Ausgangssituation

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Foto von Van Tay Media

Während Die Linke, SPD und Gewerkschaften einen flächendeckenden allgemeinen Mindestlohn fordern, sind große Teile von CDU und CSU, vor allem aber auch Wirtschaftsforscher und das Arbeitgeberlager gegen Mindestlöhne (s. etwa Florian Gerster, AuA 5/08, S. 257). Angesichts der Popularität von Mindestlöhnen trauen sich CDU und CSU jedoch nicht, diese völlig abzulehnen. Um hier sowohl gegenüber dem Arbeitnehmerals auch gegenüber dem Arbeitgeberlager einen Erfolg verkaufen zu können, ist man auf die Idee verfallen, „nur“ die Einführung branchenbezogener Mindestlöhne zu verfolgen, sozusagen als geringeres Übel.

Am 18.6.2007 hat man sich im Koalitionsausschuss auf zwei Durchführungswege geeinigt, um in einzelnen Bereichen Mindestlöhne einzuführen:

  • Branchen mit einer Tarifbindung von mindestens 50% sollen das Angebot erhalten, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) aufgenommen zu werden und tarifliche Mindestlöhne zu vereinbaren. Als Voraussetzung wurde ein gemeinsamer Antrag von Tarifvertragsparteien der betreffenden Branche bis zum Stichtag 31.3.2008 vorgesehen.
  • Um in „Wirtschaftszweigen oder einzelnen Regionen, in denen es entweder keine Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für eine Minderheit der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber besteht“, Mindestlöhne zu schaffen, soll das Mindestarbeitsbedingungsgesetz (MiA) aus dem Jahr 1952 „gangbar gemacht und auf aktuellen Stand gebracht“ werden.

Wichtig

Wenn es in der Vereinbarung vom 18.6.2007 weiter heißt, als Anwendungsvoraussetzung solle „ein derartiger tarifloser Zustand“ genügen (der explizit auch als „weißer Fleck“ bezeichnet wird), täuscht dies. Tatsächlich geht es schlicht um Branchen mit einer Tarifbindung von unter 50%, so dass im Ergebnis mittels des AEntG und des MiA in jeder Branche Mindestlöhne eingeführt werden können.

Zur Umsetzung der Vereinbarung vom 18.6.2007 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Januar 2008 Referentenentwürfe vorgelegt (siehe im Einzelnen Schmitt-Rolfes, AuA 4/08, S. 199). Diese wurden nach heftiger Kritik überarbeitet und schließlich am 16.7.2008 vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht.

Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 TVG

An dieser Stelle werden sich viele wundern, warum der Gesetzgeber nicht auf die Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) zurückgegriffen hat, vgl. Vorschrift 1. Denn tatsächlich gibt es ja aufgrund allgemeinverbindlicher Tarifverträge schon lange Mindestarbeitsbedingungen für einzelne Branchen. Der Gesetzgeber sieht hier jedoch das Problem, dass die nach § 5 TVG allgemeinverbindlichen Tarifverträge nur auf Unternehmen mit Sitz in Deutschland – nicht im Ausland – anwendbar sind.

Voraussetzung einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG ist zunächst ein entsprechender Antrag zumindest einer Tarifvertragspartei beim BMAS. Das Ministerium veröffentlicht ihn im Bundesanzeiger und setzt eine Frist zur Stellungnahme (§ 4 Durchführungsverordnung TVG). Außerdem muss das BMAS zu dem Ergebnis kommen, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Dies soll vermeiden, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber die nicht tarifgebundenen Unternehmen majorisieren können. Die mit einer Allgemeinverbindlichkeit einhergehenden Wettbewerbsbeschränkungen sollen nur dann hinzunehmen sein, wenn der betroffene Arbeitsmarkt zumindest gleichwertig von organisierten und nicht organisierten Arbeitgebern bestimmt wird (Däubler- Lakies, TVG, § 5 Rdnr. 88).

Vorschrift 1

§ 5 Abs. 1 und Abs. 4 TVG – Allgemeinverbindlichkeit

(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich erklären, wenn

  1. die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und
  2. die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint.

(...)

(4) Mit der Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Rechtsprechung

Des Weiteren muss das Ministerium prüfen, ob die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Dabei hat es einen außerordentlich weiten Beurteilungsspielraum und ist nicht auf die Interessen der Tarifvertragsparteien beschränkt (BVerfG, Beschl. v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, NJW 1977, S. 2255 ff.; BAG, Urt. v. 22.9.1993 – 10 AZR 371/92, NZA 1994, S. 323 ff.). So sah es das Bundesverfassungsgericht etwa als ausreichend an, dass sich das Ministerium an allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielen des Vorruhestandsgesetzes orientiert hat (Beschl. v. 10.9.1991 – 1 BvR 561/89, NZA 1992, S. 125 ff.). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) lässt es sogar genügen, dass sich eine tarifliche Regelung bereits praktisch bewährt und damit den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG entsprechend erwiesen hat (Urt. v. 24.1.1979 – 4 AZR 377/77, AP Nr. 16 zu § 5 TVG).

Schließlich muss ein aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehender Ausschuss mehrheitlich mit der Allgemeinverbindlicherklärung einverstanden sein. In diesem Erfordernis wird ein Grund dafür gesehen, dass es über § 5 TVG nicht zur Einführung von Mindestlöhnen kommen werde, da ein Einvernehmen im Tarifausschuss insoweit kaum erreichbar sei (Witteler, BB 2007, S. 1620 ff.).

Info

In Deutschland sind nach Angaben des BMAS derzeit (Stand 1.4.2008) von den rund 69.600 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen 454 allgemeinverbindlich, darunter 176, die (auch) in den neuen Bundesländern gelten. Ein aktuelles, nach Wirtschaftsgruppen geordnetes Verzeichnis findet sich auf der Homepage des Ministeriums unter Arbeitsrecht/Rubrik Arbeitsrecht im Überblick/Thema Tarifverträge bzw. auf der Website www.arbeit-und-arbeitsrecht. de unter Das Heft/Downloads.

Arbeitnehmer-Entsendegesetz

Auch auf Unternehmen mit Sitz im Ausland finden allgemeinverbindliche Tarifverträge Anwendung, wenn sie unter das AEntG fallen. Zu diesem Zweck wurde das Gesetz, wie sein Name schon sagt, gerade geschaffen, und zwar ursprünglich für das Baugewerbe. Hier sah man die Notwendigkeit, die heimischen Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, die mit billigen Arbeitskräften auf deutsche Baustellen drängte. Bis Ende 1998 setzte das AEntG einen nach § 5 TVG allgemeinverbindlichen Tarifvertrag voraus. Damit schlug jedoch die eben dargestellte Blockademöglichkeit des Tarifausschusses auf das AEntG durch. Darum wurde dem Gesetzgeber zum 1.1.1999 im AEntG ermöglicht, durch Rechtsverordnung die Normen eines Tarifvertrags, für den ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt wurde, auf alle nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Branche zu erstrecken.

Voraussetzung einer entsprechenden Verordnung ist zunächst der Antrag zumindest einer Tarifvertragspartei auf Allgemeinverbindlicherklärung. Wie auch im Rahmen des § 5 TVG, gibt das BMAS dann den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern, Arbeitnehmern sowie den Parteien des Tarifvertrags Gelegenheit zur Stellungnahme. Umstritten ist jedoch, ob hier auch die weiteren Voraussetzungen des § 5 TVG in Form der Tarifbindung von nicht weniger als 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer sowie des öffentlichen Interesses gegeben sein müssen (vgl. Hohenstatt/Schramm, NZA 2008, S. 433 ff.).

Aufnahme weiterer Branchen

Als weitere Branchen fanden 2007 das Gebäudereinigerhandwerk und die Briefdienstleistungen Aufnahme in das AEntG. Durch Verordnung vom 28.12.2007 wurde der TV Mindestlohn für die Branche Briefdienstleistungen und durch Verordnung vom 27.2.2008 der Mindestlohn-TV für das Gebäudereinigerhandwerk für allgemeinverbindlich erklärt. Letztgenannte Verordnung hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin mit Urteil vom 7.3.2008 (VG 4 A 439.07, AuA 4/08, S. 235) für rechtswidrig erklärt, weil der zwischen Post und ver.di geschlossene Tarifvertrag danach auch für „alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, die unter seinen Geltungsbereich fallen, Anwendung finde. Damit habe das BMAS die gesetzliche Ermächtigung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz überschritten, denn § 1 Abs. 3a AEntG könne verfassungskonform nur so ausgelegt werden, dass ausschließlich gar nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse von der Rechtsverordnung erfasst werden dürfen. Die Bundesregierung hat gegen das Urteil Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

Vorschrift 2

§ 1 AEntG (Auszug)

(1) Die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages des Bauhauptgewerbes oder des Baunebengewerbes (...), die

  1. die Mindestentgeltsätze einschließlich Überstundensätze oder
  2. die Dauer des Erholungsurlaubs, das Urlaubsentgelt oder ein zusätzliches Urlaubsgeld

zum Gegenstand haben, finden auch auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinem im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer zwingend Anwendung, wenn (...) auch inländische Arbeitgeber ihren im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmern mindestens die am Arbeitsort geltenden tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen gewähren müssen. Ein Arbeitgeber im Sinne des Satzes 1 ist verpflichtet, seinem im räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 1 beschäftigten Arbeitnehmer mindestens die in dem Tarifvertrag vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren. Dies gilt auch für einen unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 1 fallenden Arbeitgeber mit Sitz im Inland unabhängig davon, ob der Tarifvertrag kraft Tarifbindung nach § 3 des Tarifvertragsgesetzes oder aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung Anwendung findet. Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend auch für (...) Tarifverträge des Gebäudereinigerhandwerks und für Tarifverträge für Briefdienstleistungen, wenn der Betrieb oder die selbständige Betriebsabteilung überwiegend gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördert.

(2) Wird ein Leiharbeitnehmer von einem Entleiher mit Tätigkeiten beschäftigt, die in den Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach Absatz 1 oder 3 oder einer Rechtsverordnung nach Absatz 3a fallen, so hat ihm der Verleiher zumindest die in diesem Tarifvertrag oder dieser Rechtsverordnung vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren. (...)

(3a) Ist ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages nach Absatz 1 (...) gestellt worden, kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter den dort genannten Voraussetzungen durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die Rechtsnormen dieses Tarifvertrages auf alle unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallenden und nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden. (...)

Konkurrierende Anträge auf Allgemeinverbindlichkeit

Auch wenn die Entscheidung des VG Berlin ausgesprochen umstritten ist (vgl. etwa Greiner, BB 2008, S. 840 ff.), so wirft sie doch die richtigen Fragen auf: Was geschieht mit konkurrierenden Tarifverträgen in einer Branche, insbesondere bei TV mit niedrigeren Löhnen? Werden diese durch die für allgemeinverbindlich ernannten Verträge verdrängt? Oder gilt dann in der Branche automatisch der niedrigste Tariflohn?

Der Gesetzentwurf für das AEntG sieht in § 7 Abs. 2 für die Entscheidung über konkurrierende Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung die folgenden Kriterien vor:

  • die Zahl der von den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten und unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer, sowie
  • die Zahl der vom Tarifvertrag erfassten Mitglieder der Gewerkschaft, die ihn abgeschlossen hat.

Mit diesen beiden Kriterien der „Repräsentativität“ würden im Ergebnis die DGB-Gewerkschaften und arrivierten Arbeitgeberverbände geschützt. Wenn dies im Hinblick auf von Unternehmen unterstützte Pseudogewerkschaften noch politisch nachvollziehbar ist, so träfe es doch vor allem die Christlichen Gewerkschaften, deren Tarifverträge etwa in der Zeitarbeit sehr verbreitet sind.

Übersicht

Bis zum 31.3.2008 haben die folgenden Branchen das Interesse an einer Aufnahme in das AEntG bekundet:

Branche Betroffene Arbeitnehmer lt. Antragsteller/Auskunft der Sozialpartner
Arbeitnehmerüberlassung rd. 630.000
Pflegedienst (Altenpflege) rd. 565.000
Wach- und Sicherheitsgewerbe rd. 170.000
Abfallwirtschaft rd. 140.000
Weiterbildung rd. 30.000
forstliche Dienstleistungen rd. 23.000
textile Dienstleistungen im Objektkundenbereich rd. 10.000
Bergbauspezialarbeiten rd. 2.500
Summe rd. 1,57 Millionen

Info

Ergänzt wird das AEntG durch die Regelung, dass auch Leiharbeitnehmern mit entsprechenden Tätigkeiten die zwingenden Leistungen der jeweiligen Branche zu gewähren sind, § 1 Abs. 2 AEntG, vgl. auch § 8 Abs. 3 des Gesetzentwurfs. Sind etwa die Löhne nach dem allgemeinverbindlichen Mindestlohn-TV des Gebäudereinigerhandwerks höher als diejenigen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag der Zeitarbeit zu zahlen wären, hat der Leiharbeitnehmer einen Anspruch gegen den Verleiher auf die Vergütung nach dem Mindestlohn- TV des Gebäudereinigerhandwerks.

Vermeidung der Anwendbarkeit allgemeinverbindlicher Tarifverträge

Unabhängig davon, ob Tarifverträge nach § 5 TVG oder § 1 Abs. 3a AEntG allgemeinverbindlich sind, so finden sie doch immer nur auf Arbeitgeber Anwendung, die unter den betrieblich-fachlichen Geltungsbereich des TV fallen. Für die Frage, ob ein solcher Fall vorliegt, ist entscheidend, mit welchen Tätigkeiten ein Betrieb oder eine selbstständige Betriebsabteilung überwiegend beschäftigt ist. Dies hängt davon ab, auf welche Tätigkeit der Hauptteil der betrieblichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer entfällt. Nicht maßgeblich sind dagegen wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz, Verdienst oder handels- und gewerberechtliche Kriterien, z.B. die Eintragung im Handelsregister (ständige Rechtsprechung; BAG, Urt. v. 14.1.2004 – 10 AZR 294/02, AP Nr. 263 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Praxistipp

Für Unternehmen, die in einer der Branchen tätig sind, die ihr Interesse an einer Aufnahme in das AEntG bekundet haben, bietet es sich somit an, eine betriebliche Einheit mit Beschäftigten zu bilden, die nicht unter den allgemeinverbindlichen TV fallende Arbeiten verrichten (Beispiel: Zusteller von Briefsendungen zusammen mit Zustellern sonstiger Postsendungen oder ganz anderen Tätigkeiten). Natürlich kann man auch einem Arbeitnehmer weitere Tätigkeiten übertragen, die nicht unter einen „allgemeinverbindlichen“ Geltungsbereich fallen (Beispiel: Zusteller von Briefsendungen stellen zukünftig auch andere Postsendungen zu).

Wenn man Berufsgruppen beschäftigt, die unter verschiedene allgemeinverbindliche TV fallen (typisches Beispiel: Gebäudereiniger und Wachschutz), stellt man seine Mitarbeiter in den Betrieben so zusammen, dass die überwiegende Arbeitszeit auf den für den Arbeitgeber günstigeren Tarifvertrag entfällt. Die Vermischung der Tätigkeiten muss so stark sein, dass nicht selbstständige Betriebsabteilungen vorliegen, die jede für sich unter einen unterschiedlichen Tarifvertrag fallen.

Eine weitere Vermeidung kann darin bestehen, die Arbeit, die unter einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag fällt, auf bestimmte Beschäftigte zu konzentrieren und mit diesen eine selbstständige Betriebsabteilung oder – noch sicherer – einen eigenen Betrieb zu bilden. So kann der Mindestlohn auf so wenige Arbeitnehmer wie möglich beschränkt werden.

Rechtsprechung

Das BAG versteht unter einer Betriebsabteilung einen räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (BAG, Urt. v. 25.1.2005 – 9 AZR 146/04, AP Nr. 21 zu § 1 AEntG).

Fazit

Am Ende wird es sein wie immer. Neue Gesetze schaffen neue Vermeidungsstrategien der Arbeitgeber, die Rechtsprechung und vielleicht auch der Gesetzgeber werden hierauf reagieren, und das Spiel beginnt von Neuem. Noch stehen die Chancen jedenfalls gut, durch eine geschickte Zusammensetzung von Betrieben oder selbstständigen Betriebsabteilungen die Anwendbarkeit von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu verhindern oder jedenfalls auf so wenige Arbeitnehmer wie möglich zu konzentrieren. Das MiA sieht nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf vor, dass künftig Mindestlöhne in Branchen mit einer Tarifbindung von unter 50% festgelegt werden können. Zumindest aber ist es gelungen, die Pläne des BMAS für einen begrenzten Bestandsschutz vor dem 16.7.2008 abgeschlossener Tarifverträge zu verhindern. Der Bestandsschutz soll sich nach dem neuen § 8 Abs. 2 auch auf die ablösenden TV erstrecken. Ohne diese Erweiterung hatten vor allem CDU und CSU die Regelung als Freibrief für das Ministerium gewertet, nach Ablauf bestehender Lohntarifverträge in jeder Branche einen Mindestlohn einzuführen. Ob Gewerkschaften dies nun darüber erreichen können, dass sie einen bestehenden TV auslaufen lassen, bevor sie den ihn ablösenden TV verhandeln, wird wohl die Rechtsprechung zu entscheiden haben.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - Personal-Profi - 8/08