Problempunkt

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Foto von Adrien Olichon

Der Kläger arbeitete seit 1999 als Sozialpädagoge im Schuldienst der Beklagten. Im Jahre 2003 geriet er in Verdacht, in der Zeit von 2001 bis 2003 in elf Fällen die Reifen der Autos zweier Kolleginnen aufgeschlitzt zu haben, die sich zuvor kritisch über seine Tätigkeit geäußert hatten. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens wurde dem Kläger im April 2003 ein gerichtlicher Durchsuchungsbeschluss ausgehändigt. Daraus gingen sowohl die Tatvorwürfe als auch die einzelnen Tattage hervor.

Im Juli 2003 nahm die Beklagte Einsicht in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte. Sie erwog, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu kündigen und gab ihm deshalb mit Schreiben vom 14.7.2003 Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. In ihrem Anhörungsschreiben umriss die Beklagte den Tatverdacht nur pauschal und bezog sich im Übrigen auf die Ermittlungsakte. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er werde sich nicht zu den Vorwürfen äußern, kündigte sie das Arbeitsverhältnis im September 2003 außerordentlich.

Im anschließenden Kündigungsschutzprozess bestritt der Kläger die ihm vorgeworfenen Taten. Er begründete die Unwirksamkeit der Kündigung ferner damit, dass die Beklagte ihn nicht ordnungsgemäß angehört habe. Da er keine hinreichende Kenntnis von den konkreten Vorwürfen gehabt habe, sei es ihm nicht möglich gewesen, sich dazu zu äußern. Zwar habe sein Rechtsanwalt Einsicht in die Ermittlungsakte genommen, diese sei aber unvollständig gewesen. Im Strafverfahren wurde der Kläger im August 2004 wegen unzureichender Beweislage rechtskräftig freigesprochen.

Entscheidung

Der Kläger drang mit seinem Argument, die Kündigung sei mangels ordnungsgemäßer Anhörung durch die Beklagte unwirksam, vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht durch. Das Gericht entschied, dass nicht nur erwiesene Vertragsverletzungen, sondern bereits der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann. Es bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung. Der Arbeitgeber hat vor einer Verdachtskündigung allerdings sämtliche zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um den Sachverhalt aufzuklären. Dazu zählt auch die Anhörung des Arbeitnehmers. Diese muss sich grundsätzlich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen, damit er die Möglichkeit hat, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht zu entkräften.

Das BAG stellte jedoch klar, dass der Arbeitgeber dem Mitarbeiter nicht in jedem Fall die Einzelheiten des Tatverdachts eröffnen muss. Dies darf ausnahmsweise unterbleiben, wenn er sogleich ohne triftigen Grund erklärt, er werde sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Eine pauschale Mitteilung der Verdachtsmomente kann auch ausreichen, wenn der Beschäftigte bereits aus anderen Quellen die Einzelheiten kennt. Auf die Kenntnis seines Rechtsbeistands kommt es mangels Zurechenbarkeit aber nicht an.

Im vorliegenden Fall kannte der Kläger die ihm zur Last gelegten Taten und die fraglichen Tattage aus dem gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss. Deshalb musste die Beklagte bei der Anhörung nicht nochmals auf die Einzelheiten eingehen.

Konsequenzen

Der Arbeitgeber kann einem Arbeitnehmer kündigen, wenn der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung besteht. Vorher muss er jedoch alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um den Sachverhalt aufzuklären. Insbesondere hat er dem Mitarbeiter Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Der Arbeitgeber muss bei dieser Anhörung den Sachverhalt, auf den sich sein Verdacht stützt, möglichst konkret mitteilen. Auch wenn nach dem vorliegenden Urteil des BAG ausnahmsweise pauschale Sachverhaltsangaben genügten, belegt die Entscheidung zugleich, welche Risiken damit verbunden sind. Das Unternehmen setzt sich der Rechtsunsicherheit und der Gefahr eines langwierigen Rechtsstreits aus. Was der Beschäftigte über den Verdacht weiß und welche Einzelheiten er kennt, sind außerdem subjektive Faktoren, die sich oft nur schwer beweisen lassen.

Praxistipp

Der Arbeitgeber sollte den Arbeitnehmer bei der Anhörung stets mit einem Sachverhalt konfrontieren, der nach Zeit, Ort und Tatumständen hinreichend konkretisiert ist. Es empfiehlt sich außerdem, ihn im Beisein von Zeugen anzuhören und das Gesagte schriftlich zu dokumentieren, um in einem möglichen Rechtsstreit die Beweisführung zu sichern.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi – 10/08