Bevor Unternehmen der Frage nachgehen, wie sie ihre Talente richtig vergüten, sollten sie klären, was der Begriff „Talent“ für sie bedeutet. Das klingt trivial, doch die Vielzahl der Definitionen in Wissenschaft und Praxis zeigt, dass es in dieser Hinsicht noch wenig Klarheit gibt. Ketzerisch könnte man sagen, dass die Diskussion um das Talentmanagement es geschafft hat, den diffusen Begriff der „High Potentials“ in den Hintergrund zu drängen, um mit dem ebenfalls vagen Konzept des „Talents“ noch mehr Verwirrung zu stiften.
Talente wofür?
Wer sind sie also, die Talente in den Unternehmen? Der Blick in die Praxis zeigt, dass Arbeitgeber den Begriff Talent nicht nur auf ihre Führungszirkel beschränken, sondern auch auf andere qualifizierte Mitarbeitergruppen ausweiten, wie zum Beispiel Forschungs- oder Verkaufstalente. Als Talent gilt, wer für das Unternehmen von besonderer Bedeutung ist. Daher muss dem betrieblichen Talentmanagement immer eine strategische Bedarfsplanung vorausgehen, die klärt, welche Kompetenzen die Organisation jetzt und in Zukunft benötigt.
Bei der Identifikation von Talenten beurteilen die Entscheider im Unternehmen, ob Mitarbeiter oder Führungskräfte strategisch wichtige Kompetenzen besitzen. Doch es geht nicht nur um aktuelle Fähigkeiten, sondern vor allem um das Potenzial für künftige Leistungen. Welche Kriterien Unternehmen bei dieser Potenzialeinschätzung heranziehen können, zeigt das Münchner Modell der Begabung von Kurt Heller (2004). Es unterscheidet verschiedene Talentfaktoren wie zum Beispiel soziale Kompetenz sowie intellektuelle oder kreative Fähigkeiten, die eine spätere Leistung vorhersagen lassen. Diese werden allerdings auch durch Umweltbedingungen oder persönliche Voraussetzungen wie Belastbarkeit oder Motivation beeinflusst.
Talente identifizieren
Bei der Identifikation von Talenten können Unternehmen verschiedene Auswahlkriterien heranziehen. Vereinfacht lassen sich folgende Merkmale unterscheiden:
- wichtige persönliche Voraussetzungen (zum Beispiel Leistungsbereitschaft, Motivation, Karriereambitionen, Lernbereitschaft oder Belastbarkeit)
- strategisch wichtige Kompetenzen (im Sinne von Fähigkeiten, Einstellungen, Fertigkeiten)
- bisherige Leistungen und Ergebnisse (die für die nächsten Karriereschritte relevant sind)
- formale Kriterien (zum Beispiel Qualifikationen oder Dauer der Zugehörigkeit)
Ganzheitlich vergütenEin ganzheitliches Gehaltssystem vergütet üblicherweise die Leistungen der Mitarbeiter in der Vergangenheit ebenso wie seine Funktionsentwicklung innerhalb der Organisation. Unternehmen, die ihre Entlohnungssysteme zusätzlich mit dem Talentmanagement verknüpfen wollen, sollten einige grundlegende Überlegungen anstellen:
- Alle Unternehmen wollen „attraktive Arbeitgeber“ sein. Doch die entscheidende Frage lautet: für wen? Definieren Sie genau, wer Ihre Talente sind und welche Talente Sie wie anziehen wollen, denn Sie können nicht alle in einen Topf werfen. Experten, Verkäufer, Führungskräfte, Projektmanager oder Techniker haben unterschiedliche Bedürfnisse in Bezug auf Anerkennung und Entlohnung. Es braucht eine Differenzierung nach Berufsbildern, um sinnvolle Zielgruppen für Gesamtpakete bilden zu können.
- Kennen Sie Ihre Zielgruppe? Mitarbeiterbefragungen, Einschätzungen der Führungskräfte, die Zusammenarbeit in internen Projekten, Recruiting- oder Trennungsgespräche liefern relevante Informationen über die Erwartungen und Bedürfnisse der verschiedenen Talentgruppen. Zusätzlich dazu geben Fluktuationsanalysen, Beförderungs- und Karrierebewegungen wichtige Aufschlüsse über Ihre Talente.
- Welche Vergütung können und wollen Sie anbieten? Das Ziel muss ein Gesamtangebot an die Mitarbeiter sein, das den Adressaten bei gegebenen Kosten den größtmöglichen Nutzen bringt. Dabei spielen materielle und immaterielle Faktoren eine Rolle. Neben Grundgehalt, Bonussystem und Incentives können Entwicklungsmöglichkeiten, Entscheidungsspielräume, Karriereperspektiven, ein offenes förderliches Arbeitsumfeld und inhaltliche Herausforderungen zum Gesamtpaket gehören. Abbildung 1 zeigt einen möglichen Total-Rewards-Ansatz.
- Mit welcher Gehaltsstrategie wollen Sie sich als Arbeitgeber am Talentmarkt positionieren? Die strategische Positionierung ist eine unternehmerische Frage, die das Personalmanagement nicht alleine beantworten kann. Einige Unternehmen entschließen sich bewusst dazu, eine Vergütung anzubieten, die unter dem Marktniveau liegt, punkten aber mit einem attraktiven Arbeitsumfeld oder interessanten Karrieremöglichkeiten. Einflussfaktoren für die strategische Positionierung sind unter anderem die Situation am Arbeitsmarkt, der verfügbare Talentpool sowie das Ansehen des Unternehmens bei potenziellen Bewerbern. Abbildung 2 zeigt eine Auflistung der Faktoren, die eine Positionierung beeinflussen können. Der Markt ist in Perzentilen dargestellt. Dabei entsprechen 0,5 Perzentile dem Median. Das ist der mittlere Wert einer Reihe, so dass 50 Prozent der Daten oberhalb und 50 Prozent der Daten unterhalb dieses Wertes liegen. Ist die Produktivität eines Unternehmens sehr hoch, sollten sich die Gehälter am oberen Ende des Marktes (0,75 Perzentil) orientieren.
Abbildung 1: Total-Rewards-Ansatz (Quelle: Deloitte)
Strategische Positionierung
der Gehälter |
0,4 Perzentil | 0,5 Perzentil | 0,6 Perzentil | 0,75 Perzentil |
1. Talentpool | reichlich
vorhanden |
ausreichend
vorhanden |
begrenzt
vorhanden |
knapp |
2. Leistungserwartung
an Arbeitnehmer |
gering | durchschnittlich | überdurchschnittlich | außergewöhnlich
hoch |
3. Wertschöpfung in
der Funktion |
gering | durchschnittlich | überdurchschnittlich | sehr hoch |
4. Mobilität der Arbeitnehmer | gering | normal | Abwerbung der Arbeitnehmer
durch Mitbewerb |
regelmäßiges Abwerben
der Arbeitnehmer |
5. Intern verfügbare
Personalressourcen |
reichlich vorhanden | ausreichend | knapp | sehr knapp |
6. Stabilität der Branche | sehr hoch | hoch | durchschnittlich | gering |
7. Bekanntheitsgrad | sehr hoch | hoch | gering | gering bis keiner |
8. Standort | attraktiv | durchschnittlich | überdurchschnittlich | unattraktiv |
Abbildung 2: Faktoren, die eine strategische Positionierung des Gehaltskonzepts beeinflussen. Die in Punkt 1 bis 8 beschriebenen Faktoren legen in diesem Beispiel die Positionierung des Unternehmens fest. (Quelle: Deloitte)
Wichtig ist, dass Organisationen die Entscheidungen je nach Zielgruppe (Berufsbild) für den spezifischen Arbeitsmarkt gesondert treffen. Markt-Gehalts-Benchmarks leisten in diesem Zusammenhang zwar eine wichtige Orientierungshilfe, sie können jedoch nicht die strategische Positionierung eines Unternehmens ersetzen.
Ein gutes Gehaltssystem, das für Talente attraktiv ist, will nicht nur sorgfältig konzipiert, sondern auch richtig kommuniziert sein. Erfolgskritisch ist, dass die Führungskräfte das Vergütungskonzept ihrer Organisation für die jeweilige Talentgruppe kennen und sowohl den bestehenden als auch den potenziellen Talenten richtig vermitteln. Für Talente und zukünftige Mitarbeiter ist eine realistische Einschätzung ihrer monetären und nichtmonetären Perspektiven in einem Unternehmen relevant und stärkt nachweislich das Commitment. Es ist wichtig, dass die Führungskräfte den Talenten rechtzeitig neue Herausforderungen und Gehaltsperspektiven anbieten – unabhängig davon, ob diese in der eigenen oder einer anderen Abteilung angesiedelt sind. Denn diese Perspektiven sind es, die dazu beitragen, den Talentpool im Unternehmen nicht auszudünnen.
Literaturtipps
Gehalt und Leistung managen. Die unternehmerische Gestaltung von Gehaltssystemen.
Von Julian Mauhart und Christian Havranek
Linde 2008.
Identification of gifted and talented students.
Von Kurt A. Heller
Psychology Science (46) 2004.
Quelle: personal manager 3/2008