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Warum ein Gendiagnostikgesetz?

Bislang gab es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über das Durchführen genetischer Untersuchungen oder die Verwendung entsprechender Untersuchungsergebnisse im Arbeitsverhältnis. Es war daher umstritten, inwieweit man z. B. im Rahmen von vielfach üblichen ärztlichen Einstellungsuntersuchungen neben konventionellen auch gendiagnostische Methoden zur Feststellung der gesundheitlichen Eignung durchführen durfte.

Angesichts der immer weiter voranschreitenden technischen Entwicklung im Bereich der Gendiagnostik, der hohen Verfügbarkeit entsprechender Testverfahren – ausländische Anbieter werben mit der Durchführung komplexer Genomanalysen für weniger als 1.000 Euro – und des großen Missbrauchspotenzials gendiagnostischer Methoden sah sich der Gesetzgeber veranlasst, die Anwendung solcher Verfahren im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis weitestgehend zu untersagen.

Grundsatz: Verbot genetischer Untersuchungen

Kernstück der arbeitsrechtlichen Vorschriften des GenDG ist das grundsätzliche Verbot genetischer Untersuchungen durch den Arbeitgeber in § 19 GenDG.

Vorschrift

§ 19 GenDG

Genetische Untersuchungen und Analysen vor und nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses

Der Arbeitgeber darf von Beschäftigten weder vor noch nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses

1. die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen oder

2. die Mitteilung von Ergebnissen bereits vorgenommener genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen, solche Ergebnisse entgegennehmen oder verwenden.

Der Kreis der geschützten Personen ist durch die Verwendung des bereits im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gebräuchlichen Begriffs der „Beschäftigten“ ausgesprochen weit und geht über den arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff hinaus.

Wichtig

Gemäß der gesetzlichen Definition in § 3 Nr. 12 GenDG sind Beschäftigte neben

  • Arbeitnehmern insbesondere auch
  • Auszubildende,
  • arbeitnehmerähnliche Personen und
  • Stellenbewerber.

Genetische Untersuchungen und Analysen

Gegenstand des Verbots sind genetische Untersuchungen und Analysen. Nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 1 GenDG ist eine genetische Untersuchung eine auf einen bestimmten Untersuchungszweck gerichtete genetische Analyse zur Feststellung genetischer Eigenschaften.

Genetische Analysen wiederum können gem. § 3 Nr. 2 GenDG auf drei verschiedene Arten durchgeführt werden:

  • durch eine Analyse der Zahl und Struktur der Chromosomen (zytogenetische Analyse),
  • durch eine molekulare Untersuchung der vorhandenen DNA und RNA (sog. molekulargenetische Analyse) oder
  • durch Analyse der Produkte der Nukleinsäuren (sog. Genproduktanalyse).
Durch zytogenetische Analysen kann man Chromosomenanomalien feststellen, die zu bestimmten Erbkrankheiten führen (z. B. Mukoviszidose oder Hämophilie). Molekulargenetische Analysen beziehen sich auf die Struktur der menschlichen DNA und RNA und lassen schon jetzt noch weiter gehende Rückschlüsse, wie zur Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten oder hinsichtlich anderer persönlicher Merkmale, bspw. die ethnische Abstammung, zu. Angesichts der immer weiter voranschreitenden wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Genomanalyse sind die zukünftigen Erkenntnismöglichkeiten bzgl. unterschiedlichster persönlicher Merkmale kaum vorhersehbar.

Info

Zulässige Genproduktanalysen

Bereits heute werden Genproduktanalysen im Gebiet des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz angewendet, etwa bei der Erkennung von Überempfindlichkeiten gegen bestimmte Umwelteinflüsse, die an bestimmten Arbeitsplätzen oder bei bestimmten Tätigkeiten zu ernsthaften Erkrankungen der Beschäftigten führen können. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber in diesem Bereich ausdrücklich Ausnahmen vom Verbot genetischer Untersuchungen vorgesehen.

Genetische Eigenschaften

Alle drei Kategorien genetischer Untersuchungen haben gemeinsam, dass sie genetische Eigenschaften des betroffenen Menschen offenlegen sollen. Nach der gesetzlichen Definition in § 3 Nr. 4 GenDG sind „genetische Eigenschaften“ alle ererbten oder während der Befruchtung oder bis zur Geburt erworbenen, vom Menschen stammenden Erbinformationen.

Wichtig

Aus dieser Definition folgt, dass insbesondere nachträglich eingetretene genetische Veränderungen (z. B. durch Strahlung), welche im Rahmen eines „genetischen Monitorings“ – etwa zur Krebsvorsorge am Arbeitsplatz – frühzeitig erkannt werden können, nicht unter das Verbot genetischer Untersuchungen gem. § 19 GenDG fallen.

Ebenfalls nicht zu den genetischen Eigenschaften zählen solche Erbinformationen, die nicht menschlichen Ursprungs sind, wie die Erbinformationen von Viren (z. B. HIV) im Rahmen von Antikörpertests.

Phänotypuntersuchungen erlaubt

Zulässig sind auch Untersuchungen, die aufgrund von äußerlichen Symptomen lediglich mittelbar auf das Vorliegen bestimmter genetischer Eigenschaften schließen lassen (sog. Phänotypuntersuchungen). Dazu zählen bspw. Untersuchungen zur Feststellung einer möglichen Rot-Grün-Farbenblindheit oder Farbschwäche mithilfe eines Farbtafeltests, die u. a. bei Einstellungsuntersuchungen von Elektrikern oder Berufskraftfahrern stattfinden können.

Zwar lassen sich auch durch solche Phänotypuntersuchungen Rückschlüsse auf genetische Eigenschaften ziehen. Der Gesetzgeber geht jedoch davon aus, dass das eigentliche Missbrauchspotenzial bei der Gendiagnostik darin besteht, dass aus labortechnischen Untersuchungen kleinster Proben genetischen Materials umfassende Erkenntnisse gewonnen und weitergegeben werden können.

(Weitere) Ausnahmen im Bereich des Arbeitsschutzes

Das grundsätzliche Verbot genetischer Untersuchungen gilt gem. § 20 Abs. 1 GenDG grundsätzlich auch im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen. In diesem Bereich sind jedoch nach Abs. 2 unter bestimmten Voraussetzungen sowie in begrenztem Umfang Ausnahmen zulässig.

So sollen nach dem Willen des Gesetzgebers traditionelle Diagnoseverfahren der Genproduktanalyse zum Aufdecken arbeitsplatzrelevanter, genetisch bedingter individueller Überempfindlichkeiten zum Wohle der Beschäftigten auch weiterhin zulässig sein. Voraussetzungen sind, dass

  • die Untersuchung zur Feststellung bestimmter genetischer Eigenschaften erforderlich ist,
  • die zu analysierenden genetischen Eigenschaften für schwer wiegende Erkrankungen oder schwer wiegende gesundheitliche Störungen ursächlich oder zumindest mitursächlich sind und
  • diese Erkrankung durch die Beschäftigung an einem konkreten Arbeitsplatz oder mit einer bestimmten Tätigkeit entstehen kann.
Beispiele

Eine solche genetische Eigenschaft, die gem. § 20 Abs. 2 GenDG mittels einer Genproduktanalyse ausnahmsweise untersucht werden darf, ist z. B. ein unterdurchschnittlicher Anteil an Acetyltransferase-2 („langsame Acetylierer“). Dies führt an Arbeitsplätzen in der chemischen Industrie mit aromatischen Aminen erwiesenermaßen zum erhöhten Risiko für Harnblasenkrebs.

Ein weiteres Beispiel ist ein genetisch bedingter Mangel an Alpha-1- Antitrypsin, der zu einem signifikant erhöhten Risiko einer Lungenerkrankung auf Arbeitsplätzen mit Staubbelastung führt.

Neben den vorstehend genannten Voraussetzungen erfordert eine Genproduktanalyse zusätzlich u. a. zwingend

  • die Einwilligung des Arbeitnehmers sowie
  • die Durchführung durch einen Arzt.
Im Rahmen von Arbeitsschutzuntersuchungen sind derzeit nach Maßgabe der genannten Voraussetzungen ausschließlich Genproduktanalysen zulässig. Bei den übrigen Kategorien (zyto- oder molekulargenetische Analysen) bestehen nach Auffassung des Gesetzgebers noch keine erprobten Anwendungsfelder. Aus diesem Grund sieht § 20 Abs. 3 GenDG den Erlass von Rechtsverordnungen vor, die genetische Untersuchungen im Bereich des Arbeitsschutzes auch mit Blick auf die anderen Untersuchungsarten zulassen können.

Es ist noch nicht absehbar, inwieweit die Bundesregierung in Zukunft von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Durch die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen besteht jedoch zumindest die Möglichkeit, das geltende Recht an die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft anzupassen.

Benachteiligungsverbot

Ähnlich den Regelungen im AGG sieht § 4 GenDG ein Benachteiligungsverbot wegen genetischer Eigenschaften vor. Für Arbeitsverhältnisse gilt das – im Wesentlichen inhaltsgleiche – besondere Benachteiligungsverbot des § 21 Abs. 1 GenDG.

Danach darf der Arbeitgeber Beschäftigte nicht wegen ihrer genetischen Eigenschaften benachteiligen. Zum Schutz vor Umgehungen gilt das Benachteiligungsverbot ausdrücklich auch für genetische Eigenschaften „genetisch verwandter Personen“, d. h. leiblicher Verwandter. Zudem darf ein Mitarbeiter auch nicht deshalb benachteiligt werden, weil er sich weigert, genetische Untersuchungen oder Analysen bei sich vornehmen zu lassen oder vorhandene Untersuchungsergebnisse mitzuteilen.

Das Benachteiligungsverbot gilt ausdrücklich für alle Vereinbarungen oder Maßnahmen, insbesondere

  • bei der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses,
  • beim beruflichen Aufstieg,
  • beim Erteilen einer Weisung oder
  • bei der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.
Wie schon das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG gilt auch das Benachteiligungsverbot des § 21 GenDG daher für alle Bereiche des Arbeitslebens und betrifft das gesamte Arbeitgeberverhalten. Da das Verbot ausdrücklich auch „Vereinbarungen“ regelt, sind kollektivrechtliche Verträge (z. B. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen) vom Geltungsbereich mit umfasst.

Wegen der durch das Gesetz selbst begrenzten Definition einer maßgeblichen „genetischen Eigenschaft“ (s. o.) erstreckt sich das Benachteiligungsverbot nur auf „echte“ Erbinformationen und nicht auch auf (äußerliche) Merkmale, die lediglich auf genetischen Eigenschaften beruhen, z. B. die Haarfarbe oder eine etwaige Rot-Grün-Schwäche.

Wichtig

Hat das Unternehmen mangels Durchführung einer genetischen Untersuchung keine Kenntnis von den entscheidenden genetischen Informationen und hat es auch nicht versucht, vom Arbeitnehmer entsprechende Informationen zu erhalten, ist das Benachteiligungsverbot des § 21 Abs. 1 GenDG nicht anwendbar. Es können dann freilich andere Benachteiligungsverbote einschlägig sein, wie die Vorschriften des AGG.

Sanktionen bei Verstößen

Verstößt der Arbeitgeber gegen das Benachteiligungsverbot nach § 21 Abs. 1 GenDG, so gelten nach Abs. 2 die Schadensersatzvorschriften der §§ 15 und 22 AGG.

Daraus folgt, dass ein von einer unzulässigen Benachteiligung betroffener Beschäftigter nicht nur einen potenziellen materiellen Schaden, sondern gem. § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. § 21 Abs. 2 GenDG auch einen etwaigen immateriellen Schaden geltend machen kann, vgl. auch Reinhard, AuA 2/10, S. 78, 81 in diesem Heft.

Zugunsten der Arbeitnehmer greift die in § 22 AGG geregelte Beweiserleichterung, wonach im Streitfall das Darlegen von Indizien ausreicht, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Gelingt dem Mitarbeiter ein solcher Indizienbeweis, muss der Arbeitgeber seinerseits nachweisen, dass die Benachteiligung nicht auf einer genetischen Eigenschaft beruht.

Wichtig

In der Praxis dürfte als hinreichender „Indizienbeweis“ i. S. d. § 22 AGG i. V. m. § 21 Abs. 2 GenDG insbesondere der Umstand gewertet werden, dass ein Arbeitgeber unzulässigerweise genetische Untersuchungen bei einem Beschäftigten durchgeführt oder aber – etwa im Rahmen eines Einstellungsverfahrens – die Vorlage entsprechender, bereits vorhandener Ergebnisse verlangt hat. Gelingt es dem Beschäftigten, solche Umstände darzulegen, dürfte es für das Unternehmen sehr schwierig werden, seinerseits zu beweisen, dass die geltend gemachte Benachteiligung (z. B. die Nichteinstellung) nicht auf den Ergebnissen einer genetischen Untersuchung oder der Weigerung des Beschäftigten zur Durchführung einer solchen Untersuchung beruht.

Praxistipp

Aufgrund der Vorschrift des § 15 Abs. 6 AGG ist es jedoch ausgeschlossen, dass ein abgelehnter Bewerber oder ein Beschäftigter, dem eine Beförderung versagt wurde, unter Berufung auf eine unzulässige Benachteiligung gem. § 21 Abs. 1 GenDG erfolgreich auf Einstellung bzw. Beförderung auf die gewünschte Stelle klagen kann. In diesem Fall verbleibt es bei einem Anspruch auf Schadensersatz.

Fazit

Mit den arbeitsrechtlichen Vorschriften des GenDG hat der Gesetzgeber auf den immer weiter fortschreitenden Stand der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Gendiagnostik reagiert und durch das grundsätzliche Verbot entsprechender Untersuchungen eine sehr klare Regelung getroffen. Angesichts der längst noch nicht abgeschlossenen Entwicklung in der Wissenschaft und ständig neuer Diagnosemethoden sind die Vorschriften des GenDG zu einem großen Teil auch als Vorsorgemaßnahme des Gesetzgebers zu verstehen. Insbesondere durch das Benachteiligungsverbot und den Verweis auf die Schadensersatzvorschriften des AGG – einschließlich der dort geregelten Beweiserleichterung – sind Arbeitgeber gehalten, genetische Untersuchungen – mit Ausnahme der wenigen zulässigen Maßnahmen im Bereich des Arbeitsschutzes – konsequent aus dem betrieblichen Alltag zu verbannen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - 2/10