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Foto von Thomas Martinsen

I. Sachverhalt

Arbeitgeber und Betriebsrat stritten sich um die Einstellung einer Leiharbeitnehmerin. Die antragstellende Arbeitgeberin hatte im Jahr 2007 die unternehmerische Entscheidung getroffen, alle frei werdenden Arbeitsplätze ab April 2007 nur noch mit Leiharbeitskräften zu besetzen. Dies geschah durch das Leiharbeitsunternehmen D. GmbH & Co. KG, an dem die Arbeitgeberin als Gesellschafterin beteiligt war. Im Jahr 2011 informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über ihre Absicht, ab dem 01.05.2011 eine Leiharbeitnehmerin unbefristet über die Firma D. GmbH & Co. KG für einzustellen. Der beteiligte Betriebsrat widersprach nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Daraufhin teilte die Arbeitgeberin die beabsichtigte vorläufige Einstellung der Leiharbeitnehmerin mit. Der Betriebsrat widersprach auch der vorläufigen Einstellung. Die Arbeitgeberin beantragte ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben der Arbeitgeberin Recht und ersetzten die Zustimmung antragsgemäß.

II. Maßgebliche Frage: Was bedeutet “vorübergehende Verleihung”?

Der neuralgische Punkt in diesem Verfahren war die Frage, welche Bedeutung dem seit 1. Dezember 2011 neu eingefügten Wort “vorübergehend” in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG zukommt (“Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend”).

 

III. Die Entscheidung des BAG

Das BAG gab dem Betriebsrat recht und entschied: Der Betriebsrat des entleihenden Unternehmens kann seine Zustimmung zum Einsatz von Leiharbeitnehmern verweigern, wenn diese dort nicht nur “vorübergehend” eingesetzt werden sollen.

Das BAG nahm dabei keine genaue zeitliche Abgrenzung und Definition des Begriffs “vorübergehend” vor, sondern beschränkte sich darauf, dass jedenfalls nicht mehr “vorübergehend” sei, wenn das entleihende Unternehmen beabsichtige, eine Leiharbeitnehmerin ohne jede zeitliche Begrenzung einzusetzen.

Diese Wertung hatte dann zur Konsequenz, dass dem Betriebsrat nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ein Zustimmungsverweigerungsrecht zuerkannt wird, hier im konkreten Fall, weil die Einstellung der Leiharbeitnehmerin gegen ein Gesetz verstößt. Ein Gesetz im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ist § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und damit steht dessen Begriff “vorübergehend” so im Fokus.

Das BAG stellte klar, dass der Begriff “vorübergehend” nicht lediglich ein unverbindlicher Programmsatz sei, sondern er untersage die nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung. “Vorübergehend” diene zum einen dem Schutz der Leiharbeitnehmer, zum andern solle der Begriff auch die dauerhafte Aufspaltung der Belegschaft des Entleiherbetriebs in eine Stammbelegschaft und eine entliehene Belegschaft verhindern. Der Betriebsrat des Entleiherbetriebs könne daher seine Zustimmung zur Einstellung von Leiharbeitnehmern verweigern, wenn diese im Entleiherbetrieb nicht nur “vorübergehend” – sondern wie hier dauerhaft – beschäftigt werden sollen.

IV. Konsequenzen

 

1. Betriebsräte können zeitlich unbegrenzte Leiharbeit verhindern

Die Entscheidung hat für die Leiharbeit “Erdrutschcharakter” und erhebliche Konsequenzen. In Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, kann dieser geplante Einstellungen von Leiharbeitnehmern von nun ab blockieren, wenn die Einstellung zeitlich unbegrenzt vorgenommen werden soll. Der Arbeitgeber muss daher einen festen Zeitraum für die Ausleihe festlegen und dem Betriebsrat gegenüber angeben.

 

2. Weitere Rechtsstreite sind vorprogrammiert: Wo liegt die genaue zeitliche Grenze?

Da der Begriff “vorübergehend” noch nicht abschließend definiert ist, sind die nächsten Rechtsstreite in gleicher Sache vorprogrammiert. Betriebsräte werden von nun ab voraussichtlich die Grenzen ausloten, ab welchem genauen Zeitraum die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern noch “vorübergehend” ist und ab wann nicht mehr. Das lässt sich derzeit nicht sagen, weil das BAG im konkreten Fall eine exakte zeitliche Grenze nicht festlegen musste. Demnächst wird das aber aller Voraussicht nach geschehen müssen, weil etliche Fälle in diese Richtung zu erwarten sind.

 

Für entleihende Unternehmen und Verleiher ist die Situation derzeit unbefriedigend. Vieles ist derzeit noch unklar. Es steht nur fest, dass ein Umbruch stattgefunden hat. Die Botschaft des BAG ist klar: Die Leiharbeit soll und darf auf einem Arbeitsplatz dauerhaft nicht mehr erfolgen, sondern nur noch zeitlich begrenzt. Fraglich ist auch, welche weiteren Konsequenzen aus diesem rechtlichen Befund abzuleiten sind (dazu sogleich).

 

3. Ungeklärte Rechtsfrage: Begründung eines Arbeitsverhältnisses?

Das BAG hat eine weitere – für Unternehmen fast noch gravierendere Rechtsfrage – offen gelassen und nur erklärt, dass es hierauf im obigen Fall nicht ankomme. Hier sind aber beim BAG aktuell zwei weitere Fälle mit “juristischem Sprengstoff” für die Leiharbeit anhängig (Revisionsverfahren 9 AZR 111/13 und 9 AZR 268/13). Beiden Fällen liegen Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg vor, einmal der 7. und zum anderen der 15. Kammer vor.

Es geht in beiden Fällen um die Frage, welche Konsequenzen sich im Verhältnis Leiharbeitnehmer zu entleihendem Unternehmen ergeben können, wenn ein Verstoß gegen “vorübergehend” im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vorliegt.

Während die 7. Kammer entschied, ein Verstoß bleibe in diesem Verhältnis sanktionslos, hat die 15. Kammer entschieden, dass bei einer nicht mehr “vorübergehenden” Arbeitnehmerüberlassung ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung “ohne Erlaubnis” vorliege. Das habe zur Konsequenz, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Arbeitnehmer zustande komme, §§ 1, 9 Nr. 10, 10 Abs. 1 AÜG.

Das BAG hat auch hier das letzte Wort. Wenn der zuständige 9. Senat des BAG entscheiden sollte, dass ein Arbeitsverhältnis zustande kommt, wäre dies der nächste gravierende Rückschlag für die Leiharbeit. Aus Sicht der Unternehmen bleibt zu hoffen, dass das BAG diese weitreichende Konsequenz nicht ziehen wird.

4. Dringender Handlungsbedarf für entleihende Unternehmen

In jedem Fall gilt eines: Unternehmen, die in mehr oder weniger größerem Umfang Leiharbeitnehmer längerfristig bzw. zeitlich unbegrenzt einsetzen und/oder ein so genanntes “AÜG-Modell” im Unternehmen bzw. Konzern eingeführt haben, bei dem wie im obigen Sachverhalt des BAG frei werdenden Stellen konsequent durch Leiharbeitnehmer ersetzt werden, müssen spätestens jetzt umdenken und handeln. Der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Stammarbeitsplätzen ist seit dieser BAG-Entscheidung mit großen Risiken behaftet und zwar auch dann, wenn das Einstellungsverfahren nach § 99 BetrVG schon durchgeführt worden ist. Wenn wie unter IV. 3. dargestellt das BAG entscheiden sollte, dass bei zeitlich nicht begrenzter Verleihung ein Arbeitsverhältnis zwischen entleihendem Unternehmen und Leiharbeitnehmer zustande kommt, dann würden damit alle hiervon betroffenen Leiharbeitnehmer zu Stammarbeitnehmern mit Kündigungsschutz werden. Eine für Entleiher schwerwiegende, aber mögliche Folge. Derzeit besteht diesbezüglich nur ein (erhebliches) Risiko, aber jetzt ist der Zeitpunkt spätestens gekommen, an dem sich Unternehmen neu ausrichten müssen, die hiervon betroffen sind. Ein “Weiter so wie bisher” ist unvertretbar geworden. Ob dabei Werkverträge das Mittel der Wahl darstellen, Befristungen oder andere Flexibilisierungen, muss im Einzelfall geklärt und abgewogen werden. Zu klären ist dabei insbesondere auch, wie im Hinblick auf die genannten ausstehenden BAG-Entscheidungen jetzt noch vermieden werden kann, sich eine dauerhafte Stammbelegschaft aus ehemaligen Leiharbeitnehmern ins Unternehmen zu holen, die so nicht gewünscht ist. Noch ist es nicht zu spät, hier die Weichen noch zu stellen.

HRM.de-Hinweis: Informieren Sie sich zu den Hintergründen des Entscheids:
https://www.hrm.de/fachartikel/leiharbeit-im-umbruch-und-am-scheideweg-10348