Reform hat auch sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen

black framed eyeglasses
Foto von Jesus Kiteque

So begrüßenswert die Ziele sind, so schwierig erweist sich für entsendende Unternehmen jedoch die konkrete Umsetzung in der Praxis: Auch beim Sozialversicherungsschutz kommt es zu Verunsicherung. Die geltende EU-Verordnung (konkret Artikel 12 VO EG 883/2004) sieht nämlich vor, dass eine sozialversicherungsrechtliche Entsendung bis zu 24 Monate dauern kann. Entsandte Arbeitnehmer können demnach bis zu zwei Jahre im heimischen Sozialversicherungssystem verbleiben. Gemäß der novellierten Entsenderichtlinie würde für sie aber spätestens nach 18 Monaten nicht nur das Arbeitsrecht des Gastlandes Anwendung finden, sondern sie müssten auch das heimische Sozialversicherungssystem verlassen und zwar aufgrund der ineinandergreifenden Regelungsbereiche. „Das hieße theoretisch, dass der deutsche Ingenieur in Slowenien dann viel früher in das dortige Sozialversicherungssystem übertreten müsste“, schlussfolgert Dotou.

Mit dem Inkrafttreten der VO (EG) 883/04 am 1. Mai 2010 erfolgte aber erst vor wenigen Jahren eine Ausdehnung der Entsendefrist von ursprünglich 12 auf 24 Monaten. „Die jetzige Reduzierung von 24 auf 12 beziehungsweise 18 Monate widerspricht nun dem essenziellen Wunsch aller EU-Bürger, möglichst einen einheitlichen Versicherungsverlauf zu haben“, so die Einschätzung des Experten. Er geht davon aus, dass die Koordinierungsregeln des Europäischen Sozialrechts deshalb entsprechend angepasst werden.

 

Mit freundlicher Genehmigung von BDAE: Leben und Arbeiten im Ausland Ausgabe 01/2019.

Unternehmen sollten Entsendeverträge anpassen

Was bedeutet dies konkret für Unternehmen, die Mitarbeiter in andere EU-Länder entsenden? „In erster Linie ist eine Anpassung des Entsendevertrages erforderlich. Dieser muss für Mitarbeitereinsätze von mehr als 12 beziehungsweise 18 Monaten die Geltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Gastlandes regeln, sofern der Mitarbeiter keine lokale Anstellung im Gastland erhalten soll“, weiß Global-Mobility-Experte Omer Dotou von der BDAE Consult. Im Rahmen der Ausgestaltung des Entsendevertrages müssten sich deutsche Arbeitgeber daher zwingend mit den arbeitsrechtlichen Vorschriften des Gastlandes auseinandersetzen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Stellt ein deutscher Arbeitgeber einen Mitarbeiter im Rahmen eines auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages ein, um diesen nach Frankreich zu entsenden, müssen auch hier die französischen Rechtsvorschriften berücksichtigt werden, sofern sein Einsatz über das Jahr hinaus gehen soll. Nach den französischen Vorschriften ist der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages jedoch lediglich unter ganz bestimmten Umständen zulässig.

Das würde für den deutschen Arbeitgeber bedeuten, dass nach Ablauf der einjährigen Befristung eine befristete Verlängerung des deutschen Arbeitsvertrages nicht in Betracht kommt. Vielmehr müsste eine Entfristung gewährt werden, denn so sieht es das französische Arbeitsrecht vor. „Dies könnte jedoch nicht immer im Einklang mit dem Unternehmensinteresse stehen“, so Dotou weiter.

Unter dem Titel „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist die Reform der Entsenderichtlinie bereits seit einiger Zeit Thema bei international tätigen Unternehmen. Sie hat Auswirkungen auf rund 2,3 Millionen in Europa entsandte Arbeitnehmer. Allein deutsche Unternehmen entsenden jährlich mehr als eine viertel Million Angestellte in ein anderes EU-Land. Fast noch einmal doppelt so viele (konkret: 440.065) europäische Arbeitnehmer werden jährlich nach Deutschland entsandt – fast die Hälfte von ihnen arbeitet im Baugewerbe und die meisten davon kommen aus Polen.

So sinnvoll die Reform auch ist – für HRler bedeutet sie vor allem zunächst Mehrarbeit. Auch sorgt sie für Verunsicherung hinsichtlich der damit verbundenen Auswirkungen sowohl für die Unternehmen als auch für deren entsandte Mitarbeiter. So sollen etwa künftig die Vergütungsregeln des Gastlandes auch für alle entsandten Arbeitnehmer gelten – also ebenso für einen deutschen Ingenieur, der beispielsweise nach Slowenien entsandt wird. Nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob dies auch bei kurzen oder nur eintägigen Dienstreisen gilt. Eine dahingehende Klarstellung fehlt derzeit im Gesetzestext.

Neben der Lohngleichheit vom ersten Tag an soll künftig zudem nach 12 beziehungsweise 18 Monaten (es gibt eine Verlängerungsoption von sechs Monaten) das Arbeitsrecht des Gastlandes Anwendung finden und zwar in wirklich allen Bereichen. Nach der bisherigen Entsenderichtlinie mussten lediglich die festgelegten zwingenden arbeitsrechtlichen Rechtsvorschriften wie zum Beispiel Mindestlöhne, Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen eingehalten werden.