmen Zeitwertkonten führen und verwalten müssen.

Flexi II regelt die Verwaltung und Sicherung von Wertguthaben neu

Ein Kernpunkt der gesetzlichen Neuerung besteht darin, dass nun Zeitwertkonten ganz klar von anderen Arbeitszeitkonten unterschieden werden. Vereinfacht gesagt gehören nur noch Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten, die man auch treffender Vorruhestandskonten nennen könnte, zu den Wertkonten, für die sozialversicherungsrechtliche Sondervorschriften wie der gesetzliche Insolvenzschutz gelten. Klassische Gleitzeitkonten, mit deren Hilfe Mitarbeiter ihre Arbeitszeit individuell gestalten können, sowie Flexi-Konten, die Unternehmen aktuell häufig zum Ausgleich von krisenbedingten Auslastungsschwankungen einsetzen, fallen damit nicht mehr unter den Zeitwertkontenbegriff.

Flexi II zwei formuliert zwei Auflagen für Wertguthaben: Zum einen dürfen Arbeitgeber die Wertkonten nur noch in Geldeinheiten führen. Zum anderen müssen sie die Wertguthaben stets so anlegen, dass ein Verlust ausgeschlossen erscheint, ein angemessener Ertrag erzielt wird und eine ausreichende Liquidität gewährleistet ist. Um dies sicherzustellen, fordert das Gesetz, dass eine Anlage in Aktien und Aktienfonds nur im Ausnahmefall 20 Prozent überschreiten darf. Zudem muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass der Mitarbeiter mindestens die Summe der angelegten Beträge zurück erhält.

Um einen wirksamen Insolvenzschutz zu gewährleisten, zählt das Flexi-II-Gesetz geeignete Insolvenzschutzmittel auf, von denen die Unternehmen nur noch abweichen dürfen, wenn jeder einzelne Arbeitnehmer zustimmt. Die Rentenversicherungsprüfer haben den vollständigen und ausreichenden Insolvenzschutz regelmäßig zu überprüfen. Wenn im Insolvenzfall dennoch Wertverluste auftreten, können sich der Arbeitgeber oder seine Organe schadensersatzpflichtig machen.

Schließlich haben Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältniss bei einem Arbeitgeber endet, die Möglichkeit, sich das Wertguthaben nach einer Störfallabrechnung auszahlen zu lassen. Arbeitgeber können das Wertguthaben auch auf einen neuen Arbeitgeber übertragen, wenn dieser zustimmt, das Wertguthaben fortzuführen. Alternativ kann das Wertguthaben ab einer bestimmten Höhe auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) übertragen werden. Allerdings schließt das Gesetz aus, dass die DRV Bund zu einem späteren Zeitpunkt das Guthaben an den neuen Arbeitgeber weitergibt.

Zwischenbilanz: Nachteile von Flexi II schreckt viele Unternehmen ab

Diese neuen Regelungen stoßen in der Paxis auf ein geteiltes Echo. Das ergab eine empirische Untersuchung unter 700 deutschen Großunternehmen mit jeweils mehr als 2.000 Mitarbeitern, die die Universität Hamburg in Kooperation mit der Wellisch Unternehmensberatung im zweiten Halbjahr 2009 durchführte. Diese Untersuchung liefert außerdem Erkenntnisse darüber, wie verbreitet Zeitwertkonten in der betrieblichen Praxis sind und warum Arbeitgeber das Instrument annehmen oder ablehnen.

Echte Zeitwertkonten, also andere Arbeitszeitkonten ausgenommen, haben demnach wohl nur etwa 10 bis 15 Prozent der größeren Unternehmen eingeführt. Weitere knapp 10 Prozent planen deren Implementierung. Verwandte Untersuchungen wie die Zeitwertkonten-Studie der Gothaer Versicherungen aus dem Jahr 2008 lassen auf eine geringere Verbreitung in kleineren Unternehmen schließen.

Flexi II hat dem Anwender jedoch zweifelsfrei in Teilbereichen der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Wertkonten mehr Rechtssicherheit gebracht. So bestätigten die Teilnehmer der aktuellen Untersuchung, dass insbesondere die gesetzliche Abgrenzung zwischen Wertguthabenvereinbarungen und anderen kontengestützten Flexibilisierungsmaßnahmen Klarheit darüber geschaffen hat, welche Formen von Arbeitszeitguthaben auch künftig sozialversicherungsrechtlich anerkannt werden und den strengen gesetzlichen Insolvenzschutzvorschriften unterliegen. Gemäß der Studie gelang es dem neuen Gesetz, das beispielhaft geeignete Sicherungsmittel nennt, bestehende Ungewissheiten darüber zu vermeiden, welche Insolvenzschutzmaßnahmen der Gesetzgeber als geeignet und ausreichend ansieht.

Allerdings hat Flexi II den Studienteilnehmern zufolge auch einige Neuerungen in das Sozialgesetzbuch eingeführt, die wenig praktikabel erscheinen: Insbesondere dass jeder einzelne Arbeitnehmer zustimmen muss, wenn der Arbeitgeber die Insolvenzschutzmaßnahme wechselt, lehnen die Unternehmen überwiegend ab. Ebenso stößt bei den Teilnehmern der Studie die Regelung auf wenig Verständnis, dass Wertguthaben, die auf die DRV Bund portiert wurden, nicht mehr auf einen neuen Arbeitgeber übertragen werden können. Schließlich sprechen sich die Arbeitgeber auch dafür aus, die Möglichkeit zu streichen, Wertguthaben sozialversicherungsfrei in Betriebsrentenanrechte zu überführen. Ebenso umstritten sind laut der Untersuchung einige der Regelungen zur Kapitalanlage wie die Auflage zur maximalen Höhe der Aktien- und Aktienfondsanteile.

Fazit

Um mögliche Fehlsteuerungen zu erkennen und gegebenenfalls weiteren notwendigen Reformbedarf zu identifizieren, hat der Gesetzgeber der Bundesregierung die Pflicht auferlegt, die gesetzgebenden Körperschaften über die Auswirkungen von Flexi II zu informieren. Auch wenn mit den Ergebnissen dieser offiziellen Gesetzesevaluierung frühestens im Jahr 2012 zu rechnen ist, so wird bereits heute – nach nur einem Jahr Rechtsanwendung – deutlich, dass die neu geschaffenen sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen von Wertkonten die Anforderungen der betrieblichen Praxis nur zum Teil erfüllen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Flexi-III-Gesetz nicht ganz unwahrscheinlich.