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11 Fazit


Das Vorliegen eines besonderen Kündigungsschutzes bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch den Arbeitgeber, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Für Personaler bedeutet dies deshalb im Falle einer Änderungs- oder Beendigungskündigung nicht nur, das Vorliegen eines allgemeinen Kündigungsgrunds zu prüfen und dessen Beweisbarkeit in einem Prozess abzuwägen, sondern zudem ein behördliches oder gerichtliches Verfahren vor Ausspruch der Kündigung zu durchlaufen. Die zuvor dargestellten Sonderkündigungstatbestände treten u. U. nicht nur isoliert, sondern auch kombiniert auf – so kann etwa die beabsichtigte Kündigung eines schwerbehinderten, sich in Elternzeit befindlichen Betriebsratsmitglieds einen wahren „Genehmigungsmarathon“ nach sich ziehen.

Fotocredit:
(1) Sibylle Tuschter | www.pixelio.de
(2) Alexandra H. | www.pixelio.de

Quelle:
Arbeit und Arbeitsrecht | 3/2015 |
www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

1 Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellte


Ca. 7,5 Millionen Schwerbehinderte leben in Deutschland, womit im Durchschnitt jeder neunte Einwohner stark eingeschränkt ist (Statistisches Bundesamt, Statistik der schwerbehinderten Menschen, 2014, S. 5). Selbst unter Berücksichtigung, dass ein Teil besonders gravierend Behinderter nicht im (regulären) Erwerbsleben steht, macht diese Gruppe einen signifikanten Teil unter den sondergeschützten Arbeitsverhältnissen aus. Beschäftigte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder mehr sind schwerbehindert gem. § 2 Abs. 2 SGB IX. Diesen gleichgestellt sind Behinderte mit einem GdB von wenigstens 30, die ohne Gleichstellung in ihrer beruflichen Teilhabe beeinträchtigt würden, § 2 Abs. 3 SGB IX. Der Betroffene muss zudem vor Ausspruch der Kündigung als Schwerbehinderter bzw. Gleichgestellter anerkannt sein, § 90 Abs. 2a SGB IX. Der Schutz greift aber auch dann, wenn die Behinderung offenkundig ist (BAG, Urt. v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, AuA 12/08, S. 760) oder der Betroffene den Antrag auf Anerkennung oder Gleichstellung mindestens drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung gestellt hat (BAG, Urt. v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, AuA 1/08, S. 56). Die Kenntnis des Arbeitgebers von dem Bestehen der Schwerbehinderung ist für den Sonderkündigungsschutz unerheblich.

PRAXISTIPP

Ein Arbeitnehmer mit Handicap muss binnen drei Wochen nach Kündigungszugang seine Schwerbehinderung mitteilen (BAG, Urt. v. 11.12.2008 – 2 AZR 395/07, NZA 2009, S. 556). Sicherheit sollte sich der Arbeitgeber durch eine vorherige Frage nach dem Vorliegen einer Einschränkung verschaffen. Dies ist nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses zulässig und führt im Falle der bewussten Falschbeantwortung dazu, dass der Schwerbehinderte sich auf den Sonderschutz nicht mehr berufen darf (BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, NZA-RR 2012, S. 403).

2 Kündigung mit Zustimmung des Integrationsamts


Die Kündigung eines derartig beeinträchtigten Mitarbeiters bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts, §§ 85 ff. SGB IX, sofern dieser bereits mindestens sechs Monate beschäftigt ist, § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Hierzu muss der Arbeitgeber einen Antrag auf Zulässigkeitserklärung der Kündigung stellen, über den das Integrationsamt bei einer ordentlichen Kündigung gem. § 88 Abs. 1 SGB IX binnen Monatsfrist entscheiden soll. Bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung muss sogar binnen zwei Wochen nach Antragseingang entschieden werden, da andernfalls die Zustimmung zur Kündigung als erteilt gilt, § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung ist gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam; die spätere Erteilung heilt den Mangel nicht (BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, S. 407). Weiß das Unternehmen zudem von der Behinderung und kündigt es ohne Zulässigkeitserklärung oder erfährt es binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung davon, beginnt auch die dreiwöchige Klagefrist der §§ 4, 7 KSchG nicht zu laufen (Rolfs in: ErfKomm, 15. Aufl. 2015, § 85 SGB IX, Rdnr. 13). Der gekündigte Arbeitnehmer kann dann die Unwirksamkeit der Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung geltend machen (Fuhlrott, ArbR Aktuell 2011, S. 317).

WICHTIG

Der Antrag auf Zulässigkeitserklärung vor dem Integrationsamt hemmt die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Allerdings muss der Arbeitgeber dann nach Erhalt der Zustimmung bzw. Verstreichenlassen der Frist gem. § 91 Abs. 5 SGB IX unverzüglich die Kündigung aussprechen und deren Zugang bewirken (BAG, Urt. v. 3.7.1980 – 2 AZR 340/78, NJW 1981, S. 1332). Für die Bekanntgabe der Entscheidung und damit den Beginn des Fristenlaufs reicht selbst die telefonische Mitteilung des Integrationsamts aus (BAG, Urt. v. 12.5.2005 – 2 AZR 159/04, NZA 2005, S. 1173). Unbenommen bleibt es dem Arbeitgeber aber, nach Erhalt der Zustimmung bzw. Fristablauf eine bislang unterlassene Betriebsratsanhörung durchzuführen, wenn er nach dem Abschluss dieses Verfahrens unverzüglich kündigt. Inhaltlich soll das Integrationsamt nicht prüfen, ob die Kündigung arbeitsrechtlich wirksam ist, sondern seine Ermessensentscheidung allein vom Ausgleich der behinderungsspezifischen Nachteile abhängig machen (BVerwG, Urt. v. 19.10.1995 – 5 C 24/93, NZA 1996, S. 288). Hierzu holt es Stellungnahmen der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats ein und hört den Arbeitnehmer an. Allenfalls in Fällen offensichtlicher Unwirksamkeit in arbeitsrechtlicher Sicht darf das Integrationsamt seine Zustimmung verweigern (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.11.2005 – 9 S 2178/05, NZA-RR 2006, S. 183). Bei einer außerordentlich fristlosen Kündigung ist das Ermessen des Integrationsamts zudem dahingehend beschränkt, dass eine Zustimmung erfolgen soll, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht mit der Behinderung in Zusammenhang steht, § 91 Abs. 4 SGB IX.

Bisweilen erheben Integrationsämter den Einwand, der Arbeitgeber habe noch nicht alle Mittel ausgeschöpft, insbesondere noch kein Präventionsverfahren gem. § 84 Abs. 1 SGB IX durchgeführt. Dieses ist jedoch zum einen keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Zum anderen gibt es keine Vorgaben an ein solches Verfahren, so dass auch ein vorheriges Gespräch mit dem Mitarbeiter bzw. dem Betriebsrat oder eine Einbeziehung der Schwerbehindertenvertretung den Anforderungen genügt (Fuhlrott, DB 2012, S. 2343).

3 Mütter und werdende Mütter


Auch (werdende) Mütter genießen besonderen Schutz, der u. a. bestimmte Tätigkeiten verbietet (§§ 3 f. MuSchG) oder Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit untersagt (§ 8 MuSchG). Zudem gilt für Mütter unmittelbar nach der Entbindung ein Kündigungsverbot (§ 9 MuSchG). Der besondere Schutz greift zudem bereits ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses – die Erfüllung einer Wartezeit ist nicht erforderlich. Der gesetzliche Sonderkündigungsschutz gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG besteht für Schwangere und Mütter bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung, wenn dem Arbeitgeber bei der Kündigung die Schwangerschaft bzw. Entbindung bekannt war oder die Schwangere dies binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitteilt. Erfolgt die Mitteilung erst nach Zugang der Kündigung muss aus dieser aber hervorgehen, dass die Schwangere im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits schwanger gewesen ist (Rolfs in: APS, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 MuSchG Rdnr. 35). Bei Unklarheiten ist die Erklärung der Schwangeren, die eine geschäftsähnliche Handlung darstellt, nach objektiven Maßstäben auszulegen (BAG, Urt. v. 15.11.1990 – 2 AZR 270/90, NZA 1991, S. 669). Diese Mitteilung muss dem Arbeitgeber, dessen Vertreter oder einem Personalverantwortlichen zudem binnen der Zwei-Wochen-Frist zugehen, das Beweislastrisiko für die Kenntnisnahme trägt die Arbeitnehmerin (BAG, Urt. v. 13.1.1982 – 7 AZR 764/79, NJW 1982, S. 2574). Die Kenntnis dessen von Kollegen, Betriebsrat oder Betriebsarzt genügt nicht. Die Frist stellt damit eine Ausschlussfrist dar, nach deren Verstreichen der besondere Kündigungsschutz endgültig verloren ist (Schlachter in: ErfKomm, § 9 MuSchG Rdnr. 7). Eine Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist ist nur ausnahmsweise unschädlich, wenn sie unverschuldet erfolgte und die Schwangere die Mitteilung unverzüglich nachholt. Bei fehlender eigener Kenntnis von der Schwangerschaft ist die Fristüberschreitung regelmäßig unverschuldet, soweit nicht zwingende Anhaltspunkte seitens der Schwangeren vorlagen, die diese zur Verschaffung von Gewissheit hätten veranlassen können (LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.2.2005 – 15 Ta 26/05, NZA-RR 2005, S. 382).

4 Behördliche Zulässigkeitserklärung nach MuSchG


Nur im Ausnahmefall ist eine Kündigung der Schwangeren bzw. jungen Mutter möglich, wenn gem. § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG eine behördliche Zulässigkeitserklärung vorliegt.

WICHTIG

Die Kündigung muss gem. § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG den Kündigungsgrund ausdrücklich benennen. Insoweit besteht ein Zitiergebot des Kündigungsgrundes im Kündigungsschreiben, dessen Verletzung zur Unwirksamkeit führt. Der besondere Fall zur Gewährung einer Zulässigkeitserklärung der Kündigung ist nicht identisch mit dem wichtigen Grund des § 626 Abs. 1 BGB, so dass die Zulässigkeitserklärung nach einer behördlichen Ermessensentscheidung nur erfolgen darf, wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unerträglich wäre (VGH München, Beschl. v. 29.2.2012 – 12 C 12.264, NZA-RR 2012, S. 302). Der Kündigungsgrund darf zudem zweifelsfrei nicht mit der Schwangerschaft in Verbindung stehen (EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09, NZA 2011, S. 143), so dass in erster Linie gravierende verhaltensbedingte Pflichtverletzungen (VGH München v. 29.2.2012, a. a. O.) oder betriebliche Gründe (Betriebsstilllegungen, Betriebsteilschließungen, hierzu Rolfs in: APS, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 MuSchG Rdnr. 77) in Betracht kommen, wenn keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen (VG Ansbach, Urt. v. 7.10.2010 – AN 14 K 10.00534).

5 Arbeitnehmer in Elternzeit


An Zeiten des Mutterschutzes schließt sich oftmals Elternzeit an, in der Beschäftigte dem Sonderkündigungsschutz des § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG unterfallen. Elternzeit können Mitarbeiter beiderlei Geschlechts beantragen, die mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und dieses betreuen, § 15 Abs. 1 BEEG. Der Anspruch besteht grundsätzlich bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes und muss gem. § 16 Abs. 1 BEEG spätestens sieben Wochen vor deren Beginn dem Arbeitgeber gegenüber angezeigt werden.

WICHTIG


Der Sonderkündigungsschutz greift gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG frühestens acht Wochen vor Beginn der geplanten Elternzeit. Da der Arbeitnehmer die Elternzeit mit einem Vorlauf von sieben Wochen beantragen muss, besteht hier ein Zeitfenster von lediglich einer Woche. Eine früher beantragte Elternzeit begründet keinen Sonderkündigungsschutz (LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.9.2005 – 5 Sa 396/05, NZA-RR 2006, S. 346). Aus Gründen der Rechtssicherheit muss der Mitarbeiter die Elternzeit schriftlich gem. § 16 Abs. 1 BEEG verlangen, andernfalls entsteht kein Sonderschutz (Gallner in: ErfKomm, § 18 BEEG Rdnr. 9). Jede Art von Kündigung ist während des Laufs der Elternzeit unzulässig, auch eine während der Elternzeit ausgesprochene und das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Elternzeit beendende Kündigung ist unwirksam; der Arbeitgeber darf frühestens am ersten Tag der Rückkehr des Angestellten aus der Elternzeit kündigen.

Der Sonderkündigungsschutz gilt auch für Beschäftigte, die in der Elternzeit Teilzeit im Umfang von bis zu 30 Stunden leisten, § 18 Abs. 2 Nr. 1 BEEG. Teilzeitarbeit bei einem anderen Unternehmen begründet bezüglich dieses Arbeitsverhältnisses hingegen keinen Sonderkündigungsschutz (BAG, Urt. v. 2.2.2006 – 2 AZR 596/04, NZA 2006, S. 678). In der Praxis oftmals unbekannt ist das Kündigungsverbot gem. § 18 Abs. 2 Nr. 2 BEEG, worunter derjenige Arbeitnehmer fällt, der – auch ohne Elternzeit beantragt zu haben – Teilzeitarbeit leistet und Anspruch auf Elterngeld gem. § 4 Abs. 1 BEEG hat. Eine Kündigung ist nur nach einer Zulässigkeitserklärung möglich, die bei Vorliegen eines besonderen Falls erteilt werden kann, § 18 Abs. 1 Satz 2, 3 BEEG. Die Behörden orientieren sich insoweit an einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift (Kündigungsschutz bei Elternzeit v. 3.1.2007, BAnz. 2007 Nr. 5, S. 247), wobei die Gerichte regelmäßig eine Parallele zu der Auslegung des besonderen Falls nach § 9 MuSchG ziehen, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. Anders als nach § 9 Abs. 3 MuSchG bedarf eine für zulässig erklärte Kündigung nach dem BEEG nicht der Angabe des Kündigungsgrunds in der Kündigungserklärung.

PRAXISTIPP

Da sich an den Mutterschutz oftmals Zeiten der Elternzeit anschließen, sollten Arbeitgeber aufgrund der ungewissen Bearbeitungsdauer einen Antrag auf Zulässigkeitserklärung nach dem MuSchG stets auch hilfsweise mit einer Zulässigkeitserklärung gem. § 18 BEEG verbinden.

6 Betriebsratsmitglieder und Funktionsträger


Betriebsratsmitglieder und sonstige betriebliche Funktionsträger hat das Arbeitsrecht ebenfalls mit Sonderkündigungsschutz ausgestattet, um eine freie und unbeeinträchtigte Wahrnehmung des betrieblichen Ehrenamts zu gewährleisten. Mitglieder des Gremiums genießen Schutz nach § 103 BetrVG, der außerordentliche Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern dem Zustimmungsvorbehalt des Betriebsrats bzw. deren gerichtlicher Ersetzung unterstellt. Eine Nachwirkung nach Ende der Amtszeit sieht § 103 BetrVG allerdings nicht vor (Kania in: ErfKomm, § 103 BetrVG Rdnr. 3).

WICHTIG

Gem. § 103 Abs. 3 BetrVG gilt das Zustimmungs- bzw. Ersetzungserfordernis auch für Versetzungen des Betriebsrats, die zu einem Verlust von Amt oder Wählbarkeit führen würden. Dies umfasst typischerweise Versetzungen eines Interessenvertreters in einen anderen eigenständigen Betrieb i. S. d. BetrVG. § 103 BetrVG umfasst auch Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung (§ 96 Abs. 3 SGB IX) sowie Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber. Mitglieder des Wahlvorstands erlangen Sonderkündigungsschutz mit ihrer Bestellung, Wahlbewerber bereits mit Unterzeichnung eines Wahlvorschlags durch die erforderliche Mindestzahl von Arbeitnehmern (BAG, Urt. v. 4.3.1976 – 2 AZR 620/74, NJW 1976, S. 1652). Nach dem LAG Köln greift der Sonderschutz auch, wenn sich 80 % der Belegschaft als Wahlbewerber aufstellen lassen, um Sonderkündigungsschutz zu erhalten (Urt. v. 29.3.2001 – 5 TaBV 22/01, AiB 2001, S. 603), was zu Recht im Hinblick auf rechtsmissbräuchliches Vorgehen abzulehnen ist (vgl. auch Kania in: ErfKomm, § 103 BetrVG Rdnr. 4).

Im Übrigen ist die ordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern gem. § 15 Abs. 1 KSchG unzulässig, sofern nicht einer der betrieblichen Ausnahmefälle der Absätze 4 (Betriebsstilllegung) bzw. 5 (Betriebsteilstilllegung und fehlende Beschäftigungsmöglichkeit im anderen Betriebsteil) vorliegt. In diesen Fällen ist eine ordentliche Kündigung zulässig, die dann auch keiner Zustimmung des Betriebsrats bzw. Ersetzung bedarf. Das Kündigungsverbot des § 15 Abs. 1 KSchG gilt zudem auch noch in Form des nachwirkenden Kündigungsschutzes für die Dauer von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit. Der entsprechende Kündigungsschutz gilt weiterhin auch für Wahlvorstände und Wahlbewerber mit einer Nachwirkungszeit von sechs Monaten (§ 15 Abs. 3 KSchG) und für zur Wahlversammlung einladende Mitarbeiter – allerdings hier nur mit einer Nachwirkungszeit von drei Monaten, wenn ein Betriebsrat auch tatsächlich gewählt worden ist (§ 15 Abs. 3a KSchG).

7 Außerordentliche Kündigung eines BR-Mitglieds möglich


Ist eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund geplant, so muss das Unternehmen den Betriebsrat hierüber informieren und um dessen Zustimmung ersuchen. Das zu kündigende Mitglied nimmt an der Beratung und Abstimmung nicht teil. Für die Beratung und Beschlussfassung steht dem Gremium eine dreitägige Frist entsprechend § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zu. Der Arbeitgeber hat hierbei Sorge zu tragen, dass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten wird, das Zustimmungsverfahren des § 103 BetrVG hemmt diesen Fristlauf nicht (Kania in: ErfKomm, § 103 BetrVG Rdnr. 9). Stimmt die Arbeitnehmervertretung der Kündigung zu, muss der Arbeitgeber binnen der Zwei-Wochen-Frist die Kündigung gegenüber dem Betriebsratsmitglied aussprechen. Die Verweigerung der Zustimmung ist keine Ermessensentscheidung. Das Gremium darf seine Zustimmung daher nur verweigern, weil die Kündigung nach seiner Beurteilung unwirksam ist, sei es, weil ein wichtiger Grund fehlt oder die Kündigungserklärungsfrist verstrichen ist. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung oder äußert er sich nicht, muss der Unternehmer binnen der Zwei-Wochen-Frist beim ArbG die Ersetzung der Zustimmung beantragen (BAG, Beschl. v. 18.8.1977 – 2 ABR 19/77, NJW 1978, S. 661). Dieses prüft dann in vollem Umfang, ob die beantragte Kündigung wirksam ist (Kania in: ErfKomm, § 103 BetrVG Rdnr. 14). Ersetzt das ArbG die Zustimmung zur Kündigung, so muss der Arbeitgeber sogleich kündigen, da nur der unverzügliche Kündigungsausspruch nach rechtskräftiger arbeitsgerichtlicher Entscheidung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB hemmt (im Einzelnen s. Thüsing in: Richardi, 14. Aufl. 2014, § 103 BetrVG Rdnr. 85 ff.) Die rechtskräftige Zustimmungsersetzung des Gerichts entfaltet bezüglich eines späteren Kündigungsschutzprozesses des gekündigten Arbeitnehmers zwar formal keine Bindungswirkung hinsichtlich der Zulässigkeit der Kündigungsgründe (BAG, Urt. v. 15.8.2002 – 2 AZR 214/01, NZA 2003, S. 432). In der Praxis sind hier allerdings in den seltensten Fällen gerichtliche Divergenzen zwischen inhaltlicher Zustimmungsersetzung und Kündigungsbeurteilung festzustellen. 

8 Auszubildende


Kann das Ausbildungsverhältnis noch in den ersten vier Monaten (Probezeit) grundlos ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beidseits gekündigt werden, bedarf es nach Ablauf der Probezeit ausbilderseitig eines wichtigen Grundes. Der Sonderschutz greift damit automatisch nach viermonatigem Bestehen des Ausbildungsverhältnisses und ist vertraglich nicht abänderbar (BT-Drs. 5/4260 zur Vorgängervorschrift). Die Kündigung bedarf eines wichtigen Grundes gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, wozu Unternehmen die zu § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze heranziehen können. Das Ausbildungsziel muss erheblich gefährdet und die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar sein (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.10.2013 – 10 Sa 173/13). Bei der nach dem ultima-ratio-Prinzip vorzunehmenden Interessenabwägung und Einzelfallbetrachtung ist aber insbesondere auf das oftmals jugendliche Alter des Auszubildenden zu seinen Gunsten abzustellen sowie die verbleibende Ausbildungszeit in die Betrachtung einzubeziehen, so dass dem Kündigungsgrund besonderes Gewicht zukommen muss (Überblick über Kasuistik bei Fuhlrott/Gömöry, FA 2012, S. 133).


PRAXISTIPP


Die Kündigung eines minderjährigen Auszubildenden muss der Arbeitgeber gegenüber den Eltern als den gesetzlichenVertretern abgeben, da § 113 BGB insoweit keine Anwendung findet (BAG, Urt. v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10, AuA 12/12, S. 728).

Kündigungsgründe müssen in der Kündigung aus wichtigem Grund konkret und eindeutig genannt sein, andernfalls ist sie formnichtig gem. § 125 BGB (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.4.2013 – 10 Sa 518/12, AuA 8/14, S. 490).

Besteht ein gem. § 111 Abs. 2 ArbGG durch die Handwerksinnung gebildeter Schlichtungsausschuss, so ist dieser vor Anrufung des ArbG einzuschalten, § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG. Hierbei handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu prüfen ist und deren Missachtung zur Unzulässigkeit der Klage führt (Grunsky/Greiner, ArbGG, 8. Aufl. 2014, § 111 Rdnr. 8). Der paritätisch besetzte Schlichtungsausschuss fällt einen Spruch, der verbindlich wird, sofern die unterlegene Partei ihn nicht binnen zwei Wochen durch Klage vor dem ArbG angreift.

9 Pflegezeitgesetz


Arbeitnehmer, die pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung pflegen, können eine Freistellung von der Arbeit verlangen und genießen mit deren Ankündigung bis zu deren Beendigung besonderen Kündigungsschutz gem. § 5 Abs. 1 PflegeZG. Dieser Sonderkündigungsschutz ist auch durch die Neuerungen im seit dem 1.1.2015 in Kraft getretenen Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf im Grundsatz unberührt geblieben. Das Pflegezeitgesetz kennt sowohl die Kurzzeitpflege zur Sicherstellung der Versorgung wegen eines akuten Pflegefalls für die Dauer von bis zu zehn Arbeitstagen (§ 2 PflegeZG) als auch die Langzeitpflege (§ 3 PflegeZG). Beide Konstellationen begründen besonderen Kündigungsschutz. Eine akute Pflegesituation muss unvorhersehbar sein (Joussen, NZA 2009, S. 69), wird aber auch dann angenommen, wenn die üblicherweise mit der Pflege beauftragte Kraft unvorhergesehen ausfällt (Preis/Nehring, NZA 2008, S. 730). Pflegebedürftig ist ein naher Angehöriger dann, wenn bei diesem mindestens die Pflegestufe I vorliegt oder die Kriterien der §§ 14, 15 SGB XI voraussichtlich erfüllt sind. Man kann eine entsprechende ärztliche Bescheinigung verlangen, § 2 Abs. 2 Satz 2 PflegeZG, welche jedoch nicht Bedingung für das Greifen des Sonderkündigungsschutzes ist.


PRAXISTIPP

Einem Pflegezeitbegehren kann der Arbeitgeber im Einzelfall den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten. Indiz hierfür ist z. B. die zeitliche Nähe der Ankündigung der Pflegezeit in Zusammenhang mit einer in Aussicht gestellten Kündigung (Gallner in: ErfKomm, § 5 PflegeZG Rdnr. 2). Das Unternehmen trifft insoweit in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren die Darlegungs- und Beweislast für rechtsmissbräuchliches Vorgehen. Eine Kündigung ist gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG nur bei Vorliegen von besonderen Fällen nach behördlicher Zulässigkeitserklärung erlaubt. Insoweit wird zur Auslegung des Begriffs „besonderer Fall“ auf die auf Grundlage des § 18 BEEG erlassene Verwaltungsvorschrift verwiesen (Joussen in: BeckOK PflegeZG, Edition 34, § 5 Rdnr. 8).

10 Sonstige Mitarbeiter mit Sonderschutz


Neben den zuvor dargestellten Arbeitnehmern gibt es noch zahlreiche weitere Gruppen, die besonderen Kündigungsschutz genießen. Dies sind bspw. insbesondere tarifvertraglich geschützte Beschäftigte, deren ordentliche Kündigung typischerweise mit Erreichen eines bestimmten Lebensalters und Betriebszugehörigkeit ausgeschlossen ist (vgl. z. B. die Alterssicherung gem. § 14 Nr. 3 MTV der Metall- und Elektroindustrie für Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern). Darüber hinaus betrifft dies auch zahlreiche betriebliche Funktionsträger, wie

› Immissions- (§ 58 Abs. 2 BImSchG) oder
› Datenschutzbeauftragte (§ 4f Abs. 3 Satz 5 BDSG) sowie
› Inhaber eines sog. Bergmannsversorgungsscheins
  (§ 10 Abs. 1 Bergmannsversorgungsscheingesetz NRW) bzw.
› Wehrübungsteilnehmer (§ 2 Abs. 1 ArbPlSchG) oder
› Parlamentarier (Art. 48 Abs. 2 GG), die wegen weniger bedeutender
  Praxisrelevanz vorliegend nicht weiter vertieft werden
  (Überblick bei Fuhlrott/Hoppe, ArbR Aktuell 2009, S. 204).