Ein Beispiel: „Zeit statt Geld“

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Foto von Windows

Es gibt die neue Entwicklung, dass Mitarbeiter lieber mehr Zeit haben als mehr Geld. Auch Unternehmen haben ein starkes Bedürfnis nach flexibler Verfügbarkeit von Mitarbeitern. Mit einer „Währung Zeit“ könnte beiden Bedürfnissen Rechnung getragen werden. Allerdings: die betriebliche Umsetzung stellt eine echte und große Herausforderung dar. Denn wenn Mitarbeiter mehr Freizeit haben wollen, ist die Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen die eine Seite der Medaille, das Miteinander und eine gute Zusammenarbeit genauso wie die Produktivität eines Unternehmens die andere Seite. Die Art und Weise, wie mit der Umsetzung der unterschiedlichen zeitlichen Modelle umgegangen wird, ist ein ganz wesentlicher Faktor, der entscheidend dazu beiträgt, ob eine Umsetzung im Unternehmen erfolgreich gelingt und das Unternehmen nicht nur erfolgreich bleibt, sondern im Wettbewerb mit anderen Unternehmen sogar erfolgreicher wird. Wie können hier Ausfälle z.B. auch im Sinne des Unternehmens kompensiert werden? Für all diese Fragen bedarf es in der Praxis gemeinsam getragene Lösungen. 

Dieser neue Gedanke, den Menschen mehr Zeit zur Verfügung zu stellen, spielt bei der Entwicklung von modernen Vergütungssystemen eine immer größere Rolle. Da es sich um einen neuen Ansatz handelt, ist es auch wirklich eine Gestaltungsaufgabe, welche sich Unternehmen aber auch Mitarbeiter gegenüber gestellt sehen. 

Gerade agile Organisationen können dieses Element mit ihrer Organisationsphilosophie wahrscheinlich leichter verbinden als klassische eher industriell geprägte Organisationen. Wenn es gelingt, seine solche neue Zeitgestaltung derart in einer Organisation einzubinden, dass das Unternehmen sogar stärker und produktiver wird, ist das Kunststück gelungen, sowohl den berechtigten Bedürfnissen der Mitarbeiter als auch den berechtigten Bedürfnissen des Unternehmens gleichermaßen Rechnung zu tragen.

Insofern bieten sich hier für Unternehmen gerade jetzt neue Chancen, Mitarbeitern Vorteile zu gewähren – also eine Art Währung – die auf die Organisationsgestaltung, bestimmte Arbeitsweisen und besondere Formen der Zusammenarbeit bzw. auch kulturelle Faktoren zurückzuführen sind. Das können agiles Arbeiten, mobiles Arbeiten, Innovationslabs, selbstorganisierte Teams, NewPay, flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitautonomie etc. sein. Es handelt sich also um Vorteile, die man sich mit Geld nicht kaufen kann, die aber dafür entscheidend sein können, ob sich ein Mitarbeiter im Unternehmen wohl fühlt.

Wird das Gehalt bald nicht mehr nach Leistung und sozialer Situation bestimmt? 

Eine eindeutige Antwort hierauf gibt es nicht. Klar ist, dass das „Gehalt stimmen muss“. So ist ein attraktives Gehalt ein wichtiges Kriterium für Mitarbeiter, um sich überhaupt für einen Arbeitgeber zu entscheiden. So auch das Ergebnis einer jüngst von Stepstone erhobenen Befragung von Fach- und Führungskräften in Deutschland. Gleichwohl sagten in der gleichen Studie sieben von zehn Arbeitnehmern, dass für sie auch attraktive Zusatzleistungen beziehungsweise Vergütungsbestandteile in Form von Sachbezügen eine wichtige Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes spielen.

Attraktive Arbeitsbedingungen sind heute mehr denn je wesentlich für Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit und bilden die Grundlage für Unternehmen, um überhaupt die richtigen Mitarbeiter zu finden. Doch sie sind keine Garantie, dass genau die Mitarbeiter, auf die Unternehmen entscheidend angewiesen sind, geworben werden können und auch bleiben. Der zukünftige Arbeitsmarkt gibt es her, dass sich gefragte Mitarbeiter ihren Arbeitgeber werden aussuchen können.

Wollen Unternehmen also zukunftsfähig werden oder bleiben, setzt dies eine genaue Kenntnis der Wünsche und Ansprüche der Mitarbeiter voraus, um diese für sich zu überzeugen und nachhaltig zu gewinnen. Es wird daher nicht (mehr) «die eine richtige Lösung» geben, sondern vielmehr bedarf es Vergütungssystemen mit verschiedenen beziehungsweise multiplen Vergütungsangeboten, die hier den vielfältigen unterschiedlichen Begehren und Ansprüchen gerecht werden.

 

Mehr zum Thema im Buch «Vergütungssysteme gestalten: agil, rechtssicher und nicht-monetär», Britta Redmann, 2019

So wie sich ein Wandel in unserer Arbeitswelt weg von stark repetitiven und deswegen wenig attraktiven Aufgaben hin zu kreativen und schöpferischen Gestaltungsaufgaben wandelt, so verliert auch der Ansatz eines rein finanziell geprägten Vergütungssystems seine Wirkung. Denn wenn hohe Vergütung der einzige Grund ist, in einem Unternehmen tätig zu sein und zu bleiben, dann ist die Verbundenheit von Mitarbeitern ausschließlich auf finanzielle Motive ausgerichtet. Was nichts anderes bedeutet, dass sobald ein anderer Arbeitgeber einen höheren Preis zahlt, der Mitarbeiter dann zu diesem anderen Arbeitgeber wechselt. In letzter Konsequenz ist «das Finanzielle»- auch aus Sicht des Arbeitgebers – also keine wirklich verlässliche Grundlage für eine starke Beziehung und Verbundenheit zum Unternehmen.

Neue Arbeit, neue Vergütungssysteme

Schon aus diesen Gründen, aber auch weil sich unsere bisher eher tradierten Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen aufgrund veränderter Rollen weiterentwickeln und gleichzeitig vermehrt unterschiedliche individuelle Wünsche und Forderungen bedient werden dürften, bedarf es weiterer vielfältigerer Lösungen für das Thema Vergütung.

Neue Arbeit fordert dies konsequenterweise ein! Wir können nicht über Augenhöhe, Auflösung von Arbeitsorten, flexible Arbeitszeiten, anspruchsvolle Arbeitsaufgaben sprechen und dabei die Vergütung so lassen, wie sie ist. Es sind weitere «Währungen» gefragt, die notwendig sind, um Agilität und Selbstorganisation zu fördern als auch gleichzeitig verschiedene wertvolle Typen von Arbeitnehmern attraktiv zu bezahlen. Kurzum: ein innovatives Vergütungssystem stärkt ein Unternehmen in seiner Kultur, unterstützt einen etwaigen Wandel und bindet Mitarbeiter langfristig.

Um solche Mitarbeiter bzw. Challenge-Partner zu finden, die auch über die Fähigkeit verfügen, mit den modernen agilen Arbeitsformen positiv motiviert umgehen zu können, sind die in den Unternehmen jeweils bestehenden Vergütungssysteme ein entscheidender Schlüsselfaktor. Es erweisen sich solche Vergütungssysteme als überlegen, welche in der Lage sind, sich gleichermaßen an den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter und des Unternehmens auszurichten und diese Bedürfnisse zu erfüllen. Das gilt für starke Zeiten genauso wie in Krisenzeiten.

Vergütungssysteme als strategisches Instrument

So sind Vergütungssysteme zunehmend strategische Instrumente, um Arbeitnehmer zu kreativen Mitgestaltern zu motivieren und sie – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – emotional an Unternehmen zu binden. Dabei passt nicht jedes System auch zu jedem Unternehmen.

In der Vergangenheit standen hier vor allem monetäre Vergütungssysteme, allen voran klassische tarifliche Systeme, im Vordergrund. Diese Vergütungssysteme ordnen sich vornehmlich nach drei Bestimmungsfaktoren:

  • leistungsbezogen
  • soziale Umstände
  • erfolgsabhängig

Die vom Mitarbeiter erbrachte individuelle Arbeitsleistung – quantitativ und qualitativ – ist in diesen Systemen Grundlage für eine leistungsbezogene Zahlung. Soziale Umstände sind z.B. Alter, Anzahl der Kinder oder Familienstand. Bei einer erfolgsabhängigen Bezahlung steht häufig der Erfolg des gesamten Unternehmens und nicht nur der des Einzelnen im Vordergrund. Beispiele sind hier Gewinnbeteiligungsmodelle oder Aktienoptionsprogramme.

Angesichts sich verändernder Arbeitsabläufe durch die Digitalisierung und neuer Ansprüche von Beschäftigten denken viele Unternehmen über grundlegende Veränderungen und auch Anpassungen von Vergütung nach.

In einer neuen Arbeitswelt wird daher der Fokus auf den richtigen Rahmenbedingungen liegen müssen, der Mitarbeitern die beste Leistung als auch die beste Zusammenarbeit ermöglicht und diese fördert.

Zukünftig brauchen wir in Unternehmen daher verstärkt Systeme, die einerseits die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitern erfüllen und zum anderen aber auch die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten des Unternehmens sichern.

Das alles eröffnet die Chance, nicht nur den Blick auf die «neuen Wünsche» der Beschäftigten zu erweitern, sondern hier insbesondere auch andere, vor allem nicht-monetäre Anreize stärker in den Fokus zu bringen, die diesen Wünschen gerecht werden können. Es bedarf daher der richtigen Mischung aus monetären und nicht-monetären Komponenten, die aktuelle Bedürfnisse und Notwendigkeiten treffen.

Was ist nun die richtige Mischung? 

Diese exakt zu finden wird wohl nicht mehr pauschal für jedes Unternehmen gleich zu beantworten sein, sondern je nach Mitarbeitertypus und dessen Wünschen abhängen.

Und für die Unternehmensbedürfnisse gilt das Gleiche: Die Hausforderungen und auch Kulturen bei einem metallverarbeitenden Mittelständlers, einer Bank oder eines IT-Hauses sind ganz unterschiedlich. Die „one-fits-all-Lösung“, die für alle gleich gut passt und sinnvoll ist, gibt es hier nicht. 

Für Unternehmen bedeutet dies, wesentlich flexibler (und kreativer) zu werden, was ihre Vergütungssystematiken anbelangt. Dabei haben Faktoren, die vor allem keine direkten Gehaltsbestandteile sind, gegenwärtig einen enormen Einfluss auf die Entscheidung von Arbeitnehmern zu welchem Arbeitgeber sie gehen bzw. bei welchem sie auch bleiben.

Wenn es gelingt, entsprechende Systeme zu implementieren, dann kann dies wünschenswerte Auswirkungen auf die betriebliche Atmosphäre haben, zumal  dann auch regelmäßige Impulse entstehen, die dazu beitragen können, die in Belegschaften stets vorhandenen Unzufriedenheiten oder auch Ängste zu reduzieren. Mittels solcher auch rechtlicher Gestaltungsmittel kann ein Unternehmen das Ziel verfolgen, dass ein Betrieb zu einer „positiven Emotionswelt“ wird.