Problempunkt

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Foto von Mimi Thian

Die Beklagte hatte den Kläger, einen gelernten Industriemechaniker, am 1.1.1998 als CNC-Fräser eingestellt und ca. neun Jahre lang entsprechend eingesetzt. Anschließend wies sie ihn an, auf der in der Montagehalle stehenden Drehbank Luftrohre zu fertigen (Gewindeschneiden an Rohren). Kalkuliert hatte sie für diese Arbeit eine Fertigungszeit pro Stück von drei Minuten und – daraus abgeleitet – eine Schichtleistung von durchschnittlich 170 Stück. Diese Leistung erbrachte der Mitarbeiter nicht. Vielmehr erreichte er – bezogen auf die 170 Stück – nur etwa 50%, einmal sogar nur 30%. Daran änderten auch zwei Abmahnungen nichts. Die Firma kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.7.2007. Die Kündigungsschutzklage des Fräsers blieb in erster Instanz erfolglos. Das Arbeitsgericht hielt das vom Arbeitgeber vorgelegte Zahlenmaterial für ausreichend.

Entscheidung

Das LAG gab dem Kläger dagegen Recht. Nach seiner Ansicht ist das Zahlenmaterial unzulänglich. Die Firma habe bereits nicht ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass ein mit dem Mitarbeiter vergleichbarer Kollege an der Drehbank durchschnittlich 200, 170 oder auch nur 150 Rohre pro Tag bearbeiten kann. Wörtlich heißt es dazu in dem Urteil: „Unstreitig sind weder vor noch nach dem klägerischen Einsatz an der Drehbank massenweise Luftrohre gefertigt worden. Zur Beurteilung einer erheblichen Minderleistung des Klägers stand der Beklagten mithin ein Vergleichsmaßstab gar nicht zur Verfügung. Die Fertigung der Luftrohre an der Drehbank war eine Premiere. Die Beklagte konnte auf Durchschnittstagesleistungen anderer vergleichbarer Mitarbeiter nicht zurückgreifen.“

Tatsächlich beruhten die Planzahlen auf einem halbstündigen „Testlauf“, bei dem ein Auszubildender im zweiten Ausbildungsjahr und ein nicht näher bezeichneter „Zeuge O“ je ein Rohr gefertigt hatten. D.h.: Eine Durchschnittstagesleistung wurde gerade nicht getestet, sondern – ausgehend von der Fertigungsdauer für je ein Rohr – nur hochgerechnet. Da die Leistungsfähigkeit während einer Schicht gewissen Schwankungen unterliegt, kann nach Auffassung des LAG diese Hochrechnung keine geeignete Grundlage sein, um die Durchschnittsleistung festzulegen.

Ferner hielt das Gericht dem Mitarbeiter zugute, dass ihn die Firma nicht als Dreher eingestellt und beschäftigt hat, sondern als CNC-Fräser. Wenn ihn das Unternehmen mit vertragsfremden Arbeiten betraut, könne es nicht die Durchschnittsleistungen erwarten, die ein vertragsgerecht beschäftigter Arbeitnehmer tagtäglich erbringt. Der Kläger hatte während seiner Ausbildung zum Industriemechaniker nur die Grundzüge des Drehers erlernt und seit seiner Ausbildung vor 28 Jahren nicht mehr an der Drehbank gearbeitet. Ihm fehlten mithin sowohl fundierte Kenntnisse und Fertigkeiten im Drehen als auch eine gewisse Routine.

Schließlich fiel nach Ansicht des LAG auch die Interessenabwägung zugunsten des CMC-Fräsers aus.

Konsequenzen

Am besten geeignet sind Durchschnittsleistungen vergleichbarer eigener Mitarbeiter. Offenbar war der Kläger aber als Einziger mit der Produktion der Luftrohre befasst (oder es wurden bei früherer Produktion von Luftrohren durch andere Mitarbeiter keine Zeiten und keine Stückzahlen festgehalten). Dadurch standen dem Arbeitgeber keine Echtdaten – von vergleichbaren Arbeitnehmern tatsächlich erzielte Zeiten und Stückzahlen –, sondern nur reine Plandaten zur Verfügung, um die Minderleistung des Klägers zu beschreiben.

Das ist kein Einzelfall. Ist ein Arbeitsplatz nur einmal im Betrieb vorhanden, gibt es keine vergleichbaren Kollegen und folglich auch keine Vergleichszahlen. Ohne Bezugsgröße bzw. Vergleichsmaßstab lassen sich eine erhebliche Minderleistung und damit ein möglicher Kündigungsgrund nicht darstellen.

Praxistipp

Für Arbeitgeber stellt sich die Frage, welche anderen Daten als Bezugsgröße in Betracht kommen. So können Unternehmen z.B. auf konkrete Erfahrungen befreundeter Firmen mit Beschäftigten auf vergleichbaren Arbeitsplätzen oder auf ein arbeitswissenschaftliches Gutachten zurückgreifen. Was der Arbeitgeber im entschiedenen Fall unternommen hatte, war jedenfalls unzureichend.

Verfügt der Mitarbeiter – im Gegensatz zu hier – über praktische und aktuelle Erfahrungen in seinem jetzigen Aufgabengebiet und ist er dort schon seit Jahren tätig, können gemessene frühere eigene Durchschnittsleistungen durchaus als Vergleichsmaßstab infrage kommen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - Personal-Profi - 11/08