Besondere Verantwortung

Auch das GenDG dient diesem Ziel, § 80 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch über gentechnische, den einzelnen Arbeitnehmer betreffende Untersuchungsvorhaben zu unterrichten (§ 80 Abs. 2 BetrVG). Damit kommt dem Gremium gerade in diesem höchstpersönlichen und auch höchstsensiblen Bereich des Persönlichkeitsschutzes der Arbeitnehmer eine besondere Vertrauensstellung und Verantwortung zu.

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Foto von bantersnaps

Die Einhaltung dieser Aufgabe durch den Betriebsrat erscheint nicht nur rein theoretisch: Die moderne Gen- bzw. Genanalysetechnik bietet schon heute verblüffende Möglichkeiten, Unternehmen über bestimmte Krankheitsrisiken des Beschäftigten, wie

  • Allergien,
  • Neigung zur Fettleibigkeit oder
  • entzündliche Krankheiten, z. B. Rheuma,

und vielleicht zukünftig auch über dessen Charaktereigenschaften, wie Ausdauer und Belastbarkeit bzw. Depressionsanfälligkeit, zu informieren. Die Gefahr, dass der Arbeitgeber – auch ohne das Wissen des Mitarbeiters – sich derartige Informationen durch eine Genanalyse beschafft, ist zudem extrem hoch. Denn jeder Arbeitnehmer hinterlässt an seinem Arbeitsplatz mit Haaren, Schweiß oder Schuppen unwillkürlich Proben, die zu einer Genanalyse verwandt werden können.

Schutz der informationellen Selbstbestimmung

Eine gentechnische Analyse durch das Unternehmen verstößt auch nach alter Rechtslage gegen das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten, insbesondere gegen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das GenDG hat nun diesen Schutz festgeschrieben:

  • So hat der Arbeitgeber nach § 19 GenDG weder das Recht, vom Arbeitnehmer gentechnische Untersuchungen oder einzelne gentechnische Analysen zu fordern,
  • noch darf er die Mitteilung des Ergebnisses bereits vorgenommener gentechnischer Untersuchungen bzw. Analysen verlangen.
  • Er darf nicht einmal die Ergebnisse gentechnischer Analysen und Untersuchungen entgegennehmen; vgl. auch Golücke, a. a. O.

Wichtig

Das Verbot der Vornahme gentechnischer Tests oder der Entgegennahme bereits bestehender Ergebnisse gilt nicht nur für bereits eingestellte Mitarbeiter, sondern auch für Bewerber um ein Arbeitsverhältnis. Damit ist das Unternehmen grundsätzlich gehindert, die Einstellung eines Arbeitnehmers von der Vornahme einer gendiagnostischen Untersuchung und der Weitergabe der Ergebnisse abhängig zu machen.

Sanktionen

Verstößt der Arbeitgeber gegen die o. g. Verbote aus dem GenDG, trifft ihn ein Bußgeld bis zu einer Höhe von 50.000 bzw. im Fall der Entgegennahme von Genanalysen sogar bis zu 300.000 Euro (§ 26 GenDG). Die unberechtigte Verwendung gendiagnostischer Daten ist zudem eine Straftat, die nach § 25 Abs. 1 Nr. 5 GenDG auf Antrag verfolgt und mit Geldoder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft wird.

Damit das GenDG aber überhaupt eingreift, muss eine „gentechnische Analyse“ vorliegen (§§ 2 und 3 GenDG). Das ist der Fall bei

  • der Feststellung der Zahl und der Struktur der Chromosomen (zytogenetische Analyse),
  • der Analyse deren molekulargenetischer Struktur (molekulargenetische Analyse) und/oder
  • der Untersuchung der Produkte, die ein oder mehrere bestimmte Gene typischerweise herstellen (Genproduktanalyse).

Beispiel

Das GenDG greift somit nicht bei sonstigen medizinischen Untersuchungen, wie einfachen Urin- und Bluttests, die Auskunft über etwa den Zucker-, Fett oder Alkoholgehalt geben.

Auch an dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Betriebsrat – zusätzlich zu den Bestimmungen des GenDG – ein echtes Mitbestimmungsrecht bei

  • der inhaltlichen Festlegung des Gesundheitsschutzes und speziell
  • der Vermeidung von Berufskrankheiten (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) sowie
  • der Aufstellung von Bewerber-Auswahlrichtlinien besitzt (§ 95 BetrVG).

Kaum Ausnahmen

Nur ausnahmsweise und in engen Grenzen lässt § 20 Abs. 2 GenDG eine Genproduktanalyse im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen zu. Die Untersuchung ist dann zulässig, wenn sie zum Schutz des Arbeitnehmers erforderlich ist, um den Zusammenhang zwischen einer genetischen Eigenschaft und arbeitsplatz- oder tätigkeitsbedingten künftigen schwer wiegenden Erkrankungen oder schwer wiegenden gesundheitlichen Störungen feststellen zu können.

Die Ausnahme gilt zunächst nur für die Untersuchungsmethode Genproduktanalyse. Die Bundesregierung kann zukünftig durch Rechtsverordnung auch die zyto- oder molekulargenetische Analyse als Methoden der Vorsorgeuntersuchungen zulassen (§ 20 Abs. 3 GenDG).

Wichtig

Selbst bei einer erlaubten Gendiagnose gem. § 20 Abs. 2 GenDG bedarf es nach § 8 GenDG immer der ausdrücklichen, schriftlichen Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers. Diese kann er nur gegenüber dem verantwortlichen Mediziner – und nicht gegenüber dem Arbeitgeber – erklären. Vor der Einwilligung muss der verantwortliche Mediziner den Mitarbeiter ausgiebig über die Bedeutung, die medizinische Wirkung, die Tragweite der Einwilligung und die genetische Untersuchung aufklären (§ 9 GenDG).

Umstritten ist, ob die Ausnahme des § 20 Abs. 2 GenDG auch jene Fallkonstellationen erfasst, in denen eine bestimmte Gendisposition des Arbeitnehmers nicht diesen selbst, sondern Dritte gefährdet.

Beispiel

Eine solche Konstellation taucht u. a. auf, wenn ein Kranführer aufgrund eines genetischen Defekts zeitweise bewusstlos wird und der Transport von Lasten durch ihn andere Beschäftigte oder unbeteiligte Dritte gefährdet. Eine schwer wiegende Gefährdung des Kranführers – die § 20 Abs. 2 GenDG offensichtlich voraussetzt – liegt in der kurzen Bewusstlosigkeit im geschützten Raum der Steuerkabine nicht vor.

In solchen Fällen ist § 20 Abs. 2 GenDG entsprechend anzuwenden und eine Genproduktanalyse – zum Schutz von Dritten – zulässig. Wenn sie nämlich schon i. S. d. § 20 Abs. 2 GenDG zum vorbeugenden Schutz des Einzelnen erlaubt ist, dann muss dies erst recht für eine Vielzahl unbeteiligter Dritter gelten. Allerdings ist bei einer solchen analogen Anwendung zu fordern, dass – zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers – nicht irgendeine geringfügige Vermögensbeschädigung Dritter zur Vornahme einer Analyse ausreicht, sondern die konkrete Gefährdung besonders schutzwürdiger Rechtsgüter, wie Leben und Gesundheit Dritter, in Rede steht.

Keine genetischen Benachteiligungen

Zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte untersagt § 21 Abs. 1 Satz 1 GenDG sämtliche Benachteiligungen des Arbeitnehmers

  • aufgrund seiner genetischen Eigenschaften, aber auch
  • aufgrund der genetischen Eigenschaften mit ihm verwandter Personen.
  • Der Arbeitgeber darf hierüber hinaus nicht einen Mitarbeiter, der sich weigert, eine genetische Untersuchung bei sich vornehmen zu lassen oder die Ergebnisse bereits erfolgter Untersuchungen dem Arbeitgeber bekanntzugeben, benachteiligen, § 21 Abs. 1 Satz 2 GenDG.

Wichtig

Der Betriebsrat wacht nach § 80 Abs. 1 BetrVG auch über die Einhaltung beider Benachteiligungsverbote.

§ 21 Abs. 2 GenDG verweist auf § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Der Gesetzgeber stellt dadurch klar, dass ein Arbeitnehmer, den der Arbeitgeber wegen seiner genetischen Disposition und/ oder seiner Weigerung, Gentests an sich vornehmen zu lassen, benachteiligt, einen Schadensersatzanspruch gegen das Unternehmen hat. Dieser Anspruch umfasst auch eine billige Entschädigung des Beschäftigten für immateriellen Schaden, § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. § 21 Abs. 2 GenDG. Bei der Feststellung einer Benachteiligung gilt – wie auch im AGG – die Beweislastumkehr: Der Arbeitnehmer muss lediglich Umstände (Indizien) darlegen, die eine Benachteiligung nahelegen. Der Arbeitgeber hat dann seinerseits darzulegen und zu beweisen, dass er den Mitarbeiter aus o. g. Gründen nicht benachteiligt hat, § 22 AGG i. V. m. § 21 Abs. 2 GenDG.

Fazit/Ausblick

Das GenDG schützt den einzelnen Arbeitnehmer vor einer ungewollten Weitergabe genetischer Informationen. Die Beschränkung der Ermittlung dieser Informationen auf den Zweck des Gesundheitsschutzes des Mitarbeiters und die Notwendigkeit seiner ausdrücklichen Einwilligung sind Instrumente dieses Schutzes.

Mit dem Erlass des GenDG hat der Gesetzgeber einen ersten Schritt zum Schutz von Arbeitnehmerdaten im Beschäftigungsverhältnis getan. Der nächste Schritt in diese Richtung wird die Einführung der §§ 32a – 32n im Bundesdatenschutzgesetz sein. Das Beschäftigtendatenschutzgesetz liegt derzeit erst im Diskussionsentwurf vor. Seinen Inhalt und seine Maßnahmen zeichnet das GenDG bereits vor.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 6/10