In der heutigen Unternehmenswelt, die durch den zunehmenden Fachkräftemangel geprägt ist, rückt die Mitarbeiterbindung mehr und mehr in den Fokus von Unternehmensstrategien. Eine hohe Fluktuation ist nicht nur kostspielig, sondern kann auch dem Betriebsklima und der Unternehmenskultur insgesamt schaden. Daher gewinnt der Denkansatz “Retention ist das neue Recruiting“ immer mehr an Bedeutung. Im folgenden werde ich erörtern, warum die Bindung von Mitarbeiter:innen bereits ab dem ersten Kontakt während des Bewerbungsprozesses beginnen muss und mit welchen Maßnahmen Unternehmen – beginnend beim Pre – und Onboarding – neue Kolleg:innen langfristig binden und halten können.
Die Bedeutung der Retention in Zeiten des Fachkräftemangels
Laut statistischem Bundesamt erreichen 12,9 Millionen Erwerbspersonen in den nächsten 15 Jahren das gesetzliche Rentenalter. Im Jahr 2035 werden in Deutschland geschätzte 7 Millionen Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Dann sind nämlich alle Babyboomer, die heute noch arbeiten, im Ruhestand. Der dramatische Mangel an qualifizierten Fachkräften in allen Branchen zwingt Unternehmen schon heute dazu, nicht nur kontinuierlich neue Talente zu gewinnen, sondern die bestehende Belegschaft zu halten und langfristig an sich zu binden.
Die Kosten für die Rekrutierung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen sind erheblich, ganz zu schweigen von dem Wissen und der Erfahrung, die verloren gehen, wenn langjährige Mitarbeiter:innen Unternehmen verlassen. In diesem Kontext wird deutlich, dass effektive Retention-Strategien nicht nur zur Kostensenkung beitragen, sondern auch eine qualitativ hochwertige Arbeitsleistung und die Zukunft der Betriebe sichern.
Bindung beginnt mit dem ersten Kontakt
Der erste Eindruck zählt – man bekommt niemals eine zweite Chance für einen ersten guten Eindruck. Das gilt auch für den ersten Eindruck von Bewerber:innen im Rahmen ihrer Candidate Journey. Bereits beim ersten Kontakt können Unternehmen Weichen stellen, um Kandidat:innen von sich zu überzeugen. Dazu gehört zunächst, dass Bewerber:innen auf den Karriereseiten – im besten Falle neben den Stellenanzeigen – von „echten“ langjährigen Mitarbeiter:innen in Form von Filmlips hören, wie es sich anfühlt im Unternehmen – sogar über viele Jahre hinweg – zu arbeiten.
Ein rascher, transparenter, freundlicher, respektvoller, kommunikativer und natürlich digitaler Bewerbungsprozess vermittelt einen weiteren ersten positiven Eindruck vom Unternehmen.
Positiv wahrgenommen wird, wenn Bewerber:innen neben einem ersten freundlichen Feedback nach Eingang der Bewerbungsunterlagen regelmäßige Updates zum Status ihrer Bewerbung erhalten.
Auch nach dem Vorstellungsgespräch und vor der Vertragsunterschrift muss die reibungslose und angenehme Kommunikation – im Rahmen des sogenannten Preboarding – aufrechterhalten werden. Dies vermittelt den Eindruck, dass das Unternehmen tatsächlich „ab der ersten Minute“ nach dem persönlichen Kennenlernen Wert auf einen wertschätzenden Umgang und eine gute Kommunikation legt.
Viele Unternehmen vergraulen immer noch Bewerber:innen durch sogenanntes „Ghosting“ – sie melden sich einfach nicht auf die eingegangene Bewerbung oder nach dem ersten Kontakt. Hier wird oftmals viel „vermasselt“. Schweigen bzw. lange Wartezeiten lösen bei Bewerbenden keine Bindung , sondern eher die „Flucht“ aus.
Preboarding und Onboarding als Schlüsselmomente der Bindung
Es ist keine Seltenheit mehr, dass Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, bevor sie überhaupt ihre Tätigkeit dort aufgenommen haben. Deshalb sind Preboarding Bindungsaktivitäten ganz wichtig. Die Phase zwischen Vertragsunterzeichnung und Arbeitsbeginn ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, um von Anfang an die Bindung zu neuen Mitarbeitern zu stärken. Bereits in dieser Phase sollten Unternehmen bis zum Arbeitsantritt regelmäßig kommunizieren. Beispielsweise können sie Willkommenspakete verschicken oder vorbereitende Informationen via Mail senden. Da bieten sich zum Beispiel interessante oder lustige Infos über die Abteilung an, die Kolleg:innen, den Arbeitsplatz und geplante Aktivitäten. Solche Maßnahmen können die Vorfreude und das Zugehörigkeitsgefühl der neuen Mitarbeiter:innen auslösen und erhöhen.
Auch während der Probezeit springen zunehmend – gerade junge Menschen – wieder ab und kündigen während der ersten sechs Monate. Dies kann oft auf ein mangelhaftes Onboarding und schlechte Führung der Vorgesetzten während der Probezeit zurückgeführt werden. Ein durchdachtes, strukturiertes und kreatives Onboarding-Programm, das neuen Mitarbeitern hilft, sich schnell in das Unternehmen einzufinden und sich mit dessen Kultur und Werten vertraut zu machen, ist absolut entscheidend, wie schnell sich neue Mitarbeiter:innen ans Unternehmen gebunden fühlen.
Insbesondere fühlen sich Mitarbeiter:innen dann an ein Unternehmen gebunden, wenn sie ab ihrem ersten Arbeitstag Schritt für Schritt fachlich, sozial – emotional und kulturell integriert werden. Neue Mitarbeiter:innen brauchen transparente Wochenpläne, in denen aufgeführt ist, was auf sie wann zukommt, was sie wann lernen und wie die kommenden Wochen verlaufen werden.
Eine Unternehmenskultur, die schon zu Beginn des Arbeitsverhältnisses auf Transparenz und umfassende Integration ins Unternehmen setzt, löst bei neuen Mitarbeiter:innen den Wunsch aus, erstmal im Unternehmen zu bleiben.
Während des Onboarding spielen natürlich Paten- oder Mentorenprogramme eine wichtige Rolle, die den neuen Mitarbeitern mindestens einen zuverlässigen und festen Ansprechpartner an die Seite stellen und so die Einarbeitungsphase enorm erleichtern.
Natürlich ist es auch wichtig, dass neue Mitarbeiter:innen während der der Pre- und der Onboarding-Phase eine strukturierte Einführung in die Gepflogenheiten des Unternehmens erhalten und nach nach die Kolleg:innen näher kennenlernen.
Darüber hinaus ist eine Feedbackkultur sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben hilfreich. Regelmäßige Feedbackgespräche während der ersten Wochen und Monate sind entscheidend, um eine Mitarbeiterbindung zu erzielen und eventuelle Probleme frühzeitig zu erkennen, anzusprechen und zu lösen. Wenn Vorgesetzte den ihnen unterstellten Kolleg:innen regelmäßig in einem kurzen Gespräch die Möglichkeit geben, Dinge anzusprechen, die nicht gut laufen, um sie im Anschluss zu verändern, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter:innen sich an das Unternehmen binden.
Die folgenden vier kurzen Fragen, die Vorgesetzte in regelmäßigen und hochfrequenten Feedbackgesprächen (mindestens alle 14 Tage) über die ersten Monate hinweg regelmäßig stellen können, verhindern, dass Mitarbeiter:innen sich „von jetzt auf gleich“ entscheiden, ein Unternehmen zu verlassen:
- Was läuft gut am Arbeitsplatz?
- Was läuft nicht so gut?
- Was können wir verändern?
- Wie können wir es gemeinsam verändern?
Maßnahmen zur Förderung der langfristigen Mitarbeiterbindung
Eine effektive Retentionstrategie beginnt mit dem grundlegenden Verständnis der Bedürfnisse und Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe – egal ob es sich um neue oder um langjährige Mitarbeiter:innen handelt. Was motiviert wen, welche Wünsche haben die Mitarbeiter:innen verschiedener Altersgruppen in unterschiedlichen Lebensphasen?
Maßnahmen wie
- die eigenen Arbeitszeiten je nach Lebensphase flexibel gestalten zu können,
- die Option im Homeoffice arbeiten zu können, wenn der Arbeitplatz es möglich macht,
- an 4 Tagen pro Woche arbeiten zu dürfen,
- Incentives à la Carte über eine App auswählen zu dürfen,
- Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung „ohne wenn und aber“ nutzen zu dürfen,
- Gesundheitsförderungsprogramme in Anspruch nehmen zu können,
- eine transparente und attraktive Vergütungsstruktur und
- motivierende Vorgesetzte, die Feedback zulassen und konstruktiv geben,
- unterhaltsame, kurzweilige und lustige Team Events innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit
tragen unter anderem dazu bei, Mitarbeiter langfristig an ein und dasselbe Unternehmen zu binden.
Fazit
Retention ist in der Tat das neue Recruiting. Mitarbeiter:innen, die Unternehmen verlassen und nicht besetzte Stellen hinterlassen – verursachen hohe Kosten, viel Mühe und Zeit bei der Nachbesetzung. Unternehmen, die ab dem ersten Kontakt kontinuierlich in effektive Mitarbeiterbindungsstrategien investieren, profitieren von geringeren Fluktuationsraten, niedrigeren Rekrutierungskosten und einer starken Unternehmenskultur. Damit legen sie den Grundstein für langfristigen Erfolg und Stabilität in ihrer Belegschaft in einem zunehmend arbeitnehmerorientierten Arbeitsmarkt.