Führungskräfte, die einen Veränderungsprozess im Unternehmen organisieren, kommen unweigerlich mit John Kotter in Berührung. Was ist das Besondere an seiner Theorie?

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Foto von Austin Distel

Christof Hahn: Kotter erkannte als Erster, dass für das Management von Veränderungen in Organisationen eine systematische Vorgehensweise notwendig ist. Deshalb hat er ein pragmatisches Acht-Schritte-Vorgehensmodell mit einfachen Grundprinzipien entwickelt. In einem VUCA-Umfeld (V = Volatility, U = Uncertainty, C = Complexity, A = Ambiguity) können Unternehmen es sich allerdings nicht mehr leisten, auf ständig ändernde Rahmenbedingungen mit aufwendigen Großprojekten gemächlich zu reagieren. Anpassungen müssen schneller gehen und Unternehmen müssen dazu äußerst beweglich sein.

In welchen Punkten unterscheidet sich Change Management heute von dem ursprünglichen Acht-Schritte-Modell?

Christof Hahn: In seiner ersten Veröffentlichung ging Kotter noch davon aus, dass es für die Durchführung von Change-Projekten besonders auf ein kompetentes und schlagkräftiges Kernteam im Top-Management ankommt. Unter VUCA-Bedingungen brauchen Unternehmen jedoch nicht nur einige wenige, sondern viele Beteiligte, die aus verschiedenen Perspektiven die Veränderungen im Unternehmensumfeld beobachten und darauf reagieren können. Deshalb ist heute ein kollektiver Ansatz im Change Management mit vielen veränderungswilligen Führungskräften und Mitarbeitern erforderlich.

Wie wirkt sich das auf die Arbeit in Change-Projekten aus?

Christof Hahn: Durch Sachargumente allein lässt sich kaum jemand für Veränderungen begeistern. Führungskräfte, Projektleiter und Change Agents müssen in ihrer Arbeit die sogenannten weichen Faktoren, wie Emotionen, Dialogfähigkeit oder Konflikte in ihren Change-Aktivitäten stärker berücksichtigen. Aus meiner Erfahrung tun sich viele Verantwortliche damit immer noch schwer.

Wie kann das gelingen?

Christof Hahn: Es ist wichtig, alle Anstrengungen in größere Sinnzusammenhänge zu stellen, damit sie von möglichst vielen mitgetragen werden können. Worauf es ankommt sind mehr Führung und weniger Management: also klare und attraktive Zielrichtungen, Flexibilität, Inspiration, Beteiligung und Innovation statt ausgefeiltem Projektmanagement, unumstößlichen Budgetpläne und starren Zuständigkeiten. In vielen Unternehmen ist eine hierarchische Struktur allerdings nach wie vor das dominierende Organisationsmodell, die das verhindert.

Was bedeutet das für das Management von Veränderungsprojekten heute?

Christof Hahn: Nun, zunächst einmal lässt sich beobachten, dass in den Unternehmensleitungen das Bewusstsein und die Bereitschaft wachsen, in Change-Prozesse mehr zu investieren und die Entwicklung von Menschen sensibler, umfassender und kontinuierlicher zu begleiten. Allerdings fehlen oftmals die Kompetenzen, die für die Umsetzung in Veränderungsprozessen eigentlich notwendig wären.

Haben Sie ein Beispiel?

Christof Hahn: Für mich als Berater und Trainer ist es immer wieder erstaunlich, dass die klassische Veränderungskurve, die grundlegend für ein tieferes Verständnis von Change-Prozessen ist, häufig im oberen und mittleren Management nicht oder kaum bekannt ist. Das Modell ist leicht nachzuvollziehen und zeigt: Alle, die Change-Prozesse führen und begleiten, müssen die unvermeidlichen negativen Emotionen aushalten, ernst nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. In der Praxis werden Veränderungsprojekte aber oft noch überwiegend kognitiv-rational betrachtet und mit klassischen Projektmanagementmethoden „durchgeplant“. Um wirksam Veränderungsprojekte zu gestalten, benötigen die Verantwortlichen dagegen zusätzlich spezielle Instrumente, die der Natur des Menschen und den heutigen Rahmenbedingungen besser entsprechen. Methoden wie Storytelling, Design Thinking oder Open Space Formate sind in der Unternehmenspraxis bisher noch wenig verbreitet und müssen eingeübt werden.

Was wäre aus Ihrer Sicht als Trainer besonders notwendig, um die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Change Management unter VUCA-Bedingungen zu verbessern?

Christof Hahn: Die wenigsten Chefs und Führungskräfte schütteln die erforderlichen sozial-emotionalen und methodischen Kompetenzen einfach so aus dem Ärmel. Die Change-Kompetenz der Führungskräfte müsste nicht nur punktuell, sondern systematisch geschult und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit vor allem die fachliche Qualifikation ausschlaggebend für die Übernahme einer Führungsaufgabe war, gibt es in den Unternehmen enormen Nachholbedarf. Change Management gehört mittlerweile zu einem Schwerpunktthema in der Führungskräfteentwicklung. Eins ist sicher: VUCA führt dazu, dass Unternehmen ihre Kompetenzen im Bereich Change Management zukünftig ausbauen müssen.

In unseren Seminaren legen wir viel Wert auf praxisnahe Inhalte und Methoden, die im Arbeitsalltag leicht umgesetzt werden können. Wie realisieren Sie das in Ihren Trainings?

Da ich selbst Veränderungsprozesse begleite und meine Teilnehmer meistens ebenfalls Erfahrungen zum Thema mitbringen, kann ich auf unterschiedliche Praxisfälle im Seminar zurückgreifen. Anhand dieser Fälle werden die im Seminar behandelten Modelle hergeleitet und Methoden ausprobiert, die in realen Change Projekten zum Einsatz kommen. Dadurch wird das Thema für die Teilnehmer gut erlebbar. Sie können Ihre Erfahrungen im Seminar reflektieren und erhalten viele Anregungen für alternative Vorgehensweisen in ihrem Alltag. Zudem setze ich einen Mix von Lern- und Aktivierungsmethoden aus verschiedensten Disziplinen der Veränderungsarbeit ein: vom Coaching bis zur systemischen Organisationsentwicklung.

Herr Hahn, vielen Dank für das Gespräch.

Das gesamte Interview finden Sie im Blog des ime.