Problempunkt

Zahlreiche Versorgungsordnungen (VO) sehen unterschiedliche Maßstäbe vor, wie die Rente für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb und den unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) zu berechnen ist. Das beruht darauf, dass die Einkommensteile oberhalb der BBG zwar nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belastet sind, andererseits aber auch eine gesetzliche Rente für diesen Teil des Einkommens fehlt. Derartige „gespaltene“ Rentenformeln tragen dem regelmäßig höheren Versorgungsbedarf der betroffenen Arbeitnehmer Rechnung.

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Foto von Pawel Chu

Für 2003 erhöhte der Gesetzgeber zunächst die BBG durch die „Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2003“ auf 55.200 Euro jährlich. Dies entsprach der seit Jahrzehnten üblichen Anpassung an die Einkommensentwicklung. Wenige Tage später fügte er durch Art. 2 Nr. 4 des Beitragssicherungsgesetzes § 275c in das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ein. Die Vorschrift trat am 1.1.2003 in Kraft und hob die BBG außerplanmäßig um 500 Euro auf 61.200 Euro jährlich an. Diese BBG bildete die Basis für die zukünftigen Erhöhungen und wirkte sich daher auch in den Folgejahren aus. Ziel der systemwidrigen Maßnahme war es, den Anstieg der Beitragssätze zu dämpfen.

Die streitige VO sah eine Berechnung der Betriebsrente auf Basis des letzten monatlichen Gehalts vor. Abhängig von dessen Höhe gewährte die Beklagte bis zur Höhe der BBG, die bei Eintritt des Versorgungsfalls galt, bestimmte Beträge pro Jahr der Betriebszugehörigkeit. Für anrechnungsfähige Bezüge oberhalb der BBG erhöhten sich die monatlichen Versorgungsleistungen überdurchschnittlich.

Die Beklagte zahlte an den Kläger, bei dem der Versorgungsfall 2006 eingetreten war, eine Betriebsrente auf Basis der in 2006 geltenden BBG i. H. v. monatlich 633,92 Euro. Der Kläger begehrte jedoch eine Betriebsrente, wie sie sich ohne die außerordentliche Anhebung der BBG im Jahr 2003 errechnet. Die Beklagte habe ein Gesamtversorgungsniveau von 80 bis 90 % des letzten Nettoeinkommens gewähren und insbesondere Versorgungslücken im Einkommensbereich oberhalb der BBG schließen wollen. Die außerplanmäßige Erhöhung der BBG in 2003 habe in erheblichem Maße in das Gesamtgefüge der Versorgungsregelung eingegriffen.

Entscheidung

Zunächst stellt das BAG fest, dass bei einer wortgetreuen Auslegung der Versorgungsordnung die Betriebsrente richtig berechnet wäre. Nach seiner Auffassung sind durch die außerplanmäßige Anhebung der BBG jedoch Versorgungsordnungen mit gespaltenen Rentenformeln lückenhaft geworden. Sie sind daher entsprechend dem ursprünglichen Ziel so zu ergänzen, dass sich die Betriebsrente ohne Berücksichtigung der außerordentlichen Anhebung der BBG berechnet. Von der Summe ist dann allerdings der Betrag abzuziehen, um den sich die gesetzliche Rente infolge höherer Beitragszahlungen erhöht hat. Dies führte im konkreten Fall zu einem Anstieg der monatlichen Betriebsrente um 221,87 Euro (34,99 %).

Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt immer dann in Betracht, wenn ein Vertrag eine planwidrige Regelungslücke aufweist, gleichgültig, ob sie von Anfang an vorlag oder erst nachträglich entstanden ist. Eine planwidrige Regelungslücke liegt vor, wenn dem Vertrag eine Bestimmung fehlt, die erforderlich ist, um den zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen. Mit anderen Worten: wenn ohne Ergänzung des Vertrags keine angemessene, interessengerechte Lösung zu erzielen wäre.

Durch das Abstellen auf die BBG in der VO haben die Parteien zugleich Bezug auf die Anpassungsregel des § 159 SGB VI genommen. Dieses Prinzip, wonach die BBG in der allgemeinen Rentenversicherung zum 1. Januar eines jeden Jahrs in dem Verhältnis angepasst wird, in dem die Bruttolöhne sich verändert haben, hat eine lange Tradition. Durch die außerplanmäßige Erhöhung ist der Gesetzgeber in systemwidriger Art und Weise von der Anpassungsregel abgewichen. Dadurch wird das Versorgungsziel der VO verfehlt. Teile des Einkommens, die über dem allgemeinen Anstieg der Gehälter liegen, führen – da sie nach Anhebung der BBG plötzlich unterhalb der BBG liegen – zu einer geringeren Betriebsrente. Dies zieht erhebliche Versorgungseinbußen nach sich, solange den Beitragszeiten noch keine entsprechende Verbesserung der gesetzlichen Rente gegenübersteht.

Die durch die außerordentliche Anhebung der BBG in der VO entstandene Regelungslücke ist angemessen zu ergänzen. Das BAG geht davon aus, dass die Parteien vereinbart hätten, dass die außerordentliche Anhebung der BBG zum 1.1.2003 unberücksichtigt bleibt und sich lediglich die weiterhin entsprechend der Einkommensentwicklung vorgenommenen Erhöhungen auswirken. Eine derartige Lösung ist am besten geeignet, den der VO zugrunde liegenden Regelungsplan – auch im Hinblick auf das angestrebte Gesamtversorgungsniveau – zu verwirklichen und sein Ziel zu erreichen.

Konsequenzen

Die Entscheidung des BAG ist für alle Arbeitgeber mit Versorgungsordnungen, die ein Gesamtversorgungsniveau herstellen wollen, von Bedeutung. Sie kann zu deutlich höheren Ansprüchen der Arbeitnehmer führen; vgl. zum Thema auch Interview Karst, AuA 3/10, S. 174 f., in diesem Heft.

Praxistipp

Unternehmen, die von dieser Entscheidung betroffen sind, sollten zweierlei machen:

  • Zum einen ist zu untersuchen, ob die Rückstellungen für Versorgungsverpflichtungen zu erhöhen sind.
  • Zum anderen ist zu prüfen, ob sie ggf. die VO ändern und damit verhindern können, dass das Versorgungsniveau weiter steigt. Ob derartige Eingriffe zulässig sind, hängt von der Art der VO ab und bemisst sich anhand der vom BAG in ständiger Rechtsprechung vertretenen 3-Stufen-Theorie. Angesichts der erheblichen Auswirkungen für Arbeitgeber – im vorliegenden Fall ging es um eine Erhöhung der Betriebsrente um mehr als ein Drittel – ist der Aufwand einer solchen Prüfung in jedem Falle gerechtfertigt.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 3/10